Ist der Beutelsbacher Konsens bei der Landeszentrale für politische Bildung zur Makulatur verkommen?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 428
der Abgeordneten Andreas Keith, Enxhi Seli-Zacharias und Klaus Esser vom 08.09.2022

 

Ist der Beutelsbacher Konsens bei der Landeszentrale für politische Bildung zur Makulatur verkommen?

Im Beutelsbacher Konsens sind die 3 entscheidenden Prinzipien im Rahmen der politischen Bildung verankert. Dazu gehören das Überwältigungsverbot, das Gebot der Kontroversität und das Prinzip der Schülerorientierung.

Gemäß dem Überwältigungsverbot darf Schülern eine Meinung nicht aufgezwungen werden. Stattdessen sollen sie in die Lage versetzen werden, sich mit Hilfe des Unterrichts eine eigene Meinung bilden zu können. Dieser Ansatz verfolgt das Ziel der Erziehung zum „mündigen Bürger“. Beim Gebot der Kontroversität geht es darum, Themen stets kontrovers darzustellen und zu diskutieren. Die durchaus legitime eigene Meinung und die politischen, wie theoretischen Standpunkte der Lehrkraft sollen nicht zur Überwältigung der Schüler eingesetzt werden. Beim Prinzip der Schülerorientierung geht es schließlich darum, den Schüler in die Lage zu versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und seine eigene Position zu analysieren und sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen sowie „nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen“.1

Insbesondere durch die einseitige Ausrichtung des Programms „Demokratie Leben“ auf einen „Kampf gegen rechts“– unter weitgehender Ausblendung der Problematik des Linksextremismus und des Islamismus – geraten diese Grundprinzipien bei der Landeszentrale für politische Bildung in akute Bedrängnis. Bei einem Gesamtetat von 14,4 Mio. Euro der Landeszentrale für politische Bildung im Jahre 2022 gehen alleine 2,9 Mio. Euro als Zuschüsse an die verschiedenen Träger des Projekts „Demokratie Leben“. Bundesweit stieg die Finanzausstattung für dieses Programm zwischen 2015 und 2022 von 40 Mio. auf 165 Mio. Euro jährlich. Damit werden aktuell ca. 600 Projekte gefördert.2

Sinn und Zweck des geplanten Demokratiefördergesetzes soll es jetzt sein, Finanzmittel zu verstetigen und so eine permanente Neuausschreibung der Projekte, verbunden mit dann erforderlichen erneuten Bewerbungen der Träger, zu unterbinden.

Dabei wäre eine kritische Evaluation der geförderten Projekte dringend erforderlich. Viele Projekte werfen die Frage auf, ob es sich um „echte politische Bildung“ oder um mit öffentlichem Druck erzeugte Gefolgschaft für eine „woke“ Ideologie handelt. Auffällig oft wird mit inhaltsleeren Phrasen, wie „Weltoffenheit“, „bunt“, „Vielfalt“ oder auch vorschnell mit Vorverurteilungen wie „Diskriminierung“ und „Rassismus“ gearbeitet, nicht zwangsläufig aus Überzeugung oder gar wissenschaftlicher Evidenz heraus, sondern weil sich auf diesem Wege die Türen zu den Fördertöpfen öffnen. Zusätzlich gibt es mindestens personelle Verbindungen zu politischen Parteien, was naturgemäß vor dem Hintergrund der erforderlichen Neutralität und den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsens ein Spannungsverhältnis erzeugen kann. Zusätzlich entsteht der Verdacht, lediglich als Vorfeldorganisation linker Parteien zu agieren. Wer weiterhin an den Fördertöpfen beteiligt sein möchte, wird sich dem erwünschten Zeitgeist tendenziell fügen.

Es kann zudem kritisch betrachtet werden, wenn staatlich geförderte Träger einseitig und überwältigend in die unabhängige Meinungsbildung eingreifen, ohne alternative Ansätze zu benennen, insbesondere wenn es um Sachverhalte geht, die zwar nicht „woke“ sind, sich aber unterhalb des Verfassungsschwelle und der Strafbarkeit befinden.

Wie weit dürfen staatlich geförderte Organisationen also – wenn überhaupt – in die Meinungsbildung eingreifen? Wo sind die Grenzen der politischen Bildung? Greift der Staat bereits in die Grundfeste der Demokratie ein, wenn eine Thematik nur einseitig beleuchtet wird und entgegengesetzte, aber ebenfalls legitime Meinungen nicht vorkommen? Inwiefern wird das Programm „Demokratie Leben“ letztendlich der „Freiheit des Andersdenkenden“ gerecht, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ähnliche Programme mit ähnlicher finanzieller Ausstattung, die sich dem Linksextremismus bzw. dem Islamismus widmen, kaum existieren? Betrachtet man den Themenkomplex „Islamismus“, muss man bei der Landeszentrale gar eine einseitige Umkehr der eigentlich erforderlichen Themenschwerpunkte feststellen. Das Thema Islamismus wird ersetzt durch das Thema „antimuslimischer Rassismus“, wobei die Herkunft dieses Begriffes auch noch standhaft ignoriert wird.3

