Kleine Anfrage 3846
des Abgeordneten Dr. Christian Blex AfD
Fachscharfer Lehrermangel
Seit einigen Jahren nun bewegt der eklatante Lehrermangel unser einstiges Bildungsland Nordrhein-Westfalen. Knapp 7.100 Stellen sind nach den aktuellen Presse- und Ministeriumsmeldungen unbesetzt.1 Die aktuelle schwarz-grüne Landesregierung äußert sich jedoch lediglich unkonkret über Maßnahmenpakete oder Lösungswegen, mehr Lehrer in den Beruf zu bringen, Studienanwärter anzuwerben, Teilzeitkräfte zu Vollzeitstellen zu motivieren oder gar existierende Lehrer durch gute Schulpolitik, sinnvolle Vergütung und attraktive Arbeitsverhältnisse im Beruf zu behalten. Stattdessen verschärft sich die Lage immer weiter, und die Frau Ministerin vertröstet stets mit dem „Handlungskonzept Unterrichtsversorgung“ und verweist auf stetige Evaluation und Verbesserung der Konzepte.2
Der Lehrkräftetrichter skizziert die Problemlage einer Mangelrückkopplung sowie der horrenden Mangelverwaltung sehr gut, jedoch gibt auch er wenig Auskunft über die fachspezifisch unterschiedlichen Mangelgründe. Dass beispielsweise eine andere Mangellage im MINT-Bereich als zum Beispiel in Deutsch und Geschichte vorliegt, muss genauer betrachtet werden, da unterschiedliche Probleme auch unterschiedliche Lösungsansätze benötigen. Des Weiteren kommen besonders in naturwissenschaftlichen Studiengängen, aber auch bei Berufsschullehrern wirtschaftliche Konkurrenzen vor, die eine andere Aufmerksamkeit in Sachen Lohn und Arbeitsplatzattraktivität erfordern. Im Allgemeinen liegen der Landesregierung wenige Zahlen zu Beweggründen oder Merkmalen von beispielsweise Studienabbrechern vor. Ein Antrag der AfD-Fraktion, welche die Landesregierung zu einer umfangreicheren Erhebung aufforderte, stieß leider auf Ablehnung.
Dagegen wäre es nicht hilfreich, die falschen Lehrkräfte anzuwerben, statt Maßnahmenpakete mit größerer Genauigkeit anzufertigen. Die größten Mangelfächer sollten auch die meiste Aufmerksamkeit erhalten. Hierfür sind mehr Details notwendig.
Unter diesen Gesichtspunkten frage ich die Landesregierung:
- Wie hoch ist der aktuelle fachscharfe Bedarf an Lehrkräften in nordrhein-westfälischen Schulen? (bitte aufschlüsseln nach Fächern, Schulformen und Bedarfszahlen)
- Wie viele Stellen sind derzeit nicht bedarfsgerecht gedeckt? (bitte aufschlüsseln nach Fächern und Schulformen)
- Welche Prognosen über den fachspezifischen Lehrermangel bis in das Jahr 2030 liegen der Landesregierung vor?(bitte gleichartige Aufschlüsselung wie in den vorherigen Fragen)
- Wie begründet die Landesregierung die unterschiedlichen Bedarfsabdeckungen zwischen den Fächern, unter besonderer Betrachtung des Vergleichs der MINT-Fakultäten mit den philosophischen Fakultäten?
- Was unternimmt die Landesregierung fachspezifisch, um den dortigen Lehrer- und Anwärtermangel zu beheben?
Dr. Christian Blex
1 https://www.ruhr24.de/nrw/schule-nrw-lehrer-mangel-schueler-experte-bittere-vbe-dorothee-feller-prognose-92757511.html
2 https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/lehrermangel-bleibt-bundesweit-ein-problem/#:~:text=Das%20Schuljahr%202023%2F24%20wird,168.000%20Stellen%20(Stand%3A% 201.
Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 3846 mit Schreiben vom 24. Juni 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet.
