Der Rechtsstaat muss gewahrt bleiben – Die Rechtsprechung bindet auch die Landesregierung Nordrhein-Westfalens

Antrag
vom 12.03.2019

Antragder Fraktion der AfD vom 12.03.2019

 

Der Rechtsstaat muss gewahrt bleiben – Die Rechtsprechung bindet auch die Landesregierung Nordrhein-Westfalens

I. Ausgangslage

Seit dem 06.08.2016 normiert § 68 Abs. 1 AufenthG eine zeitliche Befristung von 5 Jahren für die Übernahme von sogenannten Flüchtlingsbürgschaften. Zuvor existierte eine derartige zeitliche Befristung nicht.

Dementsprechend machten die zuständigen Jobcenter und Sozialämter bei den Bürgen, welche unter anderem anlässlich der Flüchtlingskrise eine Verpflichtungserklärung für syrische Flüchtlinge vor dem 06.08.2016 übernommen hatten, die Lebenshaltungskosten nunmehr geltend. Die Summe der Erstattungen beläuft sich mittlerweile auf insgesamt 21 Millionen Euro.1

Insbesondere die Auslegung über den Geltungszeitraum der Flüchtlingsbürgschaften war zwischen Bund und Ländern umstritten. So gingen Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen davon aus, dass die Bürgschaftsverpflichtung mit Zuerkennung des Asyl- oder Flüchtlingsstatus entfiele. Die Bundesregierung ging indes von einem weiteren Bestand der Verpflichtung aus.

Auch die damalige Landesregierung von NRW war sich der unklaren Rechtslage sowie der unterschiedlichen Auffassungen zwischen Bund und Ländern bewusst. Dies wurde im Rund­erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales 122-39.12.03-1-13-346(2603) vom 24.04.2015 ebenfalls nochmals ausdrücklich angezeigt. Dort heißt es explizit „Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass es auch noch nach erfolgter Anerkennung im Asylverfahren zu Erstattungsforderungen auf Grundlage abgegebener Verpflichtungserklärungen kommt. Hier­über sollten die Betroffenen informiert werden. Dies gilt insbesondere, wenn sie die Aufnahme weiterer im Landesverfahren registrierter Flüchtlinge erwägen.“

Viele der Bürgen fühlten sich unzureichend durch die Behörden beraten und reichten daraufhin, nach Geltendmachung der Lebenshaltungskosten durch die Jobcenter und Sozialämter, Klage ein.2

Aktuell hat die Bundesagentur für Arbeit eine neue Weisung zum Umgang mit derartigen Verpflichtungserklärungen ausgegeben. Die bisherige Weisungslage wird dahingehend abgeändert, dass die gemeinsamen Einrichtungen Erstattungsforderungen nach § 68 AufenthG prüfen und die Fälle identifizieren, in denen Bürgen einen Vertrauensschutz innehatten. Es soll eine behördliche Prüfung vor den jeweiligen Einzelfallentscheidungen stattfinden. Somit müssten die Ansprüche gegen die Flüchtlingsbürgen, welche eine Verpflichtungserklärung vor dem 06.08.2016 abgaben, faktisch nicht mehr zwingend durch die gemeinsamen Landeseinrichtungen geltend gemacht werden. Denn die Weisung gibt explizit vor, dass das Ermessen im Sinne der Flüchtlingsbürgen auszuüben ist. Durch die Übernahme der Kosten jeweils hälftig durch den Bund und die Länder würde dies unmittelbar zu einer Auslagerung der Bürgschaftskosten zu Lasten der Allgemeinheit führen. Der nordrhein-westfälische Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann kündigte an, zeitnah einen Erlass an die kommunalen Jobcenter in Nordrhein-Westfalen zu verfassen, welcher der Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit entspricht.3

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27.01.2017 (BVerwG 1 C 10.16) festgestellt, dass bei „einer Verpflichtungserklärung […] für die Bestimmung des „Aufenthaltszwecks“ im Ansatz von den verschiedenen Abschnitten des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes auszugehen“ ist. Somit erlischt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die Verpflichtungserklärung nicht mit der Erteilung einer nachfolgenden Aufenthaltserlaubnis und der Anerkennung des Begünstigten als Flüchtling, „denn beide Aufenthaltserlaubnisse sind solche aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen im Sinne des Kapitels 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes. Ihnen liegt derselbe Aufenthaltszweck zugrunde.“

Das Bundesverwaltungsgericht hat somit aufgezeigt, dass nach dem Wortlaut und der Systematik des Aufenthaltsgesetzes es sich bei dem „anderen Aufenthaltszweck“ nur um derartige Zwecke handelt, die außerhalb des Kapitels 2 Abschnitt 5 liegen.

Die Abänderung der Weisungslage stellt somit eine eklatante Unterminierung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dar. Grundsatz der Bürgschaft ist gemäß § 765 BGB das Einstehen des Bürgen für die Verpflichtung eines Dritten gegenüber dessen Gläubiger. Sollten die gemeinsamen Einrichtungen die Erstattungsforderungen nach § 68 AufenthG zukünftig im Rahmen einer Einzelfallprüfung nicht mehr einfordern, würde es somit de facto zu einer Vergemeinschaftung der Schulden führen und die vorigen Verpflichtungserklärungen zur Bürgschaft wären damit obsolet. Bürgen, welche unvollständig oder unrichtig informiert worden sind, haben gegen die Erstattungsforderungen aufgrund der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtswegegarantie die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Klageweges. Eine nachträgliche Einzelfallprüfung durch die gemeinsamen Einrichtungen wäre somit lediglich eine zusätzliche Vorüberprüfung der entscheidenden Behörde in eigener Sache, ähnlich des weitestgehend in Nordrhein-Westfalen abgeschafften Widerspruchs­verfahrens.

II. Der Landtag stellt daher fest:

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit seinem Urteil vom 27.01.2017 (BVerwG 1 C 10.16) die damalige Rechtslage in Bezug auf den § 68 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz vollumfänglich festgestellt und dargelegt.

2. Der Geltungszeitraum der Verpflichtungserklärungen für Flüchtlingsbürgschaften, welche vor dem 06.08.2016 übernommenen wurden, besteht auch mit Zuerkennung des Asyl­oder Flüchtlingsstatus weiterhin fort.

3. Eine Abänderung der Weisungslage gegenüber der kommunalen Jobcenter in Nordrhein-Westfalen wird zu einer Unterminierung der höchstrichterlichen Rechtsprechung führen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

Die aktuelle Weisungslage gegenüber der kommunalen Jobcenter in Nordrhein-Westfalen, hinsichtlich des zukünftigen Umgangs mit den Erstattungsforderungen nach § 68 AufenthG, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß seines Urteils vom 27.01.2017 (BVerwG 1 C 10.16) anzupassen.

Thomas Röckemann
Gabriele Walger-Demolsky
Andreas Keith
und Fraktion

 

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1 https://www.tagesschau.de/inland/buergschaften-fluechtlinge-103.html (abgerufen am 11.03.2019). Datum des Originals: 12.03.2019/Ausgegeben: 12.03.2019

2 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/fluechtlinge-buergen-hintergrund100.html (abgerufen am 11.03.2019).

3 https://www.land.nrw/de/pressem itteilung/minister-laumann-und-minister-stamp-begruessen-wei-sung-der-bundesagentur-zu (abgerufen am 11.03.2019