Genitalverstümmelung – wirksame Hilfe für die Opfer

Antrag
vom 12.02.2019

Antragder AfD-Fraktion vom 12.02.2019

 

Genitalverstümmelung – wirksame Hilfe für die Opfer

I. Ausgangslage

Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass weltweit 140 Millionen Frauen und Mädchen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen sind. In Afrika kommen etwa drei Millionen Betroffene jährlich hinzu, die dem Risiko eines solchen Eingriffs ausgesetzt sind; dies entspricht 8.000 Frauen und Mädchen pro Tag. In den betroffenen Gesellschaften ist die Pra­xis ein tabuisiertes Thema, so dass eine hohe Dunkelziffer vermutet wird. Teilweise wird davon ausgegangen, dass weltweit sogar 200 Millionen Frauen und Mädchen an ihren Genitalien beschnitten sind.1

Die weibliche Genitalverstümmelung steht in der Kritik der Menschen- und Frauenrechtsorga-nisationen vieler Länder. Internationale staatliche Organisationen wie z.B. die Vereinten Nati­onen und UNICEF, aber auch Organisationen wie Amnesty International und Terre des Fem­mes, eint der Gedanke, dass es sich bei der Prozedur um eine schwere Menschenrechtsver­letzung handelt.2

Derartige Eingriffe sind auch in Deutschland strafbar gemäß § 226a des Strafgesetzbuches (StGB) und stellen ein Verbrechen dar.

Der Antwort auf eine Kleine Anfrage von der Abgeordneten Walger-Demolsky und Thomas Röckemann der AfD-Fraktion zur Genitalverstümmelung in NRW ist zu entnehmen, dass der Wirkungsbereich der Norm sehr gering ist, da die Verstümmelung häufig im Ausland geschieht oder in den Parallelgesellschaften, in denen sie verbreitet ist, gutgeheißen wird. Weiter heißt es, dass in NRW in der Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2017 in der Polizeilichen Kriminal­statistik (PKS) keine Straftat gemäß § 226a StGB erfasst worden ist.

Dass es keinen einzigen derartigen Fall gegeben haben soll, ist auch für NRW-Innenminister Herbert Reul auf eine Nachfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur „schwer zu glauben“. Genitalverstümmelung sei „eine barbarische Praxis und schwere Menschenrechtsverletzung“, er befürchte, dass viele Fälle nicht zur Anzeige kämen. „Diese Mauer des Schweigens müssen wir dringend durchbrechen“.3

Die weibliche Genitalverstümmelung ist vor allem in Afrika, im Nahen Osten und in Teilen Asi­ens Tradition. Durch die anhaltende Masseneinwanderung nach Europa und insbesondere nach Deutschland ist von einer steigenden Anzahl an Fällen in der Praxis auszugehen.

Auch das ehemalige Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter stellte in einer Pressemitteilung vom 29.03.2017 durch Frau Ministerin Steffens fest: „Die Zahl der Menschen, die aus Ländern nach Deutschland kommen, in denen die grausame Praxis der Genitalver­stümmlung weit verbreitet ist, ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Und damit auch die Zahl der Mädchen und Frauen, die von Genitalbeschneidung betroffen sind: Einer Studie zu­folge betrug die Zunahme von Ende 2014 bis Mitte 2016 rund 28,5 Prozent (deutschlandweit von 36.853 auf 47.359). In NRW leben geschätzt aktuell etwa 10.000 Frauen und Mädchen, die genital beschnitten wurden – und nach Expertinnenschätzungen rund 2.000 Frauen und Mädchen, die von Genitalverstümmlung bedroht sind.“4

Auch Menschenrechtsorganisationen wie Terre des Femmes warnen vor einer Zunahme der weiblichen Genitalverstümmelung.5 Nach der Weltgesundheitsorganisation ist die weibliche Genitalverstümmelung „jede teilweise oder totale Entfernung oder sonstige äußere Verletzung der weiblichen Geschlechtsorgane aus nicht medizinischen Gründen“.6

Es gibt unterschiedliche Beschneidungsformen, selbst innerhalb einer Region können erheb­liche Unterschiede in der Form der Beschneidung auftreten.7 Bei den traditionellen weiblichen Genitalverstümmelungen in Afrika sind vornehmlich drei verschiedene Typen der weiblichen Genitalverstümmelung zu unterscheiden.

