Flutkatastrophe wurde durch die Klimaschutzpolitik verursacht! Welche Fehler hat die Landesregierung gemacht?

Kleine Anfrage
vom 16.08.2021

Kleine Anfrage 5919des Abgeordneten Dr. Christian Blex vom 16.08.2021

 

Flutkatastrophe wurde durch die Klimaschutzpolitik verursacht! Welche Fehler hat die Landesregierung gemacht?

In dem Online-Artikel des WDR „Volle Talsperren vor Unwetter: Ministerium will Konsequenzen ziehen“ wird unmissverständlich deutlich, dass die Talsperren keinen Puffer für den angekündigten Starkregen geschaffen haben.1 Überall fanden sich volle Talsperren mit einem Füllstand zwischen 95 (Bevertalsperre) und 100 Prozent (Neyetalsperre und Schwevelinger-Talsperre).

Talsperren werden in einem Tal als Absperrbauwerke errichtet, um einen Fluß zu einem See aufzustauen. Die Wasserverbände streben volle Talsperren an, um genügend Wasser für niederschlagsarme Zeiten vorzuhalten und/oder um die Wasserkraft für die sog. Energiewende zu nutzen. Diese Nutzungszwecke stehen in direktem Konflikt mit den Ansprüchen des Hochwasserschutzes.

Aus dem WDR-Artikel ist ebenfalls zu entnehmen, dass es im Vorfeld mit den Wasserverbänden eine Diskussion über Füllstände gegeben hat, welche jedoch offensichtlich nicht eine mögliche „Überfüllung“ der Talsperren im Blick hatte. So wird der Abteilungsleiter für Wasserwirtschaft im NRW-Umweltministerium vom WDR mit den Worten zitiert:

„Wir haben mit den Wasserverbänden intensive Diskussionen bis in die letzte Zeit gehabt, wie viel Vorhaltung von Wasser mit Blick auf Trockenzeiten [sic] notwendig und sinnvoll ist.“

Diese Darstellung hinterlässt den Eindruck, dass die Landesregierung noch weitere Impulse für besonders große Füllmengen gegeben hat.

Vor diesem Hintergrund frage ich Frau Ministerin Heinen-Esser:

  1. Wie groß ist der geschätzte Schaden der Flutkatastrophe aktuell? (Bitte für Kreise und kreisfreie Städte einzeln angeben bezüglich Opfern, Totalverlusten an privaten und öffentlichen Gebäuden bzw. der Infrastruktur, sonstigen finanziellen Verlusten und geschätzten Folgekosten für Entschädigungen, Wiederaufbau, Infrastrukturerneuerung etc.)
  2. Welche Talsperren liegen oberhalb der betroffenen Kreise und kreisfreien Städte?
  3. In welchem Umfang betreiben die besagten Talsperren (Frage 2) die Nutzung der Wasserkraft zur Energieerzeugung?
  4. Was waren die angestrebten Ziele der Abteilung für Wasserwirtschaft des NRW-Umweltministeriums bei den Gesprächen mit den Wasserverbänden bezüglich der angestrebten Füllhöhe zum Schutz in Trockenzeiten? (Bitte Vertreter, Datum und Inhalt des Gesprächs angeben)
  5. Wie steht es generell um den Bauzustand aller Talsperren in NRW? (Bitte Erneuerungs-und Sanierungsbedarfe mit Zeitraum angeben)

Dr. Christian Blex

 

Anfrage als PDF

 

1 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/unwetter-hochwasser-flut-talsperren-nrw-100.html


Die Ministerin für Umwelt Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 5919 mit Schreiben vom 22. September 2021 namens der Landesregierung im Ein­vernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet.

  1. Wie groß ist der geschätzte Schaden der Flutkatastrophe aktuell? (Bitte für Kreise und kreisfreie Städte einzeln angeben bezüglich Opfern, Totalverlusten an priva­ten und öffentlichen Gebäuden bzw. der Infrastruktur, sonstigen finanziellen Ver­lusten und geschätzten Folgekosten für Entschädigungen, Wiederaufbau, Infra-strukturerneuerung etc.)

