Kleine Anfrage 3198
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD
„Illegale Migranten auch bei Asylgesuch an der Grenze zurückweisen“ – Union übernimmt weitere AfD-Forderung – Wie positioniert sich die Landesregierung?
Wie aus einem Bericht der Welt am Sonntag vom 14. Januar 2024 hervorgeht, warnte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor erneut stark steigenden Zuwandererzahlen und forderte daher von der Bundesregierung entsprechende Gegenmaßnahmen, wozu auch eine Begrenzung des Zuzugs gehöre.
„Ich bin davon überzeugt: Deutschland, das ausschließlich von Schengen-Ländern umgeben ist, kann in einer solchen Situation nicht mehr darauf verzichten, illegale Migranten auch bei einem Asylgesuch an seiner Grenze zurückzuweisen“, forderte Herrmann. Des Weiteren führte er aus: „Das europäische Recht lässt die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit unberührt. So steht das ausdrücklich im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – das ist der sogenannte ,Ordre public’-Vorbehalt.“ Wie die Welt am Sonntag weiterhin bemerkt, hält Minister Herrmann dieses Vorgehen – die Zurückweisung Asylsuchender an der deutschen EU-Binnengrenze – für praktisch und juristisch möglich.1
Damit griff Herrmann eine altbekannte AfD-Forderung auf. Im AfD-Bundeswahlprogramm 2021 heißt es dazu:
„Eine existentielle Frage wie die Zuwanderung muss in demokratischer Selbstbestimmung auf nationaler Ebene entschieden werden. Unser Modell für das 21. Jahrhundert hat […] folgende Kernpunkte: […] Zurückweisung von Asylsuchenden bei Einreise an der Grenze gemäß Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG. […] Solange ein dauerhafter und wirksamer Schutz der EU-Außengrenzen fehlt und die untaugliche überstaatliche Rechtslage fortbesteht, muss Deutschland die Kontrolle der Grenzen und die Unterbindung illegaler Grenzüberschreitungen selbst in die Hand nehmen. Wir fordern daher: Einreisen darf künftig nur noch, wem dies erlaubt ist. Zurückweisungen an der Grenze müssen wieder als selbstverständliches Recht souveräner Staaten aufgefasst werden.“2
Zuletzt positionierte sich die AfD auf Landesebene in diese Richtung. So heißt es in einem Antrag vom 05.12.2023:
„Als Ultima Ratio zur Rechtfertigung der Zurückweisung illegaler Einreisen aus sicheren Drittstaaten käme noch eine Ausnahmeregelung des EU-Arbeitsweisevertrags in Betracht. Demnach bleiben Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit zuständig – was bei akuter Gefährdung ein Abweichen vom EU-Recht erlaubt, somit u.a. auch vom ansonsten verpflichtenden Zuständigkeitsprüfverfahren.“ Im Forderungsteil hieß es folgerichtig: „Die Bundesregierung hat zur Umsetzung dieser Vorgaben [zur Umsetzung deutschen Rechts an der EU-Binnengrenze, also Art. 16a GG i.V.m. § 18 AsylG] alle rechtsstaatlich möglichen Instrumente in Betracht zu ziehen und die ihrer Ansicht nach dafür notwendigen Maßnahmen zeitnah umzusetzen. Zu den möglichen Maßnahmen zählen: gemäß EU-Arbeitsweisevertrag zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der inneren Sicherheit sowie zur Abwehr der aktuellen Gefährdung im Zusammenhang mit der illegalen Migration nach Deutschland temporär von EU-Recht abzuweichen, z. B. im Hinblick auf das Zuständigkeitsprüfverfahren und Zurückschiebungen im grenznahen Bereich.“3
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff wird im Artikel der Welt am Sonntag in diesem Zusammenhang wie folgt zitiert: „Wir haben akuten Handlungsbedarf, was die europäische und deutsche Asylpolitik angeht. So, wie es derzeit ist, kann es nicht bleiben. […] Ohne neue Regeln riskieren wir mittelfristig eine Destabilisierung der Demokratien in Deutschland und Europa. Wir müssen vor allem die illegale Migration eindämmen, und das schnell.“4
Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) erklärte das sogenannte Dublin-Verfahren für „längst zusammengebrochen“ und führte Bezug nehmend auf die Anregung des bayerischen Innenministers aus: „Der von Innenminister Herrmann beschriebene Weg ist juristisch gangbar – wenn auch an sehr hohe Hürden geknüpft.“5
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie wird sich die Landesregierung bei den anstehenden Bund-Länder-Treffen bzw. Innenministerkonferenzen in Bezug auf Zurückweisungen von Asylsuchenden an der deutschen EU-Binnengrenze positionieren?
- Inwiefern stimmt die Landesregierung generell der rechtlichen Einschätzung des bayerischen Innenministers zu, wonach die Zurückweisung Asylsuchender an der deutschen EU-Binnengrenze praktisch und juristisch möglich sei?
- Inwiefern erachtet auch die NRW-Landesregierung die Dublin-III-Verordnung mangels praktischer Umsetzung momentan für gescheitert?
