Kleine Anfrage 3563des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz vom 30.04.2020
Corona – Maßnahmen mit Sinn und Unsinn.
Seit Montag, dem 27. April 2020, gilt in Nordrhein-Westfalen die Verpflichtung für alle Bürger, bei der Fahrt im ÖPNV, beim Einkauf im Einzelhandel und in Arztpraxen Mund und Nase zu bedecken. Ziel dieser Anordnung ist es nach offiziellen Verlautbarungen, die Ansteckungsgefahr in zentralen Bereichen des öffentlichen Lebens weiter zu reduzieren.
Die entsprechend aktualisierte Coronaschutzverordnung unterstreicht die schon bisher geltende Empfehlung nun in einem gesonderten Paragraphen und regelt dort gleichzeitig eine entsprechende rechtliche Verpflichtung für die Bereiche Personenbeförderung, Einzelhandel und Arztpraxen. In diesen Bereichen wird das Tragen einer textilen Mund-Nase-Bedeckung, etwa sogenannter „Alltagsmasken“, auch als „Community-Masken“ bezeichnet, oder die entsprechende Nutzung eines Schals beziehungsweise eines Tuchs verpflichtend1.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) erklärte dazu: „Mit der heutigen Rechtsverordnung regeln wir die bislang noch offenen Details der sogenannten Mundschutzpflicht. Das Wichtigste bleibt: Abstand halten, Hygieneregeln konsequent einhalten. Auch das Tragen von Alltagsmasken kann in bestimmten Situationen dazu beitragen, das Infektionsrisiko zu reduzieren. Ich appelliere an die Bürgerinnen und Bürger: Bitte halten Sie sich daran! Unsere bisherigen Regelungen zeigen erste Erfolge. Unser Gesundheitssystem ist gut aufgestellt und musste bislang nicht an seine Grenzen gehen. Jeder von uns bleibt gefragt, einen Beitrag zu leisten.“2
Da das Gesundheitssystem „bislang nicht an seine Grenzen“ gestoßen ist, gehen inzwischen die Kliniken in einer Reihe von Bundesländern wieder zu ihrem gewohnten Tagesgeschäft über. Viele Patienten können sich nun endlich ihren für den Erhalt oder die Wiederherstellung ihrer Gesundheit so wichtigen Eingriffen unterziehen.
Die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen sollen nach Ansicht von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann noch mindestens ein Viertel ihrer Intensivbetten für die Behandlung von COVID-19-Patienten freihalten.
Angesichts der verlangsamten Ausbreitung des Coronavirus könnten die restlichen Kapazitäten wieder für planbare Eingriffe genutzt werden, wobei es dabei Priorisierungen geben müsse, erklärte Laumann.3
In diesem Zusammenhang frage ich die Landesregierung:
1. Wie hat sich die Anzahl der Todesfälle in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen 16 Monaten entwickelt? (Bitte aufschlüsseln nach Monat – Januar 2019 bis April 2020 – und Anzahl)
2. Aus welchen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die diese Maßnahme als eine tatsächlich wirksame beurteilen, leitet die Landesregierung die Pflicht ab, den Mund- und Nasenbereich mit einem Tuch zu bedecken, um am sozialen Leben weiter teilhaben zu können?
3. Wie stellt sich die Auslastung der Intensivstationen der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen für die Monate Februar, März und April 2020 im Vergleich zu den Zahlen eben dieser Monate des Vorjahres dar?
4. Gibt es seitens des Gesundheitsministeriums Richtlinien, welche mit den Krankenhäusern erarbeitet und kommuniziert wurden, um die von Minister Laumann erwähnte Priorisierung durchzusetzen, und wie sehen diese aus?
Dr. Martin Vincentz
1 https://www.land.nrw/de/pressem itteilung/landesregierung-fuehrt-maskenpflicht-ein
2 ebd
3 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112407/Bundeslaender-fahren-Kliniken-wieder-hoch
Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 02.06.2020
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 3563 mit Schreiben vom 2. Juni 2020 namens der Landesregierung beantwortet.
1. Wie hat sich die Anzahl der Todesfälle in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen 16 Monaten entwickelt? (Bitte aufschlüsseln nach Monat – Januar 2019 bis April 2020 – und Anzahl)
Auf die beigefügte Tabelle (Anlage 1) wird verwiesen. Die Zahlen für April 2020 standen zum Zeitpunkt der Beantwortung der Kleinen Anfrage noch nicht zur Verfügung.
