Folgen der Impfpflicht im Gesundheitswesen – wie bereitet sich die Landesregierung auf den Personalmangel vor?

Kleine Anfrage
vom 27.01.2022

Kleine Anfrage 6360des Abgeordneten Dr. Martin Vincentz vom 27.01.2022

 

Folgen der Impfpflicht im Gesundheitswesen wie bereitet sich die Landesregierung auf den Personalmangel vor?

Die am 15. März in Kraft tretende Impfpflicht im Gesundheitswesen wird das Land Nordrhein-Westfalen vor große Herausforderungen stellen. In den sogenannten Care-Berufen wird mit einer beachtlichen Kündigungswelle nicht geimpfter Pflegekräfte zu rechnen sein, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem der Berufsstand bereits hohen Belastungen durch die Pandemie und durch den seit Jahren fortschreitenden Fachkräftemangel ausgesetzt ist.

Einen Einblick in die bevorstehende Potenzierung des Pflegenotstands liefert unter anderem das Robert Koch-Institut in einem Bericht vom Dezember vergangenen Jahres. Dort wurde erfasst, dass von den etwa 700.000 Pflegekräften in Deutschland (darunter Alten- und Krankenpfleger sowie Mitarbeiter in psychiatrischen- und Behinderteneinrichtungen) 81 Prozent geimpft seien. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass es bei den besagten Gruppen Zehntausende gibt, die ungeimpft sind und nach derzeitigem Stand ihren Beruf nicht mehr ausüben werden dürfen.

Wie sich die Situation in NRW darstellen wird, lässt sich derzeit, auch auf Grund der weiterhin bestehenden Impfangebote, nicht mit Gewissheit sagen; das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales geht jedoch momentan von sechs Prozent ungeimpften Pflegekräften in unserem Bundesland aus.

Eine Umfrage der Aachener Nachrichten unter Betreibern von Pflegeanstalten lässt erkennen, dass die Sorge vor dem bevorstehenden Personalschwund beträchtlich ist. Dieser ist insbesondere für diejenigen Pflegebedürftigen verheerend, die ambulante Pflege in Anspruch nehmen müssen, da sich in diesem Bereich ausfallende Schichten wesentlich schlechter kompensieren lassen, als es beispielsweise in Pflegeheimen möglich ist.

Betreiber von Pflegeheimen und Experten sehen deshalb der Corona-Impfpflicht für Mitarbeiter im Pflege- und Gesundheitswesen mit äußerster Sorge entgegen. Diese geben ebenfalls zu bedenken, dass das Infektionsgeschehen und die Verbreitung der Omikron-Variante unberechenbare Faktoren für den Pflegenotstand bilden. Je nach Inzidenzwerten könnten durch die Quarantänemaßnahmen zusätzlich weitere Tausende Pflegekräfte ausfallen.

Die Landesregierung muss unter Berücksichtigung sämtlicher Faktoren auf eine potenzielle Verschärfung des Pflegenotstands vorbereitet sein.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie viele der sechs Prozent ungeimpfter Pflegekräfte arbeiten in der ambulanten Pflege? (Bitte auflisten in Prozent und absoluten Zahlen)
  2. Inwieweit erfasst die Landesregierung, ob Kündigungen im Pflegesektor aufgrund der kommenden Impfpflicht bei den jeweiligen Arbeitgebern eingereicht werden?
  3. Mit wie vielen Kündigungen im Pflegesektor rechnet die Landesregierung bis zum 16. März 2022? (Bitte jeweils für Stellen in der ambulanten sowie in der stationären Pflege auflisten)
  4. Wie gedenkt die Landesregierung, möglicherweise wegfallende Stellen im Pflegesektor, insbesondere vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels, zu kompensieren?
  5. Wie gedenkt die Landesregierung, wegfallende Arbeitsschichten des Personals im Pflegesektor, die auf Grund aktueller und möglicher neuer Quarantäneregelungen entstehen, zu kompensieren?

Dr. Martin Vincentz

 

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Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 6360 mit Schreiben vom 22. Februar 2022 namens der Landesregierung beantwortet.

1. Wie viele der sechs Prozent ungeimpfter Pflegekräfte arbeiten in der ambu­lanten Pflege? (Bitte auflisten in Prozent und absoluten Zahlen)

Zur Darlegung von Impfquoten im Gesundheits- und Pflegebereich wird auch auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage 6334 (Drucksache 17/16363) verwiesen.

