Inwiefern halten es die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul (Bündnis 90/Die Grünen), sowie der Innenminister, Herbert Reul (CDU), für angemessen, eine inhaltlichen Bewertung des Strategiepapiers der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) abzulehnen?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1563

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner vom 16.03.2023

Inwiefern halten es die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul (Bündnis 90/Die Grünen), sowie der Innenminister, Herbert Reul (CDU), für angemessen, eine inhaltlichen Bewertung des Strategiepapiers der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) abzulehnen?

Im Rahmen der Kleinen Anfrage 1115 der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias der Fraktion der AfD „Ampel macht Migrationspolitik gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Die NRW-Landesregierung folgt bereitwillig?“1 ging es in der ersten Frage um die Bewertung der Landesregierung in Bezug auf ein Strategiepapier der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) mit dem Titel: „Wir stecken mittendrin in der nächsten Flüchtlingskrise.2 Die DPolG stellte seinerzeit folgende Forderungen zur Behebung der Grenzschutzkrise auf:

  • Sofortige Notifizierung der Grenze zur Tschechischen Republik
  • Einführung stationärer Grenzkontrollen
  • Bündelung der Kräfte von Bundespolizei, BAMF, THW und BALM an den Grenzübergängen
  • Einrichten und Inbetriebnahme von Gewahrsamszentren zur Sicherung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Falle von unzulässigen Schutzanträgen
  • Konsequente Rückführung von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern
  • Erweiterung des § 71 AufenthG um eine Zuständigkeit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei im Inland (Bahnhofe)
  • Drastische Erhöhung des Personal- und Sachhaushaltes der Bundespolizei, mindestens 4.000 zusätzliche Planstellen und zusätzliche 500 Mio. Euro für das Haushaltsjahr 20233

In der Pressemitteilung der DPolG wurde zudem auf ein Interview mit ihrem Bundesvorsitzenden, Heiko Teggatz, im Cicero verwiesen.4 Deutliche Kritik richtete sich bei dieser Gelegenheit insbesondere in Richtung der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Auf die Frage nach einer Einschätzung des vorliegenden Positionspapiers antwortete die Landesregierung:

„Nordrhein-Westfalen ist ein weltoffenes Einwanderungsland. NRW macht aus, dass Vielfalt als Stärke gesehen wird. Chancengerechtigkeit, Menschenrechte und gelebte Humanität stehen im Mittelpunkt unserer Integrations-, Migrations- und Flüchtlingspolitik. Sozial, kulturell und nicht zuletzt wirtschaftlich profitiert Nordrhein-Westfalen von Einwanderung. Gleichzeitig ist das Zusammenleben in einer vielfältigen und von unterschiedlichen Erfahrungen und Biografien geprägten Gesellschaft auch vor Herausforderungen gestellt, der sich alle im Sinne des sozialen Miteinanders gleichermaßen stellen müssen.“

Auch wenn die Grenzsicherung Bundesangelegenheit ist, ist NRW als größtes Bundesland doch zu mind. 20 % von den Auswirkungen der seit 2015 andauernden Grenzschutzkrise betroffen. Eine Erweiterung des § 71 im Sinne des Strategiepapiers würde zudem direkt in die Befugnisse der Landespolizei eingreifen. Von daher ist es in unseren Augen nicht angemessen, eine inhaltliche Bewertung des Strategiepapiers der DPolG abzulehnen.

Ähnliches gilt in abgeschwächter Form auch für die Antwort auf die Frage, inwiefern die Landesregierung ein Problem im Vorschieben der Ukraine-Flüchtlinge als Alibi sieht, um von der weiterhin hingenommenen Sekundärmigration aus den EU-Ersteinreiseländern Griechenland und Italien nach Deutschland abzulenken. Die Antwort der Landesregierung lautete:

„Es gibt unterschiedliche Formen des Zuzugs von Menschen nach Deutschland bzw. Nordrhein-Westfalen. Beispielhaft zu nennen sind der Zuzug im Zusammenhang mit dem Vorübergehenden Schutzmechanismus, humanitäre Aufnahmeprozesse, Äußerungen von Asylgesuchen oder die Fachkräftegewinnung. Alle Formen besitzen unterschiedliche Rechtsgrundlagen, Akteure oder operative Aufnahmemechanismen, die zu trennen sind.“

Das ist alles richtig und nett formuliert, beantwortet aber nicht die gestellte Frage.

Wie aus einer Pressemitteilung der Deutschen Bundespolizei hervorgeht, ist die Lage an der Grenze nämlich geradezu dramatisch. So heißt es zusammenfassend: „Der im Jahr 2022 ansteigende Trend bei den durch die Bundespolizei festgestellten unerlaubten Einreisen hat sich mit 7.587 Feststellungen auch im Januar 2023 fortgesetzt. Dies entspricht einer Steigerung von 70,9 % im Vergleich zum Januar 2022.“5 Vergleicht man die Anzahl der unerlaubten Einreisen zwischen 2021 und 2022, so erhöhte sich die Zahl von 57.367 auf 91.986 oder, anders ausgedrückt, um 60 %! Die Anzahl der unerlaubten Einreisen im Januar 2023 entspricht in etwa dem Wert der Vorjahresmonate Januar und Februar zusammen.

