Kleine Anfrage 2144
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD
Kuriose Ratssitzung in Gladbeck – Staatssekretär Bahr und Regierungspräsident Bothe informieren über die geplante Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) im Hotel Van der Valk ohne auf die Kosten sowie die berechtigen Sorgen und Ängste der Anwohner einzugehen
Einen Tag nach der Debatte im Landtag NRW beschäftigte sich am 15. Juni auch der Rat der Stadt Gladbeck mit der geplanten ZUE im Hotel Van der Valk. Geladen waren dabei sowohl der Staatssekretär im Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW, Lorenz Bahr, als auch der Regierungspräsident der Bezirksregierung Münster, Andreas Bothe.1
Staatssekretär Bahr verwies in seiner Rede auf die Verpflichtung des Landes NRW zur Aufnahme von Asylsuchenden. So führte er aus: „Das Land hat gem. § 44 Asylgesetz eine gesetzliche Verpflichtung zur Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden und ist verpflichtet entsprechend der zu erwartenden Zugänge und mit Blick auf die Dauer der Wohnverpflichtung der Asylsuchenden auskömmliche Landesunterbringungsplätze auch vorzuhalten.“.2
Gemäß des Kapazitätserlasses des Vorgängerministeriums der 17. Wahlperiode vom 29.12.2021 sei eine Vorhaltung von „29.300 standardgerechten Plätzen“ landesweit vorgesehen. Auf den Regierungsbezirk Münster entfielen dabei 4.450 Plätze, wovon mit Stand 01.06.2023 nur 2.310 Plätze verfügbar seien.3 In Bezug auf die geplante ZUE Gladbeck verwies er auf einen Planungsstand mit 620 aktiven Plätzen. 4 Zusätzlich verwies er auf die geplanten Änderungen im Flüchtlingsaufnahmegesetz, wonach sich die Plätze in der ZUE dann zu 100 % anrechnen lassen.5
Was in den Ausführungen des Staatssekretärs völlig fehlte, war eine Ansprache an die Bürger, die somit auch von ihm mit ihren Ängsten und Sorgen alleingelassen wurden. Auch zu den geplanten Kosten verlor Staatssekretär Bahr kein Wort.
Ähnlich irritierend verlief die Wortmeldung des Regierungspräsidenten der Bezirksregierung Münster, Andreas Bothe.
Obwohl ihm der Bebauungsplan, in dem von 1.112 Personen die Rede ist, bekannt sein sollte, bekundete er: „In den Gebäuden des bisherigen Hotels wollen wir nach Möglichkeit noch in diesem Jahr eine Zentrale Unterbringungseinrichtung für bis zu 620 Geflüchtete errichten. Alle anderen Zahlen, über die in den vergangenen Wochen teils in offen desinformierender Weise spekuliert worden ist, sind schlicht frei erfunden und falsch.“ 6
Bezugnehmend auf die im „letter of intent“ genannten Zahlen, insbesondere zu den Kosten des Projekts bemerkte er:
„Ich werde die kolportierten Zahlen, die in vollkommen verantwortungsloser Weise mit sehr deutlich erkennbarer Absicht von einer Fraktion ihres Stadtrates verbreitet worden sind, nicht kommentieren. Aber selbst, wenn sie wahr wären, sie wären gleichwohl angemessen und vertretbar.“7
Es ging dabei – zur Erinnerung – um monatliche Kosten in Höhe von ca. 1 Mio. Euro. Darin enthalten ist u.a. eine erklärungswürdige Verpflegungspauschale in Höhe von 16,00 Euro pro Person/pro Tag (bei einer Belegung mit mind. 500 Personen.) bzw. 18,50 Euro pro Person/pro Tag (bei einer Belegung mit maximal 499 Personen)8 Insbesondere Empfänger von Bürgergeld oder Bewohner von Seniorenunterkünften wären sehr interessiert, wie es zu diesen Zahlen kommt, wo sie doch mit wesentlich geringeren Leistungen auskommen müssen. Empfänger von Bürgergeld sollen beispielsweise mit 6,21 Euro pro Tag kalkulieren.
