Neue Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Bochum – Nachfragen zu den Ausführungen der Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul

Kleine Anfrage
vom 05.11.2024

Kleine Anfrage 4723

der Abgeordneten Enxhi Seli-Zacharias AfD

Neue Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Bochum Nachfragen zu den Ausführungen der Ministerin für Flucht und Integration, Josefine Paul

Am 09.10.2024 debattierte der Landtag zum Antrag der AfD-Fraktion „Errichtung einer weiteren Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Bochum für 750 Personen sofort einstellen – Verdoppelung der Abschiebehaftplätze umgehend auf den Weg bringen – Echte Wende in der Asyl- und Migrationspolitik einleiten“.1 Die Ausführungen der zuständigen Ministerin, Josefine Paul (Bündnis 90/Die Grünen) anlässlich dieser Debatte führen unsererseits zu diversen Nachfragen.

Ministerin Paul führte in ihrer Rede aus, dass die neuen EAE Bochum zur „Krisenresilienz des Aufnahmesystems“ in NRW und zur Entlastung der Kommunen beitragen würde. Die durchschnittliche Verweildauer in den EAE vor der Weiterleitung der Personen an die ZUE bzw. NU beträgt aber im Landesaufnahmesystem systembedingt nur wenige Wochen. Zugleich waren die 5 bestehenden EAE mit Stichtag 01.09.2024 lediglich zu 45 % ausgelastet. Es bleibt daher offen, womit bzw. wie die Kommunen durch eine weitere EAE entlasten werden sollen.

Eine Belegung von 45 % entspricht bei der derzeitigen Kapazität der bestehenden 5 EAE durchschnittlich 2.957 untergebrachten Personen. Bei ähnlichen Zugangszahlen würde sich mit der neuen EAE Bochum der Belegungsstand der dann insgesamt 6 EAE auf 40,4 % und in der geplanten Endausbaustufe (8.200 Plätze) sogar auf nur noch 36 % reduzieren.

Die Ministerin führte in ihrer Rede im Zusammenhang mit der EAE Bochum für Asylbewerber zudem aus, dass „unsere Gesellschaft Menschen braucht, die angesichts des akuten Fach-und Arbeitskräftemangels hier [in Deutschland] eine berufliche Perspektive finden“. Deshalb benötige NRW eine „gut aufgestellte Integrationsinfrastruktur“. Hier stellte sich die Frage nach dem Zusammenhang mit der im Antrag genannten Zielgruppe.2

Wie bereits in der Vergangenheit verkündete die Ministerin in ihrer Rede, dass wir [die Landesregierung] „zu unserer Verantwortung stehen, Menschen, die vor Krieg, Terror, Gewalt und Verfolgung fliehen, Schutz zu gewähren“. Weiter hieß es, dass wir „Menschen Schutz bieten, die Schutz brauchen“.3

Bekanntlich reist die große Mehrheit der Asylsuchenden aber über den Landweg und daher zwangsläufig über sichere Drittstaaten ein, insbesondere über Österreich und Tschechien. Anders ausgedrückt geht es bei der Überquerung der deutschen Grenze in keinem Fall mehr um die Suche nach Schutz, da dieser bereits besteht. Dieser vermutlich irritierende Umstand wurde von Seiten der Ministerin erneut nicht aufgelöst.

Auch im Zusammenhang mit den Regelungen der Dublin-III-Verordnung, des Schengen-Grenzkodex sowie der bundesgesetzlichen Regelungen, sprich Grundgesetz Art. 16 a in Verbindung mit § 18 Asylgesetz, sorgten die Ausführungen der Ministerin für Irritationen. Asylsuchende, die nach der Durchquerung meist mehrerer EU-Staaten nach Deutschland einreisen, müssen – so sie anderswo registriert sind – ein Zuständigkeitsverfahren durchlaufen, welches in der Regel dazu führt, dass die Zuständigkeit eines anderen EU-Staats festgestellt wird. Wurden die Personen vor ihrer Einreise nicht registriert, liegt ein Verstoß gegen die europäischen Regeln, wenn nicht gar ein Rechtsbruch der Transitländer und selbstverständlich auch der jeweiligen einreisenden Personen vor.