Von entscheidender Bedeutung ist es, wer die zu fördernden Projekte beim Programm „Demokratie Leben“ auswählt. Auf Bundesebene ist lediglich von externen Gutachtern aus „Wissenschaft und Praxis“ die Rede. Zudem stellt sich die Frage, ob mit dem Programm „Demokratie Leben“ unnötige Doppelstrukturen geschaffen werden. Auch wenn sich die verausgabten Mittel in NRW – anders als in anderen Bundesländern – im Haushalt der Landeszentrale finden, fällt auf, dass es einen weiteren Haushaltstitel im Umfang von 3 Mio. Euro gibt, der sich ebenfalls dem Rechtsextremismus widmet. Zusätzlich zu dieser Doppelstruktur wird auch außerhalb des Programms „Demokratie Leben“ der Linksextremismus von der Landeszentrale fast vollständig ausgeblendet und der Salafismus (als Bestandteil des Islamismus) geradezu stiefmütterlich behandelt.4

Auch bei den durchgeführten Tagungen der Landeszentrale sind Veranstaltungen, die den allgemeinen politischen Narrativen nicht folgen – insbesondere in den Themenbereichen „Klima“, „Flucht“ und „Gender“ –, augenscheinlich nicht vorgesehen. Somit steht das Ziel fest, es wird allenfalls noch über den Weg diskutiert. Der Beutelsbacher Konsens wird so mit Füßen getreten.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Welche Projekte bzw. Organisationen wurden im Rahmen des Programms „Demokratie Leben“ im Haushaltsjahr 2022 aus Mitteln des Landeshaushalts NRW gefördert? (Bitte alle Projekte bzw. Organisationen benennen, inkl. der jeweiligen Fördersumme und des Verwendungszwecks)
  2. Welche Personen bzw. staatliche Stellen haben an der Auswahl dieser Projekte bzw. Organisationen beim Auswahlverfahren mitgewirkt?
  3. Wie wird beim Programm „Demokratie Leben“ sichergestellt, dass es sich um Demokratieförderung auf Grundlage der 3 Prinzipien des Beutelsbacher Konsens handelt, sodass politische Indoktrination mit dem Ziel, einseitig das eigene bzw. das erwünschte Weltbild zu vermitteln, also unterbleibt?
  4. Inwiefern besteht nach Ansicht der Landesregierung eine Gefahr für das Demokratieprinzip unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wenn es sich zivilgesellschaftliche Organisationen zur Aufgabe machen – anstelle des Staates – sensible Bereiche des öffentlichen Lebens indirekt zu bestimmen?
  5. Welche Projekte der Landeszentrale für politische Bildung verfolgen – in emotional oftmals aufgeladenen Themenfeldern wie z.B. „Klima“, „Flucht“, „Gender“ – einen alternativen Ansatz, um somit den 3 Prinzipien des Beutelsbacher Konsens zu genügen?

Andreas Keith
Enxhi Seli-Zacharias
Klaus Esser

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. https://www.lpb-bw.de/beutelsbacher-konsens/

2 Vgl. https://www.cicero.de/innenpolitik/demokratiefordergesetz-aktivismus-politische-bildung-ngo-grundgesetz

3 Vgl. https://www.audiatur-online.ch/2020/09/28/begriff-antimuslimischer-rassismus-ein-islamistisches-pferd/

4 Vgl. Haushalt 2022; Kapitel 06 070; Titel 684 23; Beratungsleistungen gegen verfassungsfeindlichen Salafismus; Ansatz 2022: 250.000 Euro


Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 428 mit Schreiben vom 5. Oktober 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Wirt­schaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, dem Minister der Finanzen und der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.

  1. Welche Projekte bzw. Organisationen wurden im Rahmen des Programms „Demo­kratie Leben“ im Haushaltsjahr 2022 aus Mitteln des Landeshaushalts NRW geför­dert? (Bitte alle Projekte bzw. Organisationen benennen, inkl. der jeweiligen För­dersumme und des Verwendungszwecks)

Die Projekte, die im Rahmen des Bundesförderprogramms „Demokratie leben!“ Fördermittel erhalten, werden teilweise durch Bundes- und Landesmittel gefördert. Die Zuwendungen des Bundes werden per Zuwendungsbescheid an die entsprechenden Träger weitergeleitet. Fol­gende Projekte und Träger werden im Haushaltsjahr 2022 durch das Bundesförderprogramm „Demokratie leben!“ gefördert:

Projektbezeichnung Träger Förderung
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus – Regierungsbezirk Arnsberg Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen 241.000 Euro

(148.300 Euro Bundesmittel,

92.700 Euro Landesmittel)

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus – Regierungsbezirk Detmold Arbeit und Leben im Kreis Herford DGB/VHS e.V. 234.100 Euro

(141.400 Euro Bundesmittel,

92.700 Euro Landesmittel)

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus – Regierungsbezirk Düsseldorf Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz e.V. 348.700 Euro

(256.000 Euro Bundesmittel,

92.700 Euro Landesmittel)

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus – Regierungsbezirk Köln NS-Dokumentationszent- rum 201.800 Euro