Von dem Starkregen und dem Hochwasser im Juli 2021 waren rund 180 Kommunen und damit nahezu die Hälfte der 427 kommunalen Gebietskörperschaften in Nordrhein-Westfalen – 396 Städte und Gemeinden und 31 Kreise – betroffen. Nach einer vorläufigen zum 4. August 2021 vorgenommenen Schadenserhebung über die kommunale Ebene gibt es sechs schwerst-betroffene Kreise und kreisfreie Städte. Hierzu gehören: Der Kreis Euskirchen, die Städtere­gion Aachen, der Rhein-Erft-Kreis, der Rhein-Sieg-Kreis, der Märkische Kreis sowie die kreis­freie Stadt Hagen. Nach derzeitiger Schätzung belaufen sich die Schäden in Nordrhein-West­falen insgesamt auf rund 13 Milliarden Euro.

  1. Welche Talsperren liegen oberhalb der betroffenen Kreise und kreisfreien Städte?
  2. In welchem Umfang betreiben die besagten Talsperren (Frage 2) die Nutzung der Wasserkraft zur Energieerzeugung?

Die Fragen 2 und 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet:

Regierungsbezirk Köln: Im Regierungsbezirk Köln liegen oberhalb der betroffenen Kreise und kreisfreien Städte folgende Talsperren, für die, sofern sie auch zur Energieerzeugung ge­nutzt werden, die jährliche Arbeitsleistung angegeben ist:

Kreis/kreisfreie Stadt Talsperre Jährliche Arbeits­leistung [GWh]
Städteregion Aachen Dreilägerbachtalsperre
Städteregion Aachen Wehebachtalsperre 0,358
Städteregion Aachen Perlenbachtalsperre 0,87
Kreis Euskirchen Steinbachtalsperre
Kreis Euskirchen Madbachtalsperre
Kreis Düren und Heinsberg Oleftalsperre 3,0
Kreis Düren und Heinsberg Urfttalsperre 25,0
Kreis Düren und Heinsberg Rurtalsperre 21,0
Kreis Düren und Heinsberg Staubecken Heimbach 4,5
Kreis Düren und Heinsberg Staubecken Obermaubach 3,0
Kreis Düren und Heinsberg Kalltalsperre 0,7
Rheinischer Bergischer Kreis Diepentalsperre

 

Regierungsbezirk Düsseldorf: Im Regierungsbezirk Düsseldorf liegen folgende fünf Talsper­ren oberhalb von Teilen der kreisfreien Städte Wuppertal, Remscheid und Solingen vor:

  • Herbringhauser Talsperre
  • Sengbachtalsperre
  • Eschbachtalsperre
  • Panzertalsperre
  • Ronsdorfer Talsperre

Von diesen fünf Talsperren sind zwei ergänzend zur eigentlichen Zweckbestimmung mit Was­serkraftanlagen ausgestattet. Die Wasserkraftnutzung spielt bei beiden Talsperren nur eine untergeordnete Rolle. Zur Einschätzung sind die bisherigen maximalen Jahresleistungen in Gigawattstunde (GWh) der Wasserkraftanlagen angegeben:

  • Sengbachtalsperre: 0,065 GWh
  • Eschbachtalsperre: 0,113 GWh

Regierungsbezirk Arnsberg:

Im Regierungsbezirk Arnsberg liegen oberhalb der betroffenen Kreise und kreisfreien Städte folgende Talsperren, für die, sofern sie auch zur Energieerzeugung genutzt werden, die jähr­liche Arbeitsleistung angegeben ist.

Talsperre Wasserkraftnutzung (mittlere Jah-resarbeit GWh/a)
Stausee Ahausen 3,0
Biggetalsperre 23,0
Callerbachtalsperre
Ennepetalsperre 1,4
Fuelbecketalsperre
Fürwiggetalsperre 0,066
Glörtalsperre
Haspertalsperre
Heilenbecketalsperre
Hennetalsperre 5,8
Jubachtalsperre
Möhnetalsperre 12,9
Oestertalsperre
Sorpetalsperre 11,5
Versetalsperre 1,0

 

  1. Was waren die angestrebten Ziele der Abteilung für Wasserwirtschaft des NRW-Umweltministeriums bei den Gesprächen mit den Wasserverbänden bezüglich der angestrebten Füllhöhe zum Schutz in Trockenzeiten? (Bitte Vertreter, Datum und Inhalt des Gesprächs angeben)

Als oberste Wasserbehörde des Landes steht das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MULNV) in einem regelmäßigen Austausch mit den sonderge­setzlichen und anderen großen Wasserverbänden, die u.a. auch Betreiber von Talsperren sein können. Im Rahmen eines solchen Austausches werden oft verschiedene Aspekte angespro­chen, darunter auch aktuelle Befunde hinsichtlich des Füllstands der Talsperren im Vergleich zu den vorhergehenden Dürrejahren. Das MULNV verfolgt dabei das Ziel, die verschiedenen Zweckbindungen der Talsperren, die im Landeswassergesetz festgeschriebene Sicherung der Trinkwasserversorgung sowie die für die Gewässerbiologie erforderlichen Rahmenbedingun­gen überein zu bringen.

