Kleine Anfrage 552
der Abgeordneten Markus Wagner und Enxhi Seli-Zacharias vom 13.10.2022
Corona hemmt Abschiebungsfrist nicht – Kommt Nordrhein-Westfalen seinen Ab-schiebeverpflichtungen nach?
Bereits im März 2020 hatte das Bundesinnenministerium auf die Frage, ob Sammelabschiebungen nach Afghanistan wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt werden, nur zögerlich geantwortet. Dennoch stellte es klar, dass aller Voraussicht nach wegen der Corona-Pande-mie vorerst überhaupt keine Abschiebungen mehr aus Deutschland geben wird. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt keinen offiziellen Abschiebestopp. In den Wochen zuvor lag die Zahl der anerkannten afghanischen Asylanträge bundesweit bei über 40 Prozent.1
Zu Beginn des Jahres 2021 hat das Verwaltungsgericht in Schleswig-Holstein die Abschiebung eines Afghanen gebilligt. Allerdings wurde diese Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht vorläufig gestoppt. Zur Begründung wurde unter anderem angeführt, dass nicht geklärt gewesen sei, ob eine gefahrlose Ankunft möglich sei. So hätten sich Behörden und Gerichte „fortlaufend über die tatsächlichen Entwicklungen unterrichten“ lassen müssen.2
Aber auch innerhalb Europas wurden notwendige Abschiebeprozesse mit Verweis auf Corona nicht durchgeführt, was mittlerweile in mehreren Fällen zu einem Fristablauf geführt hat. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigte kürzlich die Auffassung eines deutschen Gerichts, wonach Deutschland für die Anträge mehrerer Asylsuchender zuständig sei, die zwar über ein anderes EU-Land eingereist waren und dort Asyl hätten beantragen müssen, aber wegen der Pandemie nicht rechtzeitig dorthin rücküberstellt worden waren. Die Frist für die Dublin-Rücküberstellung wird somit aufgrund der Corona-Pandemie nicht ausgesetzt. Die Rücküberstellungsfrist von sechs Monaten sei trotz der vorübergehenden Aussetzung von Rücküberstellungen während der Corona-Pandemie in der Europäischen Union weitergelaufen. Im konkreten Fall ging es um drei Menschen, die über Italien in die EU einreisten und in Deutschland Asyl beantragten. Eine Dublin-Rücküberstellung nach Italien scheiterte allerdings an den italienischen Behörden, die eine entsprechende Rücküberstellung wegen der Pandemie vorübergehend ausgesetzt hatte.3
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie viele vorgesehene Abschiebungen bzw. Dublin-Rücküberstellungen konnten während der Corona-Pandemie seit dem 1. Januar 2020 in Nordrhein-Westfalen nicht durchgeführt werden? (Bitte nach Herkunftsland und Anzahl der Personen aufschlüsseln.)
- Wie viele der in Frage 1 genannten Personen wurden mittlerweile einer erfolgreichen Abschiebung bzw. Rücküberstellung zugeführt?
- Wie viele Personen halten sich in Nordrhein-Westfalen auf, bei denen die sechsmonatige Frist für eine Dublin-Rücküberstellung in das zuständige EU-Ersteinreiseland abgelaufen ist?
- Wie viele Asylanträge, die von aus Afghanistan stammenden Personen seit dem 1. Januar 2020 beantragt worden sind, wurden in Nordrhein-Westfalen anerkannt?
Markus Wagner
Enxhi Seli-Zacharias
1 Vgl. h t t p s: / / w w w. d w. c o m/ d e / vermutlich-keine-weiteren-abschiebungen-wegen-coronavirus/a-52818647.
2 Vgl. h t tp s : / /w w w. welt.de/politik/fluechtlinge/article227193261/Bundesverfassungsgericht-stoppt-Abschiebung-eines-Af gh a n e n .html.
3 Vgl. h t t p s: / / w w w . z e i t. d e /p o l i t ik/2022-09/eugh-urteil-abschiebungsfrist-asyl-corona-deutschland.
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 552 mit Schreiben vom 16. November 2022 namens der Landesregierung beantwortet.
- Wie viele vorgesehene Abschiebungen bzw. Dublin-Rücküberstellungen konnten während der Corona-Pandemie seit dem 1. Januar 2020 in Nordrhein-Westfalen nicht durchgeführt werden? (Bitte nach Herkunftsland und Anzahl der Personen aufschlüsseln.)
- Wie viele der in Frage 1 genannten Personen wurden mittlerweile einer erfolgreichen Abschiebung bzw. Rücküberstellung zugeführt?
- Wie viele Personen halten sich in Nordrhein-Westfalen auf, bei denen die sechsmonatige Frist für eine Dublin-Rücküberstellung in das zuständige EU-Ersteinrei-seland abgelaufen ist? (Bitte differenziert nach Anzahl und Herkunftsland auflisten)
Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1, 2 und 3 gemeinsam beantwortet: Eine Statistik im Sinne der Fragestellungen liegt nicht vor.
- Wie viele Asylanträge, die von aus Afghanistan stammenden Personen seit dem 1. Januar 2020 beantragt worden sind, wurden in Nordrhein-Westfalen anerkannt?
In den Jahren 2020 bis 2022 (einschließlich September) traf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nordrhein-Westfalen jeweils in der folgenden Anzahl von Asylverfahren von aus Afghanistan stammenden Personen eine einen Schutzstatus bzw. ein Abschiebungs-verbot anerkennende Entscheidung:
2020 | 2021 | 2022 | |
Anerkennungen als Asylberechtigte (Art. 16a GG und Familienasyl) |
17 | 20 | 205 |
Anerkennungen als Flüchtling
(§ 3 Abs. 1 AsylG) |
295 | 271 | 956 |
Gewährung von subsidiärem Schutz
(§ 4 Abs. 1 AsylG) |
97 | 78 | 249 |
Feststellung eines Abschiebungsverbotes (§ 60 Abs. 5, 7 AufenthG) | 392 | 434 | 2.920 |
Quelle: Antrags-, Entscheidungs- und Bestandsstatistik des BAMF
Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen der Landesregierung im Übrigen nicht vor. Insbesondere kann anhand der hier vorliegenden Daten nicht ausgeschlossen werden, dass die genannten Zahlen auch solche Entscheidungen enthalten, für die der entsprechende Asylantrag vor dem 01.01.2020 gestellt worden ist.