Gelsenkirchen am Limit – Werden einzelne Kommunen durch die Zuweisungsschlüssel gemäß Flüchtlingsaufnahmegesetz und Wohnsitzauflage überfordert?

Kleine Anfrage
vom 06.12.2023

Kleine Anfrage 3008

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD

Gelsenkirchen am Limit Werden einzelne Kommunen durch die Zuweisungsschlüssel gemäß Flüchtlingsaufnahmegesetz und Wohnsitzauflage überfordert?

Wie aus einem Bericht der WAZ vom 24. November hervorgeht, berücksichtigt das aktuelle System der Zuweisung von Schutzberechtigten, Asylsuchenden und abgelehnten Asylbewerbern an die Kommunen nicht in jedem Fall die individuelle Situation der jeweiligen Kommune. Das gilt verstärkt, wenn weitere Faktoren hinzukommen. Dazu zählen sowohl vorausgegangene Integrationsleistungen als auch ein verstärkter Zuzug im Zuge der EU-Freizügigkeit aus Bulgarien und Rumänien oder die aktuelle Unterbringung von Ukraineflüchtlingen. Die WAZ zeigt diese Problemlage exemplarisch am Beispiel der Stadt Gelsenkirchen auf.1

Wie Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin, Karin Welge, gegenüber der WAZ ausführt, werden die „tatsächlichen Integrationsherausforderungen“ der Stadt bei der Zuweisung der Menschen in die Kommunen nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt.

Aus den Zentralen Unterbringungseinrichtungen des Landes (ZUE) heraus gibt es zunächst die Zuweisung gemäß FlüAG-Quote, also nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz. Hinzu kommen dann noch Zuweisungen nach der Wohnsitzauflage (WSA).

Bei den Zuweisungen gemäß FlüAG-Quote erfolgen Zuweisungen sowohl während des laufenden Asylverfahrens als auch bei einer Ablehnung des Asylantrags. Beides ist in der aktuellen Ausprägung eigentlich nicht so vorgesehen. Zum einen wird die max. Wohnverpflichtung während des Asylverfahrens in den ZUE von bis zu 24 Monaten immer seltener ausgeschöpft. Zum anderen werden neuerdings vermehrt abgelehnte Asylbewerber bzw. Personen mit geringer Bleibeperspektive den Kommunen zugewiesen.

Die Stadt Gelsenkirchen muss nach diesem System gegenwärtig (Stichtag 17. November) bis zu 3840 Personen aufnehmen, hat aber bislang „nur“ 3561 Menschen zugewiesen bekommen. Gelsenkirchen erfüllt die Quote also nur zu 92,75 Prozent und müsste noch rund 280 Personen aufnehmen.

Bei der anderen Quote, also bei Zuweisungen gemäß der Wohnsitzauflage, ist die Quote momentan übererfüllt. Aufgenommen werden müssten 1914 Personen, tatsächlich leben in der Stadt aber 2728 Personen nach Wohnsitzauflage, was einer Erfüllungsquote von 145,85 Prozent entspricht.

Eine Gegenrechnung der beiden Verteilschlüssel erfolgt ausdrücklich nicht, auch nicht bei eh schon überlasteten Kommunen wie Gelsenkirchen.

Auch andere Integrationsaufgaben bzw. oftmals leider auch Integrationsprobleme bleiben unberücksichtigt. So steht Gelsenkirchen vor enormen Herausforderungen in Bezug auf die Migration aus Südosteuropa. Rund 12.000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien leben in Gelsenkirchen, ein Umstand, der bei den aktuellen Zuweisungen unberücksichtigt bleibt. Hinzu kommen dann im Ruhrgebiet – anders als in ländlichen Regionen – noch Integrationsaufgaben, die aus vorherigen Zuwanderungswellen resultieren. Auch wenn Städte wie Gelsenkirchen hier in der Vergangenheit viel geleistet haben, sind längst nicht alle Probleme gelöst – im Gegenteil!

Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine kamen dann noch viele Flüchtlinge aus der Ukraine hinzu, oftmals Frauen und Kinder, was alle Kommunen vor zusätzliche Aufgaben stellt.

