Freiwillige Aufnahme von Afghanen durch die Bundesregierung – Wie positioniert sich NRW?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1544

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias vom 15.03.2023

Freiwillige Aufnahme von Afghanen durch die Bundesregierung Wie positioniert sich NRW?

Nachdem die Aufnahme afghanischen Ortskräfte als abgeschlossen gilt und in diesem Zusammenhang mehr als 38.000 Menschen eine Aufnahmezusage erteilt wurde, will die Bundesregierung auch weiterhin bis zu 1000 Afghanen im Monat über ein neues Programm aufnehmen. Betrachtet man die ausgestellten Visa, wurden bereits über 31.000 Personen aus diesem Kontingent aufgenommen. Zusätzlich gelangen Afghanen im Zuge der innereuropäischen Sekundärmigration nach Deutschland. Von Januar bis September verzeichnete allein NRW einen Zugang von 3.758 Personen.

Deutschland nimmt im Zusammenhang mit dieser freiwilligen Aufnahmen erneut eine Sonderstellung ein. Bereits zuvor hatten andere Staaten den Begriff der Ortskraft deutlich begrenzter definiert. Von deutscher Seite wurde dieser Begriff dagegen immer weiter aufgebläht, ging es doch ursprünglich nur um die Ortskräfte der Bundeswehr. Bereits in diesem Zusammenhang kamen von ehemaligen Bundeswehrsoldaten deutliche Warnungen vor nicht zu unterschätzenden Sicherheitsbedenken.

Weder werden aktuell aktiv Fluchtalternativen in der Region betrachtet, noch gibt es in nennenswertem Umfang Rückführungen in die Region, noch ist von einer Begrenzung bei der Aufnahme die Rede. Hinzu kommen seit 2015 andauernd völlig überlastete Kommunen.

Im Zusammenhang mit der freiwilligen Aufnahme gibt es gem. CICERO gar eine enge Zusammenarbeit mit NGOs, die staatliche Aufnahmen übernehmen.1

Danach machen NGOs zum Leidwesen von Sicherheitsbehörden, denen die Gefahr bewusst ist, politischen Druck, um Deutschland zu einer möglichst großzügigen Aufnahme zu bewegen. Skurril ist dabei insbesondere die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amts und des Innenministeriums mit der sogenannten (Schlepper-ähnlichen) Initiative „Kabul Luftbrücke“. Auf deren Homepage heißt es völlig unverblümt und selbstgerecht:

„Mit der Hilfe eurer Spenden und unserem Einsatz ist es gelungen bereits über 2.700 Menschen bei der sicheren und legalen Ausreise zu unterstützen. Damit sind wir aber noch lange nicht fertig und machen weiter! […] Wir sind eine Anlaufstelle für bedrohten Afghan*innen geworden, verfügen über Netzwerke vor Ort, kennen die besten Evakuierungsrouten und streiten in Deutschland für die Aufnahme von bedrohten Personen. Wir arbeiten tagtäglich an Evakuierungen und für eine Aufnahmezusage für gefährdete Afghan*innen.“2

Zu den Unterstützern von „Kabul Luftbrücke“ gehört u.a. die umstrittene Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA). Diese Vereinigung erhielt erst neulich erneut traurige Berühmtheit, nachdem bekannt wurde, dass die Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser (SPD), im Juli 2021 als damalige Vorsitzende der Fraktion der SPD im Hessischen Landtag einen Gastbeitrag mit dem Titel „NSU 2.0 aufgeklärt“ im zugehörigen Online-Magazin „antifa“ veröffentlicht hatte.3

Sogenannte „Aktivisten“ der „Seenotrettungsorganisation“ Sea Watch, des Grünen-Politikers Erik Marquardt (MdEP) sowie eine Journalistin und Filmemacherin haben einen Charterflug organisiert, um Gefährdete aus Afghanistan zu evakuieren. Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen der Ampel soll in der zuständigen Verhandlungsgruppe (Flucht, Migration und Integration) damals für die Grünen ebenfalls der Europaabgeordnete Erik Marquardt gesessen haben, ein Mitgründer der Initiative Kabul Luftbrücke.4 Dieser findet sich noch heute im Impressum der NGO.5

