Kinder ernst nehmen – Lernfreude fördern – Bildungsgerechtigkeit herstellen! Schullei-tungsvotum der aufnehmenden Schule auf der Grundlage eines aussagekräftigen Grundschulgutachtens als verbindliches Kriterium für die Weiterführung der Schullauf-bahn festlegen.

Antrag
vom 26.10.2021

Antragder AfD-Fraktion vom 26.10.2021

 

Kinder ernst nehmen Lernfreude fördern Bildungsgerechtigkeit herstellen! Schullei-tungsvotum der aufnehmenden Schule auf der Grundlage eines aussagekräftigen Grundschulgutachtens als verbindliches Kriterium für die Weiterführung der Schullauf­bahn festlegen.

I. Ausgangslage

„Ich muss die Wünsche der Schulen gegen das hohe Gut des Elternwillens abwägen“, erklärte die nordrhein-westfälische Ministerin für Schule und Bildung Frau Gebauer in der ‚Rheinischen Post‘ im Februar 2018.

Am Ende des ersten Halbjahrs erhalten Viertklässler in NRW Empfehlungen für eine weiter­führende Schulform. Dabei haben die Eltern seit dem Jahre 2011 das letzte Wort. Vor drei Jahren sprach die Ministerin davon, dass Lehrer aller Schulformen für eine Rückkehr zur ver­bindlichen Grundschulempfehlung seien. Verbindlich waren die Grundschulempfehlungen in NRW zuletzt auch unter Schwarz-Gelb. Zwischen 2006 und 2011 war bei einer eingeschränk­ten Empfehlung für die angestrebte Schulform ein Gespräch der Eltern mit Vertretern der auf­nehmenden Schule verpflichtend, wenn die Eltern die Schulform wählten, für die es nur eine eingeschränkte Empfehlung gab. Wollten die Eltern ihre Kinder an eine Schulform anmelden, für die keine Grundschulempfehlung vorlag, musste das Kind an einem dreitägigen Prognose-unterricht teilnehmen. Auf Grund der Ergebnisse des Prognoseunterrichts entschieden dann vom Schulamt eingesetzte Lehrkräfte über die Schulform, die das Kind besuchen konnte.

In dem Masterplan Grundschule heißt es hierzu:

„Künftig soll durch eine wechselseitige Einbeziehung von Grundschulexpertise in die Lehrplan-arbeit für die Schulen der Sekundarstufe I und umgekehrt gesichert werden, dass die Kompe­tenzerwartungen stimmig aufeinander aufbauen und die Kontinuität im fachlichen Lernen un­terstützt wird. Auf diese Weise soll der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule auf der Inhaltsebene gestärkt werden. Die umfassende Beratungsarbeit in der Grund­schule mündet in eine begründete Empfehlung an die Eltern, die ihnen aus der professionellen Distanz der Grundschullehrkräfte eine wichtige Entscheidungshilfe bei der Wahl der für ihr Kind richtigen Schulform sein soll. Es bleibt dabei, dass die Grundschulempfehlung nicht ver­bindlich sein wird.“1

Die Unverbindlichkeit der Schulformempfehlung im Grundschulgutachten ist der Erfahrung ge­schuldet, dass in Zeiten einer verbindlichen Grundschulempfehlung auf den Grundschullehr­kräften ein ungeheurer Druck lastete, wenn einzig von dieser Empfehlung die weitere Schul­laufbahn eines Kindes abhängig gemacht wurde. Vielfach mussten sich die Grundschullehr­kräfte mit persönlichen und formalen Widersprüchen oder sogar Klagen gegen ihre Schulform-empfehlung auseinandersetzen und damit viel Energie aufwenden, um bei der eigenen Exper­tise zu bleiben. Nicht wenige Grundschullehrkräfte korrigierten dann ihre Empfehlung, um den Widerständen gegen ihre Schulformempfehlung auszuweichen.

Deshalb wurde die Verantwortung für die Schulformwahl nach der Grundschule vollkommen den Eltern überlassen, darauf vertrauend, dass die Eltern dem Rat der Lehrkräfte der abge­benden sowie der aufnehmenden Schule Folge leisten. Denn die Begründung der Grundschu­lempfehlung auf Grundlage des Leistungsstands, der Lernentwicklung und der Fähigkeiten der Schülerin bzw. des Schülers ist eine relativ objektive Grundlage für ein zielführendes Bera­tungsgespräch zum Wohle der betroffenen Kinder.

