Kleine Anfrage 4224
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD
Innenminister der Länder beschließen „Dresdener Erklärung“ – Folgt in NRW jetzt ein Kurswechsel in der Migrations- und Flüchtlingspolitik?
Die unionsgeführten Innenministerien der Länder haben sich auf einer Konferenz am 12. Juli 2024 auf eine sogenannte „Dresdner Erklärung“ verständigt. Inhaltlich ging es vor allem um die Reduzierung der Flüchtlingszahlen und Beschleunigung von Rückführungen.1
An der Konferenz haben die Innenminister der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein teilgenommen.
Bedingt durch die Ressortzuständigkeit in NRW fallen einige der beschlossenen Forderungen eher in das Ressort der Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul (Bündnis 90/Die Grünen). Das wirft die Frage auf, inwiefern es zuvor eine inhaltliche Abstimmung mit Innenminister Herbert Reul (CDU) gegeben hat.
Die beschlossenen Forderungen sind teils weitreichend und weichen fundamental von der bisherigen politischen Agenda der ressortzuständigen Ministerin für Flucht und Integration ab. Die zu Tage getretenen deutlich unterschiedlichen Standpunkte in der Flüchtlingspolitik zwischen Minister Reul und Ministerin Paul werfen die Frage auf, welchen Kurs die Landesregierung in dieser Frage zukünftig zu verfolgen gedenkt.
In der „Dresdner Erklärung“ sind u. a. folgende Positionierungen festgehalten:2
- Die Bundesregierung hat zur Gewährleistung von Humanität und Ordnung die bestehenden Grenzkontrollen bis zur nachhaltigen Sicherung der EU-Außengrenzen und der nachhaltig verbesserten Funktionsfähigkeit des Dublin-Systems aufrecht zu erhalten.
- Die Bundespolizei ist anzuweisen, auch Personen, die aus einem sicheren Drittstaat kommen und ein Asylgesuch äußern, die Einreise zu verweigern. Entsprechend gilt dieses, wenn bereits in einem Drittstaat um Asyl nachgesucht bzw. dieses dort abgelehnt wurde.
- Der Vorschlag der Bundesregierung, Ausweisungen im Falle von Terrorverherrlichung zu erleichtern, ist im Grundsatz zu begrüßen. Eine solche erleichterte Ausweisung muss aber […] auch bei assoziationsberechtigten Ausländerinnen und Ausländern und solchen mit Schutzstatus nach § 53 Abs. 3 bzw. 3a AufenthG möglich sein. […]
- Die Rückführung von straffälligen Ausländern, die insbesondere schwere Straftaten begangen haben, und Gefährdern insbesondere aus Afghanistan und Syrien sowie Libyen ist mit einem Sofortprogramm zu ermöglichen und eine Rückführung in jedem Einzelfall zu prüfen.
- Zur Unterstützung der Länder und Kommunen bei Rückführungen sollte der Bund an ausgewählten Flughäfen Ausreiseeinrichtungen für die Rückführung insbesondere von ausreisepflichtigen straffälligen Ausländern, die schwere Straftaten begangen haben, und Gefährdern in eigener Zuständigkeit einrichten und hierfür unverzüglich die ggf. erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen schaffen.
- In den Bundesausreisezentren ist auch die Möglichkeit für einen Ausreisearrest vorzusehen. In diesem Ausreisearrest sind straffällige Ausländer, die insbesondere schwere Straftaten begangen haben, und Gefährder so lange unterzubringen, bis sie freiwillig ausreisen.
- Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ist bis auf Weiteres auszusetzen und jegliche Belastung durch freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, den Freiwilligen Europäischen Solidaritätsmechanismus und Resettlement ist zu stoppen. Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan aus dem Jahr 2022 ist unverzüglich einzustellen.
- Armenien, Indien, Tunesien, Algerien und Marokko sind ebenfalls als sichere Herkunftsstaaten in die Anlage II zu § 29a Asylgesetz aufzunehmen. Zugleich sollte auch die Aufnahme weiterer Herkunftsstaaten mit einer regelmäßigen Asyl-Anerkennungsquote von unter fünf Prozent jedenfalls ergebnisoffen geprüft werden.
- […] Hinsichtlich Staaten, die ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Rücknahme ihrer Staatsbürger nicht nachkommen, sind durch den Bund wirksame Maßnahmen, einschließlich des Einsatzes des Visa-Hebels und der Aussetzung wirtschaftlicher Zusammenarbeit, konsequent zu ergreifen. […]
- Die Voraussetzungen für die Durchführung von Asylverfahren und ggf. auch die Schutzgewährung in Drittstaaten sind schnellstmöglich zu schaffen. […]
- Die Bundesregierung muss die rechtlichen Möglichkeiten zur Anspruchseinschränkung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für Ausreisepflichtige ausweiten.
