Den Opfern die Hand reichen – Die Nebenklage als Instrument des Opferschutzes ausbauen!

Antrag
vom 04.02.2020

Antragder AfD-Fraktion vom 04.02.2020

 

Den Opfern die Hand reichen – Die Nebenklage als Instrument des Opferschutzes ausbauen!

I. Ausgangslage

Mit der Normierung der psychosozialen Prozessbegleitung gemäß § 406g StPO hat der Bundesgesetzgeber den sich ändernden tatsächlichen Verhältnissen vor deutschen Gerichten Rechnung getragen. Viele Opfer müssen bereits im Vorfeld sowie während eines laufenden Strafprozesses stabilisiert werden, damit ihre Aussagen als notwendige Beweismittel Verwendung finden können. Ein weiterer Grund ist die Zunahme der (versuchten) Einflussnahme auf Opfer vor Gericht durch den Täter oder durch dessen näheren Umkreis.

Die Rolle des durch eine Straftat Geschädigten unterlag dabei im Gerichtsprozess im Laufe der Zeit starken Veränderungen.

Historisch gesehen ist das Akkusationsprinzip, also Einleitung und Durchführung von Strafverfahren sind ausschließlich dem Kläger vorbehalten, die früheste Form eines amtlichen gesellschaftlichen Umgangs mit Straftaten.

In der Spätantike folgte die sogenannte Inquisitionsmaxime. Hierbei handelt es sich um die ersten Ansätze eines Amtsermittlungsgrundsatzes, um Behörden und öffentliche Institutionen ebenfalls zu befähigen, strafrechtlich relevante Sachverhalte vollumfänglich zu ermitteln. Erst im Mittelalter setzte sich das reine Inquisitionsverfahren, also die Untersuchung eines Sachverhalts und die Anklage durch eine Obrigkeit, durch. Zuerst war dieses Verfahren im rein klerikalen Bereich angelegt, weitete sich aber, auf Grund der für damalige Verhältnisse modernen Aspekte, auf die weltliche Gerichtsbarkeit aus. Der Geschädigte einer Straftat trat nun nicht mehr als Ankläger im Prozess auf sondern hatte nur noch die Eigenschaft und die Möglichkeit, als Zeuge am Prozess teilzunehmen.

Erst durch das Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze im Jahre 1879, zu denen auch die Strafprozessordnung gehörte, begründete sich die heutige moderne Ausformung des Strafprozessrechts. So wurden unter anderem wieder Aspekte des Akkusationsprinzips mit einbezogen, aus denen etwa die Nebenklage als strafprozessuales Mittel des geschädigten Opfers einer Straftat resultiert.

In aller Regel stellt auch heutzutage die Rolle des Opfers einer Straftat im Strafprozess grundsätzlich eine passive, nämlich als Zeuge, dar. Die Nebenklage dient vor allem der Durchbrechung dieses Grundsatzes und gewährt eine umfassende Beteiligungsbefugnis des Opfers im Strafprozess.

Das Opfer als Nebenkläger ist mit besonderen und prozessual weitgehenden Verfahrensrechten ausgestattet. So hat es beispielsweise das Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung, das Beweisantrags- und dem Fragerecht, das Recht, Richter und Sachverständige abzulehnen, das Recht, Anordnungen abzulehnen, sowie das Recht zum Einlegen von Rechtsmitteln. Zudem hat es das Recht, sich der Hilfe eines Rechtsanwalts zu bedienen.

Damit erlangt das Tatopfer erstmalig nicht nur eine aktive und mitgestaltende Rolle im Strafprozess, es wird aus psychologischer Sicht auch ein Zustand der gleichen Augenhöhe mit dem Täter hergestellt; dieser wird selbst unmittelbar mit dem Tatopfer und dessen Rechtsvertreter konfrontiert. Die in aller Regel bestehende Täter-Opfer-Hierarchie wird auf diesem Wege aufgehoben. Allerdings kann diese Hierarchie – bislang – nur auf Antrag des Tatopfers durchbrochen werden. Die aktuelle Regelung weist daher bei fehlendem Antrag des Tatopfers die systemische Schwäche auf, dass die Grundkonzeption des Strafprozessrechts bestehen bleibt und das Opfer einer Straftat für den Strafprozess weiterhin in der Rolle eines bloßen Beweismittels verharrt.

