Eltern in Sorge: Erneute Gewalt an Gelsenkirchener Schule – Was unternimmt die Landesregierung zum Schutz der Kinder?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 819
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias, Carlo Clemens und Markus Wagner vom 23.11.2022

Eltern in Sorge: Erneute Gewalt an Gelsenkirchener Schule Was unternimmt die Landesregierung zum Schutz der Kinder?

Nach den bekannt gewordenen Vorfällen an der Hauptschule an der Grillostraße1 ist mit dem Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasium jetzt eine weitere Schule von Gewaltdelikten gegenüber Schülern betroffen.2 Schulfremde Jugendliche bedrohten Schüler erst auf dem Schulhof und dann auf dem Heimweg.

Wie die WAZ berichtet, wurde ein Schüler einer sechsten Klasse von schulfremden Jugendlichen auf dem Schulgelände zunächst erfolglos bedroht und eingeschüchtert. Auf dem Heimweg lauerten die Täter dem Schüler auf und versuchten abermals das Kind auszurauben.

Der Schulleiter des Gauß-Gymnasiums schilderte gegenüber der WAZ die Bedrohungslage für seine Schüler: „Über unsere Schulpflegschaftsvorsitzende erfuhr ich, dass sich in der letzten Woche Jugendliche im Alter zwischen 15 und 18 Jahren bei uns während der Unterrichtszeit – daher keine Aufsicht – auf dem Schulgelände aufgehalten und dann einige unserer Schüler auf dem Heimweg verfolgt, belästigt und bedroht haben.“ Vergleichbare Fälle, in denen Kinder vor dem Schulgelände und auf dem Heimweg von Fremden angesprochen wurden, seien bereits seit einigen Wochen immer wieder an unterschiedlichen Schulen aufgetreten.

Bei der Anzahl vergleichbarer Fälle an Schulen differieren offensichtlich die Angaben der Polizei auf der einen Seite und der Schulleiter und Eltern auf der anderen Seite. Die Polizei meldete in Gelsenkirchen in diesem Jahr bisher 9 Raubdelikte mit der „Tatörtlichkeit Schule“. Hinzu kommen 21 Fälle einer Bedrohung. Die „Tatörtlichkeit Schule“ wurde 2019 in die Kriminalstatistik aufgenommen.

Zusätzlich berichtet die Polizei Gelsenkirchen derzeit – als weitere Gefahr für die Schüler – vermehrt über Raubdelikte auf Straßen, Wegen und Plätzen, begangen durch Jugendliche und Heranwachsende, insbesondere im Umfeld der Stadtteilzentren Altstadt, Schalke und Buer.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Aus Gelsenkirchen wird vermehrt über die durch schulfremde Personen auf dem Schulgelände ausgehende Gefahr berichtet. Mit welchen Maßnahmen wird die Landesregierung diesem Phänomen begegnen?
  2. Was wird die Landesregierung zur Absicherung der Schulwege in den besonders betroffenen Stadtvierteln Gelsenkirchens sowie in anderen sozialen Brennpunkten NRWs unternehmen?
  3. Wie viele Straftaten gab es seit 2019 in NRW an der „Tatörtlichkeit Schule“? (Bitte nach Kreis bzw. kreisfreie Stadt, Anzahl der Delikte und Straftatbestand differenziert listen)
  4. Welches sind aktuell die örtlichen Kriminalitätsschwerpunkte in Gelsenkirchen?
  5. Welche Orte werden in NRW aktuell als gefährliche und verrufene Orte im Sinne des § 12 des Polizeigesetzes eingestuft und stellen somit insbesondere für Kinder eine besondere Gefahr dar? (Bitte listen analog zur Lt.-Drucksache 17/9401; Anlage 1 und 2)

Enxhi Seli-Zacharias
Carlo Clemens
Markus Wagner

 

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1 Vgl. Lt.-Drucksache 18/1421

2 Vgl. h t t p s :/ / w w w . w az . d e/ s t ae d te / gelsen k ir c h e n/ r au bu eberfaelle-auf-kinder-angst-und-wut-in-gelsenkirchen-id236912205.html


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 819 mit Schreiben vom 2. Januar 2023 na­mens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration, der Ministerin für Schule und Bildung sowie der Minis­terin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwortet.

