Digitaler Kinder- und Jugendmedienschutz mit Maß und Mitte – Kein Filterzwang auf Betriebssystemebene

Antrag
vom 26.10.2021

Antragder AfD-Fraktion vom 26.10.2021

 

Digitaler Kinder- und Jugendmedienschutz mit Maß und Mitte Kein Filterzwang auf Betriebssystemebene

I. Ausgangslage

Im Umfeld der im März 2021 vom Bundestag verabschiedeten und am 1. Mai 2021 in Kraft getretenen Novelle des Kinder- und Jugendschutzgesetzes (JuSchG) sowie der überarbeiteten EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) wird zur Zeit auf Länderebene ebenfalls an einer Überarbeitung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) gearbeitet.

Abseits der Diskussionen zum Jugendschutzgesetz um Doppelstrukturen und Kompetenzüberschneidungen zwischen Bund und Ländern zum Jugendschutzgesetz1 gab es in einem bereits im April 2020 veröffentlichten Diskussionspapier der Bundesländer2 sinnvolle und weniger sinnvolle Vorschläge, um den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu vereinheitlichen und effektiver zu gestalten.

Weniger sinnvoll, und nach übereinstimmender Meinung der Experten aus der Internetwirtschaft sowie von Vertretern der Organisationen der freiwilligen Selbstkontrolle absurd und schädlich3, ist jedoch ein Vorschlag, der über den MPK-Beschluss vom 5. Dezember 2019 hinausgeht. Danach soll der Geltungsbereich des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags nicht nur Angebote und Anbieter von Telemedien betreffen, sondern auch für alle Betriebssysteme, die Zugang zu Telemedien ermöglichen, gelten.

Im Abschnitt IV des Entwurfs wird unter § 11 und § 12 eine technische Vorrichtung innerhalb des Betriebssystems beschrieben, die eine dem Stand der Technik entsprechende Altersverifikation gewährleisten soll. Der Auslieferungsstand der Betriebssysteme soll die Altersstufe „unter 18“ vorsehen, „es sei denn, der Nutzer hat ein höheres Alter nachgewiesen“.

Besonders eine Klassifizierung aller Telemedien, die nicht über eine solche technische Schnittstelle zur künftigen Altersverifikationsfunktion der Betriebssysteme oder anderer behördlich anerkannter Jugendschutzprogramme verfügen, sind nach § 12 Absatz 3 und Absatz 4 des JMStV-E folglich als jugendschutzgefährdend einzustufen und würden entsprechend vom Betriebssystem blockiert werden.

Dies wird nach Meinung der Experten zu einem Zusammenbruch des in Deutschland verfügbaren Internetangebots und damit zum Ende der Freiheit des Internets führen. Des Weiteren birgt nach Meinung eines Vertreters des Vereins für Digitale Ethik e.V. der Ansatz der Etablierung von Filtermechanismen auf Betriebssysteme die Gefahr, zu „einer ständigen Auswertung von virtuellen Tätigkeiten gezwungen zu werden, die durchaus das Potential haben, die Integrität des Rechts auf Datensicherheit zu zersetzen.“4

Nach dem Bekanntwerden des 1. Entwurfs zum JMStV und den darauf folgenden massiven Protesten von Experten und digitalen Praktikern wurde seitens der Politik zwar leicht nachgegeben und eine Überarbeitung des Entwurfs in Aussicht gestellt. „Man entwickle deshalb nun „ein neues Konzept für einen praktikablen technischen Jugendschutz.“5

Dass der Gedanke eines Inhalte-Filtersystems auf Betriebssystemebene und damit einer massiven Beschränkung des Internetzugangs für Nutzer in Deutschland nicht erst seit dem Referentenentwurf zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag existiert und damit mehr ist als ein Versehen der Ersteller dieses ersten Arbeitsentwurfes zum JMStV ist, zeigen vielfältige Äußerungen von führenden Vertretern der Landesmedienanstalten und von Politikern.

Schon im Jahre 2008 veröffentlichte das Max-Planck-Institut ein Rechtsgutachten für die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) zum Thema „Sperrungen von Webseiten mit jugendgefährdenden oder strafrechtlich relevanten Inhalten durch Provider“.