Intensivere Diskussionen zum Füllstand der Talsperren gab es bereits lange im Vorfeld der Hochwasserkatastrophe mit dem Ruhrverband. Unter dem Eindruck der außergewöhnlich tro­ckenen Jahren 2018-2020 wurden zuletzt zahlreiche Arbeitsgespräche über eine Anpassung des Ruhrverbandsgesetzes (RuhrVG) geführt, mit denen bereits im Jahr 2020 begonnen wurde. Das RuhrVG vom 07.02.1990 legt unter anderem die Grenzwerte für die Mindestwas-serführung an der Ruhr an ausgewählten Stellen (an den Pegeln Villigst und Hattingen) fest.

Damit wird sichergestellt, dass die Ruhr überall, auch im Unterlauf, ausreichend Wasser führt. Um diese Mindestwasserführung an den genannten Pegeln, vor allem während der Sommer­monate, sicherstellen zu können, muss zeitweise Wasser aus den Talsperren des Ruhrver­bandes hinzugegeben werden. Aufgrund der außergewöhnlichen Trockenheit in den Jahren 2018 bis 2020 war es zur Schonung des Wasservorrats in den Talsperren und damit zur Si­cherung der Trinkwasserversorgung notwendig, die Vorgaben für die Mindestwasserführung der Ruhr unterhalb der Talsperren zu reduzieren. Dies ist zurzeit nur im Wege zeitlich befris­teter Genehmigungen möglich. Daher ist zwischen MULNV und Ruhrverband besprochen wor­den, die gesetzlichen Vorgaben im Ruhrverbandsgesetz unter Berücksichtigung der zukünftig zu erwartenden veränderten klimatologischen und hydrologischen Verhältnisse zu überprüfen. Dieser Prüfprozess dauert zurzeit noch an.

  1. Wie steht es generell um den Bauzustand aller Talsperren in NRW? (Bitte Erneuerungs- und Sanierungsbedarfe mit Zeitraum angeben)

Aufgrund des außerordentlichen Gefährdungs- und Schadenspotenzials ist die Sicherheit von Talsperren von sehr großer Bedeutung. Stauanlagen bzw. Talsperren müssen nach den all­gemein anerkannten Regeln der Technik errichtet, betrieben und unterhalten werden (vgl. § 36 Absatz 2 Satz 1 Wasserhaushaltsgesetz [WHG], § 76 Absatz 1 Satz 1 Landeswassergesetz NRW [LWG NRW]). In angemessenen Zeitabständen, etwa alle 10 Jahre (Merkblatt 231 des Deutschen Verbandes für Wasserwirtschaft und Kulturbau e.V. (DVWK-Merkblatt 231)), müs­sen Talsperren einer vertieften Prüfung unterzogen werden (DIN 19700). Die vertiefte Über­prüfung umfasst die Nachweise hinsichtlich der Hydrologie, der Hydraulik, der Geotechnik, des Massivbaus, des Stahlwasserbaus und des Betriebs der jeweiligen Anlage.

Detaillierte Informationen zum Stand der vertieften Überprüfungen nach DIN 19700 können aus der Antwort zur Frage 1 der Kleinen Anfrage 5299 sowie in der zugehörigen Vorbemer­kung, Drucksache 17/13753, entnommen werden.

Im Rahmen der fortlaufenden Eigenüberwachung ist es Aufgabe des Anlagenbetreibers, die Talsperren so zu unterhalten, dass die baulichen und betrieblichen Anlagen zu jeder Zeit be­triebsbereit sind. Die Dokumentation dieser Arbeiten erfolgt in den sogenannten Sicherheits­berichten (§ 76 Abs. 3 Landeswassergesetz NRW), die der zuständigen Bezirksregierung zur Prüfung vorgelegt werden.

Darüber hinaus werden die Talsperren durch die Bezirksregierungen innerhalb von Talsper-renschauen in Augenschein genommen und die Betriebssicherheit stichprobenartig überprüft. Die Standsicherheit aller Talsperren in NRW ist gegeben.

 

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Beteiligte:
Christian Blex