Die Gewaltenteilung stärken – Die Reform der Selbstverwaltung der Judikative in Nordrhein-Westfalen

Antrag
vom 16.06.2020

Antragder AfD-Fraktion vom 16.06.2020

 

Die Gewaltenteilung stärken – Die Reform der Selbstverwaltung der Judikative in Nordrhein-Westfalen

I. Ausgangslage

Artikel 20 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes (GG) lautet: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“. Hiermit normiert das Grundgesetz sowohl das Demokratie- als auch das Gewaltenteilungsprinzip; diese Grundsätze werden zusätzlich gemäß Artikel 79 Absatz 3 GG (sog. Ewigkeitsklausel) geschützt.

Das Prinzip der Gewaltenteilung ist grundlegend für den Rechtsstaat gemäß des Grundgesetzes und fordert, dass die verschiedenen Staatsgewalten in ihren jeweiligen Hoheitsbereichen unabhängig voneinander agieren sollen; hierzu gehört in aller Regel auch, dass eine personelle Überschneidung innerhalb der drei Bereiche der staatlichen Macht vermieden werden soll.

Um jedoch eine wirksame Kontrollfunktion der einzelnen Bereiche der staatlichen Gewalten untereinander sicherzustellen, nutzt das Grundgesetz das Prinzip der Gewaltenverschränkung. So wird bspw. die Regierung als Exekutive von dem jeweiligen Parlament als Legislative gewählt und dementsprechend kontrolliert; häufig sind Minister auch weiterhin Abgeordnete des jeweiligen Parlaments. Die einzelnen Landesregierungen stellen als Exekutive die Mitglieder des Bundesrats, welcher Teil der Legislative ist. Ferner kann das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 94 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes Entscheidungen mit Gesetzeskraft fällen. Auf diese Weise besteht ein Kontroll-System der „checks and balances“, der Hemmungen und Gegengewichte einzelner Funktionen der staatlichen Machtausübung.

Kritisch ist diese Gewaltenverschränkung jedoch zu betrachten, wenn die konkrete Ausgestaltung einer Gewaltenverschränkung nicht zu einem Gegen-, sondern zu einem Übergewicht führt.

So ist die Verwaltung, insbesondere die Personalplanung und -entwicklung, der deutschen Gerichte an das jeweilige Justizministerium gebunden. Insofern liegt im Bereich der Gerichtsverwaltung ein Subordinationsverhältnis zwischen dem Justizministerium einerseits und den jeweiligen Obergerichten wie auch den einzelnen Gerichten vor. Die zuständigen Behördenleiter sind in ihrer Funktion als Teil der Gerichtsverwaltung weisungsgebunden und unterliegen hierbei nicht dem Privileg der richterlichen Unabhängigkeit gemäß Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes. Insofern liegt eine Abhängigkeit zwischen den einzelnen Gerichten sowie dem Justizministerium vor. Es stellt sich die Frage, ob diese Subordination in der Gerichtsverwaltung noch als rein kontrollierende Funktion der Gewaltenverschränkung angesehen werden kann und somit notwendig ist.

So empfahl schon der 40. Deutsche Juristentag im Jahre 1953 unter Punkt II. seiner Beschlüsse: „Gesetzgeberische Maßnahmen, um die Unabhängigkeit des erkennenden Richters sowohl durch die Art seiner Auswahl und Beförderung als auch durch seine Stellung gegenüber der Verwaltung institutionell zu sichern, sind notwendig zur Durchführung des Grundgesetzes“.1

Auch der ehemalige Präsident des Landgerichts Lübeck, Hans-Ernst Böttcher, kritisierte im Jahre 2018 die grundsätzliche Stellung des Präsidenten eines Gerichts. Er solle einerseits unabhängig Recht sprechen und sei andererseits weisungsgebunden in der Gerichtsverwaltung eingebunden. Er konstatierte eine „Zwitterstellung“; man sei in dieser Funktion „mehr Beamter als Richter“.2

Insbesondere bei der Auswahl geeigneter Behördenleiter oder sonstiger Funktionsträger wird der Einfluss durch die Exekutive, der auch in der dahinterstehenden politischen Bedeutung begründet liegt, besonders relevant. Offene Richterstellen im Bereich der ordentlichen und der Fachgerichtsbarkeit werden öffentlich im Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen ausgeschrieben. Die zahlreichen Bewerber zum Richterdienst auf Probe müssen ein Aufnahmeverfahren absolvieren, womit dem Leistungsprinzip bei der Auswahl der Beamten bzw. Richter gemäß Artikel 33 Absatz 2 GG nachgekommen wird. 3,4 Dieses Grundprinzip wird jedoch teilweise durch eine andere Verwaltungspraxis in Frage gestellt.

