Antrag
der Fraktion der AfD
Keine pauschalen Schulschließungen: Schülern, Lehrern und Eltern Planungssicherheit geben!
I. Ausgangslage
In den Corona-Jahren 2020 und 2021 kam es zwischenzeitlich zur vollständigen Einstellung des Präsenzunterrichts an Schulen und weiteren Bildungseinrichtungen. Die Bundesländer verkündeten am 13. März 2020 flächendeckende Corona-bedingte Schulschließungen.1 Ab dem 4. Mai 2020 wurde eine schrittweise Öffnung der Grundschulen ermöglicht. Der Präsenzunterricht an Grundschulen wurde ab dem 7. Mai 2020 unter Berücksichtigung eines rollierenden Systems – in dem verschiedene Jahrgänge an verschiedenen Wochentagen analog unterrichtet wurden – wieder aufgenommen.2 Im Dezember 2020 wurde die Präsenzpflicht erneut aufgehoben und Kinder ab der 8. Klasse zum Distanzunterricht verpflichtet.3 Selbst nach den Weihnachtsferien blieben die Schulen bis einschließlich 12. Februar 2021 geschlossen. In den darauffolgenden Wochen wurde bis zu den Osterferien 2021 wieder das Wechselsystem von Präsenz- und Distanzunterricht in zugeteilten Lerngruppen präferiert.4 Nach den Osterferien 2021 wurden alle Schüler erneut eine Woche lang mit einer generellen Pflicht zum einheitlichen Distanzunterricht konfrontiert. Zum 19. April 2021 wurde ein Wechselunterricht – in Zusammenhang mit einer zweimal wöchentlichen Testpflicht – eingeführt.5 Mitte Mai 2021 teilte das Landesschulministerium mit, dass ab dem 31. Mai 2021 Präsenzunterricht unter Berücksichtigung der aktuell geltenden Hygienemaßnahmen, beispielsweise Maskenpflicht in Innenräumen oder Testpflicht, gilt.6
Die Corona-bedingten Schulschließungen und Maßnahmen in den Jahren 2020 und 2021 gleichen in ihrer Gesamtbetrachtung einem Flickenteppich. Permanente Wechsel der Unterrichtsformen, Ungewissheit über den mittel- bis langfristigen Verlauf der Dinge und die prekäre Arbeitssituation der Lehrkräfte unter Pandemie-Bedingungen7 haben im Schul- und Bildungssystem und im Leben von Kindern und ihren Familien zu fatalen Konsequenzen geführt, so auch eine wissenschaftliche Studie für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.8 Durch den unbeständigen Wechsel zwischen den Unterrichtsformaten (analog und digital), aber auch durch die Verpflichtung auf Distanzunterricht konnten Eltern und Sorgeberechtigte nur eingeschränkt ihrem beruflichen Alltag nachgehen. Heranwachsenden – auch jenen mit besonderen Förderbedürfnissen – konnte kein adäquater sozialer Lernraum garantiert werden. Renommierte Wissenschaftler halten fest, dass sich Bildungsungleichheiten im deutschen Schulsystem durch Schulschließungen massiv verschärft haben.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der bereits nachgewiesenen tiefgreifenden Langzeitschäden für die Schülerschaft ist es umso erstaunlicher, wie Schulschließungen von der Landesregierung begründet wurden. Als Grund für Schulschließungsmaßnahmen und die Anordnung von Distanzunterricht wurde in der Sondersitzung des Landtages vom 11. Januar 2021 wie auch in der Sondersitzung des Ausschusses für Bildung und Schule am 12. Januar 2021 festgehalten, dass keine gesicherten Zahlen über Ansteckungen während des Schulbesuchs vorlägen. Aufgrund der instabilen Datenlage über Ansteckung und Krankheit wurden die Schulen geschlossen.9 Diese mangelhafte Datengrundlage ist vor allem fehlerhaften Testergebnissen geschuldet.10
