Kontaminierte Böden und Nahrungsmittel bei Windkrafthavarien wie in Gescher?

Kleine Anfrage
vom 28.07.2023

Kleine Anfrage 2206

der Abgeordneten Zacharias Schalley, Andreas Keith und Christian Loose AfD

Kontaminierte Böden und Nahrungsmittel bei Windkrafthavarien wie in Gescher?

Der Windkraftausbau soll laut Aussage der Landesregierung beschleunigt werden. Derweil häufen sich die Windkraftunfälle. Eine Auswahl zeigt etwa für den 4. Juli, dass sich gleich zwei Havarien von Windindustrieanlagen in NRW ereigneten. Im münsterländischen Gescher stürzte eine 22 Jahre alte Windindustrieanlage in ein Maisfeld. Die Trümmer verteilten sich großflächig. Im ostwestfälischen Stemwede brannte der Maschinenraum einer 20 Jahre alten Windindustrieanlage in 60 Metern Höhe ab, ohne dass die Feuerwehr sie löschen konnte.

Je nach Turbinengröße benötigen Windindustrieanlagen bis zu 1200 Liter Getriebeöl, bis zu 300 Liter Hydrauliköl, bis zu 600 Liter Kühlflüssigkeit und bis zu 5 Kilogramm Schmierfette.1 Neben der hohen Brandlast ergibt sich daraus auch ein hohes Risiko der Kontamination von Böden, Gewässern und Pflanzen in der Umgebung. Eine Bodenverseuchung mit Öl gehört zu den häufigsten Altlasten in Böden. Bereits das Ablassen von einigen Litern Öl kann viele Quadratmeter Boden und Wasser verseuchen.2

Ein anderer, oft vernachlässigter Aspekt im Hinblick auf die Umweltschädlichkeit ist das in Windindustrieanlagen verbaute Material. Die Rotorblätter bestehen aus glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK), bei neueren Anlagen auch aus carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK). Sie können im Brandfall lungengängige Fasern freisetzen – sogenannte „fiese Fasern“ –, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als krebserregend einstuft. Auch schon der witterungsbedingte Abrieb der Rotorblätter kann feinste, krebserregende Faserstäube hervorrufen, die über Haut und Lunge in den Körper von Mensch und Tier gelangen.3

Die dauerhaft einer starken Beanspruchung ausgesetzten Rotorblätter können überdies sogenannte PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) freisetzen, die wegen ihrer Lang­lebigkeit auch als „Ewigkeits-Chemikalien“ gelten. Andere toxische Stoffe wie Bisphenol-A können dabei ebenfalls freigesetzt werden. Wegen ihrer chemischen Stabilität reichern sie sich in der Nahrungskette an und gelten daher als hochproblematisch.4

Deshalb fragen wir die Landesregierung:

  1. Das am 30.09.2021 eingestürzte Windrad in Haltern hinterließ nach Bergung der Gondel gewaltige Mengen an Öl und Schmiermitteln, die den Waldboden verseuch-ten.5 – Wieviel Liter an Öl und Schmiermitteln wiesen die betroffenen Windkraftanlagen in ihrem Regelbetrieb auf? (Bitte aufschlüsseln nach den Windkraftanlagen in Gescher und Stemwede)
  2. Wie stark wurden die Ackerflächen, auf denen das havarierte Windrad in Gescher fiel, von ausgelaufenen Schmiermitteln und Öl verunreinigt? (Bitte, soweit dazu schon Ergebnisse vorliegen, die Litermenge von ausgelaufenen Ölen, Schmiermitteln und Kühlmitteln sowie Fläche und Tiefe des verseuchten Erdreichs angeben)
  3. Die Rotorblätter der havarierten Windindustrieanlage in Gescher bestanden aus glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK). Selbst kleinste Teile solcher scharfkantigen Verbundwerkstoffe in der Nahrungskette können für Tier und Mensch tödlich sein. – Wie groß ist der Radius der betroffenen Ackerflächen? (Bitte, soweit möglich, in Hektar angeben)
  4. Wie wurde sichergestellt, dass durch den Umsturz oder das Zerschneiden der havarierten Trümmerteile kontaminierte Nahrungsmittel bzw. Futtermittel nicht in den Verkehr gelangten?
  5. Die Beseitigung einer Bodensanierung infolge einer Umweltverschmutzung durch auslaufendes Öl ist teuer. Dabei muss das Erdreich ausgetauscht und als Sondermüll entsorgt werden. – Welche Mengen an Erdreich müssen im Fall der Havarie in Gescher abgetragen und entsorgt werden?

Zacharias Schalley
Andreas Keith
Christian Loose

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. https:// www.lfu.bayern.de/wasser/merkblattsammlung/teil1_grundwasserwirtschaft/doc/nr_128.pdf, S. 5, abgerufen am 21. Juli 2023.

2 Vgl. https:// www.lfu.bayern.de/abfall/merkblaetter_deponie_info/doc/handlungsempfehlung_oel_schadensfaelle.pdf, S. 1, abgerufen am 19. Juli 2023.

3 Vgl. https:// www .umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2021-11-23_texte_151-2021_rebaupro_0.pdf, S. 79, abgerufen am 19. Juli 2023.

4 Vgl. Dominique Max, Eigenschaften und Abbrandverhalten von Faserverbundwerkstoffen, speziell Kohlefaserverbundwerkstoffen (CFK), sowie erforderliche Maßnahmen, in: Forschungsbericht Nr. 177; Grundlagen, Teil I, hg. v. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Arbeitskreis V, Ausschuss für Feuerwehr-Angelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung, S. 9-12.