Immerhin haben die Bürger Gladbecks nach den Ausführungen des Regierungspräsidenten jetzt die letzte Gewissheit, dass ihr Naherholungsgebiet und die dort vorhandenen Einrichtungen umfangreich durch die Bewohner der ZUE genutzt werden sollen. So führte der Regierungspräsident aus:
„Gerade der Anschluss an ein Sport- und Erholungsgebiet erleichtert dem zu beauftragenden Betreuungsverband das Vorhalten eines tagesstrukturierenden Freizeitangebots, das sich erfahrungsgemäß extrem positiv auf das konfliktfreie Miteinander der […] Bewohner auswirken wird.“9
In Bezug auf die weitere Entwicklung des Migrationsgeschehens in Deutschland und NRW bemerkte er:
„Die Zeit drängt. Wir brauchen in den kommenden Monaten jedes Bett.“10
Aus den Ausführungen des Staatssekretärs und des Regierungspräsidenten wurde deutlich, dass von einer Beschränkung des Zuzugs, z.B. durch die Umsetzung der von der Deutschen Polizeigewerkschaft vorgeschlagenen Grenzschutzmaßnahmen, keine Rede ist. Besonders irritierend ist allerdings die Tatsache, dass zum einen mit keinem Wort auf die Kosten eingegangen wurde und zum anderen die berechtigten Ängste und Sorgen der Anwohner offensichtlich keine Rolle spielen.
Es steht zu befürchten, dass mit der Umwidmung des Hotels und somit auch des angrenzenden Naherholungsgebiets leichtfertig ein Stück Heimat verschwinden wird.
Die Bürgermeisterin der Stadt Gladbeck, Bettina Weist (SPD), die das Projekt anfangs noch begrüßte, hat mittlerweile auch eine ablehnende Haltung eingenommen. Als Gründe werden dabei eine favorisierte dezentrale Unterbringung, der fehlende ÖPNV-Anschluss sowie die Bedeutung des Hotels für den Tourismus genannt.
Sie verwies auch auf die Übererfüllung der Stadt Gladbeck bei der Verteilung. So sind derzeit ca. 1000 Personen in Gladbeck untergebracht, was einer „Erfüllungsquote in Höhe von 100,72% gem. FlüAG und 138,86 % gem. Wohnsitzauflage entspricht“. 11
Unter Bezugnahme auf die geplante 1:1-Anrechnung nach der geplanten FlüAG-Änderung müssten aus der Stadt Gladbeck folglich – rein mathematisch – 620 (oder alle!) dort aktuell untergebrachten Personen auf andere Kommunen umverteilt werden, um eine extreme Übererfüllung zu verhindern.
Regierungspräsident Bothe sprach in diesem Zusammenhang davon, dass Gladbeck auf Jahre keine weiteren Flüchtlinge unterbringen müsse.12
Was derartige Zusagen wert sind, muss allerdings offenbleiben.
Nachdem von Seiten der AfD-Ratsfraktion und der AfD-Landtagsfraktion die Forderung gestellt wurde, die Planungen in Bezug auf die ZUE im Hotel van der Valk einzustellen, unterstützten die anderen Fraktionen im Rat der Stadt Gladbeck einen Appell an den Regierungspräsidenten des Bezirks Münster. In diesem Appell heißt es:
„Der Rat der Stadt Gladbeck fordert den Regierungspräsidenten in Münster Andreas Bothe auf, die Pläne zur Installierung einer Zentralen Unterbringungseinrichtung im Hotel Van der Valk in Gladbeck nicht weiter zu verfolgen. Eine zentrale Unterbringung von rund 620 Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten zu uns geflüchtet sind, an dieser Stelle in Gladbeck, ist mit den Prinzipien der Stadt Gladbeck zur Unterbringung von geflüchteten Menschen nicht vereinbar. […]“13
Der Regierungspräsident und somit auch die Landesregierung haben jetzt folglich die Wahl, sich dem Willen der Bürger, der Bürgermeisterin und des Rats der Stadt Gladbeck zu beugen oder das Projekt unbeeindruckt von den zahlreichen Gegenargumenten trotzdem durchzuziehen.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Wie erklärt die Landesregierung die im „letter of intent“ genannten exorbitanten monatlichen Kosten in Höhe von ca. 1 Mio. Euro pro Monat?
