Ministerpräsident Wüst warnt vor einer Überlastung der Kommunen. 160.000 weitere Asylbewerber und Ukraine-Flüchtlinge noch in diesem Jahr? Droht den Kommunen ein Unterbringungskollaps?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 1357

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias vom 13.02.2023

Ministerpräsident Wüst warnt vor einer Überlastung der Kommunen. 160.000 weitere Asylbewerber und Ukraine-Flüchtlinge noch in diesem Jahr? Droht den Kommunen ein Unterbringungskollaps?

Nachdem sich bereits der Landrat und zahlreiche Bürgermeister aus dem Main-Taunus-Kreis in Hessen mit einem Hilferuf an die Bundesregierung gewandt hatten und der bayerische Landkreistag eine spürbare Begrenzung des ungesteuerten Zugangs von Asylbewerbern eingefordert hat, schlugen jetzt auch die bayerischen Landkreischefs Alarm.1 Unterkünfte, Schulen und Kitas seien voll. Die Landräte wollen keine Asylbewerber mehr aufnehmen, die keine Aussicht auf Anerkennung haben. Sie fordern mehr Abschiebungen!

Von Seiten der Landräte kam zudem die Forderung auf, Asylbewerber ohne Chance auf Anerkennung nicht mehr von den Landeserstaufnahmen auf die Kommunen zu verteilen.

800.000 „Flüchtlinge“ sollen noch in diesem Jahr nach Deutschland kommen. Das sagte der Teamleiter für Soziales und Wohnen im Landkreis Potsdam-Mittelmark der B.Z. Berlin. Angeblich stamme diese Prognose aus dem Umkreis des Bundesinnenministeriums.2

Auch für die Sekundärmigration hätten die Kreischefs in Brandenburg immer weniger Geduld. Diese sekundären Migrationsbewegungen müsse vom Bund unterbunden werden, u.a., da das Asylsystem (und alle nachgelagerten „Systeme“ wie Kita, Schule, Gesundheit, Wohnungsmarkt) durch die illegalen Immigranten zusätzlich belastet wird.

Folgt man der Zuweisung gemäß dem Königsteiner Schlüssel, wären 800.000 Personen bundesweit gleichbedeutend mit ca. 160.000 Personen für NRW. Selbst mit einer theoretischen Abschiebung aller ausreisepflichtigen Personen (ca. 75.000) ließe sich dieser Zuwachs nicht auffangen. Da auch die NRW-Kommunen bereits am Limit sind und eine Aufstockung der Landeseinrichtungen in diesem Umfang unmöglich erscheint, würde NRW gemäß dieser Prognose – vorsichtig formuliert – vor unlösbare Probleme gestellt.

Von Seiten der Grünen kamen in diesem Zusammenhang erneut wenig hilfreiche Forderungen. So forderte Belit Onay, Oberbürgermeister von Hannover, in der WELT, dass die akute Belastungssituation der Kommunen nicht dazu führen dürfe, dass eine „zeitgemäße und moderne“ Zuwanderungspolitik diskreditiert wird. Deutschland bräuchte mehr Migration von Menschen aus Drittstaaten, die sich hier niederlassen wollen – allein schon aus wirtschaftlichen und demografischen Gesichtspunkten. Das sei mit bessere Integrationsangeboten für Geflüchtete zu verbinden.
Auch Familienzusammenführungen dürften nicht an mangelnden Kapazitäten der Kommunen scheitern.3 Hier stellt sich dem irritierten Betrachter die Frage nach der Definition von „zeitgemäß und modern“.

