Antragder AfD-Fraktion vom 10.12.2019
Forschungskompetenz in den Bereichen Kerntechnologie und Kernsicherheitsforschung muss in Nordrhein-Westfalen erhalten bleiben
I. Ausgangslage
Am 26. Januar 2019 veröffentlichte die vom Bundeskabinett eingesetzte Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (WSB)“, auch Kohlekommission genannt, ihre Empfehlung, dass der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis Ende 2038 erfolgen sollte. Das Ziel ist die Erfüllung des Übereinkommens von Paris aus dem Jahre 2015 zum Klimaschutz und die Begrenzung der Klimaerwärmung infolge des Klimawandels auf 1,5 Grad.1
Ende August 2019 hat das Bundeswirtschaftsministerium auf der Grundlage der Empfehlungen der „Kohlekommission“ einen ersten Gesetzentwurf („Entwurf eines Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen“) veröffentlicht, der die Grundlage für die praktische Umsetzung des Ausstiegs aus der Kohleverstromung bilden soll.2
Betroffen von dieser Maßnahme sind 37 auf Kohle als Brennstoff basierende Kraftwerksblöcke an 15 Standorten in NRW.3 Die Arbeitsplätze von mehr als 10.000 Menschen sind direkt betroffen.
Die „Internationale Energie Agentur“ (IEA) geht in ihren Berechnungen im „Current Policies Scenario“ davon aus, dass bis zum Jahre 2040 der Weltprimärenergieverbrauch um mehr als ein Drittel zunehmen wird.4 Dieser Mehrverbrauch gegenüber heute wird vor allem von den asiatischen Staaten, etwa Indien und China, sowie von bisherigen Entwicklungs- und Schwellenländern verursacht, während der Primärenergiebedarf der nördlichen Industriestaaten weitgehend unverändert bleiben oder leicht zurückgehen wird. Abgeleitet aus diesem Szenario der IEA würde der CO2-Ausstoß bis zum Jahre 2040 beim Primärenergieverbrauch um 30 Prozent auf 42,5 Gigatonnen weltweit ansteigen. In diesem Szenario würde, nach vollständigem Ausstieg aus der Kohleverstromung im Jahre 2038, der Anteil Deutschlands am anthropogenen CO2– Eintrag jedoch nur geringfügig sinken.
Als Kompensation für die staatlich verordnete Vernichtung von Tausenden von Arbeitsplätzen bei der Abwicklung des Tagebaus und der Kraftwerksbetriebe schlägt die Kommission WSB vor, finanzielle Mittel i.H.v. 40 Milliarden Euro für die betroffenen Regionen zur Verfügung zu stellen. Das Handelsblatt schrieb dazu am 27. Januar 2019: „Der Ausstieg aus der Kohle wird für Unternehmen und Steuerzahler teuer“.5
Ungeachtet der klima- und energiepolitischen Sinnhaftigkeit der Abkehr Deutschlands sowohl von der fossilen Energieerzeugung als auch von der Kernenergie steht fest, dass spätestens ab dem Jahre 2038 die Energieerzeugung Deutschlands großteils von schwer zu kontrollierenden Faktoren abhängig sein wird. Diese bestehen aus dem Import von Öl und Gas aus Drittländern mit teils unsicherer politischer Lage, aus der Solareinstrahlung sowie aus windverursachenden Wetterlagen.
Unter Berücksichtigung aller technischen Fortschritte bei der Energiespeicherung mittels Power-to-X Technologien (z.B. Power-to-Gas, Power-To-Heat, Power-to-Liquid) ist noch nicht ersichtlich, ob die Stromerzeugung aus sogenannten erneuerbaren Energien bei gleichzeitig wettbewerbsfähigen Kosten und einem akzeptablen Flächenverbrauch in absehbarer Zeit überhaupt grundlastfähig sein wird.
Selbst bei einem Leistungsanstieg der Windkraftanlagen auf drei bis fünf MW kann bei der zur Verfügung stehenden Fläche und selbst bei einer angenommenen Steigerung des Wirkungsgrads auf mehr als 70 Prozent bei einer Power-to-Gas Speicherung6 nicht die benötigte Grundlast von 30 bis 40 GW geliefert werden. Da die Landesregierung den Mindestabstand der Windkraftanlagen (WKA) von der Wohnbebauung auf 1500m erhöht hat, reduziert sich die grundsätzlich nutzbare Fläche für WKA massiv.
Statt den offiziell propagierten und angestrebten Gleichklang von Klimaschutz, Versorgungssicherheit und preiswerter Energie voranzubringen, verheddern sich Bundes- und Landesregierung in den Fallstricken sich widersprechender Zielvorgaben.
Nach dem Beschluss zur Stilllegung der Kohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen riskiert die Landesregierung, dass es trotz vermeintlicher „Lösungen“ wie etwa Smart-Energy mit Sektorenkopplung, Smartgrids und Smart Metering zu nicht zu lösenden Problemen bei der Energiespeicherung und beim Energietransport sowie zu Verlusten in den Industrien in NRW kommen wird. Denn diese sind auf preiswerte und äußerst zuverlässig gelieferte Energie angewiesen.