So begründete das Verwaltungsgericht Karlsruhe im Jahre 2016 sein Urteil über die Neufassung einer dienstlichen Beurteilung eines Richters unter anderem dahingehend, dass „unter den Richterinnen und Richtern in der baden-württembergischen Justiz die Vorstellung weit verbreitet ist, die Vergabe von Ämtern erfolge in der Regel in einer Weise, dass sich zunächst die Personalverantwortlichen des Justizministeriums zusammen mit den Gerichtspräsidenten auf einen Richter einigten, der eine Stelle erhalten solle, und dem Ausgewählten daraufhin mitgeteilt werde, für ihn werde demnächst eine Stelle ausgeschrieben. Erst im Anschluss hieran erfolge die öffentliche Ausschreibung der Stelle. Eine Bewerbung anderer – also nicht bereits durch die Personalverantwortlichen von der Stellenausschreibung in Kenntnis gesetzter – Richter sei für diese regelmäßig nicht ratsam: Einerseits sei eine solche von vornherein ohne Erfolg, weil die im Rahmen des Auswahlverfahrens zu erstellenden Anlassbeurteilungen entsprechend der bereits vor der Ausschreibung getroffenen Auswahlentscheidung erstellt würden, andererseits werde eine nicht zuvor durch die Personalverantwortlichen erbetene Bewerbung regelmäßig mit Nachteilen beim weiteren beruflichen Fortkommen sanktioniert.“.5

Ein ähnlich gelagerter Fall ereignete sich auch 2018 in Nordrhein-Westfalen. So war der Behördenleiterposten des Landessozialgerichts knapp zwei Jahre lang unbesetzt. Ursprünglich war ein Abteilungsleiter aus dem Justizministerium für dieses Amt vorgesehen, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschied aber im Wege einer Konkurrentenklage, dass der Behördenleiterposten mit dem klagenden Konkurrenten zu besetzen sei.6

Diese Fälle zeigen eine verbesserungsfähige Stelle im System der Rechtsprechung. Die Justiz in Nordrhein-Westfalen ist deshalb dahingehend zu reformieren, dass die Selbstverwaltung der Justiz gestärkt wird durch ein unabhängiges Organ der Judikative, bspw. einen obersten Justizrat mit ausschließlich durch die Richterschaft gewählten Vertretern. Dieses Organ der Judikative soll die bisherigen Aufgaben des Justizministeriums bzgl. des Aufgabenbereichs der Gerichtsverwaltung übernehmen.

II. Der Landtag stellt daher fest:

1. Die Unabhängigkeit der Judikative in Nordrhein-Westfalen ist ein Grundpfeiler der Gewaltenteilung und fundamentale Voraussetzung für das Funktionieren der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

2. Die Gewaltenverschränkung zwischen Exekutive und Judikative ist im Bereich der Gerichtsverwaltung auf die notwendige Mindestanforderung zwecks Kontrolle des ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns der Judikative zu beschränken.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. ein Konzept zwecks Reform der Judikative im Bereich der Gerichtsverwaltung bzgl. eines unabhängigen Organs der Judikative, bspw. eines obersten Justizrates, auszuarbeiten und dieses zeitnah dem Landtag vorzulegen.

2. eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern der Richterschaft, des Justizministeriums und der Fraktionen des Landtags, einzurichten und soweit in die konzeptionelle Ausarbeitung einzubinden, um die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zur Reformierung der Judikative vorzubereiten.

Thomas Röckemann
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 https://www.gewaltenteilung.de/verhandlungen-des-40-deutschen-juristentages-1953-oeffentlich-rechtliche-abteilung/ (abgerufen am 05.06.2020).

2 https://www.lto.de/recht/justiz/j/justiz-gewaltenteilung-selbstverwaltung-fuehrerprinzip/ (abgerufen am 05.06.2020).

3 https://www.justiz.nrw.de/JM/jmbl/index.php (abgerufen am 05.06.2020).

4 http://www.olg-duesseldorf.nrw.de/behoerde/Richter-auf-Probe/Einstellungsverfahren/index.php  http://www.olg-koeln.nrw.de/behoerde/002_richter_auf_probe/004_einstellungsverfahren/index.php http://www.olg-hamm.nrw.de/behoerde/richter-auf-probe/Einstellungsverfahren/index.php (jeweils abgerufen am 05.06.2020).

5 Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 29.10.2015 – 2 K 3639/14

6 https://www.nrz.de/staedte/essen/gezerre-beendet-loens-wird-praesident-am-landessozialgericht-id216810693.html (abgerufen am 05.06.2020).