  1. Aus Gelsenkirchen wird vermehrt über die durch schulfremde Personen auf dem Schulgelände ausgehende Gefahr berichtet. Mit welchen Maßnahmen wird die Landesregierung diesem Phänomen begegnen?
  2. Was wird die Landesregierung zur Absicherung der Schulwege in den besonders betroffenen Stadtvierteln Gelsenkirchens sowie in anderen sozialen Brennpunk­ten NRWs unternehmen?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die Kreispolizeibehörden führen Schulwegsicherungen an Brennpunkten nach eigener Lage­bewertung durch. Sie sind grundsätzlich nicht nur für eine verkehrsfachliche sichere Schul-wegbegleitung zuständig, sondern auch für weitere Belange, die die öffentliche Sicherheit be­treffen. Die Schulwegsicherung wird direktionsübergreifend von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten der Direktionen Gefahrenabwehr/Einsatz sowie Verkehr wahrgenommen. In der Regel sind die örtlich zuständigen Bezirksdienstbeamtinnen und -beamten eingebunden; diese sind auch Ansprechpersonen für die Schulen. In Folge eines stetigen Austauschs zwi­schen Lehrerinnen/Lehrern, Eltern, Schülerschaft und dem Bezirksdienst ist somit sicherge­stellt, dass lageangepasste polizeiliche Maßnahmen erfolgen können.

Die Kreispolizeibehörde Gelsenkirchen reagierte am 19.09.2022 auf den Anstieg der Fallzah­len der Raubdelikte auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen mit der Einrichtung der Er­mittlungskommission „König“. Nach Identifikation der örtlichen Schwerpunkte wurden dort ge­zielt Kräfte des Einsatztrupps in zivil eingesetzt. Ab dem 17.11.2022 hat die Kreispolizeibe­hörde Gelsenkirchen die Maßnahmen der Ermittlungskommission durch eine Präsenzkonzep­tion ergänzt, bei welcher direktionsübergreifend eine Vielzahl von uniformierten Kräften (unter anderem der Bereitschaftspolizei) eingesetzt werden. Die Maßnahmen sind eng mit dem Re­ferat 32 – öffentliche Sicherheit und Ordnung – der Stadt Gelsenkirchen abgestimmt.

Die Kreispolizeibehörde Gelsenkirchen führt im Rahmen der Ordnungspartnerschaft mit der Stadt Gelsenkirchen ferner regelmäßige Einsätze des Bezirksdienstes zusammen mit Kräften des Kommunalen Ordnungsdienstes durch. In diesem Rahmen erfolgt die sichtbare Präsenz im Umfeld von Schulen. Als Reaktion auf die angestiegene Zahl von Berichten über Störungen und Straftaten durch schulfremde Personen an einer Hauptschule im Stadtgebiet der Kreispo­lizeibehörde Gelsenkirchen wurden die gemeinsamen Einsätze ausgeweitet und der fachliche Austausch intensiviert. Außerdem erging ein Aufklärungs- und Präsenzauftrag in Bezug auf die Schulen im Stadtgebiet an alle operativen Kräfte der Kreispolizeibehörde Gelsenkirchen. Bisher wurden dabei folgende Maßnahmen durchgeführt:

 

Maßnahme Anzahl
Identitätsfeststellungen 300
Gefährderansprachen 30
Strafanzeigen 99
Ordnungswidrigkeitenanzeigen 26
Sicherstellungen 10
Platzverweise 176
Beobachtungs- und Feststellungsberichte 62
Aufenthaltsermittlung 1
Erkennungsdienstliche Maßnahmen 18
Vollstreckung Durchsuchungsbeschluss 1

 

Ergänzend dazu wurde unter Vorsitz der Beigeordneten für Kultur, Bildung, Jugend, Sport und Integration der Stadt Gelsenkirchen mit Beteiligung von Vertretern der Polizei, des Ordnungs­amtes und der Schulleitung ein „runder Tisch“ gegründet, der die Situation an der Hauptschule Grillostraße aufgreift.

Das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat mir zu den möglichen städtebaulichen Maßnahmen wie folgt berichtet:

„Im Rahmen der städtebaulichen Kriminalprävention kommen eine Reihe von Maßnahmen im öffentlichen Raum in Frage, wie zum Beispiel die Beseitigung von Zäunen, Mauern, Hecken und anderen Grenzmarkierungen, die unübersichtliche Nischen mit Versteckmöglichkeiten bieten, die Platzierung von Bäumen und Strauchbepflanzungen so, dass sie Sichtbeziehungen nicht einschränken, die Anlage der Außenbeleuchtung von Wegen und Gebäuden so konzi­pieren, dass keine dunklen Bereiche entstehen oder die Anlage öffentlicher Flächen und Plätze so gestalten, dass informelle soziale Kontrolle mit zahlreichen Blickbeziehungen mög­lich ist. Für solche baulichen Maßnahmen in Stadterneuerungsgebieten können die Städte und Gemeinden Fördermittel der Städtebauförderung erhalten.“

  1. Wie viele Straftaten gab es seit 2019 in NRW an der „Tatörtlichkeit Schule“? (Bitte nach Kreis bzw. kreisfreie Stadt, Anzahl der Delikte und Straftatbestand differen­ziert listen)

Als Datenbasis für die Beantwortung der Frage dient die Polizeiliche Kriminalstatistik. Sie wird nach bundeseinheitlich festgelegten Richtlinien erstellt. Die Erfassung erfolgt nach Abschluss aller kriminalpolizeilichen Ermittlungen und führt regelmäßig zu einem zeitlichen Versatz zwi­schen Bekanntwerden der Straftat und der statistischen Erfassung.

