Klägliche Bilanz der Abschiebungen in nichteuropäische Länder – Sind Abschiebungen nach Afrika und in den Nahen Osten auch für die Landesregierung NRW ein unlösbares Problem?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1110
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner vom 20.01.2023

Klägliche Bilanz der Abschiebungen in nichteuropäische Länder Sind Abschiebungen nach Afrika und in den Nahen Osten auch für die Landesregierung NRW ein unlösbares Problem?

Wie die WELT am 27. Dezember 2022 berichtet, finden Rückführungen nach Afrika und Asien – trotz der hohen Anzahl ausreisepflichtiger Personen aus diesen Regionen – kaum statt. So wurden von Januar bis November 2022 bundesweit 11.970 Personen abgeschoben – davon allerdings 8.913 oder umgerechnet 74 % innerhalb Europas. Lediglich 1.268 oder 11 % der Abschiebungen gingen nach Asien, 1.267 oder ebenfalls 11 % nach Afrika.1 Bis November wurden beispielsweise bundesweit nur 72 Personen in den Irak abgeschoben, obwohl sich 32.000 ausreisepflichtige Iraker in Deutschland aufhalten.

Der Aufforderung zur Ausreise im Falle einer Ablehnung des Asylantrags kommt nur ein Bruchteil der Personen nach. Das Risiko einer Abschiebung ist für die Betroffenen zugleich gering, speziell bei Personen aus außereuropäischen Herkunftsländern.

In der Folge erhalten diese Personen oftmals über eine Duldung einen Aufenthaltstitel und perspektivisch nach einigen Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft. Auf diese Weise wird das migrationspolitische Staatsversagen an der deutschen EU-Binnengrenze, welches immer wieder auch von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) deutlich beklagt wird, quasi indirekt „bereinigt“ bzw. „verschleiert“.

Von den wenigen Abschiebungen erfolgt ein Großteil zudem nicht in das jeweilige Herkunftsland, sondern gemäß der Dublin-III-Verordnung in Form einer Rücküberstellung lediglich in das zuständige EU-Ersteinreiseland.

Die WELT benannte in ihrem Artikel die drei Methoden, wie ein Staat illegale Einwanderung steuern kann: „mit klassischem Grenzschutz, über schlechte Sozialversorgung oder über Abschiebung.“ Alle drei Methoden funktionieren auf Grund rechtlicher Zwänge bzw. bedingt durch das fortwährende migrationspolitische deutsche Staatsversagen momentan nicht.2

Dass ein Wandel hin zu einer konträren und modernen Flüchtlingspolitik möglich ist, zeigen aktuell insbesondere unsere Nachbarn im Norden Europas, Schweden3 und Dänemark4.

Im Koalitionsvertrag der neuen schwedischen Regierung ist von „Rückführung oder Repatriierung“ die Rede, die man möglichst stark „stimulieren“ wolle. Anders als die NRW-Integrationsministerin kündigte ihre schwedische Amtskollegin Maßnahmen zur Reduzierung der illegalen Migration und ihrer „nachteiligen Ergebnisse“ an. So sollen permanente Aufenthaltserlaubnisse für Asylbewerber schrittweise entzogen werden. Der Weg hin zur Einbürgerung soll komplett von der politischen Agenda hierzulande abweichen, inkl. der Reihenfolge: „Zunächst steht die Akzeptanz der schwedischen Lebensweise, und zwar über mindestens acht Jahre, nicht fünf wie bisher – oder drei wie bald in Deutschland, bei „besonderen Integrationsanstrengungen“. Das bedeutet, dass die Einbürgerung zwar das Ziel einer Zuwanderung darstellt, aber die Fristen werden von der neuen konservativen Regierung verlängert und die Voraussetzungen verschärft. Sind die Zuwanderer nicht zu diesen Schritten bereit, würden sie ihre permanente Aufenthaltserlaubnis verlieren.“ Zusammenfassend wolle man zukünftig die qualifizierte Zuwanderung stärken und die Asylzuwanderung auf ein Minimum beschränken.5

In Dänemark ist nach den Wahlen vom 1. November 2022 von einer Fortsetzung der strikten „Null-Zuwanderungspolitik“ der dänischen Sozialdemokraten auszugehen. So gab es im Jahr 2021 lediglich 2.099 Asylanträge, 2022 waren es gar nur 1.515. Auch die neue dänische Regierung will den rechtlichen EU-Rahmen voll ausschöpfen, um die Asylzugangszahlen zu minimieren. Dänemark müsse nach den Plänen der neuen Regierung zudem „grundlegend zur Bekämpfung der Ursachen von Migration und Flucht beitragen“.6

