Clan-Strukturen, extremistische Bestrebungen und Sicherheitsgefahren unter Migranten aus palästinensischen Autonomiegebieten in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage
vom 11.11.2024

Kleine Anfrage 4751

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner AfD

Clan-Strukturen, extremistische Bestrebungen und Sicherheitsgefahren unter Migranten aus palästinensischen Autonomiegebieten in Nordrhein-Westfalen

Berichte aus jüngster Zeit weisen auf die Präsenz radikalisierter Clan-Strukturen ‚palästinensischen‘ Ursprungs hin, die durch gewaltbereite und extremistische Handlungen auffällig geworden sind. Ein besonders bedenklicher Fall betrifft den sogenannten Barbakh-Clan in Berlin, dessen Mitglieder ursprünglich aus dem Gazastreifen stammen sollen und deren Aktivitäten islamistische Propaganda sowie die Verherrlichung der terroristischen Hamas umfassen. Im Kontext von israelfeindlichen Demonstrationen werden sie Medienberichten zufolge mit Gewalt gegen Polizeibeamte sowie durch das öffentliche Zurschaustellen extremistischer Symbole in Verbindung gebracht. Die Abschiebung dieser Clan-Mitglieder gestaltet sich aufgrund der politischen Situation in den palästinensischen Gebieten als nahezu unmöglich.1

Nordrhein-Westfalen hat in den letzten Jahren eine große Zahl an Migranten aus verschiedenen Krisenregionen der Welt aufgenommen. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen und der Sicherheitslage in NRW stellen sich drängende Fragen, ob auch hier potenziell radikalisierte und/oder clanähnlich organisierte Gruppen entstanden sind, die sich durch extremistische oder staatsgefährdende Aktivitäten hervortun und möglicherweise einen erhöhten Gefährdungsgrad darstellen. Insbesondere mögliche Beteiligungen an israelfeindlichen Demonstrationen, bei denen pro-palästinensische, extremistische Symbole gezeigt und Gewaltaufrufe verbreitet werden, müssen aus sicherheitspolitischer Sicht untersucht werden.

In diesem Zusammenhang fragen wir die Landesregierung:

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen über die Existenz von Clan-Strukturen vor, die aus den palästinensischen Autonomiegebieten stammen und in Nordrhein-Westfalen möglicherweise sicherheitsgefährdende Aktivitäten entfalten?
  2. Wie viele Personen aus den palästinensischen Autonomiegebieten, insbesondere aus dem Gazastreifen, sind seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist?
  3. Welche Informationen liegen der Landesregierung darüber vor, ob Personen aus dem Gazastreifen, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, Kontakte zur Hamas bzw. deren Netzwerken hatten oder haben?
  4. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über extremistische oder staatsgefährdende Aktivitäten von Personen aus den palästinensischen Autonomiegebieten, vor allem aus dem Gazastreifen, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, insbesondere im Hinblick auf gewaltbereite oder Israel­feindliche Handlungen?
  5. Inwiefern hat die Landesregierung Erkenntnisse über die Teilnahme von Personen aus den palästinensischen Autonomiegebieten, vor allem aus dem Gazastreifen, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, an israelfeindlichen Demonstrationen und Aktionen, bei denen zu Gewalt gegen den Staat Israel oder zur Unterstützung terroristischer Organisationen wie der Hamas aufgerufen wurde?

Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner

 

MMD18-11385

 

1 https://www.focus.de/politik/deutschland/anti-israel-demos-radikal-und-gewaltbereit-gaza-clan-terrorisiert-berlin-politik-machtlos_id_260423851.html


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4751 mit Schreiben vom 27. Januar 2025 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität“ (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.

Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie

  • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten,
  • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben,
  • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und/oder
  • gegen eine Person wegen der ihr zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder ihres Engagements gerichtet sind bzw. aufgrund von Vorurteilen des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht/geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder äußeres Erscheinungsbild begangen werden. Diese Straftaten können sich unmittelbar gegen eine Person oder Personengruppe, eine Institution oder ein Objekt/eine Sache richten, welche(s) seitens des Täters einer der o. g. gesellschaftlichen Gruppen zugerechnet wird (tatsächliche oder zugeschriebene Zugehörigkeit) oder sich im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorurteilen des Täters gegen ein beliebiges Ziel richten.

Darüber hinaus werden Tatbestände gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 192a, 234a, 234b oder 241a Strafgesetzbuch (StGB) sowie Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann.

Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet.

Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK).

  1. Welche Kenntnisse liegen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen über die Existenz von Clan-Strukturen vor, die aus den palästinensischen Autonomiegebieten stammen und in Nordrhein-Westfalen möglicherweise sicherheitsgefährdende Aktivitäten entfalten?