Die Tatörtlichkeit „Schule“ ist bei Straftaten zu erfassen, die innerhalb eines Schulgebäudes, dem umfriedeten Gelände einer Schule oder im unmittelbaren Umfeld einer Schule begangen wurden. Örtlichkeiten außerhalb des Schulgeländes, an denen z.B. schulische Veranstaltun­gen stattfinden, sowie der Schulweg der Schülerinnen und Schüler gehören räumlich betrach­tet nicht zur Schule und werden daher auch nicht unter der Tatörtlichkeit „Schule“ erfasst. Die Tatörtlichkeit „Schule“ wird unabhängig von schulischen Veranstaltungen und Unterrichts-bzw. Öffnungszeiten der Schulen erfasst.

Die Fallzahlenentwicklung mit der Tatörtlichkeit „Schule“ ist der folgenden Tabelle zu entneh­men.

 

Jahr Straftat i.V.m Tatörtlichkeit Schule
2019 Straftaten insgesamt 20 676
2020 Straftaten insgesamt 17 355
2021 Straftaten insgesamt 15 982
2022 (Novem­ber) Straftaten insgesamt 22 753

 

  1. Welches sind aktuell die örtlichen Kriminalitätsschwerpunkte in Gelsenkirchen?

Zur Identifizierung örtlicher Kriminalitätsschwerpunkte erfolgte eine Auswertung der polizeili­chen Vorgangsbearbeitungssysteme für den Zeitraum vom 01.01.2022 bis 15.11.2022. Im Kontext der Anfrage bezieht sich die Beantwortung auf das Phänomen der Straßenkriminalität, welches als sogenannter „Summenschlüssel“ in der Polizeilichen Kriminalstatistik NRW aus­gewiesen wird. Schwerpunkte stellen im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Gelsen­kirchen demzufolge die Fußgängerzonen bzw. Einkaufspassagen der Stadtteile Altstadt, Buer und Erle (Cranger Straße) sowie das Veranstaltungsgelände des Flohmarkts („Veltins-Arena“) dar.

In Bezug auf eine Häufung von Raubdelikten auf Straßen, Wegen und Plätzen, welche hier bereits bei der Beantwortung der Fragen 1 und 2 Erwähnung finden, ergeben sich weitere Schwerpunkte im Bereich des Heinrich-König-Platzes und des Musiktheaters in der Gelsen­kirchener Innenstadt.

  1. Welche Orte werden in NRW aktuell als gefährliche und verrufene Orte im Sinne des § 12 des Polizeigesetzes eingestuft und stellen somit insbesondere für Kinder eine besondere Gefahr dar? (Bitte listen analog zur Lt.-Drucksache 17/9401; An­lage 1 und 2)

Die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW zu einer erleichterten Identitätskon­trolle müssen immer lage- und zeitabhängig vorliegen. Die Bewertung, ob der Tatbestand des § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW erfüllt ist, erfolgt grundsätzlich durch die für die konkrete Kontroll­situation verantwortlichen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten im Einzelfall, wobei sie aufbereitete Informationen wie etwa Lagebilder unterstützend heranziehen können. Eine abs­trakt-generelle Festlegung durch die jeweilige Leitung der zuständigen Kreispolizeibehörde darf nur hinreichend begründet und zeitlich befristet erfolgen. Eine statische bzw. unbefristete Festlegung ist dagegen von der Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt. Demgemäß wurde bereits in der Antwort auf die Große Anfrage 2 darauf hingewiesen, dass eine Festlegung als Ort gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW einer ständigen Überprüfung unterliegt und aufgrund der täglichen Lageentwicklung nur eine Momentaufnahme darstellt. Insoweit könnte die in der Fragestellung verwendete Bezeichnung als gefährliche und verrufene Orte zu Fehlinterpreta­tionen verleiten (vgl. LT-Drs. 17/2517, S. 2, 6).

Anlässlich der Kleinen Anfrage wurde mit Blick auf die durch die jeweilige Leitung von Kreis­polizeibehörden temporär festgelegten und hinreichend begründeten Orte eine Abfrage bei sämtlichen 47 Kreispolizeibehörden durchgeführt. Zum Stichtag 9. Dezember 2022 erfolgt eine solche temporäre Festlegung in den Zuständigkeitsbereichen der Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke (Bereich Porta Westfalica – Pfahlweg und Nebenstraßen) sowie der Kreispolizeibe­hörde Gütersloh (Autobahnrastanlagen Gütersloh Nord/Süd und der Autohof Area).

 

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