Antragder AfD-Fraktion vom 04.02.2020
„Nacht der Solidarität“ auch für Obdachlose in Nordrhein Westfalen – niemand darf aus dem System fallen.
I. Ausgangslage
Der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) zufolge sind in Deutschland schätzungsweise 237.000 Menschen wohnungslos; rund 41.000 davon leben auf der Straße1, sind also obdachlos im gemeinten Sinne des Wortes. Nach Schätzungen der Caritas leben davon allein 5.000 Personen in Nordrhein- Westfalen.2 Nach der Wohnungslosenstatistik des Landes waren im Sommer 2018 über 44.000 Menschen ohne eigene Wohnung in Notunterkünften von Kommunen und von freien Trägern untergebracht. Das waren nach Angaben des Landes 37,6 Prozent mehr als im Vorjahr.
Da immer weniger bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht, sind die Noteinrichtungen oft überfüllt. Bei einem Wohnungsverlust kann es deshalb geschehen, dass finanziell schwache Betroffene direkt in die Obdachlosigkeit abgleiten. Allerdings handelt es sich bei den veröffentlichten Zahlen fast ausnahmslos um bloße Schätzwerte; die Ermittlung eines realen Bedarfs – etwa von Unterkünften – ist kaum möglich. Auf Basis dieser eher ungenauen Daten hat das Land 20 von Obdachlosigkeit besonders betroffene Kommunen ausgewählt, in denen die Praxishilfe „Endlich ein Zuhause“ umgesetzt werden soll. Dabei handelt es sich unter anderem um Präventionsmaßnahmen bei drohendem Wohnungsverlust oder auch um Wohnraumak-quise.
Die Wichtigkeit der neuen Landesinitiative zeigt sich auch daran, dass der Landtag im Jahre 2019 die Haushaltsmittel für den Wohnungslosenbereich um drei Millionen Euro auf 4.850.000 Euro aufgestockt hat. Ab dem laufenden Jahr sollen diese Mittel nochmals um zwei Millionen Euro auf dann 6.850.000 Euro erhöht werden. Das geht aus einer Pressemitteilung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales hervor.3
Nicht nur im Bereich der langfristigen Hilfsprogramme, sondern auch in dem der akuten Hilfe ist die Landesregierung bereits tätig geworden. Hier hat sie die Kältehilfen für Obdachlose in diesem Winter auf 200.000 Euro verdoppelt, wie aus einer Pressemitteilung im Deutschen Ärzteblatt vom 13. Dezember 2019 hervorgeht.4 Diese Programme sind vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Gefahren, die sinkende Temperaturen im Winter mit sich bringen, wichtig und notwendig. Eine Bevölkerungsgruppe, die auf Grund der Lebensumstände, welche die Obdachlosigkeit mit sich bringt, oft mit einem geschwächten Immunsystem, mit weiteren gesundheitlichen Problemen und/oder mit dem Missbrauch von Alkohol oder andere Betäubungsmittel zu kämpfen hat, steht gerade den Gefahren des Winters schutzlos gegenüber. Kalte Temperaturen belasten zum einen das Herz-Kreislauf-System, zum anderen stellen sie im besonderen Maße ein Risiko für Atemwegserkrankungen dar.
Doch wie viele Menschen sind in Nordrhein-Westfalen tatsächlich obdachlos? Wie viele Menschen werden durch diese so notwendigen Hilfsprogramme erreicht? Wie viele Menschen sind auf die Kältehilfe angewiesen, und wie viele erreicht diese erst gar nicht? Mangels einer validen Datenbasis können diese Fragen weder beantwortet noch kann der tatsächliche Bedarf für die von Nordrhein-Westfalen angebotenen Hilfsprogramme ermittelt werden.
Dabei handelt es sich allerdings um kein neues Problem; denn ein Mensch, der kein Obdach hat, scheint aus dem System zu fallen. Umso schwieriger ist es sicherzustellen, dass die von bedürftigen Menschen benötigte Hilfe diese auch erreicht. Dieser Problematik wurde sich erstmals in Berlin im Januar 2020 angenommen. Zum ersten Mal wurden in einer großangelegten und systematischen Aktion Obdachlose in einer deutschen Großstadt gezählt.
Organisiert wird diese Aktion unter dem Titel „Nacht der Solidarität“ von der Berliner Senatsverwaltung für Soziales. 3.725 freiwillige Helfer sind in 617 Teams zum Zählen unterwegs.5 Die Zählung der obdachlosen Menschen soll eine statistische Grundlage schaffen, um darauf basierend obdachlosen Menschen eine passgenauere Unterstützung anbieten zu können. Es ist die bundesweit erste Evaluierung der Zahlen von Obdachlosen. Diese Aktion sorgte für viel Kritik, wurde aber von der Sozialsenatorin Elke Breitenbach (DieLinke) als „Riesenerfolg“ be-titelt.6 Mit dem Wissen aus der sogenannten „Nacht der Solidarität” sollen bessere Hilfsangebote für diese Menschen entwickelt und geschaffen werden. Insbesondere Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Bundesland braucht dringend eine valide Datenbasis, um Hilfsprojekte zu initiieren, die Betroffene tatsächlich erreichen, und somit Menschenleben zu retten.
II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1. dem Vorbild der Berliner „Nacht der Solidarität“ zu folgen und gemeinsam mit betroffenen Kommunen ein Konzept zu erstellen um den tatsächlichen Bedarf der Hilfsangebote auf eine valide Datenbasis zu stellen;
2. gemeinsam mit den Kommunen und sozialen Institutionen Konzepte zu erstellen, welche sich erstmals an einem realen Bedarf orientieren und somit die Unterbringung von wohnungslosen Menschen in der Stadt neu zu organisieren und zentral zu steuern.
Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion
1 https://www.bagw.de/de/themen/zahl_der_wohnungslosen/index.html abgerufen am 30.01.20
2 https://www.sueddeutsche.de/leben/soziales-koeln-caritas-tausende-leben-in-nrw-auf-der-strasse-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200121-99-559354 abgerufen am 30.01.20
3 https://broschueren.nordrheinwestfalendirekt.de/broschuerenservice/mags/endlich-ein-zuhause/3001
4 https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&typ=1&nid=108172&s=obdachlose
5 ebd