Selbst Zahlen aus dem Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration liefern mittlerweile ein eindeutiges Bild, wonach der größte Zuzug eben nicht mehr aus der Ukraine erfolgt. Danach belief sich der Gesamtzugang in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Bochum vom 01.01.2023 bis 31.01.2023 auf 6.342 Personen. Davon stellten 6.009 Personen erstmals ein Asylgesuch (Asylerstantragsteller) oder ein Schutzgesuch nach § 24 AufenthG (Geflüchtete aus der Ukraine). Von diesen 6.009 Personen entfallen 1.544 (26 %) auf Ukraine-Flüchtlinge und 3.952 (74 %) auf Asylantragsteller, also in der Regel Einreisen im Zuge der Sekundärmigration nach Deutschland, welche gerade die DPolG bestrebt ist zu unterbinden.6

Im Hinblick auf die angespannte bzw. überspannte Unterbringungssituation ist diese dramatische Entwicklung an den deutschen EU-Binnengrenzen selbstverständlich auf für NRW von größter Bedeutung. Bekanntlich hat der starke und unkontrollierte Zuzug auch Einfluss auf die Lage in vielen anderen Bereichen. Zu nennen sind hierbei z.B. Auswirkungen auf das Schulwesen, die Polizei, das Gesundheitswesen oder auch die Justiz.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie bewertet der Innenminister, Herbert Reul, die Forderungen der DPolG, insbesondere auch im Hinblick auf mögliche Auswirkungen für NRW bei einer zeitnahen Umsetzung?
  2. Wie bewertet der Innenminister insbesondere die angestrebten Änderungen des § 71 AufenthG, die zu einer Erweiterung der Befugnisse der Bundespolizei im Inland führen würden?
  3. Inwiefern könnten im Falle einer Umsetzung der Forderungen die Landespolizeibehörden im Rahmen der Amtshilfe die Beamten der Bundespolizei unterstützen?
  4. Inwiefern könnte nach Ansicht des Innenministers die angestrebte Änderung des § 71 AufenthG ggf. auch als effektive Alternative zu einer Notifizierung der EU-Binnengrenze dienen?
  5. Inwiefern ist die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, in Anbetracht der oben aufgeführten Zugangszahlen zukünftig bereit, in der Außendarstellung die daraus resultierenden Schlussfolgerungen zu berücksichtigen und somit die Antwort auf die 2. Frage der Kleinen Anfrage 1115 zu revidieren?

Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. Lt.-Drucksache 1115

2 Vgl. h tt p s : / / ww w . dpolg-bundespolizei.de/aktuelles/news/wir-stecken-mittendrin-in-der-naechsten-fluechtlingskrise/?fbclid=IwAR23haSGmryoT26loRzmhJmyz6jUVO4Aq98XczsRGmVU4NXGoHZXi0b ARDY

3 Ebd.

4 Vgl. h t t p s : / / w w w . c i ce ro.de/innenpolitik/bundespolizeigewerkschaft-schlagt-alarm-wir-stecken-mittendrin-in-der-nachsten-fluchtlingskrise-

5 Vgl. h t t p s : / / w w w . p resseportal.de/blaulicht/pm/73990/5451023

6 Vgl. Lt.-Vorlage 18/917


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1563 mit Schreiben vom 11. April 2023 na­mens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.

  1. Wie bewertet der Innenminister, Herbert Reul, die Forderungen der DPolG, insbe­sondere auch im Hinblick auf mögliche Auswirkungen für NRW bei einer zeitnahen Umsetzung?

Das angesprochene Strategiepapier der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) fordert ein Maßnahmenbündel u.a. im Zusammenhang mit grenzpolizeilichen Aufgaben.

Unabhängig davon, inwieweit die Forderungen der benannten Gewerkschaft überhaupt um­gesetzt werden, liegen der grenzpolizeiliche Schutz des Bundesgebietes und die hieraus re­sultierenden Aufgaben und Verfahren originär im Zuständigkeitsbereich von Bundesbehörden.

Die Landesregierung sieht keinen Anlass, derzeit die Forderungen nach Maßnahmen im Zu­ständigkeitsbereich eines anderen Hoheitsträgers zu bewerten noch abstrakt über hypotheti­sche Amtshilfeleistungen im Rahmen derartiger Maßnahmen zu spekulieren.

  1. Wie bewertet der Innenminister insbesondere die angestrebten Änderungen des § 71 AufenthG, die zu einer Erweiterung der Befugnisse der Bundespolizei im Inland führen würden?

Hierzu gelten die Ausführungen zu Frage 1 entsprechend.

  1. Inwiefern könnten im Falle einer Umsetzung der Forderungen die Landespolizeibehörden im Rahmen der Amtshilfe die Beamten der Bundespolizei unterstützen?

Hierzu gelten die Ausführungen zu Frage 1 entsprechend.

  1. Inwiefern könnte nach Ansicht des Innenministers die angestrebte Änderung des § 71 AufenthG ggf. auch als effektive Alternative zu einer Notifizierung der EU-Binnengrenze dienen?

Hierzu gelten die Ausführungen zu Frage 1 entsprechend.

  1. Inwiefern ist die Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, in Anbetracht der oben aufgeführten Zugangszahlen zukünftig bereit, in der Außendarstellung die daraus resultierenden Schlussfolgerungen zu berücksichtigen und somit die Antwort auf die 2. Frage der Kleinen Anfrage 1115 zu revidieren?

Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration sieht keinen Grund, die Antwort zu Frage 2 der Kleinen Anfrage 1115 zu revidieren.

 

Antwort als PDF