Kindergeld für im Ausland lebende Kinder – Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu den Kindergeldzahlungen in Nordrhein-Westfalen für Kinder in Rumänien und Bulgarien vor?

Kleine Anfrage
vom 09.09.2019

Kleine Anfrage 2961der Abgeordneten Andreas Keith und Iris Dworeck-Danielowski vom 09.09.2019

 

Kindergeld für im Ausland lebende Kinder – Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu den Kindergeldzahlungen in Nordrhein-Westfalen für Kinder in Rumänien und Bulgarien vor?

Kindergeldzahlungen für im Ausland lebende Kinder, die auf ausländische Konten überwiesen werden, sind in den vergangenen fünf Jahren stark angestiegen. Die Statistik der Familienkasse weist für das Jahr 2018 Auslandsüberweisungen in Höhe von 402 Mio. Euro aus.1 Im Jahr 2012 belief sich die Summe der Auslandszahlungen dagegen erst auf 75 Mio. Euro.2

Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) sprach im vergangenen Jahr davon, dass kriminelle Schlepper gezielt Roma in seine Stadt bringen würden. Dort würden sie in heruntergekommenen Wohnungen untergebracht – mit vor allem einem Ziel: Sie wollten mit ihrem deutschen Wohnsitz Kindergeld beziehen.3

Laut Sören Link hielten sich im Jahr 2018 bis zu 19.000 Menschen aus Bulgarien, vornehmlich Sinti und Roma, in Duisburg auf.4

Diese Aussagen führten zu einer bundesweiten Diskussion. Die Frage, ob Familien, deren Kinder nicht in Deutschland, sondern in einem anderen EU-Land leben, die Möglichkeit des Kindergeldbezugs aus Deutschland eingeräumt werden sollte, lehnten einer Umfrage zufolge 49,7% der Befragten mit der Einschätzung „auf keinen Fall“ ab. „Eher nein“, sagten 25,4%. Mit „eher ja“ votierten 10,9%, mit „ja, auf jeden Fall“ stimmten 6,6% der Befragten. 7,4% der Befragungsteilnehmer zeigten sich in dieser Frage unentschieden.5

Im EU-Parlament sprachen sich die Abgeordneten gegen eine Kopplung der Zahlungen an die Lebenshaltungskosten aus.6 Nachdem in Österreich im Oktober 2018 die Indexierung der Familienbeihilfe beschlossen worden war, sieht sich das Land jetzt einem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission ausgesetzt.7 Die Bundesregierung verhält sich abwartend und hat wegen der Bedenken der EU-Kommission noch keinen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt.8

Mit dem Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch, welches der Bundestag am 06.06.2019 verabschiedet hat, wurden u.a. bessere Kontrollrechte der Familienkassen beschlossen, um den Kindergeldbetrug besser bekämpfen zu können.9

Ungeachtet dessen sieht Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link unverändert schwere Versäumnisse bei der Bundesregierung, der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der EU im Umgang mit kriminell organisiertem Sozialleistungsmissbrauch durch Armutseinwanderer aus Südosteuropa.10

Wir fragen daher die Landesregierung:

1. Wie viele deutsche Staatsangehörige beziehen derzeit in Nordrhein-Westfalen Kindergeld? (Bitte aufschlüsseln nach Familienkassen, Berechtigten, Anzahl der Kinder und monatlichem Zahlbetrag)

2. Wie viele Berechtigte, die nicht die deutsche oder eine EU-Staatsangehörigkeit besitzen, erhalten in Nordrhein-Westfalen Kindergeld? (Bitte tabellarisch nach Herkunftsländern, Anzahl der Berechtigten, Anzahl der Kinder und monatlichem Zahlbetrag darstellen)

3. Wie viele Zuwanderer aus Südmittelosteuropa leben derzeit in Nordrhein-Westfalen? (Bitte auch die Entwicklung für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016, 2017 und 2018 aufschlüsseln nach den Herkunftsländern Rumänien und Bulgarien sowie Regierungsbezirken)

4. Wie viele dieser Zuwanderer beziehen Kindergeld für Kinder, die im Herkunftsland leben? (Bitte aufschlüsseln nach den Herkunftsländern, Regierungsbezirken sowie Anzahl der Kinder und Höhe des monatlichen Zahlbetrags)

5. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für sinnvoll, um Kindergeldbetrug aufzudecken und diesem entgegenzutreten?

