Genitalverstümmelung in NRW

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 682
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias vom 02.11.2022

Genitalverstümmelung in NRW

Unter weiblicher Genitalverstümmelung werden alle Verfahren verstanden, bei denen die Genitalien von Mädchen und Frauen aus nicht-medizinischen Gründen verletzt bzw. teilweise oder vollständig entfernt werden. Durchgeführt wird diese Praxis meist in jungen Jahren bis zum Alter von 15. Laut Schätzungen der WHO sind weltweit 200 Millionen Mädchen und Frauen in 30 Ländern in Afrika, dem Nahen Osten und Asien betroffen.1 Hinzu kommt eine große, schwer quantifizierbare Dunkelziffer von Betroffenen.2

Durch die steigende Migration aus Kulturen, in denen die Verstümmelung junger Mädchen weitverbreitete Praxis ist, hält dieses Phänomen zunehmend auch in Deutschland Einzug. Seit 2013 ist die Verstümmelung weiblicher Genitalien in Deutschland gem. § 226a StGB ein eigener Straftatbestand. Leider ist der Wirkungsbereich dieses Gesetzes sehr gering, da die Verstümmelung häufig in ethnisch abgeschotteten Subkulturen im Ausland organisiert wird.

Im Jahr 2016 hatte der Landtag einen fraktionsübergreifenden Antrag unter dem Titel „Genitalverstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung – der Verletzung von Körper und Seele von Mädchen und Frauen entschieden entgegentreten“ (Drucksache 16/11705) zu dieser Thematik angenommen, in dem vor allem mehr Prävention und Sensibilisierung gefordert wurde. Die Ausarbeitung entsprechender Informationsmaterialien für Betroffene und Fachkräfte in den Bereichen Soziales, Justiz und Pädagogik sollte dabei eine frühzeitige Erkennung und effektive Bekämpfung von Genitalverstümmelungen ermöglichen. Im Jahr 2019 brachten dann die Fraktionen von CDU und FDP einen weiteren Antrag ein: „Genital-verstümmelung ist eine Menschenrechtsverletzung – Verletzungen von Körper und Seele von Kindern, Mädchen und Frauen entschieden entgegentreten“ (Drucksache 17/5067). Die Forderungen des Antrags wichen dabei kaum von denen aus dem Jahr 2016 ab.

Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die geforderten Maßnahmen umgesetzt wurden und daraufhin Wirksamkeit entfalten konnten. So stellt eine aktuelle Studie zur weiblichen Genitalverstümmelung fest, dass das Phänomen in Deutschland nach wie vor virulent ist. Demnach würden in Deutschland rund 75.000 Betroffene leben, 20.000 Mädchen seien akut gefährdet.3 Terres de Femmes schätzt die Anzahl der Betroffenen sogar auf 107.000, 17.000 Mädchen würden in konkreter Gefahr schweben, verstümmelt zu werden.4

Bereits 2018 äußerte sich der damalige und derzeitige Innenminister Hebert Reul angesichts der amtlichen Statistik bezüglich weiblicher Genitalverstümmelung überrascht. Es sei schwer zu glauben, dass bisher kein einziger Fall in NRW als Straftat angezeigt worden sei.5 Das Problem liegt also vor allem in der Identifizierung von Straftaten und ihrer Verfolgung. Warum dies gerade in Deutschland und speziell in NRW nicht funktioniert, macht stutzig. In anderen europäischen Ländern, etwa Belgien, liegen konkrete Zahlen zu der Straftat vor und das schon seit Jahren.6

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie hat sich die Zahl der von Genitalverstümmelung betroffenen Mädchen und Frauen in Nordrhein-Westfalen seit 2012 entwickelt? (Bitte aufschlüsseln nach Alter und Kommune)
  2. Wie viele Anzeigen gem. § 226a StGB hat es in NRW seit der Einführung des Straftatbestands bis 2018 gegeben? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln)
  3. Was passierte nach den gestellten Strafanzeigen aus Frage 2? (Bitte aufschlüsseln nach Zahlen der „Einstellung des Verfahrens durch Staatsanwaltschaft“; „Verurteilung“, „Freispruch“ und „Verfahrenseinstellung durch Gericht“)
  4. Wie beurteilt die Landesregierung die auf Basis der Anträge (Drucksache 16/11705 und 17/5067) eingeleiteten Maßnahmen bezüglich ihres bisherigen Wirkungsgrades?
  5. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung in Zukunft, um das Problem der Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen zu bekämpfen?

Enxhi Seli-Zacharias
Andreas Keith

 

Anfrage als PDF

 

1 Htt ps: / / www. Who .int/news – room/ fact-sheets /detail/ female – genital – mutilation.

2 Htt ps: / / hpd .de/artikel /hohe – dunkelziffer- weiblicher -genitalverstuemmelung – deutschland-207 39; htt p s:/ / www. Frauenrechte .de/ unsere-arbeit /themen/ weibliche-genitalverstuemmelung / unser-engagement / aktivitaeten /17 87-dunkelzifferstatistik-zu- weiblicher -genitalverstuemmelung; htt ps: / / www. Aerzteblatt .de/nachrichten/ 919 38 / Dunkelziffer-bei- Genitalverstuemmelungen – alarmiert- Landesregierung -in-NRW.

3 Htt ps:/ / www. Rnd .de/panorama/ genitalverstuemmelung- in -deutschland- 20 -000-maedchen-sind-gefaehrdet – 7JNWB QVAOE YCGW OKTSP 5TCGW XQ .html.