Die angespannte Unterbringungssituation am Beispiel Gelsenkirchens zeigt, dass die aktuellen Zuweisungsschlüssel nicht jeder Kommune gerecht werden und einer Reform bedürfen. Folgt man den Prognosen des Kommunalen Koordinierungskreises (KoKoK) mit weiteren 70.000 Personen für das Jahr 2024, würde eine weitere anteilige Verteilung Städte wie Gelsenkirchen endgültig überfordern.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. In welcher Form wird die Landesregierung zukünftig bei Kommunen, die wie Gelsenkirchen unter einer integrationspolitischen Mehrfachbelastung leiden, die Anzahl weiterer Zuweisungen zumindest reduzieren?
  2. Inwiefern zeigt nach Ansicht der Landesregierung das Beispiel Gelsenkirchen, dass die Zuweisungsschlüssel dringend reformbedürftig sind?
  3. Inwiefern gibt es von Seiten der Landesregierung Planungen, die Zuweisungsschlüssel nicht länger getrennt zu betrachten und die integrationspolitische Gesamtbelastung einer Kommune stärker zu berücksichtigen?
  4. Inwiefern könnten nach Ansicht der Landesregierung bei den Zuweisungsschlüsseln zukünftig auch andere Faktoren eine Rolle spielen, z. B. die Anzahl der Arbeitslosen bzw. Arbeitssuchenden in einer Kommune?
  5. Inwiefern gibt es für die Landesregierung bei einer immer stärker divergierenden Bevölkerungszusammensetzung in einem Stadtviertel überhaupt eine Art Kipppunkt, ab dem der soziale Zusammenhalt bzw. Frieden in Gefahr gerät und Integration kaum noch möglich ist?

Enxhi Seli-Zacharias

 

MMD18-7223

 

1 Vgl. https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/warum-die-zuweisung-von-fluechtlingen-so-problematisch-ist-id240668584.html


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 3008 mit Schreiben vom 11. Januar 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwor­tet.

  1. In welcher Form wird die Landesregierung zukünftig bei Kommunen, die wie Gel­senkirchen unter einer integrationspolitischen Mehrfachbelastung leiden, die An­zahl weiterer Zuweisungen zumindest reduzieren?

Die Gemeinden sind gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 FlüAG verpflichtet, ausländische Geflüchtete gemäß ihrer Aufnahmequote aufzunehmen und unterzubringen. Soweit eine Kommune dieser Aufgabe zeitweise nicht nachkommen kann, kann diese sich an die Bezirksregierung Arnsberg wenden mit dem Ziel, eine konkret-individuelle Lösung abzustimmen. Diese kann neben einer temporären Zuweisungspause auch in einer Verringerung der Zuweisungszahlen oder in der Berücksichtigung besonderer Personengruppen bestehen.

  1. Inwiefern zeigt nach Ansicht der Landesregierung das Beispiel Gelsenkirchen, dass die Zuweisungsschlüssel dringend reformbedürftig sind?
  2. Inwiefern gibt es von Seiten der Landesregierung Planungen, die Zuweisungs­schlüssel nicht länger getrennt zu betrachten und die integrationspolitische Ge­samtbelastung einer Kommune stärker zu berücksichtigen?

Die Fragen 2 und 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet:

Ob und wie die beiden Verteilquoten nach FlüAG und § 12a AufenthG (Wohnsitzregelung) bei einer Verteilung von Geflüchteten in Kommunen, die in einer der beiden Quoten in einer deut­lichen Übererfüllung sind, in einen Ausgleich gebracht werden können (sog. Verschneidung der Schlüssel), wird aktuell geprüft. Diese Prüfung wird ergebnisoffen geführt und wird die Auswirkungen auf die übrigen Kommunen ebenso berücksichtigen müssen wie die Prozess­steuerung der Zuweisung.

  1. Inwiefern könnten nach Ansicht der Landesregierung bei den Zuweisungsschlüs­seln zukünftig auch andere Faktoren eine Rolle spielen, z. B. die Anzahl der Ar­beitslosen bzw. Arbeitssuchenden in einer Kommune?

Die Verteilung der anerkannten Schutzberechtigten nach § 12a AufenthG erfolgt in Nordrhein-Westfalen über den sog. Integrationsschlüssel, welcher bereits verschiedene Faktoren berück­sichtigt. Einer dieser Faktoren ist der Anteil der als arbeitslos gemeldeten erwerbsfähigen Per­sonen an der Bevölkerung der Gemeinden.

  1. Inwiefern gibt es für die Landesregierung bei einer immer stärker divergierenden Bevölkerungszusammensetzung in einem Stadtviertel überhaupt eine Art Kipp­punkt, ab dem der soziale Zusammenhalt bzw. Frieden in Gefahr gerät und Integra­tion kaum noch möglich ist?

In Nordrhein-Westfalen ist gesellschaftliche und kulturelle Vielfalt seit Jahrzehnten Realität und ein nachbarschaftliches Zusammenleben vor Ort ist in der Regel gut gelebte Normalität. Die Integrationspolitik der Landesregierung hat zum Ziel, diesen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren und weiter zu stärken.

 

MMD18-7705