Kleine Anfrage 2705
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD
Ernüchterndes Ergebnis einer Anfrage der WELT an die Landesregierung in Bezug auf neue Unterbringungseinrichtungen für Asylsuchende: Direkte Demokratie unerwünscht? Keine Meinung zum Wertverlust von Immobilien der Anwohner? Keine Datenerfassung zur Kriminalität im Umfeld der Einrichtungen?
Wie aus einem Artikel der WELT am Sonntag hervorgeht, hat das für Flucht und Integration zuständige Ministerium auf zwei von der WELT aufgeworfene Aspekte im Zusammenhang mit neuen Unterbringungseinrichtungen nicht eingehen wollen. Dabei geht es zum einen um einen möglichen Wertverlust den Anwohner mit ihren Immobilien erleiden, zum anderen um einen befürchteten Anstieg der Kriminalität.1
Im Artikel heißt es, dass der Städte- und Gemeindebund eine Vielzahl an Sorgen beobachtet: „Das fängt an bei Angst vor Lärm, Müll und Kriminalität und endet bei Grünflächen und Umweltschutz. Natürlich spielt auch hinein, dass der Wert der eigenen Immobilie beeinträchtigt werden könnte“.
Nach Aussagen der WELT ging das Ministerium auf diese konkreten Ängste jedoch nicht ein. Auf ihre Anfrage, welche Hauptsorgen die Anwohner umtrieben, antwortet das Ministerium es erst gar nicht.
Auch auf die Frage, ob das Ministerium Ängste vor dem Wertverlust von Immobilien zerstreuen könne, entgegnet es nur ausweichend, dass die Bewertung von Baugrund- und Immobilienpreisentwicklung nicht in den eigenen „Geschäftsbereich“ fielen.
Wie die WELT in ihrem Artikel weiter ausführt, gibt es hierzu nur punktuelle Studien, etwa des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. „Und das ermittelte 2016 für Berlin und Dresden, Unterkünfte hätten zumindest „eine preisdämpfende Tendenz“ für umliegende Immobilien ausgelöst. Für Köln hatte der Haus- und Grundbesitzerverein schon 2014 festgestellt, „angrenzende Flüchtlingsunterkünfte“ führten „in aller Regel zu Wertverlusten“. Und die VR-Bank bestätigte 2016, „eine Wohnimmobilie in einem reinen Wohngebiet“ sei „schon anders zu bewerten“ als eine, in deren Nachbarschaft eine Asylunterkunft stehe.“
Auch auf die Sorge vor einem Anstieg der Kriminalität im Umfeld der Unterkünfte wollte das grüne Ministerium auf Anfrage offenbar nicht eingehen. Pikant ist die Tatsache, dass auch hierzu wohl umfassende Studien fehlen. „Was es gibt, sind Daten zu Straftaten in den Einrichtungen, nicht aber um diese herum.“
Irritierend ist zudem die ablehnende Haltung der regierungstragenden Fraktionen von Bündnis 90/ Die Grünen und CDU zum Thema „Direkte Demokratie“. So heißt es im Artikel:
„Die neue grüne Offenheit stößt allerdings an Grenzen. So lehnen es Grüne und CDU ab, Anwohner in Bürgerentscheiden darüber bestimmen zu lassen, ob in ihrer Umgebung eine Flüchtlingsunterkunft gebaut wird. Dies fordert die AfD. Doch in dieser Frage setzen auch Grüne ganz und gar nicht auf direkte Demokratie.“
Diese Aussage wirft die Frage auf, ob sich die Landesregierung in dieser Frage ähnlich positioniert.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Welche – ggf. sogar einklagbaren – Mitspracherechte, beispielsweise in Form von Bürgerentscheiden, sollten Anwohnern geplanter, neuer Unterbringungseinrichtungen nach Ansicht der Landesregierung zukünftig eingeräumt werden?
- Wie kann die Landesregierung die Anwohner-Sorge entkräften, dass eine angrenzende Einrichtung für Asylbewerber den Wert ihrer Immobilie senkt?
- In welcher Form plant die Landesregierung zukünftig Bürger zu entschädigen, wenn trotz aller Beteuerungen ihre Immobilie im Zuge der Errichtung einer Unterbringungseinrichtung von einem Wertverlust betroffen ist?
- Inwiefern kann die Landesregierung die Sorge vor steigender Kriminalität durch eine Unterkunft in der Nähe überhaupt gesichert entkräften, wenn hierzu keine Daten erhoben werden und umfassende Studien fehlen?
- In welcher Form plant die Landesregierung zukünftig die Kriminalität im Umfeld von Unterbringungseinrichtungen sowie mögliche Wertverluste von Immobilien der Anwohner besser zu erfassen?
Enxhi Seli-Zacharias
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 2705 mit Schreiben vom 15. November 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwortet.
- Welche – ggf. sogar einklagbaren – Mitspracherechte, beispielsweise in Form von Bürgerentscheiden, sollten Anwohnern geplanter, neuer Unterbringungseinrichtungen nach Ansicht der Landesregierung zukünftig eingeräumt werden?