Eine Lösung dieses Widerspruchs läge darin, sich wieder zum Einsatz von Kernenergie zu bekennen. Ein solches Umdenken scheint allerdings zur Zeit noch utopisch.
Gegenwärtig wird hierzulande der Einsatz der Kernenergie zur Stromgewinnung mehrheitlich kritisch gesehen. Dass allerdings Stimmungen sich in die eine oder andere Richtung wandeln können, beweisen etwa die Aussagen von Kanzlerin Angela Merkel beim 97. Katholikentag 2008, als sie noch sagte, sie halte es für „nicht sinnvoll“, dass ausgerechnet das Land mit den sichersten Atomkraftwerken die friedliche Nutzung der Atomenergie einstelle. Auch den Protest gegen den Neubau von Kohlekraftwerken hielt die Bundeskanzlerin für kontraproduktiv.7 Und noch im März 2011, schon unter dem Eindruck des Reaktorunglücks in Fukushima, bewertete sie die deutsche Kernkraftwerktechnologie als eine der sichersten der Welt.8 Drei Monate später haben CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne gemeinsam für den schnellen Atomausstieg bis zum Jahre 2022 gestimmt.
Mit Wegfall der stabilisierenden und grundlastfähigen Kohle- und Kernkraftwerke bei gleichzeitiger Mehreinspeisung durch die extrem volatilen sogenannten erneuerbaren Energien werden Blackouts immer wahrscheinlicher. Das Büro für Technikfolgenabschätzung im Bundestag (TAB) hat dazu im Jahre 2010 eine umfangreiche Studie veröffentlicht, in der die Auswirkungen eines solchen umfänglichen Blackouts detailliert beschrieben werden.9 Dass solche Blackouts dann nicht nur auf Deutschland begrenzt bleiben könnten, sondern auch für die mit dem deutschen Stromnetz gekoppelten Nachbarländer wahrscheinlicher werden, zeigen Berichte aus der Schweiz10.
Bereits im Mai und im Juni 2019 gab es deshalb Forderungen aus Wirtschaft und Politik, die Laufzeit von Kernkraftwerken über das Jahr 2022 hinaus zu verlängern. Diese Forderungen wurden allerdings von Seiten der Betreiber der Kernkraftwerke, Eon und RWE, einhellig abgelehnt.11
Jedoch in vielen anderen Ländern weltweit erlebt die Kernkraftwerkstechnik eine Renaissance. Laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) werden zur Zeit 52 Kernkraftwerke weltweit gebaut,12 außerdem sind weitere 110 Atomreaktoren in 18 Ländern in Planung13.
Die Kernkraftwerkstechnik der ersten und zweiten Generation (hauptsächlich Druck- und Siedewasserreaktoren) ist zwar weltweit am weitesten verbreitet, gilt aber bereits von den Erkenntnissen aktueller Forschung zu Kernkraftwerkstypen der Generation III+ und der Generation IV hinsichtlich der inhärenten Sicherheit und der Effizienz bei der Verwertung von Brennelementen als überholt.
Weltweit werden neue Formen zur Gewinnung von Kernenergie erforscht, erprobt und getestet. Beispielhaft wird hier auf die Forschung zum sogenannten Dual-Fluid-Reaktor (DFR) verwiesen, der schon im Jahre 2012 für das Institut für Festkörper-Kernphysik (IFK) als eine Variation des Kernreaktorkonzepts der Generation IV, dem „Molten-Salt-Reaktor (MSR), patentiert wurde. Dieses Kernreaktor-Konzept wird nicht nur in China und Russland, sondern auch in seiner Abwandlung als Molten Salt Fast Reactor (MSFR)“ von der europäischen „Sustainable Nuclear Energy Technology Platform“ (SNETP) erforscht14.
Weiterhin wird an sogenannten „Kleinen Modularen Kernreaktoren“ (SMR) geforscht. Neben der relativ preiswerten industriellen Fertigung gelten sie auch vom Design her als inhärent sicher.15 Auch hier gab es schon erste Zulassungen für Tests, u. a. in Kanada.16 Weiterhin ist der Brennstoff Uran gerade durch neu entwickelte Verfahren zur Urangewinnung aus Meerwasser17 um ein Vielfaches mehr verfügbar als bisherige optimistische Berechnungen ergaben.
