Nachfrage zur Kleinen Anfrage 428 – Steht das Programm „Demokratie Leben“ dem Beutelsbacher Konsens entgegen?

Kleine Anfrage

Kleine Anfrage 656
der Abgeordneten Andreas Keith, Enxhi Seli-Zacharias und Klaus Esser vom 25.10.2022

Nachfrage zur Kleinen Anfrage 428 – Steht das Programm „Demokratie Leben“ dem Beutelsbacher Konsens entgegen?

Wie aus der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 428 hervorgeht, werden im Haushaltsjahr 2022 insgesamt 11 Einzelprojekte des Programms „Demokratie Leben“ auch mit Landesmitteln gefördert.

Dazu zählen fünf mobile Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus mit jeweils 92.700 Euro, zwei Opferberatungsstellen (Opferberatung Rheinland und Westfalen) mit jeweils 293.550 Euro, ein Ausstiegsprogramm für rechtsextreme Jugendliche (NinA) mit 149.000 Euro, ein Projekt für türkischstämmige Bürger für Demokratie und Teilhabe mit 30.000 Euro, ein Präventionsprogramm gegen islamistische Radikalisierung (180 Grad Wende Keepers) mit 218.000 Euro sowie das Projekt Meeting Diaspora mit 16.329 Euro. Die Gesamtförderung aus dem Landeshaushalt betrug somit 1.463.829 Euro. Von daher ist es verwunderlich bis irritierend, dass die Landesregierung bei einer Bewertung dieser Förderung vor dem Hintergrund des Beutelsbacher Konsens ausweichend reagiert und lediglich darauf verweist, dass es sich beim Programm „Demokratie Leben“ um ein Bundesprogramm handelt.

Bei den geförderten mobilen Beratungsstellen und bei der Ausstiegsberatung ist die Zielgruppe bereits im Projektnamen verborgen. Auch die beiden Opferberatungsstellen widmen sich einseitig nur einem Phänomenbereich. So heißt es bei der Opferberatung Rheinland: „Wir unterstützen Sie, wenn Sie oder Menschen in Ihrem Umfeld von Rechtsextremen oder aus rassistischen, antisemitischen und anderen menschenfeindlichen Motiven bedroht oder angegriffen werden.“1 Bei der Opferberatung Westfalen heißt es: „Die Beratungseinrichtung unterstützt Betroffene, Angehörige, Zeuginnen und Zeugen von rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer, LSBTIQ-feindlicher oder sozialdarwinistischer Gewalt.“2 Die Ausstiegsberatung NinA richtet sich ausschließlich an rechtsextreme Jugendliche. Anders als bei den Aussteigerprogrammen Spurwechsel, API und LEFT gibt es bei der Ausstiegsberatung keine Gegenstücke für andere Phänomenbereiche.

Somit werden aus Landesmitteln beim Programm Demokratie Leben zu 82 % Projekte im Bereich Rechtsextremismus und zu 15 % Projekte im Bereich Islamismus gefördert. Der Bereich Linksextremismus wird komplett ignoriert. Trotz dieser offensichtlichen Einseitigkeit behauptet die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage 428, dass grundsätzlich alle Projekte der Landeszentrale für politische Bildung den Prinzipien des Beutelsbacher Konsens unterliegen. Dafür müsste es allerdings – analog zum Programm Demokratie Leben – weitere Programme geben, die sich verstärkt dem Islamismus und insbesondere dem Linksextremismus zuwenden. Derartige Programme in diesem finanziellen Umfang sucht man im Landeshaushalt allerdings vergebens.

Die Landesregierung kann in diesem Zusammenhang in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage lediglich auf das – eher unbekannte – digitale Format „wasbewegt.nrw“ verweisen. Hiermit meint die Landesregierung den Grundsätzen des Beutelsbacher Konsenses und der Ausgewogenheit zu genügen, was etwas bemüht bis skurril wirkt.