- Wie rechtfertigt die Landesregierung insbesondere die geplante Verpflegungspauschale in Höhe von 16 bzw. 18,5 Euro pro Person, im Hinblick auf wesentlich geringere Ansätze z.B. bei Bürgergeldempfängern? (Bitte die Kalkulation für die Verpflegungsleistungen näher aufschlüsseln)
- Die Bürger sind insbesondere besorgt um ihr Naherholungsgebiet. Wie aus den Ausführungen des Regierungspräsidenten hervorgeht, soll gerade dieses Sport- und Erholungsgebiet umfangreich mitgenutzt werden. Wie begegnet die Landesregierung in diesem Zusammenhang den Sorgen und Ängsten der Anwohner, insbesondere auch in Bezug auf das Schwimmbad?
- Welche Auswirkung hätte die geplante Neuregelung bei der Anrechnung von Landesunterkünften gem. FlüAg (100% statt zuvor 50%) in Bezug auf aktuell in Gladbeck untergebrachte Personen für den Fall der Umwidmung des Hotels Van der Valk zu einer ZUE?
- Welchen Einfluss auf die Entscheidungsfindung zur Errichtung der ZUE hat die mittlerweile – wenn auch aus jeweils unterschiedlichen Motiven – breite Ablehnungsfront im Rat der Stadt Gladbeck, bei den direkt betroffenen Anwohnern und den Besuchern des Naherholungsgebiets Wittringen?
Enxhi Seli-Zacharias
1 Vgl. https:// mein -livestream.de/stream/stadtgladbeck15062023/stream.html
2 Vgl. Livestream 0:28:10
3 Vgl. Livestream 0:30:40
4 Vgl. Livestream 0:39:25
5 Vgl. Livestream 0:39:40
6 Vgl. Livestream 0:45:40
7 Vgl. Livestream 0:53:50
8 Vgl. https:// www .landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-4576.pdf
9 Vgl. Livestream 0:54:45
10 Vgl. Livestream 0:56:40
11 Vgl. Livestream 0:13:30
12 Vgl. Livestream 0:55:10
13 Vgl. https:// gladbeck .more-rubin1.de/meeting.php?id=2023-1-123,TOP 4
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 2144 mit Schreiben vom 27. September 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung beantwortet.
- Wie erklärt die Landesregierung die im „letter of intent“ genannten exorbitanten monatlichen Kosten in Höhe von ca. 1 Mio. Euro pro Monat?
- Wie rechtfertigt die Landesregierung insbesondere die geplante Verpflegungspauschale in Höhe von 16 bzw. 18,5 Euro pro Person, im Hinblick auf wesentlich geringere Ansätze z.B. bei Bürgergeldempfängern? (Bitte die Kalkulation für die Verpflegungsleistungen näher aufschlüsseln)
- Die Bürger sind insbesondere besorgt um ihr Naherho-lungsgebiet. Wie aus den Ausführungen des Regierungspräsiden-ten hervorgeht, soll gerade dieses Sport-und Erholungsgebiet um-fangreich mitgenutzt werden. Wie begegnet die Landesregierung in diesem Zusammenhang den Sorgen und Ängsten der Anwohner, insbesondere auch in Bezug auf das Schwimmbad?
- Welche Auswirkung hätte die geplante Neuregelung bei der Anrechnung von Lan-desunterkünften gem. FlüAG (100% statt zuvor 50%) in Bezug auf aktuell in Glad-beck untergebrachte Personen für den Fall der Umwidmung des Hotels Van der Valk zu einer ZUE?
- Welchen Einfluss auf die Entscheidungsfindung zur Errichtung der ZUE hat die mittlerweile – wenn auch aus jeweils unterschiedlichen Motiven – breite Ablehnungsfront im Rat der Stadt Gladbeck, bei den direkt betroffenen Anwohnern und den Besuchern des Naherholungsgebiets Wittringen?
Die Fragen 1 bis 5 werden gemeinsam beantwortet:
Es wird auf die gemeinsame Erklärung des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration und der Stadt Gladbeck vom 07. September 2023 verwiesen (Anlage).
Das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Gladbeck haben in einem intensiven gemeinsamen Abwägungsprozess beschlossen, das Projekt ZUE Gladbeck am Standort Hotel van der Valk nicht weiter zu verfolgen. Im Gegenzug dazu wird die Stadt Gladbeck Möglichkeiten für die Unterbringung von Geflüchteten in Landeseinrichtungen mithilfe des Landes schaffen. Dazu werden alle Beteiligten von Seiten des Landes und der Stadt gemeinsam und vertrauensvoll Lösungen erarbeiten.