Antragder AfD-Fraktion vom 31.08.2021
Deutschland, aber normal – 2014 darf sich nicht wiederholen – Deutschland ist kein Nachbarland Afghanistans – Wir müssen uns auf eine Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort konzentrieren.
I. Die Fehleinschätzung des Ministerpräsidenten Armin Laschet
Wie die WELT am 02. August berichtete, sprach sich nach dem Bundesinnenminister Horst Seehofer auch der NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet für weitere Abschiebungen nach Afghanistan aus.1 Die Union wolle weiter abschieben, sagte er gegenüber der BILD.
„Die Lage in Afghanistan erfordere ‚eine fortlaufende Bewertung und sorgsames Vorgehen bei Rückführungen’. Aber die Linie der Union bleibe klar: ‚Wer in Deutschland straffällig wird, hat sein Gastrecht verwirkt. Der Grundsatz ‚Null Toleranz gegenüber Kriminellen‘ erlaubt keine Ausnahmen.’ Straftäter müssten weiter ‚konsequent abgeschoben werden, auch nach Afgha-nistan’“.2
Schaut man sich die diesbezügliche Umsetzung im seit dem Jahre 2017 CDU/FDP- regierten NRW an, passen die Worte des Ministerpräsidenten allerdings nicht zur politischen Realität. Seit dem Jahre 2020 wurden lediglich 24 Gefährder bzw. sonstige sicherheitsrelevante Personen abgeschoben, davon lediglich eine Person nach Afghanistan.3 Mit Stand vom 30. Juni 2021 befinden sich im Bereich „PMK Ausländische Ideologie“ acht Gefährder und 18 relevante Personen in NRW, im Bereich „PMK Religiöse Ideologie“ sind es 196 Gefährder und 180 relevante Personen.4
Insgesamt hielten sich mit Stand vom 31.März 2021 4.514 ausreisepflichtige Personen aus Afghanistan in NRW auf.5 Abgeschoben wurden seit dem Jahre 2016 aus NRW insgesamt 79 aus Afghanistan stammende Personen, wobei es sich nach Angabe der Landesregierung ausschließlich um männliche Straftäter und Gefährder handeln soll.
Deutschlandweit wurden seit dem Jahre 2016 1.104 Asylbewerber aus Afghanistan abgescho-ben.6 Mit sieben Prozent der erfolgten Abschiebungen ist NRW im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil von ca. 16 Prozent7 massiv unterrepräsentiert. Auch die im zweiten Halbjahr 2017 eingerichteten Regionalen Rückkehrkoordinierungsstellen (RRK) zeigten wenig Effektivität.8 In den Jahren 2019 und 2020 sowie im ersten Halbjahr 2021 wurden insgesamt 273 Afghanen durch die RRK begleitet. Nur in neun Fällen, also in 3,3 Prozent, wurde die angestrebte Maßnahme – also die Rückkehr nach Afghanistan – erfolgreich abgeschlossen.
II. Die Ankündigungen des Ministerpräsidenten lösen sich im Falle Afghanistans in Luft auf
Nur zwei Wochen9 nach den Worten von Ministerpräsident Laschet, dass er nach Afghanistan abschieben wolle, übernahmen die islamistischen Taliban innerhalb weniger Tage dort die Macht.
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan kostete in Summe nicht nur 12,5 Mrd. Euro. 10 59 deutsche Soldaten ließen in Afghanistan ihr Leben. Dies ist angesichts des kompletten Versagens der westlichen Politik im Nachhinein besonders bitter. Der Abzug der NATO-Truppen erfolgte dabei so überhastet und unkoordiniert, dass weder deutsche Bürger noch Ortskräfte, die für die Bundeswehr tätig waren, rechtzeitig evakuiert werden konnten.
Die NATO und damit mittelbar auch Deutschland überließen den Taliban eine 300.000 Mann starke, vom Westen ausgebildete Armee und militärisches Gerät im Milliardenwert. Die Armee hat sich kampflos den neuen Herrschern ergeben.
Ein Wille zum Kampf gegen die islamistischen Taliban bestand anscheinend niemals. Es ist angesichts der überwiegend muslimischen Bevölkerung auch nicht geklärt, ob die Armee nicht vielmehr mit den Taliban sympathisierte.