1. Die teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris ggf. mitsamt Klitorisvorhaut – (Klitoridektomie).

2. Die Klitoridektomie mitsamt Entfernung der inneren Schamlippen (labia minora) – (Exzision).

3. Die Exzision mitsamt Aufschneiden der äußeren Schamlippen (labia majora) und anschließendem Vernähen der gesamten Vulva; zwecks Ausflusses von Urin und Menstruationsblut verbleibt zumeist eine Öffnung auf Hirsekorngröße (Infibulation).8

Das Alter bei und die Art der Vornahme dieser Genitalverstümmelungen variieren hierbei er­heblich und werden maßgeblich durch die jeweilige Stammestradition beeinflusst. Der Zeit­punkt im Lebensalter der Frauen zur Vornahme dieser Genitalverstümmelung kann wenige Tage nach der Geburt liegen oder auch erst kurz vor Eintritt in die Pubertät. Eher seltener wird dieser Eingriff im Erwachsenenalter durchgeführt, bspw. kurz vor der Hochzeit oder vor der Geburt des ersten Kindes.9 Bei einem Großteil der Opfer, meistens Mädchen im Alter von vier bis zwölf Jahren, wird eine Exzision durchgeführt. Diese Form der Genitalverstümmelung wird bei 80% der betroffenen Frauen praktiziert.10

Diese Tradition wird in vielen Teilen Afrikas als regelrechte „Beschneidungszeremonie“ zele­briert und soll die betroffenen Mädchen in den Kreis der „erwachsenen Frauen“ aufnehmen; durch die Verstümmelung gelten diese als „reine Frauen“.11 Oft sind es Frauen, sogenannte Beschneiderinnen, die den Eingriff an anderen Mädchen und Frauen vornehmen und dafür hohes gesellschaftliches Ansehen genießen.12

Die Folgen einer weiblichen Genitalverstümmelung sind weitreichend und hängen von der Art der durchgeführten Beschneidung, den Durchführungsbedingungen und dem Gesundheitszu­stand der Frau bzw. des Mädchens vor dem Eingriff ab.13 Die Bedingungen beim Ritual der weiblichen Genitalverstümmelung sind in aller Regel als äußerst unhygienisch zu bezeichnen und werden häufig mit als Schneidewerkzeug dienenden, Glasscherben, Steinen, stumpfen Messern oder Rasierklingen und Muschelschalen durchgeführt. Die gesundheitlichen Folgen wiegen häufig äußerst schwer. Die unmittelbaren Komplikationen des Eingriffs sind Schock­zustände, Infektionen, Sepsis durch eintretende Bakterien, Traumata benachbarter Gewe­bestrukturen sowie Blutstürze. Teils werden aus rituellen Gründen noch diverse Zusatzstoffe wie Asche, Kräuter, Erde oder Fäkalien auf die Wunde aufgetragen und führen hierdurch zu sogenannten Faulbränden. Als langfristige Komplikationen können Hautzysten und Abszesse, akute oder chronische Beckeninfektionen, Harnwegsinfektionen durch Narbengewebe und In­fertilität auftreten. Komplikationen bei der Geburt sind gleichfalls ständige Nebenerscheinun­gen. Aufgrund des unelastischen Narbengewebes ist eine natürlich Geburt häufig nicht mehr möglich, sodass ein Einschneiden der Narbe bei der Geburt notwendig wird. Die hieraus re­sultierenden Schwierigkeiten bei der Geburt führen häufig zu Geburtskomplikationen und so­mit zu Schäden am Kind oder der Mutter, bis hin zum Tode. Die Sterberaten infolge der Geni­talverstümmelungen werden auf drei bis sieben Prozent geschätzt, bei der Infibulation zwi­schen zehn und dreißig Prozent; hinzu kommen die Todesfälle aufgrund der Geburtskomplikationen.14

