Medikamentenversorgung in Nordrhein-Westfalen sicherstellen – Lieferengpässen im Herbst 2023 entgegenwirken.

Antrag
vom 12.09.2023

Antrag

der Fraktion der AfD

Medikamentenversorgung in Nordrhein-Westfalen sicherstellen Lieferengpässen im Herbst 2023 entgegenwirken.

I. Ausgangslage

Alle Jahre wieder: „Nicht lieferbar“ – an diese Auskunft haben Patienten sich gewöhnt, wenn sie in ihrer Apotheke das vom Arzt ausgestellte Rezept einlösen oder ein anderes Medikament erwerben wollen. Nicht lieferbar sind dabei Antibiotika und Zytostatika, Impfstoffe oder auch Schmerzmittel wie Ibuprofen. Die Zahl der gemeldeten Lieferengpässe bei Medikamenten steigt stetig an, und diese gehören insbesondere in den infektreichen Monaten zum Alltag vieler Apotheker.

In den vergangenen Jahren hat sich die Lage insbesondere im Hinblick auf die Medikamen­tenversorgung für Kinder in erheblichem Maße zugespitzt. So waren nicht nur Fiebersäfte und Antibiotika für die Einnahme zuhause knapp, auch Kinderkliniken litten unter der zunehmen­den Medikamentenknappheit, unter anderem bei Inhalationstropfen und Krebsmedikamenten. Insbesondere bei Kleinkindern gibt es im Zuge der Medikation Probleme bei Ersatzmedika­menten im Hinblick auf die Dosierung und Darreichungsform, was die Lage zusätzlich er­schwert.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bietet eine Übersicht zu ak­tuellen Lieferengpässen in Deutschland. Seit dem Jahre 2013 melden Pharmaunternehmen im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung Lieferschwierigkeiten bei versorgungsrele­vanten Medikamenten an die Bonner Behörde. Zweck der Meldungen ist es, dass sich Ärzte und Krankenhäuser früher und besser auf Verknappungen einstellen und andere Hersteller möglicherweise Lücken schließen können1. Diese Liste weist aktuell (Stand 08.09.2023) im Bereich der Humanarzneimittel für 511 Arzneimittel Lieferengpässe in Deutschland auf.2 Im März 2023, als die AfD erstmals einen Antrag zur Sicherstellung der Medikamentenversorgung in Nordrhein-Westfalen eingebracht hat, waren es noch 430 Arzneimittel. Darunter sind zahl­reiche Antibiotika und Arzneimittel für Kinder, die zum Teil seit länger als einem Jahr knapp oder nicht verfügbar sind.

Das BfArM hat in den vergangenen Jahren eine kontinuierliche Steigerung der Lieferengpass-Meldungen verzeichnet. Auf Grund der Meldekriterien würden überwiegend klinikrelevante Engpässe gemeldet, erläutert das BfArM3.

Neben den Leistungserbringern und der Politik schlagen jetzt noch andere Akteure des Ge­sundheitswesens Alarm. Bei 85 Prozent der für die kommende Herbst-/Wintersaison dringend benötigten Arzneimittel reichen die derzeit verfügbaren Bestände nicht einmal für zwei Wo­chen, wie der pharmazeutische Großhandel (PHARGO) beklagt.

So richtete sich der Bundesverband PHAGRO in einem Schreiben an Bundesgesundheitsmi­nister Karl Lauterbach und machte klar, dass es „objektiv unmöglich ist, diese Arzneimittel bei der pharmazeutischen Industrie zu beschaffen, geschweige denn Lagerbestände aufzu-bauen“4.

Für den PHAGRO ist bereits die aktuelle Versorgungssituation vor Beginn der Herbst /Winter-saison „äußerst prekär“, wie aus einer Pressemitteilung vom 29.08.2023 hervorgeht.5 Dort heißt es: „Mehr als ein Viertel der Dringlichkeits-Arzneimittel konnte in den vergangenen Mo­naten vom Großhandel gar nicht beschafft werden, weil die pharmazeutische Industrie keine Ware zur Verfügung stellen konnte.