- Wie hoch ist der aktuelle fachscharfe Bedarf an Lehrkräften in nordrhein-westfälischen Schulen? (bitte aufschlüsseln nach Fächern, Schulformen und Bedarfszahlen)
In der Systematik des Haushalts werden Lehrerstellen weder für bestimmte Unterrichtsfächer im Haushalt veranschlagt noch den Bezirksregierungen zugewiesen. Das Ministerium für Schule und Bildung weist die mit dem Haushalt bereitgestellten Stellen den jeweiligen Bezirksregierungen zur Bewirtschaftung zu. Die Schulen erhalten von den Bezirksregierungen auf dieser Grundlage eine Personalausstattung zur Abdeckung des sich nach der Verordnung zur Ausführung des § 93 Absatz 2 Schulgesetz (SchulG) ergebenden und von den Bezirksregierungen anerkannten Lehrerstellenbe-darfs für ein Schuljahr.
Der von den Bezirksregierungen anerkannte gesamte Stellenbedarf, der aufgrund der o. g. Systematik nicht fächerspezifisch ausgewiesen wird, kann im Bildungsportal veröffentlichten Daten zur Unterrichtsversorgung
(Stand: 3. Juni 2024) entnommen werden: (https://www.schulministerium.nrw/daten-zur-unterrichtsversorgung).
- Wie viele Stellen sind derzeit nicht bedarfsgerecht gedeckt? (bitte aufschlüsseln nach Fächern und Schulformen)
Hinsichtlich des derzeit nicht durch eine Personalausstattung gedeckten gesamten Stellenbedarfs wird auf die Veröffentlichung im Bildungsportal
(Stand: 3. Juni 2024) verwiesen: (https://www.schulministerium.nrw/daten-zur-unter-richtsversorgung).
Eine Ausweisung nach Fächern kann nicht erfolgen (siehe hierzu auch die Antwort auf die Frage 1).
Erst auf der Ebene der rund 4.800 öffentlichen Schulen erfolgt je nach Bedarf eine fächerspezifische Ausschreibung der Stellen durch die Schule, d. h. die Schulen entscheiden selbstständig entsprechend ihrem Bedarf, für welche Fächer bzw. Fächerkombinationen sie ausschreiben möchten. Allerdings lässt sich mit der Zahl der veröffentlichten Ausschreibungen der fachspezifische Bedarf nicht valide ermitteln. Grund dafür ist, dass mit einer Stellenveröffentlichung mehrere Stellen ausgeschrieben werden können. Ebenso werden nicht besetzte Stellen immer wieder, oft mehrfach über einen längeren Zeitraum und mit wechselnden Fächerkombinationen, ausgeschrieben.
- Welche Prognosen über den fachspezifischen Lehrermangel bis in das Jahr 2030 liegen der Landesregierung vor? (bitte gleichartige Aufschlüsselung wie in den vorherigen Fragen)
Das Ministerium für Schule und Bildung hat im März 2023 die Lehrkräftebedarfsprog-nose „Vorausberechnungen zum Lehrkräftearbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen für Einstellungschancen für Lehrkräfte bis zum Schuljahr 2044/2045“ (veröffentlicht unter: https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/lehrkraeftebedarf-sprognose_maerz_2023.pdf) basierend auf den aktuellsten Daten und Erkenntnissen neu erstellt. Sie ist ein wichtiges Instrument, das angehenden Lehrkräften vor Beginn des Studiums die zukünftigen Beschäftigungsaussichten aufzeigen und der Bildungsadministration das erforderliche Steuerungswissen für bildungspolitische Entscheidungen zur Verfügung stellt.
Die genannte Veröffentlichung enthält neben umfangreichen Ausführungen zur Methodik für das Lehramt an Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen (Sekundarstufe I), das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen (Sekundarstufe II) und das Lehramt für Sonderpädagogische Förderung jeweils auch fächerspezifische Lehrkräftebe-darfsprognosen mit einem Prognosehorizont von zehn Jahren.
- Wie begründet die Landesregierung die unterschiedlichen Bedarfsabdeckungen zwischen den Fächern, unter besonderer Betrachtung des Vergleichs der MINT-Fakultäten mit den philosophischen Fakultäten?
