Kleine Anfrage 281
des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz vom 04.08.2022
Erstes Fazit des Notfallkonzeptes: Welche Erkenntnisse liegen zum Drei-Stufen-Plan des G-BA vor?
Am 19. April 2018 verkündete der G-BA in einer Pressemitteilung den Beschluss eines neuen Notfallkonzeptes1. Dieses beinhaltet die Einführung eines Stufensystems der stationären Notfallstrukturen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V), das wiederum die Kürzung von Vergütungszuschüssen für jene Krankenhäuser nach sich zieht, welche die Stufenkriterien nicht oder nur teilweise erfüllen können.
Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken erklärte vor dem Hintergrund der im Vorfeld stattgefundenen Debatten, dass die Notfallversorgung durch das neue Konzept in strukturschwachen Gebieten gewährleistet bleibe. Hecken sagte dazu, dass „mit dem Notfallkonzept, […] die unverzichtbaren medizinischen Anforderungen für die Patientenversorgung erfüllt sind“, und ergänzte im weiteren Verlauf, das „macht die Finanzierung zielgenauer und gerechter als bisher, gleichzeitig werden qualitätssichernde Standards für Notfallstrukturen gesetzt.“2
Während sich die Krankenkassen zusammen mit der kassenärztlichen Bundesvereinigung bei der Abstimmung im G-BA durchsetzen konnten, gab es jedoch Unmut und Kritik vonseiten der Deutschen Krankenhausgewerkschaft (DKG). Der Präsident der DKG, Gerald Gaß, kritisierte u.a., dass Krankenhäuser mit dieser Entscheidung ein „Siegel“ bekommen würden, während Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG, zu bedenken gab, dass es sich hierbei um ein Umverteilungsprogramm von Geldern handeln würde, bei denen die Kriterien nicht eindeutig definiert seien3. Die Meinungen gingen ebenfalls bei der Beurteilung der Konsequenzen für die Patienten auseinander. Der Vorsitzende der Landeskrankenhausgesellschaft Brandenburg, kommentiert die neue Regelung mit den kritischen Worten: „Den Schaden werden die Patienten haben, die Rettungswagen werden mit den Notfallpatienten deutlich längere Wege fahren müssen“4. Diametral entgegengesetzt zeigte sich die Einschätzung eines ehemaligen Vorstandsvizes des GKV-Spitzenverbandes, der die Überzeugung teilte, dass die neue Regelung dazu beitragen würde, Menschenleben zu retten5.
Notfallkliniken wurde eine Übergangsphase von fünf Jahren gegeben6, um sich bau- und organisationstechnisch der neuen Struktur anpassen zu können. Nach über vier Jahren neigt sich diese Phase nun dem Ende entgegen, was uns den Anlass zu einer ersten Evaluierung gibt. Neben dem priorisiertem Wohl der Patienten gilt es auch zu verstehen, welche realen strukturellen Konsequenzen für die Notfallversorgung in NRW durch die neue Regelung entstehen. Ebenfalls stellt sich die Frage nach der Praktikabilität des neuen Konzeptes für NRW. Laut Beschluss bleibt die Hoheit der Krankenhausplanung bei den Ländern, was zur Folge hat, dass diese trotz Stufenvorgabe Krankenhäuser in andere Kategorien einordnen können.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie viele Krankenhäuser in NRW haben derzeit einen Status als Notfallkrankenhaus? (Bitte aufschlüsseln nach Kommune und den drei Stufen Basisnotfallversorgung, erweiterte bzw. umfassende Notfallversorgung)
- Wie viele Krankenhäuser wurden in NRW trotz Vorgabe für die Stufe in eine andere Kategorie eingeordnet? (Bitte aufschlüsseln nach Kommune)
- Inwieweit hat sich der Wegfall der Zuschüsse zur stationären Notfallversorgung auch auf die ambulante Notfallversorgung der betroffenen Krankenhäuser ausgewirkt?
- Inwieweit hat sich der Wegfall der Zuschüsse auf die Strukturqualität der ambulanten Notfallversorgung ausgewirkt?