Der Versuch, in einem islamischen Land wie Afghanistan ein westliches Staats- und Wertesystem zu etablieren, ist gescheitert. Es zeigt sich dort, dass die Menschen eine andere Sozialisation erfahren und nach ihren eigenen Wertevorstellungen und Regeln leben möchten. Ein Wertewandel kann nur aus dem Land selbst angestoßen werden – so die Mehrheit der Menschen dies denn überhaupt möchte. Weder können die westlichen Staaten die Menschen in Ländern wie Afghanistan umerziehen noch kann dies innerhalb der westlichen Länder erfolgreich geschehen. Angesichts der aktuellen Situation dürfte das Versprechen von Herrn Laschet, dass er Straftäter konsequent auch nach Afghanistan abschieben wolle, momentan hinfällig sein.
III. Ortskräfte und Flüchtlinge
150.000 Bundeswehrsoldaten waren in den letzten beiden Jahrzehnten in Afghanistan im Ein-satz.11 Vor Ort waren zudem einige hundert Menschen als Ortskräfte für die Bundeswehr tätig. Zur Anzahl der betroffenen Personen meldete die Bundeswehr am 16. August 2021:
„Insgesamt 526 Ortskräfte haben in den vergangenen zwei Jahren für die Bundeswehr gearbeitet und ’eine Gefährdungsanzeige gestellt‚, berichtet das Einsatzführungskommando. Davon haben 491 Personen Aufnahmezusagen erhalten. Hinzu kommen hier noch 1.991 Familienangehörige – insgesamt somit 2.482 Personen. 360 Ortskräfte sind mit 1.485 Familienangehörigen laut Einsatzführungskommando bereits in Deutschland eingetroffen. Weitere 350 Personen befinden sich noch im erweiterten Verfahren.“12
Diese Menschen haben bei ihrem Einsatz unsere Soldaten unterstützt und sind damit erhebliche Risiken für sich und ihre Familien eingegangen. Diesem beschränkten Personenkreis muss Deutschland – so erwünscht – Schutz in Deutschland bieten, und kurzfristig VISA erteilen. Hier steht Deutschland selbstverständlich in der Verantwortung. Dabei geht es schlicht um Anstand und Verlässlichkeit.
Es ist allerdings darauf zu achten, dass der Begriff „Ortskraft“ nicht missbräuchlich verwendet und beliebig ausgedehnt wird. Da die Sicherheits- und Identitätsprüfung der Einreisenden zudem oftmals erst in Deutschland stattfindet, ist besondere Sorgfalt geboten. Ein ausgewiesener Straftäter wurde beispielsweise als vermeintliche „Ortskraft“ schon wieder nach Deutschland eingeflogen.13
Für alle anderen Ausreisewilligen aus Afghanistan ist es geboten, in der dortigen Region, d.h. in den Anrainerstaaten, heimat- und kulturnah, Unterbringungseinrichtungen zu schaffen. Insbesondere die Staaten der Arabischen Liga und andere islamische Staaten stehen hier in der Pflicht. Den möglichen Bestrebungen seitens der US-Administration unter Präsident Joe Bi-den, nach Ramstein ausgeflogene Afghanen in Deutschland anzusiedeln, muss proaktiv entgegengetreten werden.14
Die Flüchtlingswelle des Jahres 2015 – die bis heute andauert – ist durch zwei Ereignisse ausgelöst worden. Zentrales Element war zunächst im Oktober 2014 die Reduzierung der Geldmittel der UN-Flüchtlingshilfe für die Nahrungsmittel der Flüchtlinge, die regional in die Anrainerstaaten geflohen sind. Die Flüchtlinge wurden hierdurch gezwungen, in andere, reichere und oftmals kulturell anders geprägte Länder auszureisen, um ihr Überleben zu sichern („Push-Faktor“). Hinzu kam eine implizite Einladung der Flüchtlinge durch die Bundesregierung und Bundeskanzlerin Merkel, die mit einem Flüchtling ein Selfie machte und damit signalisierte, dass hier alle Migranten bedingungslos willkommen seien („Pull-Faktor“).