Andreas Keith
Iris Dworeck-Danielowski

 

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1 https://www.focus.de/finanzen/steuern/211-millionen-euro-fuer-polen-in-welche-laender-am-meisten-kindergeld-aus-deutschland-fliesst id 10197919.html

2 https://www.focus.de/finanzen/steuern/211-millionen-euro-fuer-polen-in-welche-laender-am-meisten-kindergeld-aus-deutschland-fliesst id 10197919.html

3 https://www.welt.de/politik/deutschland/article180879262/Kindergeld-Sinti-und-Roma-ueben-scharfe-Kritik-an-Duisburger-SPD-OB-Soeren-Link.html

4 https://www.derwesten.de/staedte/duisburg/soeren-link-tagesthemen-sozialbetrug-id215055181.html

5 https://www.welt.de/politik/deutschland/article180879262/Kindergeld-Sinti-und-Roma-ueben-scharfe-Kritik-an-Duisburger-SPD-OB-Soeren-Link.html

6 https://www.volksstimme.de/deutschland-welt/politik/eu-gegen-neuregelung-debatte-um-kindergeld-fuer-auslaender

7 https://www.tagesspiegel.de/politik/kindergeldzahlungen-ins-ausland-eu-geht-gegen-oesterreichs-neue-kindergeld-regeln-vor/23904854.html

8 https://www.tagesspiegel.de/politik/kindergeldzahlungen-ins-ausland-eu-geht-gegen-oesterreichs-neue-kindergeld-regeln-vor/23904854.html

9 https://www.hasepost.de/armutsmigration-duisburger-oberbuergermeister-beklagt-eu-versaeumnisse-142056/

10 https://www.judid.de/duisburger-ob-will-bessere-gesetze-gegen-sozialleistungsmissbrauch/


Nachfolgend die Antwort der Landesregierung, verfasst am 09.10.2019

 

Die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung hat die Kleine Anfrage 2961 mit Schreiben vom 9. Oktober 2019 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister der Finanzen und dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet.

1. Wie viele deutsche Staatsangehörige beziehen derzeit in Nordrhein-Westfalen Kindergeld? (Bitte aufschlüsseln nach Familienkassen, Berechtigten, Anzahl der Kinder und monatlichem Zahlbetrag)

2. Wie viele Berechtigte, die nicht die deutsche oder eine EU-Staatsangehörigkeit besitzen, erhalten in Nordrhein-Westfalen Kindergeld? (Bitte tabellarisch nach Herkunftsländern, Anzahl der Berechtigten, Anzahl der Kinder und monatlichem Zahlbetrag darstellen)

Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. In Deutschland führt die Bundesagentur für Arbeit Familienkasse die Statistiken über die Staatsangehörigkeit der Kindergeldberechtigten und der Kinder sowie der Zahlungsflüsse ins In- und Ausland. Die Tabelle in der Anlage enthält eine Auswertung für Nordrhein-Westfalen für den Berichtsmonat August 2019.

Insgesamt gibt es für den Berichtsmonat August 2019 in Nordrhein-Westfalen rund 2,041 Millionen Kindergeldberechtigte mit rund 3,459 Millionen Kindern:

  • Rund 80,3 % der Kindergeldberechtigten (absolut: 1.639.354) bzw. 77,4 % der Kinder (absolut: 2.677.238) haben die deutsche Staatsangehörigkeit.
  • Als nächst größere Gruppe: Rund 5,0 % der Kindergeldberechtigten (absolut: 101.726) bzw. rund 5,6 % der Kinder (absolut: 192.962) besitzen die türkische Staatsangehörigkeit. Der Wohnsitzstaat der Kinder ist in 99,9 % der Fälle Deutschland.
  • Danach folgt: Rund 1,6 % der Kindergeldberechtigten (absolut: 32.948) bzw. rund 1,6 % der Kinder (absolut: 53.757) besitzen die polnische Staatsangehörigkeit. Der Wohnsitzstaat der Kinder ist in 80,7 % der Fälle Deutschland.

3. Wie viele Zuwanderer aus Südmittelosteuropa leben derzeit in Nordrhein-Westfalen? (Bitte auch die Entwicklung für die Jahre 2013, 2014, 2015, 2016, 2017 und 2018 aufschlüsseln nach den Herkunftsländern Rumänien und Bulgarien sowie Regierungsbezirken)

Da der Begriff „Südmittelosteuropa“ im Klammerzusatz nicht näher spezifiziert ist, wird aufgrund des Gesamtzusammenhanges der Kleinen Anfrage davon ausgegangen, dass sich die Frage auf Unionsbürgerinnen und Unionsbürger aus Rumänien und Bulgarien bezieht.

Zur Darstellung der Entwicklung der Zuwanderung aus Südosteuropa wird auf die Antwort auf die Kleine Anfrage 2842 verwiesen (Landtags-Drucksache 17/7417).

4. Wie viele dieser Zuwanderer beziehen Kindergeld für Kinder, die im Herkunftsland leben? (Bitte aufschlüsseln nach den Herkunftsländern, Regierungsbezirken sowie Anzahl der Kinder und Höhe des monatlichen Zahlbetrags)

Es wird auf die Tabelle in der Anlage verwiesen.