Viele Eltern haben auf Grund der Übergangsquotenstruktur an die weiterführenden Schulen jedoch die große Sorge, dass ihren Kindern Chancen vorenthalten werden, wenn diese nicht das Gymnasium besuchen, und weigern sich sogar häufig, eine Weiterführung der Schullauf­bahn an einer Realschule zu akzeptieren. Selbst der Hinweis auf die völlige Offenheit des deutschen Schulsystems mit der Möglichkeit, auf verschiedenen Wegen zu hohen Schulab­schlüssen zu kommen, überzeugt viele Eltern nicht, für ihre Kinder die Hauptschule oder die Realschule zu wählen. Sie schätzen die Anforderungen der höheren Schulformen häufig falsch ein und unterschätzen die Möglichkeiten, die ihren Kindern die mittleren Schulformen ermög­lichen. Auch die Last der Enttäuschungen, die ihre Kinder häufig zu tragen haben, wenn sie eine Schulform durchlaufen, die sie permanent überfordert, unterschätzen viele Eltern.

Deshalb gibt es jedes Jahr eine erhebliche Anzahl von Schulformwechslern, meistens vom Gymnasium zu den Realschulen und von den Realschulen zu den Hauptschulen. Ein Teil der Schüler wechselt auch in ein Gesamtschulsystem. Mit dem Wechsel sind aber die Probleme häufig nicht beseitigt. Die Enttäuschungs- und Überforderungserfahrungen der Kinder in einer ungeeigneten Schulform, die nicht dem Leistungsstandard und den Fähigkeiten der Kinder entspricht, sondern viel zu oft dem Wunschdenken der Erziehungsberechtigten, greift das Selbstvertrauen der Schüler an, hemmt die Lernmotivation und engt das Entwicklungspoten­zial der Schüler maßgeblich ein.

Eine falsche Schulwahl kann für die Kinder eine lernpsychologische Katastrophe sein. In der Regel dauert es bis zu einem Jahr, bis die Kinder dies für sich verarbeitet haben und wieder mit Freude lernen. Das gilt es unbedingt zu verhindern!

a) Klassenverbund stärken – Leistungshomogenität herstellen

Immer wieder schneiden dieselben Bundesländer in Vergleichsstudien schlecht ab. Vernach­lässigt wird in der Öffentlichkeit, dass in diesen Ländern die lautesten Stimmen reformfreudiger Erziehungswissenschaft tönen. Das Preisen pädagogischer Künste wie gemeinsames Lernen, mehr Heterogenität, selbständiges und eigenverantwortliches Lernen, Gruppenarbeit, innere Differenzierung, jahrgangsübergreifendes Lernen etc. gehört dabei zum Standardrepertoire der Reformer.

„Der im Gefolge zu großer Heterogenität entstehende „Arbeitsblattunterricht“ vermindert übri­gens massiv den sprachlichen Input der Lehrpersonen, der gerade bei Heterogenität und dem hohen Migrationsanteil für die Sprachentwicklung bitter notwendig wäre. Stattdessen lesen die Kinder auf den Arbeitsblättern rudimentäre Imperative wie „Denke nach!“ und „Kreuze an!“.

Der durch Arbeitsblätter gesteuerte Unterricht in zu heterogenen Klassen ist eine Notlösung der praktisch undurchdachten Idee des „gemeinsamen Lernens“. Und die sprachlich begabten deutschen Kinder, die als Hilfslehrkräfte für den korrekten sprachlichen Austausch zumindest in Uni Seminaren als Patentlösungen herhalten müssen – die gibt es in NRW, Bremen, Ham­burg und Berlin nur selten. Defizitäre Sprachentwicklung wird durch Mangel an sprachlicher Interaktion mit einem erwachsenen Sprachvorbild erzeugt – und fehlende Motivation und Inte­resse am Schulstoff ebenso.“2

b) Plädoyer für das gegliederte Schulsystem

Zahlreiche neue Studien belegen, dass alle Schüler, vor allem auch die schwächeren Schüler, vom Unterricht in angemessen homogenen Lerngruppen profitieren.

Deshalb führt eben eine Leistungsdifferenzierung beim Übergang auf die weiterführende Schule nicht zu einer stärkeren Bildungsungleichheit, wie die Bamberger Wissenschaftler Ju­lian Seuring und Hartmut Esser in ihrer Studie nachweisen können. Im Gegenteil führt gerade die kognitive Homogenisierung demnach vielmehr zu einem insgesamt besseren Leistungsni­veau, von dem besonders Kinder in den mittleren Bildungsgängen profitierten:

„Die Ergebnisse widersprächen der Standardposition deutlich, so Esser und Seuring. Die Dif­ferenzierung führe nicht zu einer Verstärkung der Effekte sozialer Herkunft – im Gegenteil: Diese schwächten sich bei einer strikten Leistungsdifferenzierung eher ab. Die Leistungen in der Sekundarstufe nähmen dagegen zu, insbesondere in der Kombination mit einer homoge­neren Zusammensetzung der Schulklassen nach kognitiven Fähigkeiten.