- Gibt es konkrete Erkenntnisse, die auf positive Auswirkungen des neuen Stufenplans auf die Versorgung von Notfallpatienten hinweisen?
Dr. Martin Vincentz
1 Siehe g-ba.de, Pressemitteilung vom 19.04.2018 https://www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen-meldungen/744/
2 Ebd.
3 Siehe Aerzteblatt.de, „Notfallkonzept: G-BA beschließt Drei-Stufen-Plan“
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/94636/Notfallkonzept-G-BA-beschliesst-Drei-Stufen-Plan, Zugriff vom 12.07.2022
4 Siehe MedicalTribune.de, „Stufenplan des G-BA: Licht aus in vielen Notaufnahmen“ https://www.medical-tribune.de/meinung-und-dialog/artikel/stufenplan-des-g-ba-licht-aus-in-vielen-notaufnahmen/, Zugriff vom 13.07.2022
5 Ebd
6 Siehe Aerzteblatt.de, „Notfallkonzept: G-BA beschließt Drei-Stufen-Plan“ https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/94636/Notfallkonzept-G-BA-beschliesst-Drei-Stufen-Plan, Zugriff vom 12.07.2022
Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 281 mit Schreiben vom 2. September 2022 namens der Landesregierung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Der Gesetzgeber hat in § 136c Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) geregelt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bis zum 31.12.2017 ein gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern beschließt, einschließlich einer Stufe für die Nichtteilnahme an der Notfallversorgung. Hierbei sind für jede Stufe der Notfallversorgung insbesondere Mindestvorgaben zur Art und Anzahl von Fachabteilungen, zur Anzahl und Qualifikation des vorzuhaltenden Fachpersonals sowie zum zeitlichen Umfang der Bereitstellung von Not-fallleistungen differenziert festzulegen.
Daneben hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 1a Nr. 5 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) festgelegt, dass der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der Privaten Krankenversicherung gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (Vertragsparteien auf Bundesebene) auf der Grundlage von Absatz 1 Nummer 3 bis zum 30.06. 2018 die Höhe und die nähere Ausgestaltung der Zu- und Abschläge für eine Teilnahme oder Nichtteilnahme von Krankenhäusern an der Notfallversorgung vereinbaren.
Mit Beschluss vom 19.04.2018 hat der G-BA die Mindestanforderungen an die stationären Notfallstrukturen festgelegt. Die Vertragsparteien auf Bundesebene haben mit Datum 10.12.2018 eine „Vereinbarung über Zu- und Abschläge für eine Teilnahme oder Nichtteilnahme von Krankenhäusern an der Notfallversorgung gemäß § 9 Absatz 1a Nummer 5 KHEntgG i. V. m. § 136c Absatz 4 SGB V (Notfallstufenvergütungsvereinbarung)“ abgeschlossen.
Neben den drei Notfallstufen (Basisnotfallversorgung, erweiterte Notfallversorgung und umfassende Notfallversorgung) gibt es die „spezielle“ Notfallversorgung. Sie umfasst mehrere Module wie z. B. die Schwerverletztenversorgung, die Kindernotfallversorgung, die Versorgung von Schlaganfällen sowie die Versorgung von Durchblutungsstörungen am Herzen.
Wenn ein Krankenhaus eines der Module erfüllt, wird es entgeltrechtlich den Krankenhäusern der Basisnotfallversorgung gleichgestellt, auch wenn es keine Notfallstufe erfüllt.
Der Beschluss des G-BA ermöglicht es den Ländern, in eng begrenzten Ausnahmefällen Krankenhäuser als sogenannte Spezialversorger auszuweisen. Bei diesen Krankenhäusern werden keine Abschläge erhoben. Der Landesausschuss für Krankenhausplanung hat hierzu Kriterien entwickelt, die auch in den Krankenhausplan NRW 2022 übernommen wurden.
