„Da brennt es unter unserem Kirchendach lichterloh“ – Wie positioniert sich die neue Landesregierung zur indirekten Limitierung von Kirchenaustritten?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 302
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias vom 09.08.2022

 

„Da brennt es unter unserem Kirchendach lichterloh“ – Wie positioniert sich die neue Landesregierung zur indirekten Limitierung von Kirchenaustritten?

Nachdem Kardinal Rainer Maria Woelki sich im November 2020 dazu entschieden hatte, das von ihm selbst bei einer Münchner Rechtsanwaltskanzlei in Auftrag gegebene Gutachten zum Kindesmissbrauch im Erzbistum Köln nicht zu veröffentlichen, nimmt nicht nur der mediale Druck auf die katholische Kirche zu. Es steht der Verdacht im Raum, dass die katholische Kirche die entsprechenden Straftaten entgegen ihren offiziellen Äußerungen und Willensbekundungen nicht aufklären, sondern vertuschen möchte. Eine solche Vermutung wird untermauert durch die Äußerungen des Rechtsanwalts W., der mit dem ersten Gutachten beauftragt worden war. Danach habe der Auftrag zum ersten Gutachten nicht nur eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle beinhaltet. Vielmehr sollte in diesem Gutachten ausdrücklich auch geprüft und bewertet werden, ob und inwieweit das Verhalten etwaig zu benennender Bistumsverantwortlicher angemessen gewesen sei. Der dabei anzulegende Prüfmaßstab sei das kirchliche Selbstverständnis gewesen, den eigenen moralischen Ansprüchen selbst gerecht werden zu wollen. Ohne diese Prämisse des Prüfungsauftrags hätte man den Auftrag gar nicht angenommen, denn nur so könne man der Dimension des sexuellen Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche gerecht werden.1

Kardinal Woelki hat das Bistum Köln in eine tiefe Krise gestürzt. Nun wollen sehr viele Menschen aus der Kirche austreten.

Recherchen der FAZ folgend, sind im Jahre 2021 so viele Katholiken wie nie zuvor aus der Kirche ausgetreten. Danach hat sich nach Angaben des Amtsgerichts Köln „die Zahl der Austritte gegenüber dem bisherigen Höchststand von 2019 nahezu verdoppelt. Für 2021 wurden in Köln demnach 19.340 Austritte verzeichnet, zwei Jahre zuvor waren es 10 073. Im Jahr 2020 war die Zahl wie überall in Deutschland wegen der pandemiebedingten Einschränkungen noch rückläufig gewesen.“2

In anderen Städten sei die Entwicklung ähnlich dramatisch, insbesondere für die katholische Kirche. Der Vorsitzende des Diözesanrates im Erzbistum Köln bemerkte dazu: „Da brennt es unter unserem Kirchendach im Erzbistum Köln lichterloh.“

Die steigende Anzahl von Kirchenaustritten trifft aktuell auf eine völlig überlastete Verwaltung, insbesondere auch in Folge der Corona-Maßnahmen.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wurde in NRW die Abgabe der Kirchenaustrittserklärungen in höchstpersönlicher Form ausgesetzt? (Bei Bejahung wird um Berufung auf die rechtliche Grundlage gebeten)
  2. Wie wird den Bürgern ihr Recht auf Austritt aus der Kirche gewährleistet, wenn die Online-Terminvergabe in einigen Kommunen beispielsweise temporär nicht abrufbar ist?
  3. Auf welche durchschnittlichen Wartezeiten müssen sich Bürger gegenwärtig hinsichtlich ihres Kirchenaustrittes einstellen?
  4. Können jene Bürger, die von diesen ungewöhnlich langen Wartezeiten betroffen sind, mit einer Erstattung ihrer Kirchensteuer rechnen?
  5. Wie wird von staatlicher Seite sichergestellt, dass auch ältere Personen ohne Zugang zum Internet ihren Austritt vollziehen können?

Enxhi Seli-Zacharias

 

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1 Vgl. dazu das Interview in den Aachener Nachrichten vom 1. März 2021, S. 15

2 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/politik/kirchenaustritte-im-erzbistum-koeln-erreichen-hoechststand-17726822.html


Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 302 mit Schreiben vom 2. September 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie dem Mi­nister der Finanzen beantwortet.