Dies gelte gerade für die Kinder der unteren Bildungswege mit geringem Leistungsniveau. Dort fielen die Leistungen bei einer möglichst großen kognitiven Homogenität am besten aus. Eine liberal geregelte oder nachlässig implementierte Differenzierung habe für diese Kinder und Jugendlichen dagegen „geradezu desaströse Folgen“. Dies spiegele sich auch im Vergleich zwischen den Bundesländern wider, wie er etwa in den IQB-Berichten dokumentiert sei. Tat­sächlich setzen Seriensieger im Bundesländervergleich wie Bayern und Sachsen auf eine ver­bindliche Grundschulempfehlung.“3

Esser und Seuring empfehlen den bildungspolitisch Verantwortlichen eine stärkere Orientie­rung an Kriterien der Leistungsdifferenzierung, um die die Effizienz des Bildungssystems zu stärken und soziale Bildungsungleichheiten zu dämpfen. Dazu sollten insbesondere „Fehlplat­zierungen“ bei der Sortierung durch genauere und verbindliche Empfehlungen möglichst ver­mieden werden.

Eine verbindliche, auf pädagogische Leitlinien orientierte Weiterführung der Schullaufbahn auf Grundlage einer wertschätzenden Leistungsorientierung wird auf der einen Seite die Lernmo­tivation der Schüler durch zahlreiche Erfolgserlebnisse erhöhen und die Wahl der beruflichen Zukunft erleichtern.

Deshalb ist das aussagekräftige Übergangsgutachten der Grundschullehrkräfte weiterhin un­entbehrlich, um für die Schüler die geeignete Schulform zur erfolgreichen Weiterführung ihrer Schullaufbahn anzugeben. Trotzdem sollte die Last der Verantwortung dieser Übergangsent­scheidung nicht alleine auf den Schultern der Grundschullehrkräfte ruhen. Die letzte Entschei­dung über die Aufnahme eines Kindes auf die weiterführende Schule sollte bei der Schulleitung der weiterführenden Schule liegen, die im Zweifelsfall ein intensives Beratungs­gespräch mit den Eltern und den aufzunehmenden Schülern führt und dabei die unterschied­lichen Aspekte der Schullaufbahn erläutert.

Das Widerspruchsrecht gegen solche Entscheidungen bleibt selbstverständlich davon unbe­rührt.

II. Der Landtag stellt fest:

  1. Lehrkräfte werden in ihrer Ausbildung hinreichend dafür geschult, Kinder unter Berück­sichtigung der sozialen Disparitäten im Bildungserfolg zu beurteilen.
  2. Die institutionellen Rahmenbedingungen müssen im Schulwesen so ausgestaltet sein, dass ein Mehrwert für die Kinder generiert werden kann. Das verbindliche Gutachten gibt eindeutige Auskunft darüber, welche Schulform für die weitere schulische Förderung des Kindes am besten geeignet ist.
  3. Das Gutachten und dessen Begründung wurde in Vergangenheit auf Grundlage des Leis­tungsstands, der Lernentwicklung und der Fähigkeit der Schüler unter Einbeziehung des Beratungsgesprächs mit den Erziehungsberechtigten angefertigt.
  4. Viele Eltern werden durch Erwartungshaltungen ihres Umfelds und durch eigene Vorstel­lungen über die Zukunft ihrer Kinder dazu gedrängt, sie auf eine Schulform gehen zu las­sen, deren Anforderungen für diese zu hoch sind.
  5. Die Leistungen im Klassenverbund nehmen mit einer homogeneren Zusammensetzung der Schulklassen nach kognitiven Fähigkeiten zu.
  6. Die stärkere Orientierung an Leistungsdifferenzierung und das Vertrauen in die Offenheit des gegliederten Schulsystems erhöhen die Zufriedenheit der Kinder und der Eltern und steigern die Effizienz des Bildungssystems.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

die Entscheidung über die Aufnahme von Grundschülern an der weiterführenden Schule ver­bindlich der Schulleitung der weiterführenden Schule zu übertragen, die auf der Grundlage des Grundschulgutachtens in einem Beratungsgespräch eine intensive Schullaufbahnbera­tung durchführt.

Helmut Seifen
Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF

 

1 https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/Masterplan%20Grundschule.pdf

2 Prof. Dr. Rainer Dollase in einem Gastbeitrag: https://www.news4teachers.de/2017/10/merkt-eigent-lich-niemand-dass-heterogenitaet-in-einer-klasse-kein-sparmodell-sondern-eine-ziemlich-teure-ange-legenheit-ist/

3 https://www.news4teachers.de/2021/03/studie-gegliedertes-schulsystem-staerkt-die-bildungsgerech-tigkeit/