Auf der Ebene von Fächern besteht spezifischer Lehrkräftebedarf vor allem im Bereich der MINT-Fächer. Das entspricht der Situation in anderen Bundesländern und vor allem auch der Situation auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, auf dem ein Fachkräftemangel besonders im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu verzeichnen ist.
Der spezifische Lehrkräftemangel im MINT-Bereich ist im Wesentlichen darin begründet, dass bezüglich der Studienabsolventinnen und -absolventen eine Konkurrenz zwischen der Schule und der „Wirtschaft“ vorherrscht. Die Landesregierung wirbt daher gezielt und intensiv für das Lehramtsstudium. Mit der Lehrkräftewerbekampagne werden adressatenspezifisch und offensiv Lehrkräfte für den Schuldienst angeworben. Da sich die Beschäftigungsaussichten in den einzelnen Lehrämtern und Schulformen deutlich unterscheiden, erfolgte dies in der Werbekampagne der vergangenen Jahre auch fächerspezifisch gezielt für den MINT-Bereich. Auch für die aktuell laufende Werbekampagne soll dieses Thema in den Fokus genommen werden.
An Ausbildungskapazitäten mangelt es nicht. Für ein Lehramtsstudium in MINT-Fä-chern stehen grundsätzlich landesweit hinreichende Studienplatzkapazitäten zur Verfügung; gleiches gilt für Ausbildungskapazitäten im Vorbereitungsdienst.
- Was unternimmt die Landesregierung fachspezifisch, um den dortigen Lehrer- und Anwärtermangel zu beheben?
Der Lehrkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen für die Schulen in Nordrhein-Westfalen. Allerdings ist die Lehrkräfteversorgung der Schulen auch eine bundesweite Herausforderung. Alle Bundesländer stehen hier vor vergleichbaren Problemen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es keinen generellen Mangel an Lehrerinnen und Lehrern gibt und sich der Mangel je nach Lehramtsbefähigung, Schulform und Region sehr unterschiedlich darstellt. Sowohl ländliche Regionen als auch Regionen mit besonderen sozialen Herausforderungen können betroffen sein. Es fehlen vor allem Lehrkräfte an Grundschulen, im Bereich der Sonderpädagogik, in der Sekundarstufe I sowie im MINT-Bereich der Sekundarstufe II, aber auch die berufliche Bildung ist in den gewerblich-technischen Fachrichtungen stark betroffen.
Das Handlungskonzept „Unterrichtsversorgung“ vom 14. Dezember 2022 war ein erster Schritt, um die Lehrkräfteversorgung der Schulen zu verbessern. Im Rahmen dieses Handlungskonzeptes wurden insbesondere im Bereich der Lehrkräfteausbildung neue innovative Wege entwickelt, um kurz- und mittelfristig gut ausgebildete Lehrkräfte für derzeit unterversorgte Schulformen und Regionen zu gewinnen. Das Konzept ist bereits in großen Teilen umgesetzt und zwischenevaluiert. Die Maßnahmen sowie Informationen zum Handlungskonzept sind auf der Internetseite des Ministeriums für Schule und Bildung hinterlegt. Ergebnisse der Zwischenevaluation belegen, dass die Maßnahmen ihre Wirkung an den Schulen zeigen; diese sind mit den Pressemitteilungen vom 16. Oktober 2023, vom 15. Dezember 2023 und vom 4. Juni 2024 auch öffentlich geworden. Diese Maßnahmen des Handlungskonzeptes gelten fort und werden auch weiterhin durch die Schulaufsichtsbehörden angewandt. Da die Behebung des Lehrkräftemangels ein fortwährender und dynamischer Prozess ist, wurden zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung bereits neben der weiteren Umsetzung und Evaluation des Handlungskonzeptes kontinuierlich neue Maßnahmen entwickelt und in der Fortschreibung des Handlungskonzeptes am 24. Mai 2024, auch mit Pressemitteilung desselben Tages, veröffentlicht.
