Kleine Anfrage 3734
der Abgeordneten Sven W. Tritschler und Dr. Christian Blex AfD
Einflussnahme und Mobilisierung durch Lehrkräfte, Schülervertretungen und Schulen zulasten der Alternative für Deutschland in NRW
Im Zusammenhang mit der Berichterstattung um das sogenannte „Potsdamer Treffen“, die inzwischen durch größtenteils zurückgenommen werden musste, kam und kommt es landesweit zur Demonstrationen und Aktionen – überwiegend aus dem linken bis linksextremen Milieu – gegen die Alternative für Deutschland.
Die Anfragesteller wurden von zahlreichen Schülern auf Verstöße gegen das Neutralitätsgebot durch Lehrkräfte, Schülervertretungen und Schulleitungen aufmerksam gemacht. Beispielhaft ist das Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gymnasium in Ratingen.
Auf einem Instagram-Konto des Gymnasiums teilen die Verantwortlichen regelmäßig SPD-Posts sowie Aufrufe und Beiträge der Jusos. Ein Online-Account des Gymnasiums ist unter anderem Follower der so genannten Amadeu Antonio Stiftung, einem Account mit dem Namen „nein.zur.afd“ sowie 3 Accounts der SPD und der Jusos. Auffallend ist, dass die Schule keinen anderen politischen Parteien oder Organisationen folgt, wodurch sich ein differenziertes Bild ergeben würde. In mehreren geteilten Beiträgen der Schule wird außerdem gefordert, die AfD zu „stoppen“. Ein Beitrag rief gezielt zur Teilnahme an einer Demonstration „Gegen die AFD“ auf. Screenshots zu den besagten „Posts“ und „Storys“ liegen dem Steller der Anfrage vor.
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Wie bewertet die Landesregierung den oben genannten Sachverhalt insbesondere hinsichtlich des Neutralitätsgebots und des Beutelsbacher Konsenses?
- Welche Regeln gelten für den Außenauftritt von Schulen auf Sozialen Medien?
- An wen können sich Schüler bzw. Eltern wenden, die durch Schulleitungen und Lehrkräfte entgegen dem Beutelsbacher Konsens und anderer vergleichbarer Regelungen beeinflusst werden?
- Was unternimmt die Landesregierung, um Schüler vor widerrechtlicher Beeinflussung durch Lehrkräfte und Schulleitungen zur schützen?
- Im Zusammenhang mit der Europawahl 2024, bei der erstmals auch Jugendliche ab 16 Jahren wählen dürfen, kommt es an vielen Schulen zu Diskussionsveranstaltungen mit Vertretern der politischen Parteien. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass alle Parteien (bzw. alle Parteien mit Chancen auf den Einzug in das Europäische Parlament) zu solchen Veranstaltungen eingeladen werden, wie es das OVG Münster in seinem Beschluss vom 21. April 2017 (Az.: 5 B 467/17) verlangt?
Sven W. Tritschler
Dr. Christian Blex
Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 3734 mit Schreiben vom 27. Mai 2024 namens der Landesregierung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Nach § 2 Schulgesetz (SchulG) für das Land Nordrhein-Westfalen unterrichtet und erzieht die Schule junge Menschen auf der Grundlage des Grundgesetzes (GG) und der Landesverfassung. Die Schülerinnen und Schüler sollen insbesondere lernen, selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln, für sich und gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erbringen, die eigene Meinung zu vertreten und die Meinung anderer zu achten, in religiösen und weltanschaulichen Fragen persönliche Entscheidungen zu treffen und Verständnis und Toleranz gegenüber den Entscheidungen anderer zu entwickeln, Menschen unterschiedlicher Herkunft vorurteilsfrei zu begegnen, die Werte der unterschiedlichen Kulturen kennenzulernen und zu reflektieren sowie für ein friedliches und diskriminierungsfreies Zusammenleben einzustehen sowie die grundlegenden Normen des GG und der Landesverfassung zu verstehen und für die Demokratie einzutreten (§ 2 Absatz 6 SchulG). Gemäß § 2 Absatz 8 SchulG ermöglicht und respektiert die Schule im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterschiedliche Auffassungen. Schulleiterinnen und Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemäß § 58 SchulG nehmen ihre Aufgaben unparteilich wahr. Sie dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnlichen Bekundungen abgeben, die die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden gefährden oder stören. Insbesondere ist ein Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorruft, dass eine Schulleiterin oder ein Schulleiter, eine Lehrerin oder ein Lehrer oder eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter gemäß § 58 SchulG gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 GG, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Besonderheiten des Religionsunterrichts und der Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen bleiben unberührt.
Die Schule ist ein Raum religiöser wie weltanschaulicher Freiheit. Sie wahrt Offenheit und Toleranz gegenüber den unterschiedlichen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen und Wertvorstellungen. Sie achtet den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Sie vermeidet alles, was die Empfindungen anders Denkender verletzen könnte. Schülerinnen und Schüler dürfen nicht einseitig beeinflusst werden (§ 2 Absatz 8 SchulG).
Dementsprechend soll Politische Bildung, wie sie in Nordrhein-Westfalen an Schulen umgesetzt wird, Kinder und Jugendliche befähigen, unsere Welt in ihrer Komplexität mit ihren zahlreichen Problemen und vielfältigen Sichtweisen sowie Interpretationen als gestaltbar und veränderbar zu begreifen. Die Zielsetzungen der politischen Bildung in der Schule sind die Vermittlung demokratischer und menschenrechtlicher Werte und Normen, die Förderung der Verantwortungsübernahme und mündigen Teilhabe der jungen Generation an gesellschaftlichen Entwicklungen und die Ermutigung zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation.