  1. Wurde in NRW die Abgabe der Kirchenaustrittserklärungen in höchstpersönlicher Form ausgesetzt? (Bei Bejahung wird um Berufung auf die rechtliche Grundlage gebeten)

Nein. In Nordrhein-Westfalen bestimmt das Kirchenaustrittsgesetz (KiAustrG) in § 1, dass der Austritt aus einer Kirche oder aus einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemein­schaft des öffentlichen Rechts mit Wirkung für den staatlichen Bereich durch Erklärung bei dem Amtsgericht erfolgt, in dessen Bezirk der Erklärende seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat.

Die Austrittserklärung kann gemäß § 3 Absatz 1 KiAustrG mündlich oder schriftlich erfolgen. § 3 Absatz 5 KiAustrG legt fest, dass die mündliche Erklärung zur Niederschrift des Urkundsbe-amten des zuständigen Amtsgerichts erfolgen muss oder dass die Erklärung bei einer Nota-rin/einem Notar in öffentlich beglaubigter Form erfolgen kann, die von dort an das zuständige Amtsgericht weitergeleitet wird.

  1. Wie wird den Bürgern ihr Recht auf Austritt aus der Kirche gewährleistet, wenn die Online-Terminvergabe in einigen Kommunen beispielsweise temporär nicht abrufbar ist?

Neben der Online-Terminvergabe besteht nach den Berichten der Oberlandesgerichte bei den Amtsgerichten die Möglichkeit, telefonisch einen Termin zur Abgabe der Erklärung des Aus­tritts aus einer Kirche oder aus einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts mit Wirkung für den staatlichen Bereich zu vereinbaren. Lediglich ein Amtsgericht teilte mit, dass bei einem vollständigen Ausfall des Terminbuchungssystems keine Möglichkeit der Terminvergabe bestünde, da auch bei telefonischer Terminvereinbarung die Termine in das System der Online-Vergabe eingetragen würden. Ausfallzeiten der Online-Ter­minvergabe (z.B. aufgrund von Wartungsarbeiten oder Störungen) sind in dem dortigen Ober­landesgerichtsbezirk allerdings lediglich in Einzelfällen bekannt geworden und waren in der Regel kurzzeitiger Natur.

Bei einigen Amtsgerichten ist auch eine persönliche Vorsprache während der Öffnungszeiten ohne vorherige Terminvergabe möglich.

  1. Auf welche durchschnittlichen Wartezeiten müssen sich Bürger gegenwärtig hin­sichtlich ihres Kirchenaustrittes einstellen?

Nach den Rückmeldungen der Präsidentin und der Präsidenten der Oberlandesgerichte vari­iert die durchschnittliche Wartezeit stark zwischen den insgesamt 129 Amtsgerichtsbezirken in Nordrhein-Westfalen und ist nach wie vor von der Größe des jeweiligen Amtsgerichtsbezirks abhängig.

Bei kleineren Amtsgerichten beträgt die Wartezeit zwischen einem Tag und wenigen Wochen, wobei teilweise auch ohne Terminvergabe Kirchenaustrittserklärungen entgegengenommen werden. Im Geschäftsbereich eines Oberlandesgerichtsbezirks erhalten die Bürgerinnen und Bürger an den mittelgroßen Amtsgerichten innerhalb von ein bis zwei Monaten einen Termin. Lediglich bei größeren Amtsgerichten beträgt die Wartezeit zwei bis drei Monate. Im Ge­schäftsbereich eines anderen Oberlandesgerichtsbezirks beträgt die durchschnittliche Warte­zeit aktuell insgesamt fünf Wochen.

  1. Können jene Bürger, die von diesen ungewöhnlich langen Wartezeiten betroffen sind, mit einer Erstattung ihrer Kirchensteuer rechnen?

Die Kirchensteuerpflicht endet nach § 3 Absatz 2 des Gesetzes über die Erhebung von Kir­chensteuern im Land Nordrhein-Westfalen (Kirchensteuergesetz – KiStG NW) bei einem nach Maßgabe der geltenden staatlichen Vorschriften erklärten Kirchenaustritt mit Ablauf des Ka­lendermonats, in dem die Erklärung des Kirchenaustritts wirksam geworden ist. Ein rückwir­kender Eintritt der Wirksamkeit der Erklärung ist gesetzlich nicht vorgesehen.

  1. Wie wird von staatlicher Seite sichergestellt, dass auch ältere Personen ohne Zu­gang zum Internet ihren Austritt vollziehen können?

Ein Internetzugang ist für die Erklärung eines Kirchenaustritts nicht erforderlich. Bei Amtsge­richten, die über ihren Webauftritt eine Online-Terminbuchung ermöglichen, kann ein Termin alternativ auch telefonisch vereinbart werden. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen.

 

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