Kleine Anfrage 4743
der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner AfD
Mutmaßlich islamistischer Anschlag im Kino am Hauptbahnhof Krefeld wird nur knapp und mit viel Glück verhindert – Liegt erneut ein ausländerrechtliches Behördenversagen vor?
Wie aus der gemeinsamen Antwort des Innenministers, Herbert Reul, und der Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul, auf eine Eingabe der SPD hervorgeht, gab es beim iranischen Krefeld-Attentäter mindestens ähnlich gravierende ausländerrechtliche Unregelmäßigkeiten wie in zahlreichen Fällen zuvor. Die ungeklärten Aufenthaltsorte und insbesondere die angeblich 27 Identitäten erinnern fatal an den Fall Amri.1
Nach Aussage der Landesregierung ist der Tatverdächtige laut Ausländerzentralregister 2002 erstmals unerlaubt nach Deutschland eingereist.
Seit 2002 soll er sich dann auch in Belgien, Frankreich (bis 2005), den Niederlanden, Österreich, Russland, der Ukraine, der Schweiz, Dänemark, Norwegen, Luxemburg, Spanien und Schweden aufgehalten haben.
Einen Asylantrag soll er nicht nur in Deutschland, sondern auch in Dänemark, Norwegen, Schweden, der Schweiz und Österreich gestellt haben. In den Jahren 2008 und 2009 sollen Überstellungen aus Schweden und der Schweiz erfolgt sein.
2008 erfolgte die Zuweisung nach Krefeld.
Von 2010 bis 2014 verbüßte er nach einer Verurteilung durch das Landgericht Krefeld eine Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter Vergewaltigung, Bedrohung und Sachbeschädigung. Eine anschließende Abschiebung unterblieb.
Nach 2014 beantragte er bei der Ausländerbehörde Krefeld eine Duldung, verzog dann aber in zunächst unbekannte Richtung.
Erst 10 Jahre später, im April 2024, kam er zurück. Ein Rückübernahmeersuchen an die Republik Frankreich, wo er sich – laut Information der Landesregierung – über einen erheblichen Zeitraum in den vorhergegangenen zehn Jahren aufgehalten hatte, wurde von der französischen Seite abschlägig beschieden.
Der Mann erhielt dann auf die Asylanträge hin wohl nur eine Duldung, sprich: er war vollziehbar ausreisepflichtig.
Er wurde vom städtischen Fachbereich Migration und Integration darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Duldung in Deutschland insbesondere wegen seiner unklaren Identität monatlich neu beantragt werden muss.
Die Abschiebung scheiterte dann angeblich wieder an Formalitäten, konkret an einer sogenannten „Freiwilligkeitserklärung“, die von dem Mann nicht unterschrieben wurde.
Pikant sind auch weitere Einzelheiten, die die BILD ans Tageslicht gebracht hat.2 Demnach ist der Tatverdächtige bei der Polizei kein Unbekannter. Bereits in der Vergangenheit fiel er in Europa durch Gewaltattacken auf und täuschte Beamte mit insgesamt 27 Identitäten.
Nur zwei Tage vor dem Amoklauf in Krefeld soll der Iraner „einen Mitarbeiter im Ausländeramt bedroht haben, weil der ihm keine Aufenthaltserlaubnis unter einem falschen Namen erteilen wollte. Er soll dem Beamten gedroht haben, er würde größere Probleme bekommen. Die Hände hätte er zu Fäusten geballt gehabt, sich vor dem Tisch des Mitarbeiters aufgebaut. Auch bei dem Einsatz im Ausländeramt soll N. gegenüber der Polizei behauptet haben, er würde anders heißen. Insgesamt ist der Iraner unter 27 Alias-Namen im europäischen Flüchtlingssystem bekannt. Außerdem ist vermerkt, dass er psychisch krank und unberechenbar sei.“3
Der Fall macht exemplarisch deutlich, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) in Verbindung mit der Dublin-III-Verordnung im Schengen-System vollständig gescheitert ist. Ländergrenzen innerhalb der EU werden von unberechtigten Personen ignoriert und ohne Mühe überwunden. Identitäten können beliebig vorgetäuscht werden, da eine gesicherte Personenfeststellung scheinbar nachrangig behandelt wird. Die Einreise nach Deutschland ist offenbar jederzeit möglich, eine rechtlich vorgesehene Rücküberstellung scheitert dann aber, von einer Abschiebung ganz zu schweigen. Diese Dysfunktionalität des Asylsystems ist für jedermann offenkundig. An einer Rückbesinnung auf nationalstaatliche Lösungsansätze, sprich Grundgesetz Art. 16a i. V. m. Asylgesetz § 18 führt daher aus unserer Sicht kein Weg vorbei.
Wir fragen daher die Landesregierung:
- Aus welchen Gründen wurde die Rücküberstellung nach Frankreich im Jahr 2024 von Seiten der französischen Behörden abgelehnt?