Wie das ZDF berichtet, kam jetzt auch vom NRW-Ministerpräsidenten, Hendrik Wüst, die Warnung vor einer Überlastung der Kommunen. Länder und Kommunen hätten die Grenze der Belastung bald erreicht.4 Zur Lösung des Problems forderte er insbesondere zusätzlich finanzielle Mittel des Bundes sowie die Nutzung weiterer bundeseigener Liegenschaften. Es geht folglich nur darum, das Problem besser zu verteilen. Dabei sind die praktischen Auswirkungen in den Kommunen gering. Auch wenn die Unterbringung in Landeseinrichtungen erfolgt, kommen auf die Kommunen weitere Belastungen zu. Unter rein finanziellen Gesichtspunkten ist es zudem für den Steuerzahler eher irrelevant, aus welchem Haushalt die Mittel am Ende kommen.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Inwiefern ist der Landesregierung die Prognose der Bundesregierung von 800.000 bzw. auf NRW bezogen ca. 160.000 weiteren Asylbewerbern/Ukraine-Flüchtlingen im Jahr 2023 bekannt?
  2. Wann soll die angekündigte Rückführungsoffensive der Landesregierung starten?
  3. In welcher Form setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene dafür ein, den weiteren ungeregelten Zustrom, insbesondere über die sogenannte Westbalkanroute, endlich so weit wie möglich zu stoppen?
  4. Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund der angespannten Lage in den Kommunen die Möglichkeit, Asylbewerber ohne Chance auf Anerkennung generell nicht mehr von den Landeserstaufnahmen auf die Kommunen zu verteilen?
  5. Welche weiteren Möglichkeiten sieht die Landesregierung für eine spürbare Entlastung der Kommunen bei der Unterbringung von Asylsuchenden und Ukraine-Flüchtlingen, um einen drohenden Unterbringungs-Kollaps zu verhindern?

Enxhi Seli-Zacharias

 

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1 Vgl. htt p s: / /www. B z – b e r l i n.de/branden b u r g /land raete-fordern-f l u e c h t lings-stopp

2 Vgl. htt p s : / /www. T i c h y s einblick.de/da ili-es-s e n t i a l s/landraete-branden b u r g – zuwanderung-f o r d e r u n g /

3 Vgl. htt p s : / / www. W e l t.de/politik/deutsch l a n d /p l u s24 36 1 06 8 9/Gruenen-Forderungen-an-Fae s e r-Anhaltende-Flucht bewe gungen-und-Zuwanderung-sind-keine -Ausnahmen-mehr.h t m l

4 Vgl htt p s: / /www. W e l t.de/news t i c k e r /dpa _nt/ info l i n e _nt /Politik __ Inland _/ article 2 4 3 600 89 5/W u e s t-warnt-vor-Ueberlastung-durch-Fluecht l i n g e .h t m l


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 1357 mit Schreiben vom 15. März 2023 namens der Landesregierung im Ein­vernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung sowie dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei beantwortet.

  1. Inwiefern ist der Landesregierung die Prognose der Bundesregierung von 800.000 bzw. auf NRW bezogen ca. 160.000 weiteren Asylbewerbern/Ukraine-Flüchtlingen im Jahr 2023 bekannt?

Eine entsprechende Prognose der Bundesregierung ist der Landesregierung nicht bekannt.

  1. Wann soll die angekündigte Rückführungsoffensive der Landesregierung starten?

Die Umsetzung der von der Regierungskoalition auf Bundesebene beschlossenen „Rückfüh­rungsoffensive“ liegt in der Verantwortung der Bundesregierung.

  1. In welcher Form setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene dafür ein, den weiteren ungeregelten Zustrom, insbesondere über die sogenannte Westbalkan-route, endlich so weit wie möglich zu stoppen?

Nordrhein-Westfalen steht zu seiner humanitären Verantwortung, Menschen, die vor Krieg, Gewalt oder Verfolgung fliehen, aufzunehmen. Eine bessere Koordinierung auch auf EU-Ebene zur Optimierung der Prozesse ist notwendig und von der Landesregierung wiederholt gegenüber dem Bund gefordert worden.

  1. Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund der angespannten Lage in den Kommunen die Möglichkeit, Asylbewerber ohne Chance auf Anerkennung ge­nerell nicht mehr von den Landeserstaufnahmen auf die Kommunen zu verteilen?

Die Dauer der Wohnverpflichtung von Asylsuchenden ist in § 47 AsylG geregelt. Demnach sind Asylbewerberinnen und Asylbewerber verpflichtet, bis zur Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Abschiebungsandrohung oder -anordnung in einer Landesaufnahmeeinrich-tung zu wohnen, längstens jedoch bis zu 18 Monate. Eine darüber hinaus gehende Wohnver­pflichtung besteht im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten (§ 47 Abs. 1 Satz 3 AsylG) oder aufgrund des Ausführungsgesetzes zu § 47 Abs. 1 b des Asylgesetzes (AG AsylG), wo­nach Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 29a) verpflichtet sind, bis zur Entschei­dung des Bundesamtes über den Asylantrag und im Falle der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet oder als unzulässig bis zur Ausreise oder bis zum Vollzug der Ab-schiebungsandrohung oder -anordnung in der für ihre Aufnahme zuständigen Aufnahmeein­richtung zu wohnen.