- Wie bewertet die Landesregierung den oben genannten Sachverhalt insbesondere hinsichtlich des Neutralitätsgebots und des Beutelsbacher Konsenses?
Lehrerinnen und Lehrer genießen – wie alle Bürgerinnen und Bürger – das Recht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Absatz 1 GG. Bei der Ausübung dieses Rechtes haben sie allerdings – wie alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst – Einschränkungen zu beachten, die sich aus dem Beamtenverhältnis als öffentlich-rechtlichem Dienst- und Treueverhältnis oder aus einem bestehenden tariflichen Arbeitsverhältnis ergeben. Bei politischer Betätigung ist Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren. Darüber hinaus verpflichtet § 2 Absatz 8 SchulG Lehrerinnen und Lehrer zu politischer Neutralität gegenüber den ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schülern. Politische Äußerungen von Lehrkräften sind selbstverständlich nicht ausgeschlossen, unterliegen jedoch einem Gebot von ausgewogener Darstellung und Zurückhaltung.
Nach dem Beutelsbacher Konsens aus dem Jahre 1976, einer bundesweiten Festlegung von Grundlagen und Zielsetzungen für den Bereich der politischen Bildung, dem auch die Kernlehrpläne für die Allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen in ihren Bildungs- und Erziehungszielen folgen, ist auf eine ausgewogene Darstellung unterschiedlicher Positionen im Unterricht zu achten, um eine eigenständige Urteilsbildung der Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen. Allerdings darf dies nicht als Verpflichtung zur Neutralität oder Gleichgültigkeit im Unterricht gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der Landesverfassung missverstanden werden: so sind u.a. antidemokratische, rassistische oder antisemitische Haltungen oder Narrative, möglicherweise über Umwegkonstruktionen, auch als solche zu benennen und klar herauszustellen.
Die geschilderte Sachlage kann auf Basis der zur Verfügung gestellten Informationen nicht bewertet werden. Allgemein gelten für Schulen oben erläuterte Grundsätze.
- Welche Regeln gelten für den Außenauftritt von Schulen auf Sozialen Medien?
Der Auftritt der Schule in sozialen Medien betrifft die Darstellung der Schule in der Öffentlichkeit und liegt daher in der Zuständigkeit der Schulleitung (§ 27 Abs. 1 der Allgemeinen Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter an öffentlichen Schulen (ADO)). Bei Angelegenheiten von besonderer Tragweite ist die Abstimmung mit der Schulaufsichtsbehörde erforderlich, im Zuständigkeitsbereich des Schulträgers bedarf es der Abstimmung mit diesem. Ein Social-Media-Account der Schülervertretung ist nicht Teil der Außendarstellung der Schule und liegt nicht im Verantwortungsbereich der Schulleitung.
Im Übrigen gelten für die Nutzung sozialer Medien die allgemeinen schulrechtlichen und vertragsrechtlichen Bestimmungen. Der Rechtsrahmen für die Nutzung von Sozialen Medien wird regelmäßig durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen – oft von den Unternehmen Nutzungsbedingungen genannt – vorgegeben. Grenzen können sich aus dem Neutralitätsgebot, dem Strafgesetzbuch und aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ergeben.
- An wen können sich Schüler bzw. Eltern wenden, die durch Schulleitungen und Lehrkräfte entgegen dem Beutelsbacher Konsens und anderer vergleichbarer Regelungen beeinflusst werden?
Die Schule gestaltet den Unterricht, die Erziehung und das Schulleben im Rahmen der Rechts-und Verwaltungsvorschriften in eigener Verantwortung. Sie verwaltet und organisiert ihre inneren Angelegenheiten selbstständig. Sofern Schülerinnen oder Schüler bzw. ihre Eltern unmittelbar mit der Schule eine Angelegenheit nicht zu ihrer Zufriedenheit klären können, besteht stets die Möglichkeit, sich an die zuständige Schulaufsichtsbehörde zu wenden.
- Was unternimmt die Landesregierung, um Schüler vor widerrechtlicher Beeinflussung durch Lehrkräfte und Schulleitungen zur schützen?
- Im Zusammenhang mit der Europawahl 2024, bei der erstmals auch Jugendliche ab 16 Jahren wählen dürfen, kommt es an vielen Schulen zu Diskussionsveranstaltungen mit Vertretern der politischen Parteien. Wie stellt die Landesregierung sicher, dass alle Parteien (bzw. alle Parteien mit Chancen auf den Einzug in das Europäische Parlament) zu solchen Veranstaltungen eingeladen werden, wie es das OVG Münster in seinem Beschluss vom 21. April 2017 (Az.: 5 B 467/17) verlangt?
Die Fragen 4 und 5 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Das Ministerium für Schule und Bildung weist die Schulaufsichtsbehörden regelmäßig im Vorfeld von Wahlen auf den Grundsatz schulischer Neutralität und Unparteilichkeit gemäß § 2 Absätze 7 und 8 SchulG NRW hinsichtlich des Besuchs oder der Organisation von politischen Veranstaltungen, auf den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien und die entsprechenden Ausführungen im Bildungsportal des Ministeriums (https://www.schulministe-rium.nrw.de/docs/Recht/Aktuelle-rechtliche-Themen/Schulen-Politik.pdf) hin und bittet die Schulaufsichtsbehörden, die Schulen darüber in geeigneter Form zu informieren. Dies ist anlässlich der am 9. Juni 2024 anstehenden Wahl zum Europäischen Parlament mit Runderlass vom 24. Januar 2024 erfolgt.