Darin kommen die Experten zu dem Ergebnis, dass solche Sperrungen sogar durch nur wenig sachkundige Nutzer technisch leicht umgangen werden können und dadurch wirkungslos sind und darüber hinaus „durch viele Sperrmaßnahmen unzulässigerweise in das Fernmeldegeheimnis eingegriffen wird“.6

Dennoch wurde im Jahre 2010 versucht, in einer Novelle des JMStV ein Filtersystem zu etablieren, das Anbieter zwingen sollte, jede ihrer Webseiten, inkl. Verlinkungen auf andere Webseiten, auf jugendgefährdende Inhalte hin zu überprüfen und zu klassifizieren sowie Maßnahmen zum Jugendschutz zu treffen. Der ehemalige Richter des Oberlandesgerichts in Düsseldorf, Prof. Thomas Hoeren, schrieb dazu pointiert: „Liebe Politik, bitte verzichtet auf solche Gesetze Stoppt den Unsinn und denkt lange nach, bevor Ihr wirklich an das ’Machen’ von Gesetzen geht. Gesetze wollen handwerklich und dogmatisch sauber geschrieben sein, das braucht Zeit, Ruhe und Verstand.“7.

Und der Jurist und Blogger Udo Vetter warnte damals: „Das damit geplante Label-System in Verbindung mit standardisierter und somit zentral lenkbarer Filtersoftware ist zweifellos ein solides Fundament für eine spätere Zensurinfrastruktur“8.

Dieses Filtersystem wurde letztendlich nicht in Deutschland sondern in Großbritannien eingeführt. Wo Provider „freiwillig“ Filter installieren müssen, die von Nutzern jeweils proaktiv und auf Antrag für bestimmte „Erwachsenen-Inhalte“ entsperrt werden müssen9. Kritiker sehen darin eine Praxis, um über den Jugendschutz als Vorwand, Filter einzuführen, über die eine Zensur missliebiger Inhalte auf dem Wege über nicht einsehbare Listen durchgeführt wird.

Trotz der massiven Interventionen in den letzten 15 Jahren und den mittlerweile in Vielzahl vorhandenen funktionierenden und etablierten Instrumenten zum freiwilligen Jugendschutz10, wie etwa das Jugendschutzprogramm „JusProg“, die Kindersuchmaschine „fragFINN“ oder die Jugendschutzapp „Salfeld Kindersicherung“, streben Medienpolitiker und Verantwortliche in den Landesmedienanstalten weiterhin nach dem „360 Grad-Schutz“.

Vor allem der Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg, Wolfgang Kreißig, sieht in Anlehnung an die etablierte Jugendschutzpraxis in geschlossenen Betriebssystemen von Spielekonsolen die Lösung für einen effizienten Jugendschutzfilter in den allgemein gebräuchlichen Betriebssystemen. Anlässlich der Anhörungen zum neuen Jugendschutzgesetz hob er die Idee eines Jugendschutzes auf Betriebssystemebene auf die Agenda: „Man könnte auch daran denken, dass Zugänge zum Netz wie Betriebssysteme so etwas vorhalten müssen. Das wäre in Kombination mit den bewährten Altersangaben deutlich wirksamer“.

Ein anderer Vertreter der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg schlug in der Anhörung im Landtag NRW zum Thema „Kinder- und Jugendmedienschutz/sexualisierte Gewalt und digitale Medien“ vor, dass über gesetzgeberische Maßnahmen „Dienste- und Geräte-übergreifende Lösungen etablieren (z.B. über Schnittstellen im Betriebssystem der jeweiligen Endgeräte), um Kinder- und Jugendschutzeinstellungen vorzunehmen.“11

Aber selbst das Bundesfamilienministerium warnte dabei vor den Gefahren der Zensur des Internets für Nutzer in Deutschland:

„Diese für die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags der Länder in den kommenden Jahren vorgeschlagenen technischen Identifikations- und Filterlösungen dürften jedoch nur unter ausreichender Wahrung von Netzfreiheit, Datenschutz und europarechtlicher Vorgaben umgesetzt werden.“

Im März 2021 wurde bei der Gesamtkonferenz (GK) der Medienanstalten zusammen mit dem Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie dem Chef der Sächsischen Staatskanzlei, Oliver Schenk, beschlossen, dass die Bundesländer über den Jugendmedienschutzstaatsvertrag ein „neues Konzept für einen praktikablen technischen Jugendmedienschutz“ mit Hilfe von „leicht zu konfigurierende, betriebssystemübergreifende Jugendschutzeinstellung auf allen relevanten Plattformen“ zu etablieren“.12

Bereits die Genesis vergangener, erfolgloser Bemühungen rund um den Kinder- und Jugendschutz im Internet zeigt, dass eine zentrale und auch wirksame Regulierung von jugendgefährdenden Internetinhalten zwar technisch möglich ist, aber letztendlich Nutzer in Deutschland hinter eine große Jugendschutz-Firewall setzt, im schlimmsten Fall ähnlich dem Ende der 1990er Jahre geplanten und mittlerweile etablierten Projektes „Goldener Schild“ der Volksrepublik China.