Inzwischen, sechs Jahre später, sind ausreichend negative Erfahrungen gemacht worden, um diese Fehler zu vermeiden.
Nun ist alles zu unternehmen, eine Unterstützung der möglichen Flüchtlinge ortsnah in den Anrainerstaaten sicherzustellen. Eine Zunahme der Flüchtlingswelle durch Afghanen kann damit aktiv verhindert werden – zumindest, wenn dies der Wunsch der Bundesregierung ist.
IV. Die illegalen Grenzübertritte an den EU-Binnengrenzen sind zu verhindern!
Seit der folgenschweren, einsamen Entscheidung der Bundeskanzlerin im Jahre 2015, von rechtlich vorgesehenen Zurückweisungen an der deutschen Grenze abzusehen, wird dem Bürger vermittelt, dass es unmöglich sei, die deutsche Grenze zu sichern. Dass diese Einschätzung nicht den Tatsachen entspricht, war spätestens seit dem 12. September 2015 bekannt. An diesem Abend warteten 21 Polizei-Hundertschaften auf den Befehl zur vorgesehenen Grenzschließung. Dieser Befehl, der mit dem entscheidenden Satz endete: „Wer nicht einreiseberechtigt ist, soll auch im Falle eines Asylgesuches zurückgewiesen werden.“ wurde verhängnisvollerweise allerdings nie erteilt.
Bis zum heutigen Tage ist die Bundesregierung selbst auf Anfragen im Deutschen Bundestag nicht Willens bzw. in der Lage, die Frage nach der Rechtsgrundlage bzw. den rechtlichen Erwägungen für die Duldung der Einreise von Asylbewerbern aus sicheren Drittstaaten seit dem Sommer 2015 (folglich die teilweise Nichtbeachtung von Grundgesetz und Asylgesetz) zu be-antworten.15 Ein diesbezüglicher Antrag im Organstreitverfahren wurde am 26. Januar 2021 u.a. durch die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag beim Bundesverfassungsgericht ge-stellt.16
Wie folgenschwer sich die Politik der Nichtzurückweisung an der Grenze auswirkt, zeigt sich durch die Probleme, die bei den in seltenen Fällen dann doch einmal gewünschten Abschiebungen entstehen. Weitere grundlegende Probleme nach eigentlich nicht zulässigen Einreisen ins Bundesgebiet ergeben sich durch aktuelle Gerichtsurteile, die selbst Dublin-Rücküberstel-lungen in andere EU-Länder erschweren bis verunmöglichen.17,18
Kurzfristig scheint, da die „Reise“ offenbar nur in eine Richtung wirksam funktioniert, ein strenges Einhalten der gesetzlichen Vorgaben im Zusammenhang mit vorgesehenen Zurückweisungen an der deutschen EU-Binnengrenze der einzig gangbare Weg zu sein, um illegale Einreisen und damit in der Regel verbundene Daueraufenthalte von dafür per Gesetz und EU-Richtlinie nicht vorgesehenen Personen zu verhindern. Wenn in der Frage der Grenzsicherung nicht zeitnah gehandelt wird, werden uns die Auswirkungen der Krise in Afghanistan, wie im Falle Syriens, auf dem Landweg bald erreichen, mit all den bekannten Folgen.
V. Das „dänische Modell“
Anders als in Deutschland sind die dänischen Sozialdemokraten zu einem Paradigmenwechsel in der Asylpolitik bereit. Die dänische Regierung strebt eine Neuausrichtung der europäischen Migrationspolitik an. Nicht nur sollen abgelehnte Asylbewerber konsequent abgeschoben werden; auch anerkannte Asylbewerber sollen gar nicht erst nach Europa gelassen werden. Der Schutz soll in außereuropäischen Staaten gewährt werden.19 Die dänische Regierung führt dabei u.a. das „australische Modell“ als Vorbild an.
Auch von österreichischer Seite wurde Interesse am „Dänischen Modell“ signalisiert. Bezüglich der Idee, außereuropäische Länder mit dem Asylverfahren und ggf. der Unterbringung zu betrauen, sagte der österreichische Innenminister:
„Dafür würden diese Länder eine Geldleistung einerseits für die Betreuung und andererseits eine Kooperation bekommen, damit es der Wirtschaft in diesen Ländern gut geht“.