(109.100 Euro Bundesmittel,

92.700 Euro Landesmittel)

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus – Regierungsbezirk Münster Geschichtsort Villa ten Hompel 241.500 Euro

(148.800 Euro Bundesmittel,

92.700 Euro Landesmittel)

Opferberatung Rheinland IDA-NRW 509.000 Euro

(215.450 Euro Bundesmittel,

293.550 Euro Landesmittel)

Opferberatung Westfalen BackUp-ComeBack e.V – Beratung für Opfer rechtsextremer und ras- sistischer Gewalt 486.300 Euro

(192.750 Euro Bundesmittel,

293.550 Euro Landesmittel)

Ausstiegsberatung für rechts- extreme Jugendliche und Erwachsene – NinA NRW RE/init e.V. 355.700 Euro

(206.700 Euro Bundesmittel,

149.000 Euro Landesmittel)

Re_Struct zur Praxisentwick- lung für rassismuskritische und intersektionale Perspek­tiven in Kommunen, Instituti­onen und Vereinen IDA-NRW 213.000 Euro Bundesmittel
Spotlight – Antifeminismus erkennen und begegnen Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz e.V. 85.000 Euro Bundesmittel
Jederzeit wieder! Gemein- sam gegen Antisemitismus Kölnische Gesellschaft
für Christlich-Jüdische
Zusammenarbeit e. V.
205.100 Euro Bundesmittel
Modellprojekt

Rechtsextremismus-, Rassis­mus- und Antisemitismusprä-vention in der Hochschulaus­bildung

Hochschule Düsseldorf 249.000 Euro Bundesmittel
TBDT – Türkeistämmige Bürger*innen in NRW für Demokratie und Teilhabe TB NRW Türkischer Bund in Nordrhein-West- falen e.V. 150.200,78 Euro

(119.200,78 Euro Bundesmit-tel,

30.000 Euro Landesmittel, 1.000 Euro Eigenanteil)

180° Wende Keepers
A(ction)
Jugendbildungs-und So- zialwerk Goethe e.V. 415.307,69 Euro

(197.307,69 Euro Bundesmit-

tel,

218.000,00 Euro Landesmittel)

Meeting Diaspora Elternnetzwerk NRW Integration miteinander e. V. 163.264, 88 Euro

(146.938,39 Bundesmittel, 16.329,49 Landesmittel)

 

  1. Welche Personen bzw. staatliche Stellen haben an der Auswahl dieser Projekte bzw. Organisationen beim Auswahlverfahren mitgewirkt?

Die Zuständigkeit beim Auswahlverfahren der Träger liegt bei der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus und Rassismus des Landes Nordrhein-Westfalen im Ministerium für Kultur und Wissenschaft.

Die letzten drei Projekte wurden durch die für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ zu­ständige Stelle im Bundesministerium ausgewählt und werden durch die Integrationsabteilung des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration kofinan-ziert.

  1. Wie wird beim Programm „Demokratie Leben“ sichergestellt, dass es sich um De­mokratieförderung auf Grundlage der 3 Prinzipien des Beutelsbacher Konsens handelt, sodass politische Indoktrination mit dem Ziel, einseitig das eigene bzw. das erwünschte Weltbild zu vermitteln, also unterbleibt?

Das Programm „Demokratie leben!“ ist ein Förderprogramm des Bundes. Die Frage ist ent­sprechend an das zuständige Bundesministerium zu richten.

  1. Inwiefern besteht nach Ansicht der Landesregierung eine Gefahr für das Demo­kratieprinzip unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wenn es sich zi­vilgesellschaftliche Organisationen zur Aufgabe machen – anstelle des Staates – sensible Bereiche des öffentlichen Lebens indirekt zu bestimmen?

Der Landesregierung sind keine derartigen Fälle bekannt.

  1. Welche Projekte der Landeszentrale für politische Bildung verfolgen – in emotio­nal oftmals aufgeladenen Themenfeldern wie z.B. „Klima“, „Flucht“, „Gender“ – einen alternativen Ansatz, um somit den 3 Prinzipien des Beutelsbacher Konsens zu genügen?

Grundsätzlich unterliegen alle Angebote der Landeszentrale für politische Bildung den Prinzi­pien des Beutelsbacher Konsenses. Das in der Kleinen Anfrage vornehmlich angesprochene Kontroversitätsgebot besagt, dass Themen, die in Wissenschaft und Politik kontrovers sind, auch in Formaten der politischen Bildung kontrovers erscheinen müssen.

Dieses Prinzip wird in Angeboten der Landeszentrale sichtbar. Dazu gehört beispielsweise das digitale Format „wasbewegt.nrw“, in dem regelmäßig eine politische Fragestellung mit be­sonderer Relevanz für Nordrhein-Westfalen aus gegensätzlichen Perspektiven beleuchtet wird.

Seit dem Start vor rund einem Jahr hat sich „wasbewegt.nrw“ mit Fragestellungen aus allen drei aufgeführten Themenkomplexen „Klima“, „Flucht“ und „Gender“ differenziert beschäftigt.

 

Antwort als PDF