Im Zusammenhang mit der Erstellung des jährlichen Lagebildes „Clankriminalität“ werden ausschließlich Daten zu kriminellen Angehörigen türkisch-arabischstämmiger Großfamilien, soweit diese Bezüge zur Bevölkerungsgruppe der Mhallamiye oder zum Libanon aufweisen, erhoben. Ein Rückschluss, ob diese Personen aus den palästinensischen Autonomiegebieten stammen, ist anhand der Datenlage nicht möglich. Insofern liegen hier keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor.

  1. Wie viele Personen aus den palästinensischen Autonomiegebieten, insbesondere aus dem Gazastreifen, sind seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist?

Das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Registerbehörde geführte Ausländerzentralregister als maßgebliche Datenbank liefert keine Verlaufszahlen zu Einreisen von Drittstaatsangehörigen. Entsprechend liegen der Landesregierung keine Daten im Sinne der Fragestellung vor. Im Übrigen obliegt die Kontrolle aus dem Ausland einreisender Personen der Bundespolizei. Zum Stichtag 30.09.2024 waren in Nordrhein-Westfalen laut Ausländerzentralregister insgesamt 850 Personen aus den palästinensischen Gebieten (nicht als Staat anerkannt) registriert.

  1. Welche Informationen liegen der Landesregierung darüber vor, ob Personen aus dem Gazastreifen, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, Kontakte zur Hamas bzw. deren Netzwerken hatten oder haben?

Im Rahmen der polizeilichen statistischen Erfassung findet kein Monitoring hinsichtlich etwaiger Kontakte oder Netzwerkverbindungen von Personen aus dem Gazastreifen, die nach Deutschland eingereist sind, statt.

  1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über extremistische oder staatsgefährdende Aktivitäten von Personen aus den palästinensischen Autonomiegebieten, vor allem aus dem Gazastreifen, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, insbesondere im Hinblick auf gewaltbereite oder Israel-feindliche Handlungen?

Im Rahmen des KPMD-PMK wird die Staatsangehörigkeit ermittelter Tatverdächtiger zum Zeitpunkt der Tatbegehung erfasst. Nicht erfasst werden hingegen die Herkunft und der Einreisezeitpunkt und das Gebiet aus dem etwaige Tatverdächtige in die Bundesrepublik Deutschland.

Bei Palästina handelt es sich um einen sogenannten De-facto-Staat, der u. a. von der Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat anerkannt wird.

Aus diesem Grund werden Personen, die aus Palästina stammen, als staatenlos betrachtet. Eine automatisierte Auswertung, welche der staatenlosen Tatverdächtigen bzw. der Tatverdächtigen mit unbekannter Staatsangehörigkeit aus Palästina stammen, ist aus den vorgenannten Gründen nicht möglich. Eine Einzelfallauswertung der mehr als 250 Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.

Personen mit Migrationshintergrund aus den palästinensischen Autonomiegebieten sind teilweise auch in Nordrhein-Westfalen in islamistischen Gruppierungen aktiv. So rekrutiert sich die Szene der aktiven HAMAS-Anhänger, die – in Abgrenzung zu bloßen HAMAS-Sympathisanten – tatsächlich über mittelbare oder unmittelbare Kontakte zu der Organisation verfügen, vorrangig aus Personen, die aus Israel oder aus den palästinensischen Autonomiegebieten stammen.

Eine abschließende systematische Erfassung des Einreisezeitpunktes des durch die Fragesteller in Bezug genommenen extremistischen Personenpotenzials erfolgt zudem nicht, so dass eine Beantwortung im Sinne der Fragestellung nicht möglich ist.

Im Übrigen wird auf die ausführliche Darstellung im „Lagebild Islamismus“ (LT-Vorlage 18/2551) sowie den Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2023 (LT-Vorlage 18/2489 S. 17, 240ff.) verwiesen.

  1. Inwiefern hat die Landesregierung Erkenntnisse über die Teilnahme von Personen aus den palästinensischen Autonomiegebieten, vor allem aus dem Gazastreifen, die seit 2015 nach Nordrhein-Westfalen eingereist sind, an israelfeindlichen Demonstrationen und Aktionen, bei denen zu Gewalt gegen den Staat Israel oder zur Unterstützung terroristischer Organisationen wie der Hamas aufgerufen wurde?

Der KPMD-PMK erfasst u.a. politisch motivierte, strafrechtlich relevante Sachverhalte, die bei Demonstrationen oder Versammlungen begangen und polizeilich bekannt werden. Eine Erfassung von Personendaten bei bloßer Teilnahme an o. g. Veranstaltungen, ohne selbst tatverdächtig zu sein, findet nicht statt.

Ergänzend wird auf die Antwort zur Frage 4 verwiesen.

 

MMD18-12638