Nachfrage zur Kleinen Anfrage 4334: Seit wann fällt die Bekämpfung von in NRW begangenen Straftaten nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des Innenministers, Herbert Reul?

Kleine Anfrage
vom 28.11.2024

Kleine Anfrage 4810

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias und Markus Wagner AfD

Nachfrage zur Kleinen Anfrage 4334: Seit wann fällt die Bekämpfung von in NRW begangenen Straftaten nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich des Innenministers, Herbert Reul?

Im Rahmen der Kleinen Anfrage 4334 „Gewalt durch Nordafrikaner in Deutschland explodiert: Wie ist die Situation in NRW? Wie positioniert sich die Landesregierung zur Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer um Tunesien und Marokko?“ fragten wir nach der Anzahl der in NRW von Tunesiern und Marokkanern begangenen Straftaten. Der Hintergrund dafür war eine erschreckende Statistik mit einem bundesweiten Vergleich entsprechender Zahlen für die Jahre 2019 und 2023.

Auch die Einzelauswertung für NRW lieferte entsprechende, mindestens erklärungsbedürftige Zahlen. Insbesondere gilt es zu klären, wie sich die zuständigen Minister diese Zahlen für NRW erklären und wie sie diesen in Zukunft, sprich: mit welchen Maßnahmen, begegnen werden.

Wir fragten daher:

„2. Wie erklären sich der Innenminister sowie die Ministerin für Flucht und Integration die dramatische Entwicklung zwischen 2019 und 2023? (Bitte getrennt antworten)

3. Mit welchen konkreten Maßnahmen wollen der Innenminister und die Ministerin für Flucht und Integration dieser Problematik begegnen? (Bitte getrennt antworten)“

Aus der Antwort geht hervor, dass sich weder die Ministerin für Flucht und Integration noch der Innenminister für der starken Anstieg von Straftaten, die von Menschen aus Tunesien und Marokko in NRW begangen werden, zuständig fühlten. So heißt es in der gemeinsamen Antwort auf beide Fragen:

„Die angesprochene Entwicklung bezieht sich auf Daten aus dem Geschäftsbereich einer Bundesbehörde, die sich der Bewertung der Landesregierung entziehen.“

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie erklärt sich der Innenminister die dramatische Entwicklung zwischen 2019 und 2023 in NRW? (Siehe die Antwort auf Frage 1 der Kleinen Anfrage 4334)
  2. Wie erklärt sich die Ministerin für Flucht und Integration die dramatische Entwicklung zwischen 2019 und 2023 in NRW? (Siehe die Antwort auf Frage 1 der Kleinen Anfrage 4334)
  3. Mit welchen konkreten Maßnahmen wird der Innenminister dem Anstieg der Kriminalität aus der erfragten Gruppe begegnen?
  4. Mit welchen integrationspolitischen Maßnahmen wird die Ministerin für Flucht und Integration dem Anstieg der Kriminalität aus der erfragten Gruppe begegnen?
  5. Vor welchem Hintergrund fühlten sich die zuständigen Minister in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage 4334 für in NRW begangene Straftaten und deren Folgen nicht zuständig?

Enxhi Seli-Zacharias
Markus Magner

 

MMD18-11646


Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4810 mit Schreiben vom 22. Januar 2025 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration beantwortet.

  1. Wie erklärt sich der Innenminister die dramatische Entwicklung zwischen 2019 und 2023 in NRW? (Siehe die Antwort auf Frage 1 der Kleinen Anfrage 4334)?

Bereits am 19. März 2024 informierte ich die Öffentlichkeit differenziert und ausführlich über die Entwicklung der Kriminalität nichtdeutscher Tatverdächtiger in Nordrhein-Westfalen. Ich machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass die Landesregierung die Entwicklungen mit Sorge betrachtet und die Polizei NRW in der Bekämpfung der Kriminalität von nichtdeutschen Tatverdächtigen einen kriminalstrategischen Schwerpunkt erkennt.

Die Kriminalitätsentwicklung ist Gegenstand fortlaufender Auswertungen der Polizei NRW. Grundlage für die Beobachtung der regionalen und überregionalen Kriminalität sowie einzelner Deliktsarten, der Anzahl und der Zusammensetzung der Tatverdächtigen als auch von Aspekten, die eine vergleichende Beurteilung der Kriminalität ermöglichen, stellt u.a. die Poli­zeiliche Kriminalstatistik Nordrhein-Westfalen (PKS NRW) dar. Auf Basis der PKS NRW erfolgt die Information der Öffentlichkeit sowie eine zielgerichtete kriminalstrategische Schwerpunkt­setzung. Sie ist somit ein wichtiges Instrument für die Wahrnehmung verschiedener polizeili­cher Aufgaben. Der Einordnung der statistischen Daten kommt in diesem Kontext besondere Bedeutung zu, um unzutreffende Schlussfolgerungen zu vermeiden.