Ein Facharzt für Gynäkologie hat die Folgen des Eingriffs wie folgt beschrieben: „Entwicklungs­biologisch entspricht die Klitoris der Frau dem Penis beim Mann. Eine vollständige oder auch Teil-Entfernung (Typ I nach WHO) würde beim Mann der teilweisen oder vollständigen Penisamputation entsprechen.“15

Eine Studie des Bundesfamilienministeriums legt nahe, dass in Deutschland etwa 50.000 von einer Genitalverstümmelung betroffene Frauen leben. Zumeist wurden diese in ihren Heimat­ländern Opfer dieser Beschneidungspraxis. Weiterhin seien bis zu 5.700 Mädchen aus Zu-wandererfamilien davon bedroht, Opfer weiblicher Genitalverstümmelungen zu werden. In­folge der steigenden Migration aus Kulturen, in denen die Verstümmelung junger Mädchen weit verbreitete Praxis ist, wird die Problematik auch in NRW zunehmen. Beim Vergleich der einzelnen Bundesländer fällt auf, dass beispielsweise in Hessen im Jahr 2016 laut Kassen­ärztlicher Vereinigung Hessen 572 Fälle erfasst worden sind, wie aus einer Antwort des So­zialministeriums in Wiesbaden auf eine Kleine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervor-geht.16 Es bleibt jedoch zu vermuten, dass die Dunkelziffer deutlich darüber liegt, da dem Mi­nisterium zufolge in der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen nur Daten der gesetzlich Ver­sicherten erfasst werden, sofern diese auch von einem Arzt notiert wurden.17

Im Falle der sogenannten „Ferienbeschneidung“ werden Kinder zur weiblichen Genitalver­stümmelung vorübergehend ins Ausland verbracht. Auch Innenminister Herbert Reul führte hierzu aus, dass mehr Aufklärung notwendig sei und alleine mit den Mitteln des Strafrechts nicht weiter das bisherige Dunkelfeld ausgeleuchtet werden könnte.18

II. Der Landtag stellt daher fest:

1. Die Genitalverstümmelung stellt einen Sorgerechtsmissbrauch und einen eklatanten Menschenrechtsverstoß dar.

2. Das barbarische Ritual der Genitalverstümmelung ist als Akt der physischen und psychischen Gewalt – insbesondere gegenüber Kindern – zu ächten.

3. Opfer von Genitalverstümmelungen verdienen besondere rechtsstaatliche Unterstützung und Schutz.

4. Personen, die unmittelbar oder mittelbar mit der Thematik der weiblichen Genitalverstümmelung berufsbedingt betroffen sind, müssen für die Problemlage der Strafbarkeit solcher durchgeführten oder drohenden Eingriffe hinreichend sensibilisiert und geschult werden, um diese an Frauen und Mädchen frühzeitig zu erkennen und im rechtlichen abgesicherten Rahmen melden zu können.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

1. die unter § 4 Absatz 1 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz aufgelisteten Berufsangehörigen über das Verbot von weiblichen Genitalverstümmelun­gen weitergehend aufzuklären, entsprechende Schulungen im ausreichenden Maße be­reitzustellen und über die rechtlichen Rahmenbedingungen der Meldewege an die Ju­gendämter zu informieren als Grundlage für notwendige rechtsstaatliche Ermittlungen.

2. die Beratungsstellen für Opfer von Genitalverstümmelungen dahingehend zu unterstüt­zen, dass eine angemessene Aufklärungsarbeit gewährleistet werden kann und die Öf­fentlichkeit über diese Beratungsstellen weitergehend informiert wird.

