Erfolgsbilanz von Präventions- und Aussteigerprogrammen im Bereich des politischen Extremismus in Nordrhein-Westfalen

Kleine Anfrage
vom 04.07.2023

Kleine Anfrage 1946

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner AfD

Erfolgsbilanz von Präventions- und Aussteigerprogrammen im Bereich des politischen Extremismus in Nordrhein-Westfalen

Wie dem Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen zu entnehmen ist, ist die Zahl der politischen Extremisten in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.1 Diese hohe Zahl an Extremisten geht laut Bericht auch mit einer hohen Zahl an politisch motivierter Kriminalität (PMK) einher. Für das Jahr 2022 stellte das Landesamt für Verfassungsschutz 8.948 Fälle von PMK fest, was im Vorjahresvergleich einen Anstieg um 2.548 Delikte (+39,8 Prozent) ergibt.2

Bei diesen steigenden Zahlen des politischen Extremismus ist ein effektives Vorgehen gegen die Szenen elementar. Laut Selbstdarstellung unterhält das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen eine Reihe von Präventions- und Aussteigerprogrammen, die sowohl die Radikalisierung von Personen verhindern als auch bereits radikalisierte Personen wieder aus den Szenen heraushelfen sollen. Diese Programme sind:

  • Aussteigerprogramm Islamismus (API)
  • Aussteigerprogramm Linksextremismus und auslandsbezogener Extremismus (Left)
  • Aussteigerprogramm Rechtsextremismus (Spurwechsel)
  • Präventionsprogramm „Wegweiser – Gemeinsam gegen Islamismus“
  • Fortbildungskonzept VIR
  • Aussteigergespräche – Prävention durch Dialog (Prisma)

Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen hat in seinem Verfassungsschutzbericht 2022 eine kurze Bilanz über die einzelnen Programme vorgelegt. So habe das Aussteigerprogramm Islamismus seit dem Start 2014 mehr als 240 Personen umfassend beraten. Dabei sei bei 40 Personen ein positiver Fallabschluss gelungen.3 Beim Aussteigerprogramm Rechtsextremismus seien in den vergangenen Jahren mehr als 450 Personen aus der Szene begleitet worden, wobei in mehr als 190 Fällen ein positiver Fallabschluss zu verzeichnen gewesen sei.4 Beim Aussteigerprogramm für Links- und auslandsbezogenen Extremismus sei bis Ende 2022 mit knapp 60 Personen gearbeitet worden, die einen Ausstiegswillen aufweisen würden. Über die Anzahl positiver Fallabschlüsse wurde nicht berichtet.5

Die Erfolgsbilanz der Programme ist also durch den Verfassungsschutz nicht gänzlich transparent veröffentlicht, erscheint aber auf Basis der gelieferten Zahlen durchwachsen. Für eine genauere Einschätzung fehlen außerdem wichtige Angaben zu den erreichten Personen.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Personen haben an den Aussteigerprogrammen in den Jahren von 2013 bis 2022 teilgenommen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Ort, Programm, Alter, Nationalität, Religion inkl. Verweis auf Konvertiten und Bildungsstand des Teilnehmers)
  2. Wie viele Personen weisen für die Jahre 2013 bis 2022 ein positives Beratungsergebnis auf? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Ort, Programm, Alter, Nationalität und Bildungsstand des Teilnehmers)
  3. Wie viele Personen haben in den Jahren 2013 bis 2022 die Zusammenarbeit abgebrochen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Ort, Programm, Alter, Nationalität, Bildungsstand des Teilnehmers und Aufführung des Grundes)
  4. Welche Kosten wurden für die einzelnen Programme in den Jahren 2013 bis 2022 aufgewendet?
  5. Über wen erfolgte bei den Beratenen die Kontaktaufnahme zum jeweiligen Programm? (Bitte aufschlüsseln nach Programm, Jahr sowie kontaktaufnehmende Person, wie bspw. Familie, Ehepartner, Person selbst, andere)

Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner

Anfrage als PDF

1 Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2022, S. 22–25 und 28–29, online unter: https:// www .im .nrw/system/files/media/document/file/verfassungsschutzbericht_nrw_2022.pdf. Dabei ist zu berücksichtigen, dass innerhalb der einzelnen Strömungen des Extremismus zum Teil deutliche Schwankungen im Personenpotenzial vorliegen.

2 Dass., S. 30.

3 Dass., S. 351 und 364.

4 Dass., S. 363.

5 Ders., S. 365


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1946 mit Schreiben vom 21. Juli 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen beantwortet.

  1. Wie viele Personen haben an den Aussteigerprogrammen in den Jahren von 2013 bis 2022 teilgenommen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Ort, Programm, Alter, Na­tionalität, Religion inkl. Verweis auf Konvertiten und Bildungsstand des Teilneh­mers)
  2. Wie viele Personen weisen für die Jahre 2013 bis 2022 ein positives Beratungser­gebnis auf? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Ort, Programm, Alter, Nationalität und Bildungsstand des Teilnehmers)
  3. Wie viele Personen haben in den Jahren 2013 bis 2022 die Zusammenarbeit abge­brochen? (Bitte aufschlüsseln nach Jahr, Ort, Programm, Alter, Nationalität, Bil­dungsstand des Teilnehmers und Aufführung des Grundes)

Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1-3 gemeinsam beantwortet.