Nordrhein-Westfalens Expertise auf dem Gebiet der Kernenergieforschung wurde und wird vor allem durch seine Forschungsstandorte wie beispielsweise Jülich (FZJ GmbH), Aachen (RWTH Aachen) und Köln (GRS gGmbH) weltweit geschätzt und war bis Anfang der 1990er Jahre mit seinen damaligen Anlagen in Jülich, Hamm und Kalkar auf dem besten Wege, zu einem weltweit führenden Forschungsstandort auf dem Gebiet der Kernenergie und neuer Reaktorkonzepte zu werden. Schon im Jahre 2006, also lange nach dem im Jahre 2000 beschlossenen ersten Atomausstieg, hat der damalige Innovationsminister Prof. Dr. Andreas Pinkwart sich vehement für einen Verbleib dieser Kompetenz in NRW ausgesprochen18, zumal bis Anfang der 1990er Jahre in Kalkar und Hamm auch an Vorläufern der jetzt als vierte Generation bekannten Kernkraftwerkstypen (Schneller Brüter Reaktor in Kalkar, Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktor in Hamm-Uentrop) geforscht wurde.
In Deutschland wird diese Forschung an neuen Reaktorkonzepten großteils weiterhin kritisch betrachtet, erlebt jedoch weltweit einen Aufschwung. Durch den eiligen Ausstieg aus der Kernenergie droht jedoch die Gefahr, dass dieses Fachwissen zur Forschung neuer Reaktorkonzepte spätestens im Jahre 2022 endgültig in andere Länder abwandern wird, zumal die Bundesregierung keine Forschung zur Entwicklung neuer Reaktorkonzepte mehr unterstützt19 20.
Die AfD-Fraktion fordert, dass Minister Prof. Dr. Andreas Pinkwart sein Engagement aus dem Jahre 2006 aufgreift und sich dafür einsetzt, die vom Land, vom Bund und von der EU förderbaren Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Kernenergie in Nordrhein-Westfalen auszubauen sowie die Erforschung neuer Reaktorkonzepte zu unterstützen. Das Fachwissen und die Forschungskapazitäten für eine sichere und produktive Energiegewinnung in Deutschland und seinen Nachbarländern sollen am Standort NRW erhalten bleiben.
II. Der Landtag stellt fest:
1. Eine moderne Industriegesellschaft benötigt weiterhin preiswerte und sichere Energie.
2. Die weiterhin weltweit stattfindende Forschung auf dem Gebiet der Kernenergie bildet angesichts des steigenden globalen Energiebedarfs für diese Versorgung eine essentielle Grundlage.
3. Kernenergie ist für den Standort NRW nicht nur als Importstrom wesentlich für die Aufrechterhaltung der heimischen Industrie.
4. Die Erforschung und Entwicklung von inhärent sicheren Kernreaktoren der IV. Generation gehört zu den Meilensteinen einer zukünftig von fossilen Brennstoffen unabhängigen Energieversorgung der Weltbevölkerung.
5. Ein Entzug der Förderung oder gar eine Tabuisierung von bestimmten Forschungsgegenständen auf dem Gebiet der Kernenergie ist ein Einschnitt in die Wissenschaftsfreiheit.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
1. in NRW vorhandenes vielfältiges Forschungswissen auf dem Gebiet der Kernenergie zu halten und weiterhin diskriminierungsfrei zu fördern;
2. sich beim Bund und bei der EU dafür einzusetzen, dass neue Forschungsprojekte auf dem Gebiet der Kernkraftwerksforschung und der Kernenergiesicherheit in NRW angesiedelt werden und auch nach dem Jahre 2022 bestehen bleiben;
3. die noch vorhandenen wissenschaftlichen Kompetenzen des Landes NRW in der Kernenergieforschung zu halten und eine Neugründung auf Grundlage der Arbeitsgemeinschaft Versuchs-Reaktor (AVR) GmbH oder eine Erweiterung des Aufgabenbereichs des Forschungszentrums Jülich für die wissenschaftliche Erforschung neuer Reaktortypen zu prüfen;
4. zu prüfen, ob auch Forschungsreaktoren der Generation IV innerhalb der Vorgaben der „Strategic Research and Innovation Agenda“ (SRIA 2019) der europäischen „Sustainable Nuclear Energy Technology Platform“ (SNETP) in Nordrhein-Westfalen angesiedelt werden können.
Sven W. Tritschler
Christian Loose
Helmut Seifen
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
3 https://www.umweltbundesamt.de/dokument/datenbank-kraftwerke-in-deutschland
4 https://www.iea.org/weo2018/scenarios/
6 https://www.energie-wasser-praxis.de/technik/artikel/power-to-gas-mit-76-prozent-wirkungsgrad/
8 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-03/merkel-atomkraft-regierungserklaerung
9 https://www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/u137.html
10 Vgl. https://www.energate-messenger.ch/news/192046/schweizer-netz-stand-kurz-vor-dem-blackout
12 https://pris.iaea.org/pris/
14 Vgl. http://www.snetp.eu/about-snetp/
16 http://world-nuclear-news.org/Articles/First-Canadian-SMR-licence-application-submitted
17 https://www.ingenieur.de/technik/forschung/mit-speziellen-schnueren-uran-weltmeeren-angeln/
18 https://idw-online.de/en/news165444
19 https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/078/1907824.pdf S.3
20 https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-2389.html