- Wie viele Krankenhäuser in NRW haben derzeit einen Status als Notfallkranken-haus? (Bitte aufschlüsseln nach Kommune und den drei Stufen Basisnotfallversorgung, erweiterte bzw. umfassende Notfallversorgung)
Die Einstufung erfolgt nicht durch das Land, sondern im Rahmen der Budgetvereinbarung des Krankenhauses. Das Krankenhaus-Budget wird jährlich zwischen Kostenträgern und Krankenhäusern verhandelt. Zur Beantwortung der Kleinen Anfrage wurde eine Abfrage bei den Bezirksregierungen durchgeführt (mit Stand 20.08.2022). Das Ergebnis der Abfrage zu Krankenhäusern mit Notfallstufe wird tabellarisch dargestellt, aufgeteilt nach den Notfallversorgungstufen 1, 2 und 3 (Basis-, erweiterte- und umfassende Notfallstufenversorgung). Krankenhäuser ohne Notfallstufe, die ein Modul der speziellen Notfallversorgung erfüllen, sind davon nicht umfasst.
_________Anzahl an Krankenhäusern je Notfallstufe__________ | |||
Stufe 1 | Stufe 2 | Stufe 3 | |
Aachen (Städteregion) | 1 | 3 | 1 |
Bielefeld | 3 | 1 | 1 |
Bochum | 1 | 4 | |
Bonn | 5 | ||
Borken (Kreis) | 4 | ||
Bottrop | 2 | ||
Coesfeld (Kreis) | 1 | 1 | |
Dortmund | 2 | 1 | 2 |
Duisburg | 3 | 2 | |
Düren (Kreis) | 3 | 1 | |
Düsseldorf | 9 | 1 | |
Ennepe-Ruhr-Kreis | 1 | 3 | |
Essen | 4 | 3 | 1 |
Euskirchen (Kreis) | 1 | ||
Gelsenkirchen | 4 | ||
Gütersloh (Kreis) | 2 | 2 | |
Hagen | 3 | ||
Hamm | 2 | 1 |
Heinsberg (Kreis) | 3 | ||
Herford (Kreis) | 2 | 1 | |
Herne | 1 | 4 | |
Hochsauerlandkreis | 7 | 1 | |
Höxter (Kreis) | 3 | 1 | |
Kleve (Kreis) | 4 | 2 | |
Köln | 8 | 3 | 2 |
Krefeld | 2 | 1 | 1 |
Leverkusen | 1 | ||
Lippe (Kreis) | 1 | 1 | |
Märkischer Kreis | 5 | 1 | |
Mettmann (Kreis) | 4 | ||
Minden-Lübbecke (Kreis) | 1 | 1 | 1 |
Mönchengladbach | 2 | 2 | |
Mülheim an der Ruhr | 1 | 1 | |
Münster | 2 | 2 | 2 |
Oberbergischer Kreis | 4 | ||
Oberhausen | 1 | ||
Olpe (Kreis) | 2 | ||
Paderborn (Kreis) | 2 | 1 | 1 |
Recklinghausen (Kreis) | 7 | 6 | |
Remscheid | 1 | ||
Rhein-Erft-Kreis | 6 | 1 | |
Rheinisch-Bergischer Kreis | 1 | ||
Rhein-Kreis Neuss | 2 | 1 | |
Rhein-Sieg-Kreis | 1 | ||
Siegen-Wittgenstein (Kreis) | 2 | 3 | 1 |
Soest (Kreis) | 3 | 3 | |
Solingen | 1 | 1 | |
Steinfurt (Kreis) | 3 | 1 | 1 |
Unna (Kreis) | 3 | 1 | 1 |
Viersen (Kreis) | 2 | 1 | |
Warendorf (Kreis) | 3 | 1 | |
Wesel (Kreis) | 2 | 4 | |
Wuppertal | 1 | 2 | 1 |
- Wie viele Krankenhäuser wurden in NRW trotz Vorgabe für die Stufe in eine andere Kategorie eingeordnet? (Bitte aufschlüsseln nach Kommune)
In Nordrhein-Westfalen werden Krankenhäuser in den Budgetvereinbarungen (siehe Vorbemerkung der Landesregierung) ausschließlich nach gesetzlicher Vorgabe in die entsprechende Notfallstufe eingeteilt. Derzeit ist bei 22 Krankenhäusern die Einteilung in eine Notfallstufe streitig.