Die Beschlüsse der „Dresdner Erklärung“ werfen die Frage auf, wie der Innenminister diese für die Landesregierung noch neue Positionierung, die in weiten Teilen der seit Jahren bestehende AfD-Programmatik entspricht, mit dem grünen Koalitionspartner umsetzen will. Die Beschlüsse werfen die irritierende Frage auf, ob es in der schwarz-grünen Koalition zu einem Kurswechsel gekommen ist.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Weiterführung stationärer Grenzkontrollen an der deutschen EU-Binnengrenze, verbunden mit Eisreiseverweigerungen an der Grenze bei Personen, die aus einem sicheren Drittstaat kommen (sprich aus allen Nachbarländern Deutschlands) und ein Asylgesuch äußern?
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Rückführung von straffälligen Ausländern, die insbesondere schwere Straftaten begangen haben, und Gefährdern insbesondere aus Afghanistan und Syrien sowie Libyen?
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Forderung einen Ausreisearrest für straffällige Ausländer vorzusehen, die insbesondere schwere Straftaten begangen haben, sowie für Gefährder und diese Personen dort so lange unterzubringen, bis sie freiwillig ausreisen?
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Forderung, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, den Freiwilligen Europäischen Solidaritätsmechanismus, das Resettlement-Programm sowie das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan ist bis auf Weiteres auszusetzen bzw. komplett einzustellen?
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten sowie das sogenannte „Ruanda-Modell“?
Enxhi Seli-Zacharias
1 Vgl. https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1077495
2 Zitiert nach https://www.medienservice.sachsen.de/medien/medienobjekte/594730/download
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 4224 mit Schreiben vom 6. September 2024 namens der Landesregierung beantwortet.
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Weiterführung stationärer Grenzkontrollen an der deutschen EU-Binnengrenze, verbunden mit Eisreiseverweigerungen an der Grenze bei Personen, die aus einem sicheren Drittstaat kommen (sprich aus allen Nachbarländern Deutschlands) und ein Asylgesuch äußern?
Der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes und die hieraus resultierenden Aufgaben und Verfahren liegen originär im Zuständigkeitsbereich von Bundesbehörden.
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Rückführung von straffälligen Ausländern, die insbesondere schwere Straftaten begangen haben, und Gefährdern insbesondere aus Afghanistan und Syrien sowie Libyen?
Für eine Wiederaufnahme von Rückführungen ist es erforderlich, mit den entsprechenden Staaten eine Verständigung über die Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen zu erreichen und entsprechende Modalitäten wie die Identifizierung, die Ausstellung von Heimreisedoku-menten sowie die konkreten Rückführungsverfahren zu vereinbaren. Grundsätzlich ist hier der Bund gefragt, Gespräche aufzunehmen und entsprechende Vereinbarungen für die Rücknahme der eigenen Staatsangehörigen auszuhandeln.
Inwieweit gegebenenfalls anschließend die weiteren rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für eine Durchführung der Abschiebung vorliegen, ist in jedem Einzelfall zu prüfen. Diese Prüfung obliegt den zuständigen örtlichen Ausländerbehörden.
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Forderung einen Ausreisearrest für straffällige Ausländer vorzusehen, die insbesondere schwere Straftaten begangen haben, sowie für Gefährder und diese Personen dort so lange unterzubringen, bis sie freiwillig ausreisen?
Für eine Inhaftnahme zum Zwecke der Durchführung der freiwilligen Ausreise besteht keine Rechtsgrundlage. Das Ausreisegewahrsam dient der Sicherstellung der Durchführbarkeit von Abschiebungsmaßnahmen.
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Forderung, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, den Freiwilligen Europäischen Solidaritätsmechanismus, das Resettlement-Programm sowie das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan ist bis auf Weiteres auszusetzen bzw. komplett einzustellen?
Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten vom 12.07.2018 wurden die Regelungen zur Steuerung des Familiennachzugs zum vorgenannten Personenkreis geschaffen. Die Regelungen sind so ausgestaltet worden, dass sowohl der humanitären Verantwortung gegenüber anerkannten Schutzberechtigten, bei denen eine Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Herkunftsstaat nicht möglich ist, als auch der Belastung der staatlichen und gesellschaftlichen Aufnahme- und Integrationssysteme durch die Zuwanderung Rechnung getragen wird. Die Entscheidung zur Durchführung der genannten humanitären Aufnahmeprozesse konzipiert die Bundesregierung.
- Inwiefern unterstützt auch die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten sowie das sogenannte „Ruanda-Modell“?
Rückführungen scheitern häufig an der Bereitschaft der Herkunftsländer, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen. Deshalb braucht es ein Gesamtkonzept für Migration, das steuernd und ordnend wirkt, um irreguläre Migration zu reduzieren und Wege legaler Migration aufzuzeigen. Wichtig sind auch tragfähige Migrationsabkommen mit relevanten Herkunftsländern. Hier ist die Bundesregierung gefordert ihre Bemühungen deutlich zu intensivieren.