Gemeinsam gegen das Virus – Handlungen brauchen wissenschaftliche Grundlagen.

Antrag
vom 21.04.2020

Antragder AfD-Fraktion vom 21.04.2020

 

Gemeinsam gegen das Virus – Handlungen brauchen wissenschaftliche Grundlagen.

I. Ausgangslage

Die COVID-19 Case-Cluster-Study („Heinsberg Studie“) wurde von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben. Die Studie soll Letalität, Dunkelziffern und Immunität bezüglich SARS-CoV-2 untersuchen und Handlungsempfehlungen auf dieser Grundlage ermöglichen.

Die Studie begann am 30. März 2020. Etwa 600 Haushalte wurden per Serienbrief zur Teilnahme gebeten. Insgesamt nahmen bis zum 8. April 2020 etwa 1000 Einwohner aus etwa 400 Haushalten teil, was einer Rücklaufquote von über 60 % entspricht. Es wurden Fragebögen ausgefüllt, Rachenabstriche genommen und Blut auf das Vorliegen von Antikörpern getestet. Dabei wurde ein ELISA-Antikörpertest der Firma Euroimmun verwendet.1 Es wurde eine bestehende Immunität von ca. 14% festgestellt. Etwa 2 % der Personen wiesen eine aktuelle SARS-CoV-2 Infektion auf. Die Infektionsrate (aktuelle Infektion oder bereits durchgemacht) betrug insgesamt ca. 15 %. Die Letalität bezogen auf die Gesamtzahl der Infizierten in der Gemeinde Gangelt beträgt mit den vorläufigen Daten aus dieser Studie ca. 0,37 %. Die in Deutschland derzeit von der Johns-Hopkins University berechnete Letalität beträgt 1,98 % und liegt damit um das 5-fache höher. Die Mortalität bezogen auf die Gesamtpopulation in Gangelt beträgt derzeit 0,06 %.2 Die daraus resultierende vorläufige Schlussfolgerung der Wissenschaftler rund um Prof. Dr. Hendrik Streeck enthält die Annahmen, dass sich 15 % der Bevölkerung in Gangelt nicht mehr mit SARS-CoV-2 infizieren können und der Prozess bis zum Erreichen einer Herdenimmunität bereits eingeleitet sei.

Durch Einhalten von stringenten Hygienemaßnahmen sei zu erwarten, dass die Viruskonzentration bei einem Infektionsereignis einer Person so weit reduziert werden kann, dass es zu einem geringeren Schweregrad der Erkrankung kommt, bei gleichzeitiger Ausbildung einer Immunität. Diese günstigen Voraussetzungen sind bei einem außergewöhnlichen Ausbruchsereignis nicht gegeben. Mit Hygienemaßnahmen sind dadurch auch günstige Effekte hinsichtlich der Gesamtmortalität zu erwarten.3

Weiterhin wird auf die Vier-Phasen-Strategie der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) hingewiesen und deren Umsetzung und Implementierung ausdrücklich angeraten. Diese sieht vor:

Phase 1: Gesellschaftliche Quarantänisierung mit dem Ziel der Eindämmung und Verlangsamung der Pandemie und Vermeidung einer Überlastung der kritischen Versorgungsstrukturen insbesondere des Gesundheitsversorgungssystems.

Phase 2: Beginnende Rücknahme der Quarantänisierung bei gleichzeitiger Sicherung hygienischer Rahmenbedingungen und Verhaltensweisen.

Phase 3: Aufhebung der Quarantänisierung unter Beibehaltung der hygienischen Rahmenbedingungen.

Phase 4: Zustand des öffentlichen Lebens wie vor der COVID-19 Pandemie (Status quo ante).4 Basierend auf den ersten Zwischenergebnissen der „Heinsberg-Studie“ ist eine Lokalisierung im Übergang von Phase 1 auf Phase 2 ersichtlich. Hervorzuheben ist an dieser Stelle jedoch, dass eine zu frühzeitige Rücknahme der gesellschaftlichen Quantänisierung zu einem erneuten explosiven Anstieg der Infizierungszahlen führen kann und somit das Gesundheitssystem abermals vor einer Überlastung stehen könnte. Hinzu kommt die anhaltende Kritik an der Heinsberg Studie, welche dazu rät, die Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren. So haben sich führende Virologen in Deutschland eher zwiegespalten zu den Ergebnissen geäußert. Alexander Kekulé, Lehrstuhlinhaber an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, bezeichnet das Szenario der Studie als „Sonderfall“ und riet dazu, mit Empfehlungen aufgrund der Studie vorsichtig zu sein.5 Auch Christian Drosten, Lehrstuhlinhaber und Institutsdirektor an der Charité in Berlin, kritisierte die Studie und die Empfehlungen Streecks. Falls ein ungeeigneter Antikörpertest verwendet worden sei, ergäbe sich technisch bedingt eine hohe Rate falsch-positiver Ergebnisse. Zudem, so Drosten weiter, könne er aus der gehaltenen Präsentation aufgrund der mangelnden Erklärungen nichts ableiten.6

II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

eine weitere Studie in Auftrag zu geben, welche sich räumlich nicht zentriert, sondern die Ausbreitung in Nordrhein Westfalen als Untersuchungsgegenstand heranzieht und somit valide Daten auch außerhalb der Gemeinde Gangelt liefern kann unter Berücksichtigung der von den Teilnehmern freiwillig zur Verfügung gestellten Bewegungsprofile. Die Studie soll unmittelbar an den Ergebnissen der Heinsbergstudie anknüpfen, insbesondere hinsichtlich der Immunitätsrate deren Anwendbarkeit auf das gesamte Bundesland untersuchen und somit Rückschlüsse auf den Infektionsverlauf geben.

Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

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1 https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-04/heinsberg-studie-coronavirus-hendrik-streeck-storymachine-kai-diekmann/kom plettansicht abgerufen am 16.04.2020

2https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/zwischenergebnis_covid19_case_study_gang  elt_0.pdf abgerufen am 16.04.2020

3 Ebd.

4https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/zwischenergebnis_covid19_case_study_gang  elt_0.pdf abgerufen am 16.04.2020

5 https://www.mdr.de/nachrichten/podcast/kekule-corona/kompass-104.html Folge 22; abgerufen am 16.04.2020

6 https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-04/heinsberg-studie-coronavirus-hendrik-streeck-storymachine-kai-diekmann/kom plettansicht