- Bei einem vorangegangenen Bund-Länder-Treffen forderte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die irreguläre Migration zu beenden.6 Mit welchen Maßnahmen beabsichtigt der Ministerpräsident diese, seine eigene Zielvorgabe umzusetzen?
- Inwiefern wird der Ministerpräsident, in Anlehnung an die altbekannte AfD-Programmatik in dieser Frage, diese Maßnahmen zukünftig gegenüber der Bundesregierung vertreten und deren Umsetzung aktiv einfordern?
Enxhi Seli-Zacharias
1 Welt am Sonntag vom 14.01.2024 „Illegale Migranten auch bei Asylgesuch zurückweisen“, https://www.welt.de/politik/deutschland/article249507206/CSU-zur-Zuwanderung-Illegale-Migranten-auch-bei-Asylgesuch-zurueckweisen.html
2 https://www.afd.de/wp-content/uploads/2021/06/20210611_AfD_Programm_2021.pdf S. 91-92
3 Lt.-Drucksache 18/7207
4 Welt am Sonntag vom 14.01.2024 „Illegale Migranten auch bei Asylgesuch zurückweisen“, https://www.welt.de/politik/deutschland/article249507206/CSU-zur-Zuwanderung-Illegale-Migranten-auch-bei-Asylgesuch-zurueckweisen.html
5 Ebd.
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 3198 mit Schreibe vom 6. März 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei beantwortet.
- Wie wird sich die Landesregierung bei den anstehenden Bund-Länder-Treffen bzw. Innenministerkonferenzen in Bezug auf Zurückweisungen von Asylsuchenden an der deutschen EU-Binnengrenze positionieren?
- Inwiefern stimmt die Landesregierung generell der rechtlichen Einschätzung des bayerischen Innenministers zu, wonach die Zurückweisung Asylsuchender an der deutschen EU-Binnengrenze praktisch und juristisch möglich sei?
Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes und die hieraus resultierenden Aufgaben und Verfahren liegen originär im Zuständigkeitsbereich von Bundesbehörden.
In Nordrhein-Westfalen sind aktuell keine Bestrebungen angedacht, Aufgaben des Grenzschutzes mit eigenen Kräften gemäß § 2 Absatz 1 und 3 Bundespolizeigesetz wahrzunehmen.
Es ist überdies nicht Aufgabe der Landesregierung, Stellungnahmen anderer Bundesländer zu kommentieren.
- Inwiefern erachtet auch die NRW-Landesregierung die Dublin-III-Verordnung mangels praktischer Umsetzung momentan für gescheitert?
Die Dublin-III-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 604/2013) enthält ein differenziertes Regelungswerk für die Prüfung von Asylanträgen innerhalb der Europäischen Union. Die Landesregierung erkennt dabei auch Verbesserungsbedarfe bei der Umsetzung der Regeln. Einer pauschalen Bewertung des Scheiterns der Dublin-III-Verordnung schließt sich die Landesregierung aber nicht an.
- Bei einem vorangegangenen Bund-Länder-Treffen forderte Ministerpräsident Hen-drik Wüst (CDU) die irreguläre Migration zu beenden. Mit welchen Maßnahmen beabsichtigt der Ministerpräsident diese, seine eigene Zielvorgabe umzusetzen?
- Inwiefern wird der Ministerpräsident, in Anlehnung an die altbekannte AfD-Pro-grammatik in dieser Frage, diese Maßnahmen zukünftig gegenüber der Bundesregierung vertreten und deren Umsetzung aktiv einfordern?
Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Wie u. a. in der Antwort auf die Kleine Anfrage 3071 (LT-Drs. 18/7665) dargelegt, wurden in den Beschlüssen der Konferenzen der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 10.05.2023 (LT-Vorlage 18/1230) und am 06.11.2023 (LT-Vorlage 18/1880) Vereinbarungen zur Eindämmung irregulärer Migration getroffen. Die Umsetzung der in den genannten Beschlüssen getroffenen Vereinbarungen bzw. Prüfaufträge liegt im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung. Die Landesregierung hat mehrfach ihrer Erwartung Ausdruck verliehen, dass die zwischen Bund und Ländern getroffenen Vereinbarungen zügig umgesetzt werden. Sie wird auch weiterhin hierauf drängen und die weitere Umsetzung der Beschlüsse eng begleiten.
Wie ebenfalls in der Antwort auf die Kleine Anfrage 3071 (LT-Drs. 18/7665) dargelegt, plant die Landesregierung vor diesem Hintergrund vorerst keine eigenen Initiativen, etwa im Bundesrat. Wie in der genannten Antwort ausgeführt, trägt das Land im Rahmen seiner exekutiven Zuständigkeiten gleichwohl dazu bei, im Bereich der sog. irregulären Migration Lösungen zu finden, die eine bessere Steuerung von Migration ermöglichen und gleichzeitig denjenigen Menschen, die Schutz brauchen, diesen auch zu geben.