Der prozentuale Anstieg der Anzahl der Tatverdächtigen im Vergleich der Jahre 2019 und 2023 in einzelnen Deliktsbereichen ist als hoch zu bezeichnen und bietet insofern Anlass, mögliche Ursachen dieser negativen Entwicklung zu untersuchen und die verschiedenen Be­kämpfungsansätze zu überprüfen. Bei der Einordnung der für die Beantwortung der Frage 1 der Kleinen Anfrage 4334 herangezogenen Daten der PKS NRW müssen insbesondere fol­gende Aspekte berücksichtigt werden:

Die konsequente Ermittlungsarbeit im Jahr 2023 führte mit 54,2 Prozent zur höchsten Aufklä­rungsquote seit über sechzig Jahren und folgerichtig steigt auch die Gesamtzahl der ermittel­ten Tatverdächtigen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Weiter ist zu berücksichtigen, dass insbesondere der prozentuale Anstieg an marokkanischen und tunesischen Tatverdäch­tigen zumindest im Bereich der schweren Kriminalität als hoch zu bezeichnen ist, die Aussa­gekraft jedoch vor dem Hintergrund der geringen absoluten Anzahl ermittelter Tatverdächtiger betrachtet werden muss. Bei der Bewertung der Kriminalitätsbelastung von marokkanischen und tunesischen Staatsangehörigen in Nordrhein-Westfalen ist im Sachzusammenhang wei­terhin von Bedeutung, dass der Anteil von marokkanischen und tunesischen Staatsangehöri­gen an der Gesamtbevölkerung Nordrhein-Westfalens im Vergleich der Jahre 2019 bis 2023 ebenfalls gestiegen ist.

Darüber hinaus macht die Anzahl der marokkanischen und tunesischen Tatverdächtigen im Verhältnis zur Gesamtanzahl nichtdeutscher Tatverdächtiger einen eher geringen Anteil aus.

  1. Wie erklärt sich die Ministerin für Flucht und Integration die dramatische Entwick­lung zwischen 2019 und 2023 in NRW? (Siehe die Antwort auf Frage 1 der Kleinen Anfrage 4334)

Wie bereits mehrfach ausgeführt, sind die Ursachen für kriminelles Handeln vielfältig und las­sen sich nicht auf einzelne Aspekte, wie etwa eine Einwanderungsgeschichte, reduzieren. Er­scheinungsformen der Kriminalität lassen sich nur in einem umfassenden gesellschaftlichen und individuellen Gesamtkontext angemessen verstehen und bewerten.

Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.

  1. Mit welchen konkreten Maßnahmen wird der Innenminister dem Anstieg der Kri­minalität aus der erfragten Gruppe begegnen?

Die Polizei Nordrhein-Westfalen setzt umfangreiche präventive und repressive Bekämpfungs­strategien – phänomenspezifisch und ausgerichtet an der Kriminalitätsentwicklung – konse­quent um. Sie prüft diese regelmäßig auf etwaige Optimierungspotentiale und entwickelt sie fort.

Einzelne Kreispolizeibehörden (KPB) haben auf Grundlage der örtlichen Kriminalitätsentwick­lung im Rahmen ihrer Schwerpunktsetzung individuelle Konzepte zur gezielten Bekämpfung der Kriminalität von nordafrikanischen Staatsangehörigen entwickelt. So richtete beispielsweise die KPB Köln vor dem Hintergrund der sich häufenden Begehung von Strafta­ten durch eine Gruppe minderjähriger nordafrikanischer Tatverdächtiger im Bereich der Kölner Innenstadt die Ermittlungsgruppe „Fokus U18“ ein. Neben der Entwicklung eines „Rahmen­konzepts zu kurzfristigen Einsatzmaßnahmen zur Bekämpfung der Straßenkriminalität, insbe­sondere durch minderjährige nordafrikanische Tatverdächtige“ kommt der vertrauensvollen behördenübergreifenden Zusammenarbeit mit Jugendamt, Ausländeramt, der Staatsanwalt­schaft und der Bundespolizei, insbesondere im Kontext von Personenfeststellungsverfahren, der Erstellung von Altersgutachten sowie der vermehrten Erwirkung von Untersuchungshaft­befehlen eine hohe Bedeutung zu.

Darüber hinaus handelt es sich bei einigen der marokkanischen und tunesischen Tatverdäch­tigen auch um Mehrfach- und Intensivtäterinnen und Intensivtäter (MIT). Da eine relativ kleine Gruppe von MIT für eine überproportional hohe Anzahl von Straftaten verantwortlich ist, stellt die Bekämpfung der Kriminalität von MIT – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – grund­sätzlich einen Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung dar. Die polizeiliche Befassung mit MIT erfolgt in den KPB personenorientiert auf Grundlage von speziellen, örtlichen Bekämp­fungskonzepten, die sich an den Vorgaben eines landesweiten Rahmenkonzepts orientieren. Sie erfolgt ganzheitlich und berücksichtigt dabei insbesondere altersspezifische Besonderhei­ten unter Einbeziehung präventiver und repressiver Aspekte. Im Kontext der Kriminalität mo­biler Intensivtäterinnen und Intensivtäter der Eigentumskriminalität setzt die Polizei darüber hinaus die Rahmenkonzeption MOTIV (Mobile Täter im Visier) um, womit die spezifischen Präsenz- und Bekämpfungsprojekte der KBP unterstützt werden, damit diese noch wirksamer und nachhaltiger gegen die Kriminalität im Sachzusammenhang vorgehen.

