Kommunen am Limit – Zweckentfremdung von Turnhallen

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 886
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias vom 12.12.2022

Kommunen am Limit Zweckentfremdung von Turnhallen

Wie aus einem Bericht des WDR vom 27. November hervorgeht, geraten immer mehr Kommunen bei der Unterbringung von Ukraine-Flüchtlingen und Migranten bzw. Asylsuchenden, die in Folge der innereuropäischen Sekundärmigration nach NRW gelangen, in eine akute Notlage. Das führt – wie bereits in den Jahren 2015 und 2016 – zu einer vermehrten Zweckentfremdung von Turnhallen und ähnlichen Einrichtungen.1

Der WDR bezieht sich dabei auf eine aktuelle Umfrage des Städte- und Gemeindebundes.2 Aus dieser Umfrage geht hervor, dass

  • 45 der 205 teilnehmenden Kommunen (22 Prozent) bereits Turnhallen oder vergleichbare Räumlichkeiten zur Unterbringung         nutzen,
  • 61 Kommunen (30 Prozent) derzeit Turnhallen oder vergleichbare Räumlichkeiten für die Unterbringung vorbereiten und
  • 105 Kommunen (51 Prozent) damit rechnen, in den kommenden drei Monaten Turnhallen oder vergleichbare Räumlichkeiten als Notunterkunft aktivieren zu müssen, wenn die Zuwanderungszahlen auf gleichem Niveau bleiben.

Neben Turnhallen nutzen Kommunen weitere öffentlichen Einrichtungen, die üblicherweise anderen Zwecken zur Verfügung stehen. Dazu zählen u.a. leere Schulgebäude, Veranstaltungssäle, Büroräume, OGS-Räume, Tennishallen, Mehrzweckhalle, DRK-Heime, Landschulheime, Gästehäuser und ehemalige Verwaltungsgebäude mit Sitzungssälen.3 Da sich nur 205 von 361 Mitgliedskommunen des Städte- und Gemeindebundes NRW an der Umfrage beteiligt hatten, ist landesweit von wesentlich mehr betroffenen Kommunen auszugehen.

Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW bemerkte dazu im Westpol-Interview: „Das Thema Turnhalle ist sicherlich ein sensibles Thema, weil die Schulen und die Sportvereine unter der Coronazeit sehr gelitten haben.“ Und insofern sei das etwas, das man

versucht habe, „als Allerletztes in Anspruch zu nehmen“. Doch den Kommunen bliebe keine andere Wahl.

Die Zusage der Integrationsministerin, 8.000 weitere Plätze in Landeseinrichtungen zur Verfügung stellen zu wollen, ist nach Ansicht des Städte- und Gemeindebunds nicht ausreichend.

Im Rahmen der Umfrage wurden die zahlreichen Hilferufe aus den Kommunen gesammelt und im abschließenden Bericht eindrücklich der Öffentlichkeit präsentiert.4 So heißt es exemplarisch:

„• Wir nutzen eine ehemalige Klinik als Flüchtlingsunterkunft. Freien Wohnraum gibt es nicht mehr.

  • Eine Belegung steht unmittelbar bevor im alten Hallenbad; weitere Belegungen von Turnhallen werden vorbereitet.
  • Wir sind in der Anmietung eines nicht belegten Seniorenwohnheimes, das wir ggf. auch erwerben werden
  • Wir versuchen die Belegung von Turnhallen zu vermeiden, werden ggfls. auf Schützenhallen und Bürgerhäuser zurückgreifen. Dafür haben wir Sanitärcontainer angeschafft.“

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Wie viele Turnhallen oder andere Sporteinrichtungen wie z.B. Tennishallen werden aktuell zweckentfremdet als Unterbringungseinrichtung genutzt und stehen somit dem eigentlichen Zweck nicht mehr zur Verfügung? (Bitte für alle Kommunen in NRW die Anzahl der zweckentfremdeten Sporteinrichtungen erfragen und je Kommune benennen)
  2. Wie viele vergleichbare Räumlichkeiten werden aktuell in NRW in diesem Zusammenhang zweckentfremdet? (Bitte für alle Kommunen in NRW die Anzahl der zweckentfremdeten vergleichbaren Räumlichkeiten erfragen und je Kommune benennen)
  3. Wie viele Turnhallen oder vergleichbare Räumlichkeiten werden derzeit in den Kommunen für eine entsprechende Nutzung vorbereitet? (Bitte für alle Kommunen in NRW die Anzahl der zweckentfremdeten Turnhallen oder vergleichbaren Räumlichkeiten erfragen und je Kommune benennen)
  4. Mit welchen Maßnahmen möchte die Landesregierung die Kommunen bei der Aufrechterhaltung des Schul- und Vereinssports unterstützen?
  5. In welchem Umfang hat die Landesregierung im Jahre 2022 bei Hotels oder ähnliche Einrichtungen eine potenzielle Nutzung als Notunterkunft angefragt? (Bitte Art und Umfang der Anfragen sowie den Bearbeitungsstand einzeln je angefragtem Objekt erläutern)

Enxhi Seli-Zacharias

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. htt p s : / / www1. W d r .de/nachrichten/l a n d e s p o l i t i k/fluechtlinge-t u r n h a l l e n-westpol-100.h t m l

2 Vgl. htt p s : / / www. K o m m u n e n.nrw/presse/presse mitteilungen/detail/dokument/i m m e r-mehr-kommunen-a k t i v i e r e n-turnhallen-fuer-g e f l u e c h t e t e.h t m l

3 Ebd.

4 Vgl. htt p s : / / www. K o m m u n e n .nrw/presse/presse mitteilungen/detail/dokument/immer-mehr-k o m m u n e n-aktivieren-t u r n h a l l e n -fuer-gefluechtete.h t m l


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 886 mit Schreiben vom 17. Januar 2023 namens der Landesregierung im Ein­vernehmen mit dem Ministerpräsidenten, der Ministerin für Schule und Bildung sowie der Mi­nisterin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwortet.

