Hat sich die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bewährt?

Kleine Anfrage
vom 29.01.2018

Kleine Anfrage 747
des Abgeordneten Thomas Röckemann AfD

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Der Landesgesetzgeber hat mit dem so genannten Bürokratieabbaugesetz II im Jahr 2007 fast alle Widerspruchsverfahren, die auf Landes- und Kommunalebene vorgesehen waren, abge­schafft. Von einem fehlerhaften Bescheid betroffene Bürger können infolgedessen seither kei­nen Widerspruch mehr einlegen. Stattdessen sind sie gehalten, unmittelbar beim Verwaltungs­gericht kostenintensiver zu klagen.

Im Jahr 2014 wurde das Gesetz dann dahingehend geändert, dass Widerspruchsverfahren unter anderem wieder bei Verwaltungsakten von Vollstreckungsbehörden, im Bereich des Un-terhaltsvorschussgesetzes sowie im Bereich des Pflegewohngeld- und Wohngeldrechts durchzuführen sind. Ebenso ist seit dieser Änderung im Bereich der Verwaltungsakte auf Grundlage des Kommunalabgabengesetzes und des Straßenreinigungsgesetzes sowie im Bereich der von den Gemeinden zu erhebenden Realsteuern wieder ein Widerspruchsverfah­ren durchzuführen.

Damals argumentierte der Gesetzgeber vor allem damit, dass nur in rund 7 Prozent der Wi­dersprüche die Widerspruchsbehörde anders entschieden hätte als die Ausgangsbehörde. Außerdem wurde die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in den Bereichen, in denen sowieso geringe Aussicht auf Erfolg besteht als Bürokratieabbau angepriesen, der dem Bürger ein zeitraubendes Durchlaufverfahren erspart.

Durch die Uneinheitlichkeit hinsichtlich der Verwaltungspraxis hat sich jedoch eine Rechtsun­sicherheit bei den Bürgern ergeben, die neben der finanziellen Belastung der Bürger durch die Konsultierung eines Anwalts vor etwaigen Klagen ebenso die Verwaltungsgerichte übermäßig belastet. Es gilt daher zu überprüfen, ob sich die Praxis der Abschaffung des Widerspruchs­verfahren bewährt hat oder ob eine Wiedereinführung, bspw. in Form eines fakultativen Widerspruchsverfahren sinnvoll ist.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie hoch schätzt die Landesregierung die finanziellen Einsparungen durch die Abschaf­fung des Widerspruchsverfahrens?
  2. Wie hoch war die Zahl der Widerspruchsverfahren bei den Behörden und Klagen vor den Verwaltungsgerichten, in den von der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens betroffe­nen Bereichen, von 1997 bis 2007?
  3. Wie hoch war die Zahl der Klagen vor den Verwaltungsgerichten, in den von der Abschaf­fung des Widerspruchsverfahrens betroffenen Bereichen, von 2007 bis 2017?
  4. Wie hoch war der Anteil an Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in den von der Ab­schaffung des Widerspruchsverfahrens betroffenen Bereichen, bei denen die Rechtswid­rigkeit der ursprünglichen Bescheide festgestellt wurde im Zeitraum von 1997 bis 2007?
  5. Wie hoch war der Anteil an Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in den von der Ab­schaffung des Widerspruchsverfahrens betroffenen Bereichen, bei denen die Rechtswid­rigkeit der ursprünglichen Bescheide festgestellt wurde im Zeitraum von 2007 bis 2017?

Thomas Röckemann

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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,

namens der Landesregierung beantworte ich die Kleine Anfrage 747 im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten sowie allen übrigen Mitgliedern der Landesregierung wie folgt:

 1. Wie hoch schätzt die Landesregierung die finanziellen Einsparungen durch die Abschaffung               des Widerspruchsverfahrens?

Eine Ermittlung der finanziellen Einsparung, die auch den kommunalen Bereich einschließen müsste, ist schon angesichts der für die Bearbeitung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Eine belastbare Bezifferung der Einsparungen erscheint überdies ausgeschlossen, da der eingesparte Arbeitsaufwand sich aus praktischen Gründen, zum Beispiel aufgrund von Mischpensen oder anderer Veränderungen beim Arbeitsanfall, nicht ermitteln lässt. Zudem wäre bei der Ermittlung der finanziellen Einsparungen ein Mehraufwand in der Justiz zu berücksichtigen, der sich jedoch ebenfalls nicht näher beziffern lässt.

Im Übrigen wird auf die Stelleneinsparungen bei den Bezirksregierungen durch die weitgehende Aussetzung des Widerspruchsverfahrens im Wege des Bürokratieabbaugesetzes II im Jahr 2014 im Rahmen der Änderung des Landesbeamtengesetzes, des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen und weiterer Rechtsvorschriften hingewiesen (Drs. 16/6089).

Darüber hinaus sind der Landesregierung Schätzungen zu finanziellen Einsparungen durch die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens nicht bekannt. Die Landesregierung beabsichtigt auch nicht, derartige Schätzungen vorzunehmen.

2. Wie hoch war die Zahl der Widerspruchsverfahren bei den Behörden und Klagen vor den Verwaltungsgerichten, in den von der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens betroffenen Bereichen, von 1997 bis 2007?

Der Landesregierung liegen nur für den Bereich des Wohngeldrechts und den Bereich der sozialen Wohnraumförderung Angaben zur Zahl der Widerspruchsverfahren bei den Behörden vor und zwar für die Jahre 2004 und 2005. Diese Angaben können der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 16 in der 16. Wahlperiode entnommen werden (Drs. 16/10351). Im Übrigen wurde die Anzahl der Widerspruchsverfahren nicht erhoben und ist im Nachgang auch nicht mehr ermittelbar.

Statistische Daten über Klagen vor den Verwaltungsgerichten, in den von der Abschaffung des Widerspruchverfahrens betroffenen Bereichen liegen der Landesregierung nicht vor, da die Anordnung über die Erhebung von statistischen Daten in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (VwG-Statistik) eine entsprechende Differenzierung nicht vorsieht.

3. Wie hoch war die Zahl der Klagen vor den Verwaltungsgerichten, in den von der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens betroffenen Bereichen, von 2007 bis 2017?

Siehe Antwort zu Frage 2.

4. Wie hoch war der Anteil an Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in den von der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens betroffenen Bereichen, bei denen die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bescheide festgestellt wurde im Zeitraum von 1997 bis 2007?

Statistische Daten zur Beantwortung der Frage liegen der Landesregierung nicht vor. Zwar werden über die VwG-Statistik Daten zum Ausgang des Verfahrens erfasst, diese Daten lassen jedoch keinen Rückschluss auf die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bescheide zu.

5. Wie hoch war der Anteil an Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in den von der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens betroffenen Bereichen, bei denen die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Bescheide festgestellt wurde im Zeitraum von 2007 bis 2017?

Siehe Antwort zu Frage 4.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Biesenbach