Am 22. August 2021 verkündete Kanzler Sebastian Kurz via Facebook:
„Die Ereignisse in Afghanistan sind dramatisch. Betroffenen Menschen muss in Nachbarstaaten vor Ort geholfen werden und die EU muss die europäischen Außengrenzen ordentlich sichern, um so illegale Migration und das Geschäftsmodell der Schlepper zu bekämpfen. Österreich hat mit der Aufnahme von 44.000 Afghanen im Zuge der Migrationskrise bereits sehr viel geleistet. Wir sind daher gegen eine weitere Aufnahme von Afghanen.“20
VI. Der Landtag stellt fest,
- dass Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber den Ortskräften der Bundeswehr hat;
- dass der Schutz der afghanischen Flüchtlinge grundsätzlich in der Region, in den direkten Nachbarstaaten zu erfolgen hat;
- dass auch Deutschland, im Rahmen seiner Möglichkeiten, in diesem Zusammenhang zu materieller und logistischer Hilfe angehalten ist und
- dass es gemäß der aktuellen Rechtsprechung vorgesehen ist, Asylsuchende an der EU-Binnengrenze zurückzuweisen bzw. bei Aufgriff hinter der Grenze zurückzuschieben und die Bundesregierung dem seit 2015 nicht nachkommt.
VII. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
- sich auf Bundesebene dafür auszusprechen, dass zeitnah mit den Nachbarstaaten Afghanistans Gespräche über eine heimatnahe Aufnahme von Afghanen, die ihr Land verlassen wollen oder müssen, geführt werden;
- sich auf Bundesebene gegen die Einrichtung sogenannter ‚sicherer Fluchtrouten‘, um Afghanen nach Deutschland zu holen, auszusprechen – mit Ausnahme des zahlenmäßig eng begrenzten Kreises der Ortskräfte der Bundeswehr;
- sich auf Bundesebene für sofortige und rechtmäßige Zurückweisungen und Zurückschiebungen von Asylsuchenden an den deutschen EU-Binnengrenzen einzusetzen;
- sich auf Bundesebene für einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik einzusetzen, was eine diesbezügliche Kontaktaufnahme mit EU-Ländern wie Dänemark oder Österreich beinhaltet;
- die Sicherheitslage in Afghanistan, in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt im Blick zu behalten und Abschiebungen mindestens von Gefährdern und Straftätern sofort wieder aufzunehmen, wenn es die Situation mindestens in einem Teilgebiet Afghanistans erlaubt.
Christian Loose
Gabriele Walger-Demolsky
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
3 Vgl. Lt.-Vorlage 17/12583 und Lt.-Vorlage 17/14619.
4 Vgl. Lt.-Vorlage 17/14619.
5 Vgl. Lt.-Vorlage 17/5262
6 Vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/afghanistan-abschiebung-nrw-100.html
7 Stand 31.12.2020: 43.580 von 271.805 Vgl. https://www.it.nrw/statistik/eckdaten/auslaendische-bevoelkerung-nach-ausgewaehlten-staatsangehoerigkeiten-top-15-und ; https://de.statista.com/sta-tistik/daten/studie/464108/umfrage/auslaender-aus-afghanistan-in-deutschland/
8 Vgl. Lt.-Drucksache 17/14857
9 Vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/video/taliban-afghanistan-eroberung-zeitraffer-100.html
10 Vgl. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/verteidigung-kosten-101.html
14 Vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/luftbruecke-afghanistan-nato-101.html
15 Vgl. Bundestagsdrucksachen 19/12776 und 19/21316
16 Vgl. Organstreitverfahren 2 BvE 1/18 und Organstreitverfahren 2 BvR 2/21
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18 Vgl. https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2021/deutschland-darf-migranten-nicht-nach-italien-
abschieben/?fbclid=IwAR3_Y0qqrWM6UHfwnqUn0Idl8EodiayfQigLEdpF Ro-ljubvOpYLYJe8E
19 Ebenda