  1. Wie viele Turnhallen oder andere Sporteinrichtungen wie z.B. Tennishallen wer­den aktuell zweckentfremdet als Unterbringungseinrichtung genutzt und stehen somit dem eigentlichen Zweck nicht mehr zur Verfügung? (Bitte für alle Kommu­nen in NRW die Anzahl der zweckentfremdeten Sporteinrichtungen erfragen und je Kommune benennen)
  2. Wie viele vergleichbare Räumlichkeiten werden aktuell in NRW in diesem Zusam­menhang zweckentfremdet? (Bitte für alle Kommunen in NRW die Anzahl der zweckentfremdeten vergleichbaren Räumlichkeiten erfragen und je Kommune be­nennen)
  3. Wie viele Turnhallen oder vergleichbare Räumlichkeiten werden derzeit in den Kommunen für eine entsprechende Nutzung vorbereitet? (Bitte für alle Kommu­nen in NRW die Anzahl der zweckentfremdeten Turnhallen oder vergleichbaren Räumlichkeiten erfragen und je Kommune benennen)

Die Fragen 1 bis 3 werden im Sachzusammenhang beantwortet:

Gemäß § 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG) sind die Gemeinden verpflichtet, ausländi­sche Geflüchtete im Sinne von § 2 aufzunehmen und unterzubringen. Sie entscheiden hierbei in eigener Verantwortung und Zuständigkeit über die Art und Form der Unterbringung – auch unter Berücksichtigung vorhandener Unterbringungsmöglichkeiten angesichts hoher Zugänge von Geflüchteten und eines angespannten Wohnungsmarktes.

Eine statistische Erfassung, wie viele und welche Kommunen Turnhallen, andere Sporteinrich­tungen oder vergleichbare Räumlichkeiten zur Unterbringung von Geflüchteten nutzen, erfolgt nicht. Eine Erhebung ist in der zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

Land und Kommunen sind der gemeinsamen Auffassung, dass Turnhallen soweit möglich nicht zur Unterbringung genutzt werden sollten. So dies notwendig geworden ist, darf dies nur als kurzfristiger Übergang zur Vermeidung von Obdachlosigkeit herangezogen werden.

  1. Mit welchen Maßnahmen möchte die Landesregierung die Kommunen bei der Auf­rechterhaltung des Schul- und Vereinssports unterstützen?

Die Landesregierung geht davon aus, dass es durch einen verantwortungsbewussten Umgang bei der Unterbringung von Geflüchteten in den jeweiligen Städten und Gemeinden gelingen kann, dass die Einschränkungen für den Schul- und Vereinssport möglichst gering ausfallen und solidarisch getragen werden können. Zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung des Ver­einssports sind nicht vorgesehen.

Auch bei einer Belegung von Sporthallen mit Geflüchteten bestehen die Verpflichtungen der Kommunen nach § 79 SchulG uneingeschränkt fort.

Stehen Sporthallen den Schulen wegen der Unterbringung von Geflüchteten zur Nutzung nicht mehr zur Verfügung, liegt es somit in der Verantwortung des Schulträgers, Alternativen für das Erteilen des obligatorischen Sportunterrichtes bereit zu stellen und ggf. damit verbundene Kos­ten für den Transport von Schülerinnen und Schülern zu tragen.

  1. In welchem Umfang hat die Landesregierung im Jahre 2022 bei Hotels oder ähnli­che Einrichtungen eine potenzielle Nutzung als Notunterkunft angefragt? (Bitte Art und Umfang der Anfragen sowie den Bearbeitungsstand einzeln je angefrag­tem Objekt erläutern)

Die Landesregierung hat folgende Kapazitäten von Beherbergungsbetrieben in 2022 als Not­unterkunft angemietet:

Name der Not- unterkunft (NU) Betriebsbeginn Betriebsende Regelkapazität laut Mietvertag
Mercure Hotel MG 19.03.2022 11.05.2022 130
Mercure Hotel DUS Airport 17.03.2022 14.04.2022 200
NU Schmallen-berg 07.06.2022 31.10.2022 360
Jugendherberge (DJH) Wuppertal 01.03.2022 31.08.2022 126
Jugendherberge (DJH) Rheine 14.04.2022 31.12.2022 90

 

Sofern der Landesregierung weitere Kapazitäten von Beherbergungsbetrieben angeboten worden sind, haben sich diese für den Betrieb als Landeseinrichtung als zu klein erwiesen oder sie hätten nicht als Dependance zu einer bestehenden Landeseinrichtung betrieben werden können. Diese Angebote wurden an die jeweiligen Standortkommunen zur weiteren Prüfung einer kommunalen Nutzung weitergeleitet.

 

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