5 Vgl. https:// www .halternerzeitung.de/haltern/eingestuerztes-windrad-in-haltern-hunderte-liter-oel-verseuchen-waldboden-w1688441-p-3000361367/, abgerufen am 19. Juli 2023.


Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat die Kleine Anfrage 2206 mit Schrei­ben vom 24. August 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie und der Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz beantwortet.

  1. Das am 30.09.2021 eingestürzte Windrad in Haltern hinterließ nach Bergung der Gondel gewaltige Mengen an Öl und Schmiermitteln, die den Waldboden ver­seuchten. Wieviel Liter an Öl und Schmiermitteln wiesen die betroffenen Wind­kraftanlagen in ihrem Regelbetrieb auf? (Bitte aufschlüsseln nach den Windkraft­anlagen in Gescher und Stemwede)

Die betroffene Windenergieanlage in Stemwede (Kreis Minden-Lübbecke) vom Typ „Nordex N43“ mit einer Leistung von 600 kW verfügt im Betriebsmodus über 60 Liter Getriebeöl und 25 Liter Hydrauliköl. Die Gondel ist mit einer Stahlauffangwanne ausgestattet. Beim Brand war das Getriebe nicht betroffen. Weder Hydraulik- noch Getriebeöl sind in die Umwelt gelangt, eine geringe Teilmenge des Hydrauliköls hat gebrannt, der Brand konnte mit einem Handfeu-erlöschgerät gelöscht werden.

Die betroffene Windenergieanlage in Gescher (Kreis Borken) vom Typ DeWind D4/48 mit einer Leistung von 600 kW verfügt im Betriebsmodus über 150 Liter Getriebeöl und etwa 150 Liter Hydrauliköl. Bei der Havarie sind maximal 100 Liter Hydrauliköl ausgetreten. Das Getriebe wurde bei der Havarie in Gescher nicht zerstört, so dass kein Getriebeöl freigesetzt wurde.

  1. Wie stark wurden die Ackerflächen, auf denen das havarierte Windrad in Gescher fiel, von ausgelaufenen Schmiermitteln und Öl verunreinigt?

Das Ausmaß der Belastung ist noch nicht abschließend erkundet, da zunächst die havarierten Anlagenteile entfernt werden mussten. Ein vom Grundstückseigentümer beauftragter Boden­gutachter geht von einer ölverunreinigten Fläche von etwa 15 m2 aus. Der Umfang der Stel­lungnahme des Sachverständigen ist aus Sicht der Umweltbehörden jedoch nicht umfassend genug, so dass ein weiteres Gutachten durch den Eigentümer der Windenergieanlage in Ab­stimmung mit dem Kreis Borken in Auftrag gegeben wurde. Die abschließenden Ergebnisse dieser Begutachtung stehen noch aus.

4 Vgl. Dominique Max, Eigenschaften und Abbrandverhalten von Faserverbundwerkstoffen, speziell Kohlefaserverbundwerkstoffen (CFK), sowie erforderliche Maßnahmen, in: Forschungsbericht Nr. 177; Grundlagen, Teil I, hg. v. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Arbeitskreis V, Ausschuss für Feuerwehr-Angelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung, S. 9-12.

  1. Die Rotorblätter der havarierten Windindustrieanlage in Gescher bestanden aus glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK). Selbst kleinste Teile solcher scharfkan­tigen Verbundwerkstoffe in der Nahrungskette können für Tier und Mensch tödlich sein. Wie groß ist der Radius der betroffenen Ackerflächen?

Für die Bergung der Windenergieanlage wurde Mais einer Fläche von ca. 0,5 Hektar gehäck­selt. Der tatsächlich durch Öl, Schmiermittel und Kunststoffpartikel betroffene Bereich ist deut­lich kleiner.

  1. Wie wurde sichergestellt, dass durch den Umsturz oder das Zerschneiden der ha­varierten Trümmerteile kontaminierte Nahrungsmittel bzw. Futtermittel nicht in den Verkehr gelangten?

Die kleinen Trümmerteile wurden händisch entfernt. Um im Hinblick auf die künftige landwirt­schaftliche Nutzung auch Kleinstteile restlos aus der Umwelt zu entfernen, wird nach Beurtei­lung des durch den Eigentümer der Windenergieanlage in Abstimmung mit dem Kreis Borken beauftragten Gutachters und nach Bewertung durch den Kreis Borken ein Bodenaustausch bis 10 cm Tiefe für erforderlich gehalten. Der abgehäckselte Mais wurde nicht verfüttert, son­dern in einer Biogasanlage verwertet.

Ergänzend wird auf die Antwort zur Kleinen Anfrage 1132 verwiesen (Drucksache 18/3258)5.

  1. Die Beseitigung einer Bodensanierung infolge einer Umweltverschmutzung durch auslaufendes Öl ist teuer. Dabei muss das Erdreich ausgetauscht und als Sonder­müll entsorgt werden. Welche Mengen an Erdreich müssen im Fall der Havarie in Gescher abgetragen und entsorgt werden?

Die vom Kreis Borken bisher durchgeführten und beabsichtigten Maßnahmen sehen einen Bodenaustausch bis 10 cm Tiefe vor. Zum tatsächlichen Volumen des abzutragenden und zu entsorgenden Bodens sind noch keine Angaben möglich, da die Sanierung noch nicht abge­schlossen ist und die Stellungnahme des Bodengutachters noch nicht vorliegt.

 

Antwort als PDF

5 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-3258.pdf