Die mangelnde Ausgewogenheit verwundert insbesondere vor dem Hintergrund des jeweiligen Personenpotentials. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht beziffert das Personenpotential für das Jahr 2021 in NRW im Bereich Rechtsextremismus mit 3.875 Personen, im Linksextremismus mit 2.570 Personen, im auslandsbezogenen Extremismus mit 5.000 Personen und im Islamismus mit 4.470 Personen.3

Teils militante linksextremistische Aktionen der jüngeren Vergangenheit lassen verstärkte bzw. eher „erste ernsthafte“ Maßnahmen im Bereich der politischen Bildung gegen Linksextremismus nötig erscheinen. Zu nennen sind hierbei beispielsweise Angriffe jeglicher Form gegen „politische Gegner“, Aktionen radikaler „Klimaschützer“ in Form von Blockaden, Aktionen rund um den Kohleabbau im Rheinischen Revier, aber auch Aktionen vor dem Landtag (innerhalb der Bannmeile) oder der Staatskanzlei. Nicht unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang die linksradikale Mischszene, bestehend u. a. aus Antifa-Gruppierungen, radikalen „Klimaschützern“ und den Jugendorganisationen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, was durch zahlreiche sogenannte breite zivilgesellschaftliche Bündnisse belegt ist.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Welche Mobilen Beratungsstellen, Opferberatungsstellen und Ausstiegsberatungsstellen bietet die Landesregierung – abgesehen von allgemein zugänglichen Projekten bzw. Programmen der Landespolizei für alle Phänomenbereiche – speziell in den Themenfeldern Linksextremismus, auslandsbezogener Extremismus und Islamismus an?
  2. Welche Erfolge lassen sich bisher beim digitalen Format „wasbewegt.nrw“ feststellen? (Bitte insbesondere die bisherigen Besucherzahlen des digitalen Formats beziffern)
  3. In welcher Form bzw. in welchem Umfang wird sich die Landesregierung im Haushaltsjahr 2023 im Rahmen der politischen Bildung den Phänomenbereichen Linksextremismus, auslandsbezogener Extremismus und Islamismus widmen?
  4. Was wird die Landesregierung unternehmen, um – entsprechend zum genannten Personenpotential gem. Verfassungsschutzbericht – im Haushaltsjahr 2023 die einseitige Betonung des Rechtsextremismus zu beenden?
  5. Was wird die Landesregierung unternehmen, damit sich – im Sinne des Beutelsbacher Konsens – die Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung zukünftig ausgewogen allen extremistischen Bedrohungen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung widmet und diesen begegnet?

Andreas Keith
Enxhi Seli-Zacharias
Klaus Esser

 

Anfrage als PDF

 

1 Vgl. htt ps : / / www. Opferberatung – rheinland . de / beratung

2 Vgl. htt ps : / / verband – brg . de/ back – up /

3 Vgl. Verfassungsschutzbericht NRW 2021; S. 26-27


Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 656 mit Schreiben vom 29. November 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Wirt­schaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, dem Minister der Finanzen, dem Minister des In­nern und der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration be­antwortet.

  1. Welche Mobilen Beratungsstellen, Opferberatungsstellen und Ausstiegsberatungsstellen bietet die Landesregierung abgesehen von allgemein zugänglichen Projekten bzw. Programm der Landespolizei für alle Phänomenbereiche speziell in den Themenfelder Linksextremismus, auslandsbezogener Extremismus und Is­lamismus an?

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zählt Aussteigerprogramme zu sämtlichen Phäno-menbereichen zu den Kernelementen der Extremismus-Prävention. In Ergänzung der Vorbe­merkung der Kleinen Anfrage, die bereits aus dem Tätigkeitsbereich der Verfassungsschutz­behörde des Landes Nordrhein-Westfalen die Aussteigerprogramme „Spurwechsel“ zum Aus­stieg aus dem Rechtsextremismus, Islamismus (API) sowie das Angebot für den Ausstieg aus der linksextremistischen Szene „left“ erwähnt, wird flankierend noch auf das Landespräventionsprogramm „Wegweiser – Gemeinsam gegen Islamismus“ hingewiesen, welches sich vorwiegend an junge Menschen richtet, die in den Islamismus abzurutschen dro­hen, sowie deren Umfeld. Im vergangenen Jahr erfolgte zudem eine Ausweitung dieses Präventionsprogramms auf den Phänomenbereich „Graue Wölfe“.