Die Länder sind gesetzlich verpflichtet, für die Unterbringung Asylbegehrender die dazu erforderlichen Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen und zu unterhalten sowie entsprechend ihrer Aufnahmequote die im Hinblick auf den monatlichen Zugang Asylbegehrender in den Aufnahmeeinrichtungen notwendige Zahl von Unterbringungsplätzen bereitzustellen (§ 44 Abs. 1 AsylG).
Die direktdemokratischen Instrumente des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids sind nur in Angelegenheiten, die dem Rat der Gemeinde obliegen, zulässig (§ 26 Absatz 1 Satz 1 Gemeindeordnung) und können daher keine Anwendung finden, soweit die Verpflichtung des Landes zur Schaffung von Unterbringungskapazitäten im Sinne des § 44 AsylG unmittelbar betroffen ist. Im Übrigen ist das Bürgerbegehren gesetzlich als Initiativrecht ausgestaltet, sodass ein Bürgerentscheid bei gemeindlichen Angelegenheiten einer Initiative aus der Bürgerschaft bedarf.
Ungeachtet dessen ist der Landesregierung bewusst, dass die Errichtung einer Landeseinrich-tung für Anwohnerinnen und Anwohner eine große Veränderung des persönlichen Lebensumfeldes nach sich zieht. Es ist daher wichtig, sich mit den Anliegen der Anwohnerinnen und Anwohner sachgerecht auseinanderzusetzen, Beschwerden aufzugreifen und einer Lösung zuzuführen. Hierbei setzt das Land in Umsetzung des sog. Sechs-Punkte-Plans (https://www.mkjfgfi.nrw/sechs-punkte-plan-zur-stabilisierung-des-landesaufnahmesystems) auch auf eine umfassende Information und einen sachorientierten Dialog mit den betroffenen Anwohnerinnen und Anwohnern.
- Wie kann die Landesregierung die Anwohner-Sorge entkräften, dass eine angrenzende Einrichtung für Asylbewerber den Wert ihrer Immobilie senkt?
- In welcher Form plant die Landesregierung zukünftig Bürger zu entschädigen, wenn trotz aller Beteuerungen ihre Immobilie im Zuge der Errichtung einer Unterbringungseinrichtung von einem Wertverlust betroffen ist?
Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Der Wert einer Immobilie unterliegt naturgemäß Schwankungen und wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst (z.B. Ort, Wohngebäudetyp, Größe der Wohnfläche und des Grundstücks, Alter und Zustand des Gebäudes, Sanierungszustand, umliegende Infrastruktur (z.B. Schulen, KiTa, ÖPNV), nachbarschaftliche Einflüsse (z.B. durch Gewerbe, Sportstätten, soziale Wohneinrichtungen) und/ oder baunutzungsrechtliche Einstufungen als z.B. Wohngebiet, Mischgebiet etc.).
- Inwiefern kann die Landesregierung die Sorge vor steigender Kriminalität durch eine Unterkunft in der Nähe überhaupt gesichert entkräften, wenn hierzu keine Daten erhoben werden und umfassende Studien fehlen?
Die Sicherheitsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen erheben fortwährend sicherheitsrelevante Erkenntnisse. Die Kreispolizeibehörden bewerten die Sicherheitslage auf dieser Grundlage sowie auf Grundlage der Auswertung der Kriminalitätsentwicklung und anhand einer kontinuierlichen Bewertung von aktuellen Erkenntnissen vor Ort – auch im Umfeld von Flüchtlings- und Asylunterkünften. Auf Grundlage dieser Bewertungen wird der Entstehung und Verfestigung von Kriminalitätsschwerpunkten und sogenannter Brennpunkte durch zielgerichtete polizeiliche Maßnahmen auch unter Beteiligung möglicher weiterer Behörden und Netzwerkpartner im Rahmen von Ordnungspartnerschaften entgegengewirkt. Entsprechende Maßnahmen sind geeignet, das Vertrauen in eine professionelle polizeiliche Aufgabenwahrnehmung und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung vor Ort zu stärken.
Zudem werden in der Polizeilichen Kriminalstatistik Straftaten zu den Tatörtlichkeiten „Flüchtlingsunterkunft“ und „Asylunterkunft“ erfasst. Insofern werden entsprechende Daten erhoben.
- In welcher Form plant die Landesregierung zukünftig die Kriminalität im Umfeld von Unterbringungseinrichtungen sowie mögliche Wertverluste von Immobilien der Anwohner besser zu erfassen?
Eine Anpassung der polizeilichen Datenerhebung zu Kriminalität im Umfeld von Unterbringungseinrichtungen ist für eine sachgerechte Bewertung der örtlichen Sicherheitslage und Kriminalitätsentwicklung im Umfeld von Flüchtlings- und Asylunterkünften sowie Umsetzung darauf aufbauender Maßnahmenkonzepte durch die Polizei Nordrhein-Westfalen nicht erforderlich.
Da der Wert einer Immobilie von vielen Faktoren beeinflusst wird, erfolgt keine Erfassung möglicher Wertminderungen. Auf die Antwort zu Frage 3 wird verwiesen.