Bedingt durch die Verweigerungshaltung der eigentlich zuständigen EU-Ersteinreiseländer im Rahmen der Dublin-Rücküberstellung bleiben die meisten Personen dann am Ende trotzdem in Deutschland, da die Rücküberstellungsfristen regelmäßig nicht eingehalten werden können.

Ich frage daher die Landesregierung:

  1. Für welche Zielgruppe setzt die Landesregierung, unter Berücksichtigung der oben genannten Zahlen, einen derartigen Kapazitätsaufwuchs im Bereich der Erstaufnahmeeinrichtungen – aktuell am Standort Bochum um? (Bitte in diesem Zusammenhang Herkunftsländer benennen, aus denen die Landesregierung eine entsprechende überproportionale Erhöhung der Zugangszahlen in näherer Zukunft erwartet)
  2. In ihrer Rede führte die Ministerin aus, dass die Kapazitäten in den EAE von derzeit 6.570 Plätzen auf 8.200 Plätze ausgebaut werden sollen. Rechnet man die für Bochum vorgesehenen 750 Plätze ab, verbleibt eine Differenz von 880 Plätzen, was einer weiteren Einrichtung in ähnlicher Größenordnung entspricht. Welche konkreten Pläne – also insbesondere Standort, Kapazität, Datum der Inbetriebnahme – sind der Landesregierung hierzu bisher bekannt?
  3. Mit welchem Ziel vermischte die Ministerin in ihrer Rede erneut bewusst die qualifizierte Zuwanderung auf Dauer und den humanitären Schutz auf Zeit, welche u. a. im Aufenthaltsgesetz – aus nachvollziehbaren Gründen – sauber voneinander getrennt sind?4
  4. Aus welchem Nachbarland Deutschlands, sprich aus welchem EU-Land, müssen nach Ansicht der Landesregierung Menschen im Rahmen der illegalen Sekundärmigration vor Krieg, Terror, Gewalt und Verfolgung [in diesem EU-Land] nach Deutschland fliehen?
  5. Sämtliche Herkunftsländer, aus denen Asylbewerber stammen, grenzen nicht an Deutschland, weshalb auf dem Landweg eine direkte „Flucht vor Krieg, Terror, Gewalt und Verfolgung nach Deutschland“ ohne Durchquerung zahlreicher bereits sicherer Länder faktisch unmöglich ist. Auf Basis welcher Rechtsgrundlage muss nach Ansicht der Landesregierung die Einreise nach Deutschland aus sicheren Drittstaaten trotzdem zwingend hingenommen werden, obwohl in allen Nachbarländern Deutschlands, die zum großen Teil ebenfalls EU-Länder sind, sowohl eine Registrierung als auch die Durchführung eines Zuständigkeitsverfahrens im Rahmen der Dublin-III-Verordnung möglich wäre? (Bitte in diesem Zusammenhang auch darauf eingehen, dass die verabredeten europäischen Regeln, also insbesondere die Dublin-III-Verordnung, durch zahlreiche EU-Staaten nicht zur vollen Anwendung kommen bzw. bewusst missachtet werden)

Enxhi Seli-Zacharias

 

MMD18-11283

 

1 Vgl. Lt.-Drucksache 18/10890

2 Ebd.

3 Ebd.

4 Vgl. AufenthG Abschnitt 4: Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit und Abschnitt 5: Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen


Die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration hat die Kleine Anfrage 4723 mit Schreiben vom 6. Dezember 2024 namens der Landesregierung be­antwortet.