5. Welche Maßnahmen hält die Landesregierung für sinnvoll, um Kindergeldbetrug aufzudecken und diesem entgegenzutreten?

Zur Ausgestaltung des Kindergeldes als staatliche Sozialleistung sowie zur Einschränkung der Missbrauchsmöglichkeiten u. a. nach dem am 18. Juli 2019 in Kraft getretenen Gesetz des Bundes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch wird auf die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „Ausgestaltung des Kindergelds als staatliche Sozialleistung und Möglichkeit der Ausnahme von im Ausland lebenden Kindern“ (Juli 2019) verwiesen.

Die Gewährung von Kindergeldleistungen ist bundesrechtlich einheitlich geregelt.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den Gesetzgeber mit Beschluss vom 29. Mai 1990 dazu verpflichtet, das Existenzminimum aller Familienmitglieder, also auch aller Kinder, steuerfrei zu belassen. Am 10. November 1998 beschloss das BVerfG zudem, dass auch der Betreuungsbedarf eines Kindes ein notwendiger Bestand des familiären Existenzminimums sei. Auch der Erziehungsbedarf müsse berücksichtigt werden.

Das BVerfG hat es aber dem Gesetzgeber freigestellt, ob er diese Freistellung durch einen Kinderfreibetrag oder durch Kindergeld oder durch eine Kombination aus beidem sicherstellt.

Mit dem Jahressteuergesetz 1996 reformierte der Gesetzgeber den Familienleistungsausgleich und setzte die vom BVerfG geforderte steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes um.

Durch das Gesetz zur Familienförderung wurde ab dem Jahr 2000 auch der Betreuungsbedarf als Teil des Existenzminimums eines Kindes steuerfrei gestellt. Seit dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung ist der Betreuungsfreibetrag um eine Erziehungskomponente ergänzt worden.

Seit diesen Gesetzesänderungen wird die Steuerfreistellung des Existenzminimums eines Kindes durch die Freibeträge nach § 32 Absatz 6 Einkommensteuergesetz (EStG) oder durch das Kindergeld nach § 62 EStG bewirkt.

Gemäß § 32 Absatz 6 Satz 1 EStG hat jeder in Deutschland Steuerpflichtige für jedes im Sinne der EStG zu berücksichtigende Kind einen Anspruch auf einen Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie einen Freibetrag für den Betreuungs-und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes.

Steuerpflichtige mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland können, sofern die weiteren Voraussetzungen gegeben sind, den Kinderfreibetrag und den Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf des Kindes nach § 32 Abs. 6 EStG geltend machen.

  • 32 Absatz 6 Satz 4 EStG modifiziert die Regelung für ein Kind, das nicht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, also weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (sogenannte Auslandskinder). Danach können die oben genannten Freibeträge nur abgezogen werden, „soweit sie nach den Verhältnissen seines Wohnsitzstaates notwendig und angemessen sind.“

Die Kürzung der Freibeträge gemäß den Verhältnissen des Wohnsitzstaates richtet sich nach der Ländergruppeneinteilung des Bundesministeriums der Finanzen, dabei wird unterteilt in 4/4-Länder, 3/4 –Staaten und 1/4-Staaten.

Für die Berechtigung zum Abzug dieser Freibeträge spielt der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes keine Rolle. Allerdings können die Freibeträge nur in der Höhe abgezogen werden, in der sie nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates des Kindes notwendig und angemessen sind.

Einen Anspruch auf Kindergeld für Kinder hat nach § 62 EStG, wer im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Abgabenordnung (AO) hat.

Der Steuerpflichtige selbst muss unbeschränkt steuerpflichtig sein – also Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben – oder zumindest wie ein unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt werden (§ 62 EStG).

Wer diese Bedingung nicht erfüllt oder nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer ist, muss für einen Anspruch auf Kindergeld weitere Bedingungen erfüllen. Daraus folgt, dass EU-Ausländer wie Inländer behandelt werden.

Es sind nach § 63 EStG grundsätzlich auch nur Kinder zu berücksichtigen, die einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder in einem anderen EU- bzw. EWR-Staat oder in der Schweiz haben.

Eine an den tatsächlichen Wohn- oder Aufenthaltsort des jeweiligen Kindes anknüpfende Indexierung des Kindergeldes nach Maßgabe der Lebenshaltungskosten des jeweiligen Aufenthaltsstaats setzt hiernach jedenfalls für Unionsbürger eine Änderung des Art. 67 der Soziale-Sicherungssysteme-Koordinierungsverordnung I (883/2004) voraus und darf nicht gegen das primärrechtliche Diskriminierungsverbot verstoßen; entsprechende Vorhaben sind der EU-Ebene vorbehalten.

 

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