Die in den jeweiligen Programmen begleiteten Ausstiegsprozesse sind langwierig und dauern erfahrungsgemäß etwa zwei bis fünf Jahre an.

Das Aussteigerprogramm „Spurwechsel“ hat sich seit Beginn im Jahr 2001 mit mehr als 450 Personen beschäftigt. Derzeit steht das Aussteigerprogramm „Spurwechsel“ zu knapp 40 Per­sonen in Kontakt. In 198 Fällen konnte eine erfolgreiche Distanzierung vom Rechtsextremis­mus erreicht werden. Rund 30 Personen konnten in andere Hilfesysteme weitervermittelt wer­den, weil ein anders gelagerter Unterstützungsbedarf vorlag. Zu etwa 190 Personen wurde der Kontakt beendet oder eine Begleitung abgelehnt.

Das Aussteigerprogramm „API“ hat sich seit Beginn im Jahr 2014 mit mehr als 250 Personen beschäftigt. Derzeit steht das Aussteigerprogramm „API“ zu mehr als 40 Personen in Kontakt. In 44 Fällen konnte die Arbeit bisher erfolgreich abgeschlossen werden. Weitere 22 Personen konnten in andere Hilfesysteme weitervermittelt werden, weil ein anders gelagerter Unterstüt­zungsbedarf vorlag. Zu nahezu 150 Personen wurde der Kontakt beendet oder eine Begleitung abgelehnt.

Das Aussteigerprogramm „Left“ ist das jüngste der drei Aussteigerprogramme und hat sich seit Beginn im Jahr 2018 mit mehr als 60 Personen beschäftigt. Derzeit steht das Aussteiger-programm „Left“ zu knapp 20 Personen in Kontakt.

In zehn Fällen konnte die Arbeit bisher erfolgreich abgeschlossen werden. Eine Person konnte in ein anderes Hilfesystem weitervermittelt werden, weil ein anders gelagerter Unterstützungs­bedarf vorlag. Zu rund 30 Personen wurde der Kontakt beendet oder eine Begleitung abge­lehnt.

Eine weitergehende Aufschlüsselung der Fallzahlen für die Aussteigerprogramme kann aus Gründen der Vertraulichkeit nicht erfolgen.

  1. Welche Kosten wurden für die einzelnen Programme in den Jahren 2013 bis 2022 aufgewendet?

Eine Beantwortung der Frage für die einzelnen Programme – ausgenommen das Präventions-programm „Wegweiser“ – ist aus Gründen des Staatswohls nicht möglich. Schon § 23 Abs. 1 S. 3 Verfassungsschutzgesetz Nordrhein-Westfalen (VSG NRW) legt deshalb fest, dass im Haushaltsgesetzgebungsverfahren aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes die Bewil­ligung von Ausgaben von der Einwilligung des Kontrollgremiums zum geheim zu haltenden Wirtschaftsplan abhängig gemacht wird. Erfolgten Angaben zu einzelnen Elementen des Ver­fassungsschutzhaushalts, würden damit zu schützende Elemente des geheimen Wirtschafts­plans offenbar. In der Gesamtschau mit anderen bereits jetzt verfügbaren und zukünftig ver­fügbar werdenden Informationen entstünde daraus ein Gesamtbild, das die notwendigen Ge-heimhaltungsinteressen konterkariert. Dies gilt umso mehr, wenn, wie vorliegend, dezidierte und nach Jahren gegliederte Angaben gefordert werden.

Bei den Kosten zum Präventionsprogramm „Wegweiser“ wird auf die Beantwortung zu Frage 1 der Kleinen Anfrage 6151 aus Dezember 2021 (LT-Drs. 17/16193) verwiesen. Die Kosten in 2022 für die 25 Wegweiser-Beratungsstellen beliefen sich auf 5.531.437,32 €.

  1. Über wen erfolgte bei den Beratenen die Kontaktaufnahme zum jeweiligen Pro­gramm? (Bitte aufschlüsseln nach Programm, Jahr sowie kontaktaufnehmende Person, wie bspw. Familie, Ehepartner, Person selbst, andere)

Interessierte Personen wenden sich telefonisch, per E-Mail oder per Brief an das Präventionsprogramm Wegweiser sowie die drei Aussteigerprogramme. Der Weg über Dritte ist ebenfalls möglich und erfolgt erfahrungsgemäß meistens über die Polizei, Justizvollzuganstalten, an­dere Behörden wie das Jobcenter oder das Jugendamt, Schulen oder sonstige Netzwerk­partner. Eine weitere Konkretisierung scheidet aus, da hierdurch grundrechtlich geschützte Positionen der Betroffenen berührt würden.

„VIR“ ist ein Qualifizierungsprojekt für Fachkräfte und ehrenamtlich tätige Personen. In diesem Projekt finden keine Beratungsprozesse statt. Auch im Projekt „Prisma“ finden keine Bera­tungsprozesse statt.

 

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