Zudem wertet das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) regelmäßig Daten zu MIT mit nordafrikanischer Staatsangehörigkeit – insofern auch zu MIT mit marokkanischer und tunesischer Staatsangehörigkeit – aus. Die Ergebnisse dieser Auswertungen werden behör­denscharf aufbereitet und den KPB zugeleitet. Die KPB prüfen auf dieser Grundlage gezielte polizeiliche Maßnahmen unter Beteiligung der Ausländerämter bis hin zu einer personenori­entierten Befassung im Rahmen der örtlichen MIT-Konzepte. Zielrichtung ist insbesondere die Ausschöpfung haftbegründender sowie aufenthaltsbeendender Maßnahmen.

Zur Verbesserung der behördenübergreifenden Zusammenarbeit unterstützt die zentrale Ver­bindungsstelle der Polizei in Flüchtlingsangelegenheiten beim Landesamt für Zentrale Polizei­liche Dienste Nordrhein-Westfalen die Regionalen Rückkehrkoordinationsstellen der Bezirks­regierungen bei der Begleitung und Koordinierung aufenthaltsrechtlicher Verfahren und auf­enthaltsbeendender Maßnahmen bei ausländischen strafrechtlich auffälligen Personen sowie bei ausländischen Personen mit erheblich negativem Sozialverhalten.

Darüber hinaus erarbeiteten das Ministerium der Justiz, das Ministerium des Innern sowie das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration ebenfalls zur Verbesserung der behördenübergreifenden Zusammenarbeit den gemeinsamen Erlass „Zu­sammenarbeit zwischen Ausländerbehörden, Polizeibehörden sowie Justizbehörden bei straf­fälligen ausländischen Personen im Land Nordrhein-Westfalen“.

Zur Verhinderung von Straftaten und Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung zeigt die Polizei NRW zudem Präsenz durch den gezielten Einsatz uniformierter Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Die KPB entwickeln dazu auf Grundlage örtlichen Problemanalysen indi­viduelle Konzepte zur wirkungsvollen Umsetzung der Präsenzmaßnahmen.

Zusätzlich hat das Ministerium des Innern alle KPB beauftragt, zu dem Phänomen „Regelwid­riges Gruppenverhalten“ und zur „Bekämpfung der Messergewalt im öffentlichen Raum“ be­hördenspezifische Einsatzkonzeptionen, die Maßnahmen unter repressiven und präventiven Gesichtspunkten einbeziehen, umzusetzen und dabei mit weiteren Sicherheitspartnern eng zusammenzuwirken. Besonders relevante Zielgruppen dieser Maßnahmen sind männliche Ju­gendliche und Heranwachsende. Teil des sogenannten 10-Punkte-Plans zur Bekämpfung der Messergewalt im öffentlichen Raum ist unter anderem das Präventionskonzept „#besserohne-messer“, im Rahmen dessen in allen Unterbringungseinrichtungen für Geflüchtete Maßnah­men getroffen werden. Hier vermitteln Bezirksdienstbeamtinnen und Bezirksdienstbeamte der KPB zielgenaue und zielgruppenspezifische Präventionshinweise unter Nutzung mehrsprachi­gen Materials (z.B. durch Plakate und Flyer).

  1. Mit welchen integrationspolitischen Maßnahmen wird die Ministerin für Flucht und Integration dem Anstieg der Kriminalität aus der erfragten Gruppe begegnen?

Im Gesetz zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration in Nordrhein-West­falen (Teilhabe- und Integrationsgesetz – TIntG) sind die Grundsätze, Strukturen und Förder­maßnahmen der nordrhein-westfälischen Teilhabe- und Integrationspolitik festgelegt. Sämtli­che Maßnahmen folgen dem Ziel, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und zu sichern. Damit leistet die nordrhein-westfälische Teilhabe- und Integrationspolitik einen we­sentlichen Beitrag für das friedliche Miteinander der Menschen. Personen, die durch rechts­widriges Handeln gegen geltendes Recht verstoßen, unterliegen den Konsequenzen des Strafrechts, unabhängig davon, ob sie eine Einwanderungsgeschichte haben oder nicht.

  1. Vor welchem Hintergrund fühlten sich die zuständigen Minister in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage 4334 für in NRW begangene Straftaten und deren Folgen nicht zuständig?

Die Zuständigkeit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und In­tegration sowie des Ministers des Innern für die Kriminalitätsbekämpfung in Nordrhein-West­falen sind mit der Beantwortung der Kleinen Anfrage 4334 nicht in Abrede gestellt worden, allerdings bezogen sich die Fragen 2 und 3 der Kleinen Anfrage 4334 auf Daten aus dem Geschäftsbereich einer Bundesbehörde. Für die Bewertung der Daten aus Nordrhein-Westfa­len wird auf die Antworten zu den Fragen 2 und 3 verwiesen.

 

MMD18-12602