Ungeachtet dieser Regelungen beträgt die Dauer der Wohnverpflichtung für minderjährige Kin­der und ihre Eltern oder andere Sorgeberechtigten sowie ihre volljährigen, ledigen Geschwister längstens bis zu sechs Monate.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen der Kommunen bei der Unterbringung von Ge­flüchteten baut das Land seine eigenen Unterkunftskapazitäten kontinuierlich mit dem Ziel aus, Zuweisungen möglichst erst nach Ablauf der gesetzlichen Wohnverpflichtung und in Anwen­dung der geltenden Erlasslage vorzunehmen. Ungeachtet dessen ist es weiterhin das erklärte Ziel der Landesregierung, die Dauer der Wohnverpflichtung auf 3 Monate für Familien mit min­derjährigen Kindern und auf 6 Monate für alle übrigen Asylsuchenden zu begrenzen.

  1. Welche weiteren Möglichkeiten sieht die Landesregierung für eine spürbare Ent­lastung der Kommunen bei der Unterbringung von Asylsuchenden und Ukraine-Flüchtlingen, um einen drohenden Unterbringungs-Kollaps zu verhindern?

Geflüchtete aus der Ukraine, die in den Anwendungsbereich des § 24 AufenthG fallen, unter­liegen im Gegensatz zu Asylbewerberinnen und Asylbewerbern keiner Wohnverpflichtung in Landeseinrichtungen. Durch eine temporäre Unterbringung in den Landeseinrichtungen und die Zuweisung dieser Personen in eine nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz aufnahmepflich­tige Kommune übernimmt das Land eine wichtige Puffer- und Steuerungsfunktion.

Der Ausbau der landeseigenen Unterbringungskapazitäten für Geflüchtete aus der Ukraine und Asylsuchende ist ein wesentlicher Faktor, Kommunen einen zeitlichen Vorlauf zur Herrich­tung eigener Unterkünfte zu ermöglichen. Bereits am 9. Mai 2022 hat die Landesregierung mit der „Richtlinie zur Mobilisierung von Wohnraum für die Aufnahme und Unterbringung von Schutzsuchenden aus der Ukraine (RL MoWo)“, abrufbar unter https://www.mhkbd.nrw/si-tes/default/files/media/document/file/2022-05-09-rl-mowo.pdf, eine Wohnraumoffensive für Schutzsuchende ins Leben gerufen. Ferner wurde den Kommunen mit Erlass des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bauen und Digitalisierung vom 17.10.2022 eine Handlungsunterstüt­zung beispielsweise zu bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Erleichterungen von bauli­chen Anlagen zur Unterbringung von Geflüchteten zur Verfügung gestellt.

Das Land hat die Kommunen zudem bereits im letzten Jahr bei den gestiegenen Anforderun­gen im Bereich der Unterbringung Geflüchteter finanziell unterstützt. Anders als andere Länder hat das Land Nordrhein-Westfalen die vom Bund im Frühjahr 2022 den Ländern und Kommu­nen zur Verfügung gestellten Finanzmittel in Höhe von 430,8 Millionen Euro vollständig an die Kommunen weitergeleitet. Im November 2022 hat der Bund weitere Finanzmittel für die Länder zugesagt, die anteilig an die Kommunen, Kreise und Landschaftsverbände weitergeleitet wer­den. Zudem sieht das Land Mittel in Höhe rund 390 Millionen Euro aus dem Sondervermögen vor, um die Kommunen bei der Schaffung, Unterhaltung und Herrichtung von Unterbringungs­möglichkeiten zu unterstützen. In den laufenden Verhandlungen mit dem Bund setzt sich das Land Nordrhein-Westfalen für eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes an den flücht­lingsbedingten Aufwendungen der Kommunen und des Landes ein. Darüber hinaus hat der Bundesrat auf Initiative von Nordrhein-Westfalen, der Baden-Württemberg und Hessen beige­treten sind, am 3. März 2023 eine Entschließung gefasst, in der unter anderem weitere finan­zielle Hilfen des Bundes für Länder und Kommunen gefordert werden, damit diese auch zu­künftig die flüchtlingsbedingten Aufwendungen schultern können.

 

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