Zunächst ist anzumerken, dass seit der Einführung des Meldesystems am 13. Januar 2022 77 % der ambulanten Pflegedienste eine Meldung abgegeben haben*. Für die 3.213

ambulanten Dienste, die bereits eine Meldung zur Impfquote abgegeben haben, beträgt die Quote der ungeimpften pflegenden oder betreuenden Beschäftigten 5,95 %. Das be­deutet, dass von 86.407 pflegenden oder betreuenden Beschäftigten 5.146 nicht immu­nisiert sind.

*Stand: 14.02.2022

2. Inwieweit erfasst die Landesregierung, ob Kündigungen im Pflegesektor auf­grund der kommenden Impfpflicht bei den jeweiligen Arbeitgebern eingereicht werden?

3. Mit wie vielen Kündigungen im Pflegesektor rechnet die Landesregierung bis zum 16. März 2022? (Bitte jeweils für Stellen in der ambulanten sowie in der stationären Pflege auflisten)

Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Laut Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) gibt es grundsätzlich keinen Automatismus, dass jemand ohne Impf- oder Genesenennachweis ab dem 16. März 2022 nicht mehr tätig sein darf. Die Impfpflicht nach § 20a IfSG verpflichtet die Pflegeeinrichtun­gen und Unternehmen vorerst unverzüglich, nach Ablauf des 15. März 2022 der zuständi­gen Behörde zu melden, welche der bei ihnen tätigen Personen die erforderlichen Nach­weise (Impf- oder Genesenennachweis oder Impfunfähigkeitsbescheinigung) nicht vorge­legt haben.

Das Gesundheitsamt kann daraufhin ein Tätigkeits- oder Betretungsverbot aussprechen. Hierbei hat das Gesundheitsamt bestimmte Ermessensspielräume, deren Umfang aktuell auf Bund-Länderebene diskutiert und konkretisiert werden sollen.

Auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes sind die Arbeitgeber somit nicht per se ver­pflichtet, sofortige Kündigungen auszusprechen.

Die Frage nach der konkreten Vorgehensweise bei nicht-erfolgender bzw. nicht-zeitnaher Reaktion des Gesundheitsamtes auf eine Meldung der Einrichtung ist letztlich eine arbeits­rechtliche Fragestellung im Einzelfall. Seitens der Landesregierung kann kein spezifisches arbeits- bzw. dienstrechtliches Vorgehen empfohlen werden. Zu erwarteten Kündigungen lässt sich deswegen derzeit keine Aussage treffen.

4. Wie gedenkt die Landesregierung, möglicherweise wegfallende Stellen im Pfle­gesektor, insbesondere vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels, zu kompensieren?

5. Wie gedenkt die Landesregierung, wegfallende Arbeits-schichten des Perso­nals im Pflegesektor, die auf Grund aktueller und möglicher neuer Quarantä­neregelungen entstehen, zu kompensieren?

Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet:
Das Vorgehen bei Personalengpässen in Pflegeeinrichtungen ist generell wie folgt geregelt:

Langzeitpflege ist zunächst Selbstverwaltungsgeschehen. Tun und Unterlassen stehen in der Verantwortung der Einrichtungen (§ 21 Abs. 3 S. 1 WTG). Die Leistungsanbieter und die Einrichtungsleitung haben sicherzustellen, dass die Gesamtzahl der Beschäftigten und ihre Qualifikation ausreichen, um den Pflege- beziehungsweise Betreuungsbedarf zu erfül­len.

Nach § 150 Absatz 1 SGB XI ist im Fall einer wesentlichen Beeinträchtigung der Leistungs-erbringung infolge des Coronavirus der Träger einer zugelassenen Pflegeeinrichtung ver­pflichtet, diese umgehend den Pflegekassen gegenüber anzuzeigen. In Abstimmung mit den WTG-Behörden (Heimaufsichten), haben die Pflegekassen zusammen mit der Pflege­einrichtung zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung die erforderlichen Maßnahmen und Anpassungen vorzunehmen, wobei auch von der vereinbarten Personalausstattung einschließlich deren gesetzlichen Bestimmungen nach dem SGB XI abgewichen werden kann. Dabei sind zum flexiblen Einsatz des Personals in anderen Versorgungsbereichen alle bestehenden Instrumente und Mittel einschließlich des Vertragsrechts zu nutzen, bei denen zulassungsrechtliche Voraussetzungen zweckgerichtet und unbürokratisch ange­wandt werden können.

Im Hinblick auf Personalengpässe durch Quarantäneregelungen wurde in der Corona-Test-und-Quarantäneverordnung nach § 17 Absatz 3 unter den dort genannten Voraussetzun­gen die Möglichkeit geschaffen, durch das Gesundheitsamt auch sog. „Arbeitsquarantänen“ in der Pflege anzuordnen.

 

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