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Welches sind mit Stand vom 31.12.2022 die Top-20-Herkunftsländer der ausreisepflichtigen Personen in NRW? (Bitte nach Herkunftsland und Anzahl der ausreisepflichtigen Personen differenziert listen)
  2. Wie viele Personen aus diesen Top-20-Herkunftsländern wurden im Jahr 2022 jeweils in ihr Herkunftsland zurückgeführt? (Bitte nach Herkunftsland und Anzahl differenziert listen)
  3. In welche der Top-20-Herkunftsländer sind Rückführungen momentan generell ausgeschlossen? (Bitte einzeln begründen)
  4. In welche der Top-20-Herkunftsländer sind Rückführungen momentan auch für Gefährder und sonstige sicherheitsrelevante Personen generell ausgeschlossen? (Bitte einzeln begründen)
  5. Mit welchen Maßnahmen plant die Landesregierung die Aufnahmebereitschaft der Herkunftsländer für deren Staatsbürger, insbesondere bei außereuropäischen Herkunftsländern, zukünftig zu steigern?Enxhi Seli-Zacharias

Markus Wagner

 

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1 Vgl. htt p s : / /www. W e l t.de/politik/deutschland/plus 24 28 6 6 2 39/Migration-D i e-klaegliche-Bilanz-der-A b s c h i e b u n g e n-ins-nichteuropaeische-A usl and.h t m l

2 Ebd.

3 Vgl. htt p s : / /www. T i c h y s einblick.de/kolumnen/aus-aller-w e l t/schweden-will-asyl zu w ande rung-auf-minimum-beschr a e nken/

4 Vgl. htt p s: / / www. T i c h y s einblick.de/k o l u m n e n/aus-aller-welt/daenemark-fred eriksen-regierung-asyl z e n t r e n -ausserhalb-e u/

5 Ebd.

6 Ebd.


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 1110 mit Schreiben vom 13. Februar 2023 namens der Landesregierung be­antwortet.

  1. Welche sind mit Stand vom 31.12.2022 die Top-20-Herkunftsländer der ausreise­pflichtigen Personen in NRW? (Bitte nach Herkunftsland und Anzahl der ausreise­pflichtigen Personen differenziert listen)

Die 20 Herkunftsstaaten mit der höchsten Anzahl ausreisepflichtiger Personen in der Zustän­digkeit nordrhein-westfälischer Ausländerbehörde zum Stichtag 31.12.2022 lassen sich der nachfolgenden Tabelle entnehmen:

Staatsangehörigkeit Anzahl der Ausreisepflichtigen
Irak 9.285
Serbien 4.660
Nigeria 3.685
Afghanistan 3.649
Guinea 3.551
Albanien 3.123
Iran 2.981
Nordmazedonien 2.854
Libanon 2.848
Russland 2.654
Türkei 2.548
Aserbaidschan 2.032
Kosovo 2.032
Armenien 1.839
Syrien 1.838
Ungeklärt 1.529
Tadschikistan 1.516
Marokko 1.393
Ghana 1.381
Bosnien und Herzegowina 1.281

(Quelle: Ausländerzentralregister)

  1. Wie viele Personen aus diesen Top-20-Herkunftsländern wurden im Jahr 2022 je­weils in ihr Herkunftsland zurückgeführt?

Anzahl der Rückführungen der jeweiligen Staatsangehörigen in der Zuständigkeit nordrhein-westfälischer Ausländerbehörden in die genannten Herkunftsstaaten zum Stichtag 31.12.2022:

Zielstaat Anzahl der Rückführungen
Irak 10
Serbien 277
Nigeria 64
Afghanistan 0
Guinea 11
Albanien 294
Iran 13
Nordmazedonien 246
Libanon 39
Russland 13
Türkei 80
Aserbaidschan 84
Kosovo 70
Armenien 40
Syrien 0
Tadschikistan 14
Marokko 21
Ghana 48
Bosnien und Herzegowina 59

(Quelle: Statistik der Bundespolizei)

  1. In welche der Top-20- Herkunftsländer sind Rückführungen momentan generell ausgeschlossen? (Bitte einzeln begründen)

Rückführungen in die Zielstaaten Afghanistan, Russland und Syrien sind derzeit faktisch nicht möglich.

Zudem gibt es in Nordrhein-Westfalen derzeit einen formalen Abschiebestopp gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Iran.

  1. In welche der Top-20-Herkunftsländer sind Rückführungen momentan auch für Gefährder und sicherheitsrelevante Personen generell ausgeschlossen? (Bitte einzeln begründen)

Rückführungen in die Zielstaaten Afghanistan, Russland und Syrien sind derzeit faktisch nicht möglich.

  1. Mit welchen Maßnahmen plant die Landesregierung auf die Aufnahmebereitschaft der Herkunftsländer für deren Staatsangehörige, insbesondere bei außereuropäi­schen Herkunftsländern, zu steigern?

Die fehlende Kooperationsbereitschaft von Herkunftsländern bei der Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen stellt ein wesentliches Hindernis dar. Hier bleibt die Bundesregierung ge­fordert, mit relevanten Zielstaaten stabile und praxiswirksame Rahmenbedingungen gerade in den wichtigen Bereichen Passersatzbeschaffung und Flugabschiebung zu erreichen.

 

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