Die Stärkung der MINT-Disziplinen entlang der gesamten Bildungskette bedarf systematischer und nachhaltiger Anstrengungen und kann als gesamtgesellschaftliche Aufgabe insbesondere durch die intensive Kooperation von Schule mit außerschulischen Partnern gelingen.
Vor diesem Hintergrund unterstützt das Land den Ausbau der Gemeinschaftsoffensive „Zukunft durch Innovation“ (zdi.NRW) mit vielen regionalen Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Schule zur Förderung des naturwissenschaftlich-technischen Nachwuchses, die auch einen wichtigen Beitrag zur vertieften Berufs- und Studienorientierung im MINT-Bereich leistet.
Im Rahmen von zdi.NRW besteht seit mehreren Jahren eine Kooperation mit dem MILeNa-Programm (MINT-Lehrkräfte-Nachwuchsförderung). Dieses wird vorrangig an der RWTH Aachen, der Universität Bonn sowie der Universität Duisburg-Essen umgesetzt. Interessierte Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe können im Rahmen des MILeNa-Projekts den MINT-Lehrberuf im Rahmen eines einjährigen Programms in Kooperation zwischen Schulen und den beteiligten Hochschulen kennenlernen und ausprobieren. Dabei werden MINT-Projekte mit jüngeren Schülerinnen und Schülern der eigenen Schule oder in kooperierenden Grundschulen durchgeführt. Interessierte Schülerinnen und Schüler der MILeNa-Schulen werden damit in der Phase der Berufsentscheidung längerfristig begleitet und erhalten praxisnahe Einblicke in das Berufsfeld einer MINT-Lehrkraft.
Im Rahmen des zdi-BSO-MINT-Programms zur vertieften Berufs- und Studienorientierung wurde ein eigenes Modul „MINT-Lehrkräfte-Nachwuchsgewinnung unter Einbezug weiterer MINT-Berufsfelder“ ein-gerichtet. Dieses Modul beinhaltet ebenfalls langlaufende Maßnahmen, in denen ähnlich wie in MILeNa entsprechende eigene Kursformate entwickelt werden, um interessierte Schülerinnen und Schüler der beteiligten Schulen praxisnah an diese Thematik heranzuführen. Ein weiterer positiver Effekt ist die Begeisterung jüngerer Schülerinnen und Schüler an den beteiligten Schulen (durch die gemeinsamen praktischen Unterrichtseinheiten) sowohl für die MINT-Fächer als auch für die Teilnahme an solchen Kursen in höheren Jahrgangsstufen.
Auch auf Grundlage der Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Stärkung des Lehramtsstudiums in Mangelfächern haben die Länder seit Jahren vielfältige Anstrengungen zur Lehrkräftegewinnung unternommen.
Das Land unterstützt Studierende und Studieninteressierte durch umfangreiche Beratungsangebote. In diesem Zusammenhang können MINT-Studierende für das Lehramt auf Studienfachberatungen, Online-Angebote sowie Orientierungsberatungen zurückgreifen.
Darüber hinaus bieten fünf Universitäten in Nordrhein-Westfalen bereits seit 2017 die Möglichkeit an, im Rahmen eines sog. dualen Masterstudiengangs für ausgewählte technische Fachrichtungen lehramtsbezogen zu studieren.
Letztlich sind die verschiedenen Maßnahmen zur Gewinnung von Seiteneinsteigerin-nen und Seiteneinsteigern ein adäquates Mittel zur Deckung von Bedarfen, da sie fachspezifisch – wie auch z.B. ortsspezifisch – auf ganz konkrete Bedarfe reagieren können und so einen wichtigen Beitrag zur Unterrichtsversorgung gerade in MINT-Fächern leisten. Die Formate des Seiteneinstiegs ermöglichen mittler-weile z.B. auch die Aufnahme von Masterabsolventinnen und -absolventen der Hochschulen für angewandte Wissenschaften in einen berufsbegleitenden Vorbereitungsdienst – gerade auch mit technischen Fachrichtungen.