Mittlerweile wurde an „Kabul Luftbrücke“ die Aufgabe delegiert, Menschen aus Afghanistan über den Landweg in die Nachbarstaaten zu bringen, also in den Iran oder nach Pakistan, um bei den dortigen Botschaften Visa zu beantragen. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass Deutschland selbst in Afghanistan über keine Visa-Stelle mehr verfügt. „Die aufzunehmenden Personen müssen von meldeberechtigten Stellen vorgeschlagen werden“, heißt es in der Aufnahmeanordnung der Regierung. Als „meldeberechtigte Stellen“ kommen „zivilgesellschaftliche Organisationen“ in Betracht, die „im Rahmen der im August 2021 erfolgten Evakuierungen aus Afghanistan bzw. den laufenden Aufnahmen aus Afghanistan mit dem Auswärtigen Amt zusammengearbeitet haben“.

Eine Vertreterin von „Kabul Luftbrücke“ führte dazu aus: „Wir haben dadurch de facto eine „Gatekeeper-Funktion“, weil wir entscheiden, welche Fälle an die Bundesregierung weitergereicht werden – und welche nicht. Diese Funktion dürfen wir moralisch betrachtet nicht haben.“ Die Außenministerin soll diesbezüglich erklärt haben: „Wir haben als deutsche Bundesregierung keine Botschaft, keine Vertretung vor Ort, aus politischen Gründen. Weil ich damit diese Terrorherrschaft legitimieren würde. Das heißt, wir müssen mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten“.6

Wie der CICERO recherchiert hat, gibt es weitere Merkwürdigkeiten. So kennt „Baerbocks stellvertretender Referatsleiter diese [Aufnahme-]Verfahren von beiden Seiten. Denn seine Frau ist als Anwältin auf Ausländerrecht und internationales Familienrecht spezialisiert. Sie vertritt Afghanen, die Visa-Anträge gestellt haben, um in Deutschland aufgenommen zu werden. Außerdem ist sie als rechtliche Beraterin für das Auswärtige Amt tätig, hat etwa ein Gutachten zum afghanischen Eherecht erstellt.“

Dass die Bundesregierung in Zeiten einer angespannten bis überspannten Unterbringungssituation ein neues humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanen startet, sorgt in den Kommunen verständlicherweise für Irritationen und trifft auf wenig Verständnis.7 Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Afghanen hat NRW im Zusammenhang mit der Evakuierung vor Ortskräften sowie im Zusammenhang mit anderen Aufnahmeprogrammen seit dem Abzug der internationalen Truppen im Jahre 2021 aufgenommen? (Bitte nach Jahr, Anzahl der in diesem Zusammenhang aufgenommenen Familienmitglieder sowie dem Aufenthaltsstatus differenziert listen)
  2. Wie viele dieser in NRW aufgenommenen Ortskräfte waren für die Bundeswehr bzw. für andere Behörden und Organisationen tätig? (Bitte möglichst differenziert nach dem früheren Arbeitgeber listen und insbesondere die Anzahl der zuvor für die Bundeswehr tätigen Ortskräfte nennen)
  3. Wie bewertet die Landesregierung die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amts mit einer umstrittenen nichtstaatlichen, grünen Vorfeldorganisation bzw. NGO bei der Auswahl der potenziell von NRW aufzunehmenden Personen?
  4. Welche Unterstützer bzw. Partnerorganisationen von „Kabul Luftbrücke“8 – neben VVN-BdA – weisen nach Informationen des Landesamts für Verfassungsschutz direkte oder indirekte Bezüge zu linksextremistischen Organisationen auf?
  5. In welcher Form gibt es im Zusammenhang mit der freiwilligen Aufnahme von Afghanen in NRW im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung eine Zusammenarbeit bzw. Abstimmung mit Bundesbehörden?