2. Aus welchen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die diese Maßnahme als eine tatsächlich wirksame beurteilen, leitet die Landesregierung die Pflicht ab, den Mund- und Nasenbereich mit einem Tuch zu bedecken, um am sozialen Leben weiter teilhaben zu können?
Die Verpflichtung sowie Empfehlung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung (MNB) für Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen (vgl. § 12a Coronaschutzverordnung) beruht auf der Empfehlung des Robert Koch-Institutes (RKI). Die Empfehlung basiert auf einer Neubewertung aufgrund zunehmender Evidenz, dass ein hoher Anteil von Übertragungen unbemerkt erfolgt, und zwar bereits vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20_MNB.pdf? blo b=publicationFile). Der Schutz durch eine MNB besteht dabei insbesondere im Abfangen von festen oder flüssigen Partikeln durch den (möglicherweise asymptomatischen, aber infektiösen) Träger. Denn gerade der unbemerkten Ausscheidung bei asymptomatischen Personen kann nur schwer durch andere Verhaltensänderungen (z. B. Selbstquarantäne) begegnet werden. Selbst eine teilweise Reduktion dieser unbemerkten Übertragung von infektiösen Tröpfchen durch das Tragen von MNB kann insbesondere auf Populationsebene zu einer weiteren Verlangsamung der Ausbreitung beitragen. Zusammen mit dem Einhalten der allgemeinen Infektionsschutzmaßnahmen (Abstandsregeln, Husten- und Niesregeln, Händehygiene) kann das Tragen einer MNB dazu beitragen, die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu verlangsamen.
3. Wie stellt sich die Auslastung der Intensivstationen der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen für die Monate Februar, März und April 2020 im Vergleich zu den Zahlen eben dieser Monate des Vorjahres dar?
4. Gibt es seitens des Gesundheitsministeriums Richtlinien, welche mit den Krankenhäusern erarbeitet und kommuniziert wurden, um die von MinisterLaumann erwähnte Priorisierung durchzusetzen, und wie sehen diese aus?
Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des engen Sachzusammenhanges zusammen beantwortet.
Ein Vergleich der Auslastung von Intensivbetten zwischen dem aktuellen Jahr zum letzten, ist anhand der aktuell zur Verfügung stehenden Daten nicht möglich. Eine entsprechende Datenabfrage ist innerhalb der Frist dieser Anfrage nicht umsetzbar und müsste bei den Krankenhäusern erfolgen, denen aufgrund der aktuellen Lage ein angemessenes Zeitfenster zur Beantwortung einzuräumen ist.
Aufgrund der Corona Pandemie hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales zahlreiche Maßnahmen vorgenommen, die eine Erhöhung der intensivmedizinischen Kapazitäten sowie die Vermeidung einer Überforderung des Gesundheitssystems als Ziel hatten.
Unter anderem wurden die Krankenhäuser mit Schreiben vom 13. März 2020 vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen darum gebeten, elektive Eingriffe zu verschieben.
Die derzeitige geringe Auslastung der Krankenhäuser ist erfreulicherweise ein Anzeichen dafür, dass die Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung die angesprochene Überforderung bisher verhindert haben. Daher wurde mit dem anliegenden Schreiben des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen vom 29. April 2020 (Anlage 2) den Krankenhäusern eine schrittweise Rückkehr zum Regelbetrieb empfohlen. Diesem Schreiben ist die erwähnte Priorisierung zu entnehmen.
Bei den darin aufgeführten Maßnahmen handelt es sich um Empfehlungen an die Krankenhäuser, nicht um eine Verordnung.
Mit den laufenden Maßnahmen zur Ausweitung und Sicherstellung der medizinischen Kapazitäten in den Krankenhäusern ist eine sichere und effiziente Versorgung unserer Bevölkerung erreicht worden.
Zu Verbesserung der Informationslage hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen das „Informationssystem Gefahrenabwehr NRW“ (IG-NRW) mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet, sodass seit Mitte März alle Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen dazu verpflichtet sind, ihre aufgestellten Intensivbetten täglich zu melden. Ab Anfang April wurde zudem zusätzlich festgehalten, wie viele Betten aktuell zur Verfügung stehen. Der nachfolgenden Abbildung 1 ist die aktuelle Auslastung an Intensivbetten in NRW zu entnehmen. Die durchschnittliche Auslastung lag in diesem Zeitraum bei 63,7%.