Obgleich die Wirksamkeit von Maßnahmen wie Schulschließungen bisher nicht vollumfänglich eruiert werden konnte und keine faktenbasierte Datengrundlage zu tatsächlichen Infektionszahlen vorliegt, sind negative Konsequenzen für Heranwachsende hervorzuheben. Gravierende Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, psychische Auffälligkeiten, Vereinsamung und deutliche Lernrückstände bei Heranwachsenden sind neben einem exorbitanten Leistungsabfall z.B. bei Viertklässlern in der Lesekompetenz nur einige der Langzeitsymptome nach den Schulschließungen, wie auch eine Sonderanalyse der DAK zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Zeit darlegt.11 Schulschließungen, Schulausfall und unsteter Fernunterricht dürften ohnehin vorhandene Tendenzen potenziert haben. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) wies im Juni 2022 darauf hin, dass Schüler unter einem Bildungsrückstand von bis zu sechs Monaten leiden.12 Dieser Meinung schließt sich auch OECD-Direktor Andreas Schleicher an, der Schulschließungen kritisch bewertet. So führt er insbesondere aus: „Wir haben gerade im internationalen Vergleich gesehen, dass sich auch bei schwieriger Infektionslage die Schulen offen halten lassen – wenn das Priorität hat und wenn man entsprechende Vorbereitungen trifft.“13
Diese Einschätzungen werden durch die Ergebnisse der COPSY-Längsschnittstudie ebenfalls verstärkt.14 Die psychische Gesundheit von Heranwachsenden wurde mit international validierten Screening-Instrumenten gemessen.15 Die Studie konstatiert, dass sich acht von zehn Kindern in der Krisenzeit sehr belastet gefühlt haben.16 Heranwachsenden habe es Sorge bereitet, ihre Freunde nicht mehr sehen zu können. Sie sorgten sich um Veränderungen in ihrem Lebensumfeld und berichteten von Orientierungsproblemen und der Angst, sich durch den Wegfall ihrer Lebenswelten in der Gesellschaft nicht mehr zurechtfinden zu können. Über 30 Prozent der Heranwachsenden fühlten sich einsam, berichteten von Problemen, Unwohlsein und großen Sorgen um ihre Zukunft.17
Auch der schwarz-grüne Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen sieht die Notwendigkeit einer kurzfristigen Umstellung auf Distanzunterricht vor, wenn die Infektionszahlen wieder ansteigen sollten. Schulschließungen werden ausdrücklich nicht ausgeschlossen.18 Einerseits wird dadurch die allgemeine Ungewissheit über mögliche eklatante Einschnitte in den Schulbetrieb und eine adäquate Wiederherstellung des beständigen Lern- und Leistungsumfelds der Schülerschaft weiterhin gehemmt. Andererseits werden Aufholprogramme19 konterkariert. Erneute Schulschließungen würden weitere Fördermittel und Hilfsleistungen erforderlich machen.
Die vorliegenden nebulösen Aussagen zu Schulschließungen, die festgestellte Schädlichkeit von Schulschließungen in jeglicher Hinsicht und das berechtigte Interesse von Eltern und Lehrkräften an Planungssicherheit geben allen Grund zur Forderung eines klaren Bekenntnisses der Landesregierung.
II. Der Landtag stellt fest:
- Schulschließungen wurden in der Vergangenheit trotz mangelhafter Datengrundlage durchgesetzt.
- Schulschließungen und Fernunterricht haben zu erheblichen gesundheitlichen Folgen, Lern- und Leistungsrückständen, organisatorischen Schwierigkeiten und zu wirtschaftlichen Kettenreaktionen geführt.
- Schulschließungen und Fernunterricht sind kein adäquater Ersatz für Präsenzunterricht im Klassenzimmer, in dessen Rahmen ein sozialer Austausch mit anderen Schülern und ein pädagogischer Entwicklungsraum für Heranwachsende gewährleistet wird.