  1. Welche Erfolge lassen sich bisher beim digitalen Format „wasbewegt.nrw“ fest­stellen? (Bitte insbesondere die bisherigen Besucherzahlen des digitalen Formats beziffern)

Aufgrund von Datenschutzbestimmungen können nur bestimmte Webseitenbesuche erfasst werden. Die ermittelten Besuche der Unterseite wasbewegt.nrw belaufen sich auf 24.794 (Stichtag: 3. November 2022) seit dem Start des Formats vor rund 14 Monaten.

  1. In welcher Form bzw. in welchem Umfang wird sich die Landesregierung im Haus­haltsjahr 2023 im Rahmen der politischen Bildung den Phänomenbereichen Links­extremismus, auslandsbezogener Extremismus und Islamismus widmen?

Die Landeszentrale wird sich wie bisher mit eigenen Veranstaltungen und Projekten allen re­levanten gesellschaftlichen Herausforderungen und Debatten widmen, etwa mit Veranstaltun­gen zum Verhältnis von „Islam und Islamismus“, „Einstiegsprozessen in extremistische Sze­nen“ oder Angeboten für Imame. Fachveranstaltungen wie die Landesdemokratiekonferenz 2022 oder die diesjährige Tagung „Delegitimierte Demokratie“ werden dazu genutzt, beste­hende Angebote weiterzuentwickeln und zu prüfen, inwiefern aktuelle Entwicklungen neue Formate erforderlich machen.

Um Bürgerinnen und Bürger über die unterschiedlichen Angebote im Bereich Demokratieför­derung und Islamismusprävention zu informieren, bietet die Landeszentrale für politische Bil­dung seit Ende 2019 mit dem Online-Portal www.gegen-gewaltbereiten-salafismus.nrw eine zentrale Anlaufstelle. Neben der Vorstellung von Einzelprojekten der Landesregierung fasst das Portal für Interessierte grundlegende Hintergrundinformationen zusammen. Darüber hin­aus werden seit 2021 weiterführende Informationen zu einzelnen Schwerpunkten der Islamis-musprävention zur Verfügung gestellt.

Das Referat Publikationen in der Landeszentrale für politische Bildung bietet neben mehreren Büchern, die sich bereits mit den Phänomen-Bereichen Linksextremismus, Extremismus und Islamismus befassen, folgende Titel neu bzw. zukünftig neu an:

* Decker/Henningsen/Lewandowsky/Adorf (Hrsg.): Aufstand der Außenseiter. Die Her­ausforderung der europäischen Politik durch den neuen Populismus, Baden-Baden 2022.

* Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt, München 2022.

* Ceylan/Kiefer: Der islamische Fundamentalismus im 21. Jahrhundert, Wiesbaden, Wiesbaden 2022

Der Haushalt 2023 des Landes Nordrhein-Westfalen befindet sich noch im parlamentarischen Beratungsverfahren. Den Ergebnissen der parlamentarischen Beratung und abschließenden Beschlussfassung kann nicht vorgegriffen werden. Eine Aussage über Form und Umfang der Förderung externer Projekte im Jahr 2023 kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht getroffen werden.

  1. Was wird die Landesregierung unternehmen, um entsprechend zum genannten Personenpotential gem. Verfassungsschutzbericht im Haushaltsjahr 2023 die einseitige Betonung des Rechtsextremismus zu beenden?

Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen unternimmt bereits vielfältige präventive Maß­nahmen, die sich auf die Bandbreite der extremistischen Phänomenbereiche beziehen und den jeweiligen Ausformungen demokratiefeindlicher Bestrebungen passgenau begegnen. Im Übrigen berichten die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden der Lage entsprechend zu extremistischen Bestrebungen aus allen Phänomenbereichen und zu politisch motivierter Kri­minalität.

  1. Was wird die Landesregierung unternehmen, damit sich im Sinne des Beutels-bacher Konsens die Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung zukünftig ausgewogen allen extremistischen Bedrohungen für die freiheitlich-demokrati­sche Grundordnung widmet und diesen begegnet?

Wie aus der Antwort zu Frage 3 ersichtlich wird, widmet sich die Landeszentrale für politische Bildung in ihren Bildungsformaten und -Medien allen extremistischen Bedrohungen für die frei­heitlich-demokratische Grundordnung.

 

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