Der Umgang mit dem Recht auf Nebenklage ist allerdings nicht mehr realitätsnah. Viele Opfer sind der deutschen Sprache nicht oder nur zum Teil mächtig; viele können weder lesen noch schreiben, sodass eine Antragsstellung zumindest erschwert, wenn nicht gar unmöglich wird.

Der vorliegende Antrag sieht deshalb vor, dieses Antragserfordernis abzuschaffen und stattdessen die Bestellung eines Opferanwalts von Amts wegen als Regelfall, mit der Möglichkeit der Ablehnung durch das Opfer, einzuführen.

Für eine solche Lösung sprechen u.a. die Erkenntnisse, die auf dem Gebiet der psychosozialen Prozessbegleitung bisher gewonnen wurden. So wurden im Jahre 2018 lediglich 150 Beiordnungen der psychosozialen Prozessbegleitung für ganz Nordrhein-Westfalen in Anspruch genommen, bei 151 anerkannten psychosozialen Prozessbegleitern für das gesamte Land (Stand März 2019). Ähnlich bescheiden ist die Anzahl der Anschlüsse an Strafprozessen durch Nebenkläger.

Im Jahre 2018 betrug die Anzahl an Verfahren mit Beschuldigten, die an einem Strafverfahren einschließlich der Hauptverhandlung teilgenommen haben, insgesamt 100.158. Für die einzelnen schweren Deliktsbereiche weist die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2018 in Nordrhein-Westfalen 2.138 Fälle von Vergewaltigungen und ähnlich schwerer sexueller Übergriffe aus, 382 Fälle des versuchten oder vollenden Mordes und Totschlags, sowie 5.135 Fälle des Raubes.1 Im gleichen Zeitraum betrug die Anzahl an Nebenklägern in Hauptverhandlungen jedoch nur 1.488.2 Dies bedeutet, dass die Nebenklage gerade einmal in 1,5 Prozent der Strafprozesse, welche das Stadium der Hauptverhandlung erreichten, durch den jeweils Geschädigten in Anspruch genommen wurde.

Hier liegt Handlungsbedarf im Bereich schwerwiegender Delikte oder bei solchen mit Minderjährigen als Opfer vor. Diesen Opfern von Straftaten gemäß § 397a StPO ist grundsätzlich eine aktivere Rolle im Strafverfahren zuzusprechen, damit ihre Belange und ihre Rechte im Strafprozess ausreichend berücksichtigt werden können.

Der Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters entsprechend, ist dem Opfer ein Nebenklagebegleiter zur Seite zu stellen, der bereits im Vorverfahren über die Rechte und Pflichten im Strafverfahren aufklärt und die Rechte des Opfers während des laufenden Verfahrens wahrt.

So werden Opferrechte zusätzlich gestärkt.

II. Der Landtag stellt daher fest:

1. Die Nebenklage stattet den Geschädigten mit weitreichenden prozessualen Befugnissen aus und ist somit ein wesentliches Mittel, um die Position der von Straftaten Geschädigten im Strafprozess aktiv zu stärken und sie auch psychisch von einer etwaigen „Opferrolle“ im Strafprozess loszulösen.

2. Die Nebenkläger müssen zur Zweckerreichung des Punktes II 1. vollumfänglich mit der notwendigen juristischen Expertise ausgestattet werden.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

1. im Bundesrat einen Gesetzentwurf einzubringen, um den Geschädigten ab der Eröffnung des Hauptverfahrens in den Fällen des § 397a Absatz 1 StPO als Nebenkläger nach § 395 StPO dem Strafverfahren von Amts wegen anzuschließen; durch Erklärung des Geschädigten ist auf den Anschluss zu verzichten;

2. im Bundesrat einen Gesetzentwurf einzubringen, um bezugnehmend auf Punkt III 1. die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand des Nebenklägers gemäß § 397a Absatz 1 StPO von Amts wegen zu normieren. Durch Erklärung des Nebenklägers kann auf die Bestellung eines Beistands verzichtet werden.

Thomas Röckemann
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 https://polizei.nrw/sites/default/files/2019-05/190429_Jahrbuch%202018.pdf (abgerufen am 24.01.2020).

2 https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Justiz-Rechtspflege/Publikationen/Downloads-Ge-richte/strafgerichte-2100230187004.pdf? blob=publicationFile (abgerufen am 24.01.2020).