Daneben hat das Land, wie in der Vorbemerkung erläutert, in eng begrenzten Ausnahmefällen die Möglichkeit, sogenannte Spezialversorger auszuweisen. Bei diesen Krankenhäusern werden keine Abschläge erhoben. Auf Basis der dazu im Landesausschuss für Krankenhausplanung konsentierten Kriterien sind aktuell 7 Krankenhäuser als Spezialversorger ausgewiesen (je ein Krankenhaus im Hochsauerlandkreis, im Märkischen Kreis, im Kreis Minden-Lübbecke, im Kreis Paderborn sowie in Bielefeld, Essen und Solingen).
- Inwieweit hat sich der Wegfall der Zuschüsse zur stationären Notfallversorgung auch auf die ambulante Notfallversorgung der betroffenen Krankenhäuser ausgewirkt?
- Inwieweit hat sich der Wegfall der Zuschüsse auf die Strukturqualität der ambulanten Notfallversorgung ausgewirkt?
Die Fragen 3 und 4 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Valide Daten über einen Kausalzusammenhang zwischen den Rahmenbedingungen der Finanzierung der stationären Notfallversorgung der Krankenhäuser und der ambulanten notdienstlichen Versorgung von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten liegen der Landesregierung nicht vor. Mit den Zielen, neben einem schnelleren Zugang zur medizinischen Versorgung auch die Inanspruchnahme der stationären Notfallversorgung zu verringern, haben sich die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Ärztekammern, die Krankenhausgesellschaft, die Apothekerkammern, die gesetzlichen Krankenkassen und das Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen bereits im Jahr 2019 in einer
gemeinsamen Erklärung geeinigt, das System der sogenannten Portalpraxen in Nordrhein-Westfalen einzuführen. Aktuell gibt es bereits 54 Portalpraxen in NRW, weitere sind in Planung.
- Gibt es konkrete Erkenntnisse, die auf positive Auswirkungen des neuen Stufenplans auf die Versorgung von Notfallpatienten hinweisen?
Konkrete Erkenntnisse zu den Auswirkungen der G-BA-Notfallstufen auf das Versorgungsgeschehen in Nordrhein-Westfalen liegen nicht vor. Zur Ausgangssituation kann festgehalten werden, dass die Analysen zur Notfallversorgung im Gutachten „Krankenhauslandschaft NRW“ für fast alle Regionen eine hohe Dichte an Versorgern gezeigt haben. Insgesamt folgt aus der hohen Versorgerdichte eine über fast alle Regionen gute bis sehr gute Erreichbarkeit. Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit lag Nordrhein-Westfalen 2018 hierbei direkt hinter den drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg an vorderster Stelle der Flächenländer.
Die Umsetzung des neuen Krankenhausplans für Nordrhein-Westfalen eröffnet die Möglichkeit, für eine gute Erreichbarkeit in allen Regionen zu sorgen und zugleich zu noch mehr Koordination und Abstimmung in der Versorgung und damit zu einer noch besseren Versorgungsqualität zu kommen. Im Rahmen der regionalen Umsetzung des Krankenhausplans wird auch die Frage der Notfallversorgung in jeder Region zu bewerten sein. Dabei sind auch die Auswirkungen der G-BA-Regelungen einzubeziehen. Unabhängig von diesen – entgeltrechtlichen – G-BA-Regelungen ist in Nordrhein-Westfalen aber auch weiterhin jedes Krankenhaus verpflichtet, entsprechend seiner krankenhausplanerisch festgelegten Aufgabenstellung alle, die seine Leistungen benötigen, nach Art und Schwere der Erkrankungen zu versorgen und dabei den Notfallpatientinnen und -patienten Vorrang zu gewähren (§ 2 Krankenhausgestaltungsgesetz NRW).