- Welche Behörden waren vom Rücknahmegesuchen bis zur Ablehnung des Gesuchs an diesem Vorgang beteiligt? (Bitte den Vorgang im Detail schildern, inkl. einer zeitlichen Einordnung)
- Warum wurde die Person – vor dem Hinblick der offensichtlichen Gefährdung anderer Menschen – nicht in Abschiebehaft genommen?
- Welche Behörden waren an der gescheiterten Abschiebung in den Iran beteiligt? (Bitte den Vorgang im Detail schildern, inkl. einer zeitlichen Einordnung)
- Mit welchen Maßnahmen wird die Landesregierung – nach dem gescheiterten islamistischen Anschlag von Krefeld – jetzt endlich sicherstellen, dass die Person zeitnah abgeschoben wird (zur Not ggf. auch in ein aufnahmebereites Drittland), um eine weitere Gefahr der Bevölkerung, die von ihr ganz offensichtlich ausgeht, zukünftig auszuschließen?
Enxhi Seli-Zacharias
Markus Wagner
1 Vgl. https://www1.wdr.de/nachrichten/schuesse-nach-angriff-in-kino-krefeld-100.html Datum des Originals: 06.11.2024/Ausgegeben: 08.11.2024
3 Ebd.
Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 4743 mit Schreiben vom 3. Januar 2025 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.
- Aus welchen Gründen wurde die Rücküberstellung nach Frankreich im Jahr 2024 von Seiten der französischen Behörden abgelehnt?
Nach Auskunft der Ausländerbehörde erfolgte die Ablehnung ohne weitergehende Begründung. Nachfragen der Ausländerbehörde blieben erfolglos.
- Welche Behörden waren vom Rücknahmegesuchen bis zur Ablehnung des Gesuchs an diesem Vorgang beteiligt? (Bitte den Vorgang im Detail schildern, inkl. einer zeitlichen Einordnung)
Nach Auskunft der Ausländerbehörde waren die zuständige Ausländerbehörde, die Bundespolizei und die französischen Behörden beteiligt.
- Warum wurde die Person – vor dem Hinblick der offensichtlichen Gefährdung anderer Menschen – nicht in Abschiebehaft genommen?
- Welche Behörden waren an der gescheiterten Abschiebung in den Iran beteiligt? (Bitte den Vorgang im Detail schildern, inkl. einer zeitlichen Einordnung)
Frage 3 und Frage 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Person verfügt über keinerlei Reisedokumente und wirkte auch in der Vergangenheit nach Aussage der Ausländerbehörde nicht an seiner Passbeschaffung mit. Die ersatzweise Passbeschaffung im Zwangsverfahren für das Herkunftsland Iran ist für die Ausländerbehörden nahezu unmöglich, da die iranischen Behörden sog. „Freiwilligkeitserklärungen“ der Betroffenen verlangen. Darin müssen von Abschiebungen betroffene Personen erklären, dass sie freiwillig in ihr Heimatland Iran zurückreisen wollen. Diese werden in der Regel, so auch in diesem Fall, nicht unterzeichnet. Eine Rückführung ist ohne Reisedokumente nicht möglich. Die Anordnung einer Abschiebehaft und eine Abschiebung in den Iran unter Beteiligung weiterer Behörden kam somit vorliegend nicht in Betracht und ist daher auch nicht als gescheitert anzusehen.
- Mit welchen Maßnahmen wird die Landesregierung – nach dem gescheiterten islamistischen Anschlag von Krefeld – jetzt endlich sicherstellen, dass die Person zeitnah abgeschoben wird (zur Not ggf. auch in ein aufnahmebereites Drittland), um eine weitere Gefahr der Bevölkerung, die von ihr ganz offensichtlich ausgeht, zukünftig auszuschließen?
Der Fall wurde der zuständigen Regionalen Rückkehrkoordinationsstelle (RRK) der Bezirksregierung Düsseldorf am 08.10.2024 gemeldet und unverzüglich von dort in die Fallbegleitung aufgenommen.
Der Fall wird engmaschig im Rahmen des Fallmanagements begleitet und die Ausländerbehörde Krefeld wird entsprechend unterstützt. Am 23.10.2024 hat eine Fallkonferenz unter Einbeziehung der verantwortlichen Akteure (Ausländerbehörde Krefeld, RRK Düsseldorf, Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration) stattgefunden. Weitere Fallkonferenzen sind beabsichtigt.
Eine Rückführung in den Iran ist gegenwärtig aus den vorgenannten Gründen keine Option. Nichtsdestotrotz wird die Zentralstelle für Flugabschiebungen um Prüfung etwaiger Rückführungsmöglichkeiten gebeten.
Eine Rücküberstellung nach Frankreich wird zudem erneut fokussiert. Eine erneute Kontaktaufnahme hierzu mit den französischen Behörden ist bereits veranlasst. Derzeit befindet sich die Person in Untersuchungshaft.