- Schulschließungen konterkarieren laufende Aufholprogramme und produzieren weitere Lernrückstände. Bildungsungleichheiten werden dadurch verstärkt.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
- Pauschale Schulschließungen ab Herbst kategorisch auszuschließen. Schulen müssen unter Berücksichtigung sinnhafter Hygienebedingungen uneingeschränkt geöffnet bleiben, um einen geordneten Schulbetrieb und damit auch ein stabiles Lernumfeld aufrechtzuerhalten.
- Dafür Sorge zu tragen, dass das Aktionsprogramm „Ankommen und Aufholen“ flächendeckend genutzt und bei Bedarf über das Jahr 2022 hinaus weitergeführt wird.
Carlo Clemens
Dr. Hartmut Beucker
Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith
und Fraktion
1 https://www.schulministerium.nrw/13032020-umgang-mit-dem-corona-virus-schulen-4-mail (Stand:11.08.2022)
2 https://www.schulministerium.nrw/06052020-umgang-mit-dem-corona-virus-schulen-20-mail (Stand:11.08.2022)
3 https://www.schulministerium.nrw/13122020-informationen-zu-den-heutigen-beschluessen-der-regierungsche-finnen-und-regierungschefs-und (Stand:11.08.2022)
4 https://www.schulministerium.nrw/05032021-informationen-zum-schulbetrieb-nrw (Stand:11.08.2022)
5 https://www.schulministerium.nrw/14042021-schulbetrieb-im-wechselunterricht-ab-montag-19-april-2021-coronaselbsttests-schulen (Stand:11.08.2022)
6 https://www.schulministerium.nrw/19052021-schulbetrieb-ab-dem-31-mai-2021 (Stand:11.08.2022)
8 https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Mediathek/Publikationen/FiB/FiB-31-vulnerabilitaet-bil-dungswesen.pdf? blob=publicationFile&v=2 (Stand:11.08.2022)
9 https://www.schulministerium.nrw/regelungen-fuer-schulen-phasen-des-wechselunterrichts-stand-juli-2021 (Stand: 11.08.2022)
10 https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/nrw-schafft-pooltests-an-grundschulen-ab-100.html (Stand:11.08.2022)
11 https://www.dak.de/dak/bundesthemen/corona-alarmierende-folgen-fuer-kinder-und-jugendliche-2480802.html.
12 https://www.spiegel.de/panorama/bildung/bildungsministerin-bettina-stark-watzinger-schulschliessungen-wa-ren-ein-fehler-a-92346a13-4507-4ecc-aadf-a6bef0389b42 (Stand:11.08.2022) https://www.tagesschau.de/inland/lesen-rechnen-grundschueler-lernen-101.html (Stand:11.08.2022) https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-07/grundschueler-schulleistung-bildung-pandemie-iqb-studie (Stand:11.08.2022)
13 https://www.spiegel.de/panorama/bildung/schule-und-corona-lehrkraefte-vs-pisa-chef-andreas-schleicher-streit-um-praesenz-und-distanzunterricht-a-b2eddb27-a068-470d-9d7f-e2b8161d534b (Stand:11.08.2022)
14 https://www.uke.de/kliniken-institute/kliniken/kinder-und-jugendpsychiatrie-psychotherapie-und-psychosoma-tik/forschung/arbeitsgruppen/child-public-health/forschung/copsy-studie.html (Stand:11.08.2022)
15 https://www.uke.de/kliniken-institute/kliniken/kinder-und-jugendpsychiatrie-psychotherapie-und-psychosoma-tik/forschung/arbeitsgruppen/child-public-health/forschung/copsy-studie.html (Stand:11.08.2022)
16 https://www.uke.de/allgemein/presse/pressemitteilungen/detailseite_104081.html (Stand:11.08.2022)
17 Ebd.
18 https://gruene-nrw.de/dateien/Zukunftsvertrag_CDU-GRUeNE_Vorder-und-Rueckseite.pdf (Stand:11.08.2022)
19 https://www.schulministerium.nrw/ankommen-aufholen (Stand:11.08.2022)