Ein Achtel der gelisteten Präparate sind von den Herstellern außer Vertrieb gesetzt worden oder werden nicht mehr in den Verkehr gebracht.

Bei mehr als der Hälfte der Dringlichkeits-Arzneimittel liefern die pharmazeutischen Unterneh­men nur 20 Prozent der vom Großhandel angeforderten Ware aus.

Alternative Beschaffungswege, z.B. durch das Verbringen bzw. den Import von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln aus anderen EU-Mitgliedsländern und Drittstaaten, können, wenn möglich, nur im Einzelfall zu einer Verbesserung der Versorgungssituation führen.“

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen stellt hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten die oberste Auf­sichtsbehörde des Landes dar. Es soll die Gewährleistung einer gesicherten und ordnungsge­mäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten tragen. Dazu ge­hört im Rahmen seiner Fachaufsicht die Koordination der Überwachungsbehörden. Diese wie­derum überprüfen vor Ort Hersteller, Großhändler und Apotheken, aber auch Anwender wie beispielsweise Ärzte und Krankenhäuser6.

Hier gilt es eine weitere Stelle zu schaffen, welche sich explizit mit der Versorgung und Liefe­rung der Humanarzneimittel befasst. Diese Stelle sollte Liefer- und Versorgungsengpässe in der Vergangenheit analysieren sowie die Bedarfsermittlung evaluieren. Die Einrichtung eines Frühwarnsystems auf Grundlage der erhobenen Daten soll geprüft werden, um somit zukünf­tige Engpässe bei lebenswichtigen Medikamenten zu verhindern. Zwar lassen sich Engpässe in der Medikamentenversorgung nicht komplett verhindern, aber eine gute Vorbereitung und eine entsprechende Koordination würden dies zumindest abmildern.

Zwar hat die Landespolitik diese Maßnahmen zuletzt als nicht notwendig empfunden, als diese Forderungen der AfD-Fraktion in einer ersten Debatte abgelehnt wurden7, die Prognosen ver­deutlichen jedoch, dass sich die Lage im Herbst und Winter 2023/2024 erneut zuspitzen wird und präventive Maßnahmen zur Erhaltung einer lückenlosen Gesundheitsversorgung in den infektreichen Monaten unerlässlich sind. Politik und Landesregierung müssen handeln, noch bevor es heißt: „nicht lieferbar“.

II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. eine zentrale Stelle im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu schaffen, die sich über die Medikamentensicherheit hinaus auch um die Verfügbarkeit der Humanarzneimittel kümmert und diese optimiert;
  2. die Ursachen für Liefer- und Versorgungsengpässen genau zu erforschen und Maßnah­men zu entwickeln, wie diesen in Zukunft entgegengewirkt werden kann;
  3. trägerübergreifende Strukturen zu schaffen, welche eine Medikamentenversorgung in NRW regulieren, damit bei Lieferengpässen schneller gehandelt werden kann;
  4. in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen Medikamentenvorräte an Humanarznei-mitteln, welche gelagert werden können, einzurichten und dabei den Bedarf der vergan­genen Perioden festzustellen und eine Bedarfsermittlung vorzunehmen.

Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith

und Fraktion

 

Antrag als PDF

 

1 Dtsch Arztebl 2019; 116(45): A-2060 / B-1690 / C-1654

2 https://anwendungen.pharmnet-bund.de/lieferengpassmeldungen/faces/public/meldungen.xhtml

3 https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Arzneimittelzulassung/Arzneimittelinformationen/Lieferengpaesse/_func-tions/Filtersuche_Formular.html

4 https://www.phagro.de/aktuelles/dringlichkeits-arzneimittel-fuer-herbst-winter-vorraete-reichen-keine-zwei-wo-chen/

5 Ebd.

6 https://www.mags.nrw/arzneimittel-und-medizinprodukte

7 LT NRW Plenarprotokoll 18/29 31.03.2023 S.36-40