3. eine Aufklärungskampagne für Flüchtlinge zu initiieren, um über die rechtliche Situation in Deutschland zu informieren, insbesondere über das Verbot weiblicher Genitalverstümme­lung im Inland, sowie die strafrechtliche Geltung im Ausland und damit einhergehend die Möglichkeit der Aufnahme von Ermittlungen bei Begehung der Tat im Ausland.

4. die zukünftige Vergabe von Entwicklungshilfen an der Bekämpfung von weiblichen Geni­talverstümmelungen durch die Hilfeempfängerländer festzumachen und ggf. Gelder für Entwicklungshilfen zu kürzen, sollte eine regelmäßig durchzuführende Evaluation negativ ausfallen.

5. eine regelmäßige Evaluation über die Entwicklung der weiblichen Genitalverstümmelung in Nordrhein-Westfalen durchzuführen, um ein Lagebild der aktuellen Situation und der zukünftigen Entwicklung festzustellen und dementsprechend den eventuell weitergehen­den Förderbedarf für eine Weiterentwicklung des Programmes evaluieren zu können.

Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF laden

 

1 http://www.stop-mutilation.org/default.asp (abgerufen am 06.02.2019).

2 http://m.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/263832/tag-gegen-weibliche-genitalverstuemmelung (ab­gerufen am 06.02.2019).

3 https://www.welt.de/politik/deutschland/article174757654/Vaginale-Beschneidung-Maedchen-zum-Verstuemmeln-in-die-Ferien-geschickt.html (abgerufen am 06.02.2019).

4 https://www.land.nrw/de/pressem itteilung/ministerin-steffens-genitalverstuemm lung-bei-maedchen-und-frauen-steigt-land (abgerufen am 06.02.2019).

5 https://www.welt.de/politik/deutschland/article174757654/Vaginale-Beschneidung-Maedchen-zum-Verstuemmeln-in-die-Ferien-geschickt.html?wtrid=onsite.onsitesearch (abgerufen am 06.02.2019).

6 http://m.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/263832/tag-gegen-weibliche-genitalverstuemmelung (ab­gerufen am 06.02.2019).

7 http://www.stop-mutilation.org/informationen.asp#formen (abgerufen am 06.02.2019).

8 http://www.mama-afrika.org/seite/257488/definition.html (abgerufen am 06.02.2019).

9 Marion Rosenke, Dissertation, Die rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der weiblichen Geni­talverstümmelung, Bielefelder Rechtsstudien, Band 8, 2000.

10 https://www.frauenrechte.de/online/images/downloads/fgm/EU-Studie-FGM.pdf (abgerufen am 06.02.2019).

11 https://www.welt.de/politik/deutschland/article117523332/Wenn-eine-zugenaehte-Vulva-Normali-taet-bedeutet.html (abgerufen am 06.02.2019).

12 http://www.stop-mutilation.org/projekte-in-somalia/beschneiderinnen.asp (abgerufen am 06.02.2019. 13http://www.stop-m utilation.org/informationen.asp#folgen (abgerufen am 06.02.2019).

14 Marion Rosenke, Dissertation, Die rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der weiblichen Ge­nitalverstümmelung, Bielefelder Rechtsstudien, Seite 47 ff., Band 8, 2000.

15 http://www.stop-mutilation.org/informationen.asp#formen (abgerufen am 06.02.2019).

16 https://www.welt.de/vermischtes/article172574194/Sozialministerium-572-Faelle-von-Genitalverstu-emmelung-in-Hessen.html (abgerufen am 06.02.2019).

17 https://www.welt.de/politik/deutschland/article174757654/Vaginale-Beschneidung-Maedchen-zum-Verstuemmeln-in-die-Ferien-geschickt.html?wtrid=onsite.onsitesearch (abgerufen am 06.02.2019).

18 https://www.welt.de/politik/deutschland/article174757654/Vaginale-Beschneidung-Maedchen-zum-Verstuemmeln-in-die-Ferien-geschickt.html?wtrid=onsite.onsitesearch (abgerufen am 06.02.2019).