4 Htt ps: / / www. Frauenrechte .de /images / aktuelles / 2022 / FGM / 2022 _ Dunkelzifferscha %CC% 88tzung _final .pdf.

5 Htt ps: / / www. Aerzteblatt .de/nachrichten/ 919 38 / Dunkelziffer- bei -Genitalverstuemmelungen-alarmiert – Landesregierung- i n -NRW.

6 Htt ps: / /www. Br .de/ nachrichten /deutschland – welt/ genitalverstuemmelung -ein-problem- auch – in-bayern,TJU0z5U; htt ps: / / eige. Europa .eu/gender- based -violence / female – genital -mutilation # 2017.


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 682 mit Schreiben vom 29. November 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie dem Minister der Justiz beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Weibliche Genitalverstümmelung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Die Bekämp­fung dieser Beschneidungspraktiken und der Schutz der Opfer sind daher wichtige Anliegen der Politik der Landesregierung.

  1. Wie hat sich die Zahl der von Genitalverstümmelung betroffenen Mädchen und Frauen in Nordrhein-Westfalen seit 2012 entwickelt? (Bitte aufschlüsseln nach Al­ter und Kommune)

Eine Erhebung der Anzahl der betroffenen Mädchen und Frauen seitens der Landesverwal­tung Nordrhein-Westfalen (NRW) erfolgt nicht.

Terre des Femmes schätzt seit 2018 die Anzahl der von weiblicher Genitalbeschneidung be­drohten und betroffenen Mädchen und Frauen in NRW. Eine Bestimmung des Alters und der Kommune erfolgt hierbei nicht. Nach den Schätzungen von Terre des Femmes lebten im Jahr 2018 13.455, im Jahr 2019 14.639, im Jahr 2020 15.217 und im Jahr 2022 15.201 von einer Genitalbeschneidung betroffene Mädchen und Frauen in NRW.

  1. Wie viele Anzeigen gem. § 226a StGB hat es in NRW seit der Einführung des Straf­tatbestands bis 2018 gegeben? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln)

Die Verstümmelung weiblicher Genitalien wird in der Polizeilichen Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen (PKS) seit dem 01.01.2015 unter der Schlüsselzahl 222040 separat erfasst. In der Zeit vom Inkrafttreten des Gesetzes am 28.09.2013 bis zum 31.12.2014 sind entsprechende Fälle je nach Schwere der Tatfolge unter den Deliktschlüsseln 222010 bzw. 222020 „gefährli­che Körperverletzung“ oder unter „schwerer Körperverletzung“ zu erfassen gewesen. Eine Er­mittlung von Verstümmelungen weiblicher Genitalien vor dem 01.01.2015 ist durch Auswer­tung der PKS nicht möglich.

In der Zeit von 2015 bis einschließlich 2020 ist kein Fall von Delikten „Verstümmelungen weib­licher Genitalien“ in der PKS NRW erfasst worden. Im Jahr 2021 wurde ein Fall in der PKS NRW erfasst.

  1. Was passierte nach den gestellten Strafanzeigen aus Frage 2? (Bitte aufschlüs­seln nach Zahlen der „Einstellung des Verfahrens durch Staatsanwaltschaft“; „Verurteilung“, „Freispruch“ und „Verfahrenseinstellung durch Gericht“)

Aburteilungen und Verurteilungen gemäß § 226a StGB werden in der Strafverfolgungsstatistik seit 2014 erfasst. Für die Jahre 2014 bis 2021 weist die Statistik keine Aburteilungen oder Verurteilungen gemäß § 226a StGB aus. Das polizeiliche Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2021 wurde eingestellt, da die Täterin bzw. der Täter unbekannt war und auch nicht ermittelt werden konnte. Soweit in der Antwort der Landesregierung auf Frage 3. der Kleinen Anfrage 4636 (Landtags-Drucksache 17/12028) über eine Verurteilung gemäß § 226a StGB im Jahre 2017 berichtet wurde, hat sich zwischenzeitlich herausgestellt, dass es sich um eine Fehlein­tragung einer Berichtsstelle gehandelt hat.

  1. Wie beurteilt die Landesregierung die auf Basis der Anträge (Drucksache 16/11705 und 17/5067) eingeleiteten Maßnahmen bezüglich ihres bisherigen Wirkungsgra­des?

Das Gleichstellungsministerium fördert seit November 2019 das Pilotprojekt YUNA zur Prä­vention von weiblicher Genitalbeschneidung. Das Projekt beinhaltet im Kern die Beratung von betroffenen Mädchen und Frauen sowie die Qualifizierung von Mädchen und jungen Frauen zu Multiplikatorinnen in ihren Peergroups und die Sensibilisierung von Männern (Väter, Ehe­männer, Brüder) für das Thema weibliche Genitalbeschneidung. Außerdem werden Fach­kräfte durch Workshops und Webinare auf das Thema aufmerksam gemacht. Zudem hat das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MKJFGFI) im Oktober 2022 in Zusammenarbeit mit der Lobby für Mädchen e.V. einen Fachtag zum Thema Prävention und Intervention bei weiblicher Genitalbeschneidung veranstaltet, um die (Fach)Öf-fentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Zur Unterstützung der Vernetzung maßgeblicher Akteurinnen in dem Themenfeld fördert das MKJFGFI außerdem den Runden Tisch NRW ge­gen die Beschneidung von Mädchen. Diese Maßnahmen tragen wesentlich dazu bei, be­troffene Mädchen und Frauen in NRW zu unterstützen sowie die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, um so Präventionsarbeit zu leisten.

  1. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung in Zukunft, um das Problem der Genitalverstümmelung bei Mädchen und Frauen zu bekämpfen?

Vorbehaltlich der Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers prüft das MKJFGFI die Weiterfüh­rung der bisherigen wirkungsvollen Maßnahmen.

 

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