II. Der Landtag stellt daher fest:

  • Wirksamer Kinder- und Jugendschutz ist ein wichtiges Anliegen aller gesellschaftlichen Kräfte.
  • Die Aufklärung und Stärkung der Eltern bei der digitalen Medienkompetenz muss weiter ausgebaut werden.
  • Der Einsatz vorhandener Kinderschutzfilter mit bereits nachgewiesener Wirksamkeit muss auch für Eltern mit digitaler Laienkenntnis niederschwellig empfohlen werden.
  • Die Freiheit des Internets kann durch falsch verstandene und eingesetzte Filtersysteme zerstört werden.
  • Erzwungene, bereits auf Betriebssystemebenen vorinstallierte Altersverifikationssysteme führen zum „Overblocking“ und schließen damit jeden Nutzer in Deutschland, der nicht entsprechend altersverifiziert ist, vom freiem Zugang zu weltweiten Webangeboten aus.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  • sich für einen vernunftbasierten, an der digitalen Realität orientierten Kinder- und Jugendschutz bei den Gesprächen und Verhandlungen zum neuen Jugendmedienschutzstaatsvertrag einzusetzen;
  • im Sinne eines freien und offenen Internets und unter Berücksichtigung der Selbstbestimmungsrechte eines jeden einzelnen Erwachsenen den Plänen einer Filterinfrastruktur über die Betriebssysteme eine Absage zu erteilen;
  • sich in Gesprächen und Verhandlungen dafür einzusetzen, dass über den Jugendmedienschutzstaatsvertrag ein gut funktionierendes System der regulierten Selbstregulierung etabliert wird, das dafür sorgt, dass Kinder und Jugendliche in der digitalen Medienwelt geschützt sind;
  • sich dafür einzusetzen, dass das System der Selbstkontrolle für Medien über USK, Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) und Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) und Freiwillige Selbstkontrolle der Multimedia-Dienstanbieter (FSM) gestärkt wird;
  • auf die Bundesregierung und die anderen Bundesländer nachdrücklich einzuwirken, dass sowohl das Jugendschutzgesetz des Bundes als auch der

Jugendmedienschutzstaatsvertrag hinsichtlich Medienkonvergenz, Bund-Länderharmonisierung, Zielsetzung und Ausführungsbestimmungen im Sinne eines wirksamen Kinder- und Jugendschutzes reformiert werden.

Sven W. Tritschler
Iris Dworeck-Danielowski
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF

 

1 https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/game-Verband-Grosse-Koalition-verpasst-Chance-fuer-einen-modernen-Jugendschutz

2 https://spielerecht.de/wp-content/uploads/01_Anlage-1-2020-04-21_-JMStV-mit-neuem-Pflichtenregime_2.pdf

3 https://www.heise.de/news/Laender-wollen-Filter-in-allen-Betriebssystemen-Verbaende-laufen-Sturm-6116452.html

4 https://www.digitalstrategie.nrw/digitalnrw/de/mapconsultation/54889/single/proposal/74;jsessionid=44 60CFBDAC58B785D2435DD37D064907.liveWorker2

5 https://www.krone.at/2446983

6 https://www.kjm-

online.de/fileadmin/user_upload/KJM/Publikationen/Studien_Gutachten/Gutachten_Sperrverfuegunge n_Recht_2008.pdf

7 https://community.beck.de/2010/11/30/jugendmedienstaatsvertrag-und-altersfreigabe-im-internet

8 https://www.lawblog.de/archives/2010/12/01/warum-blogger-gelassen-bleiben-konnen/

9 https://www.gamestar.de/artikel/browser-betriebssysteme-jugendschuetzer-fordern-tief-integrierte-pornofilter,3303086.html

10 https://sipbench.eu/index.cfm/lang.1/secid.7/secid2.4

11 http://intranet.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-3528.pdf

12 https://www.die-medienanstalten.de/service/pressemitteilungen/meldung/letzte-chance-fuer-einen-modernen-kinder-und-jugendmedienschutz-in-deutschland