Enxhi Seli-Zacharias

 

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1 Vgl. h t t p s :/ / w w w.cicero.de/aussenpolitik/afghanistan-auswartiges-amt-visa-ngo-migration Datum des Originals: 15.03.2023/Ausgegeben: 16.03.2023

2 Vgl. h t t p s : / / www.kabulluftbruecke.de/ (falsche Rechtschreibung aus dem Originaltext übernommen)

3 Vgl. Drucksache Deutscher Bundestag 20/989 und h t t p s : / /w w w.bild.de/politik/inland/politik-inland/abgrenzungsproblem-faeser-schrieb-fuer-verfassungsfeindliches-blatt-79048210.bild.html

4 Ebd.

5 Vgl. h t t p s: / / w w w .k a bulluftbruecke.de/impressum/

6 Vgl. h t t p s :/ /w w w. c icero.de/aussenpolitik/afghanistan-auswartiges-amt-visa-ngo-migration

7 Ebd.

8 Vgl. https:// www .kabulluftbruecke.de/ueber-uns/netzwerk/


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 1544 mit Schreiben vom 20. April 2023 namens der Landesregierung im Ein­vernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet.

  1. Wie viele Afghanen hat NRW im Zusammenhang mit der Evakuierung vor Ortskräf­ten sowie im Zusammenhang mit anderen Aufnahmeprogrammen seit dem Abzug der internationalen Truppen im Jahre 2021 aufgenommen? (Bitte nach Jahr, An­zahl der in diesem Zusammenhang aufgenommenen Familienmitglieder sowie dem Aufenthaltsstatus differenziert listen)

Seit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan im August 2021 hat Nordrhein-Westfalen bis Ende Februar 2023 insgesamt 6.846 ehemalige afghanische Ortskräfte sowie besonders schutzbedürftige Afghaninnen und Afghanen aufgenommen.

Hierzu im Einzelnen:

Jahr Anzahl der Personen
2021 (ab 16.08.) 1.918
2022 4.540
2023 (bis 28.02.) 388

 

Acht Personen verfügen über Aufnahmezusagen nach § 22 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (Auf-enthG). Alle übrigen Personen haben Aufnahmezusagen des Bundes nach § 22 Satz 2 Auf-enthG.

  1. Wie viele dieser in NRW aufgenommenen Ortskräfte waren für die Bundeswehr bzw. für andere Behörden und Organisationen tätig? (Bitte möglichst differenziert nach dem früheren Arbeitgeber listen und insbesondere die Anzahl der zuvor für die Bundeswehr tätigen Ortskräfte nennen)

Der Landesregierung liegen keine Informationen vom Bund im Sinne der Fragestellung vor.

  1. Wie bewertet die Landesregierung die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amts mit einer umstrittenen nichtstaatlichen, grünen Vorfeldorganisation bzw. NGO bei der Auswahl der potenziell von NRW aufzunehmenden Personen?

Die Auswahl der Personen für das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan erfolgt zuständig­keitshalber durch die Bundesregierung. Die Landesregierung bewertet dieses Verfahren nicht.

4. Welche Unterstützer bzw. Partnerorganisationen von „Kabul Luftbrücke“8 – ne­ben VVN-BdA – weisen nach Informationen des Landesamts für Verfassungs­schutz direkte oder indirekte Bezüge zu linksextremistischen Organisationen auf?

Nicht alle von „Kabul Luftbrücke“ als Netzwerk benannten Organisationen liegen im räumlichen Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen. Zu solchen Orga­nisationen äußert sich die Landesregierung nicht. Im Übrigen darf sich der nordrhein-westfäli­sche Verfassungsschutz nur dann zu Personenzusammenschlüssen äußern, wenn hinrei­chend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorlie­gen. Derartige Erkenntnisse bestehen nicht.

5. In welcher Form gibt es im Zusammenhang mit der freiwilligen Aufnahme von Af­ghanen in NRW im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung eine Zusammenarbeit bzw. Abstimmung mit Bundesbehörden?

Die Zuständigkeit für den Einreiseprozess und damit verbundene Verfahren bzgl. der aus Af­ghanistan aufgenommenen Personen liegt bei den Bundesbehörden. Die Personen durchlau­fen die üblichen Verfahren und Abfragen, die in § 73 Absatz 1a AufenthG geregelt sind. Dabei greifen die Bundessicherheitsbehörden ggf. auch auf Erkenntnisse der nordrhein-westfäli­schen Sicherheitsbehörden zurück. Die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen werden dann bei konkreten sicherheitsrelevanten Bezügen ins Bundesland beteiligt.

 

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