  1. Für welche Zielgruppe setzt die Landesregierung, unter Berücksichtigung der oben genannten Zahlen, einen derartigen Kapazitätsaufwuchs im Bereich der Erst-aufnahmeeinrichtungen aktuell am Standort Bochum um? (Bitte in diesem Zu­sammenhang Herkunftsländer benennen, aus denen die Landesregierung eine entsprechende überproportionale Erhöhung der Zugangszahlen in näherer Zu­kunft erwartet)
  2. In ihrer Rede führte die Ministerin aus, dass die Kapazitäten in den EAE von derzeit 6.570 Plätzen auf 8.200 Plätze ausgebaut werden sollen. Rechnet man die für Bo­chum vorgesehenen 750 Plätze ab, verbleibt eine Differenz von 880 Plätzen, was einer weiteren Einrichtung in ähnlicher Größenordnung entspricht. Welche kon­kreten Pläne also insbesondere Standort, Kapazität, Datum der Inbetriebnahme sind der Landesregierung hierzu bisher bekannt?

Die Fragen 1 und 2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet.

Gemäß des Kapazitätenerlass vom 20.11.2023 soll das Kapazitätsziel auf 41.000 Plätze er­höht werden. Grundlage für die Bedarfsermittlung ist nicht die Entwicklung in einzelnen Her­kunftsländern, sondern die langfristige Entwicklung des Zugangs von Geflüchteten insgesamt. Von den 41 000 Plätzen sind perspektivisch ca. 20 Prozent der Gesamtkapazität auf der Ebene der Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) und ca. 80 Prozent auf der Ebene der Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) / Notunterkünfte (NU) vorzuhalten. Dies entspricht 8.200 Plätzen.

Aufgabe der EAE ist es insbesondere, neu angekommene Geflüchtete aufzunehmen, die er­forderlichen Gesundheitsuntersuchungen vorzunehmen und das Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einzuleiten. Aufgrund dieser Funktion als erste Unterbrin­gungseinrichtungen müssen die EAE in besonderem Maße darauf eingerichtet sein, auch Zu­gangsspitzen aufnehmen zu können. Deshalb entspricht es einer vorausschauenden Planung, insbesondere in den EAE Pufferkapazitäten vorzuhalten.

Mit der EAE Bochum wird eine weitere EAE in den Betrieb genommen, um das Ziel der per­spektivisch 8.200 Plätze auf EAE-Ebene zu erreichen.

Die Planungen für weitere Einrichtungen oder Kapazitätserhöhungen in bestehenden EAE be­finden sich in einem frühen Anfangsstadium. Vor diesem Hintergrund können derzeit auch keine Aussagen im Sinne der Fragestellungen getroffen werden.

  1. Mit welchem Ziel vermischte die Ministerin in ihrer Rede erneut bewusst die quali­fizierte Zuwanderung auf Dauer und den humanitären Schutz auf Zeit, welche u. a. im Aufenthaltsgesetz – aus nachvollziehbaren Gründen – sauber voneinander ge­trennt sind?

In der Rede wurde auf beide Möglichkeiten der Zuwanderung hingewiesen.

  1. Aus welchem Nachbarland Deutschlands, sprich aus welchem EU-Land, müssen nach Ansicht der Landesregierung Menschen im Rahmen der illegalen Sekundär­migration vor Krieg, Terror, Gewalt und Verfolgung [in diesem EU-Land] nach Deutschland fliehen?
  2. Sämtliche Herkunftsländer, aus denen Asylbewerber stammen, grenzen nicht an Deutschland, weshalb auf dem Landweg eine direkte „Flucht vor Krieg, Terror, Ge­walt und Verfolgung nach Deutschland“ ohne Durchquerung zahlreicher bereits sicherer Länder faktisch unmöglich ist. Auf Basis welcher Rechtsgrundlage muss nach Ansicht der Landesregierung die Einreise nach Deutschland aus sicheren Drittstaaten trotzdem zwingend hingenommen werden, obwohl in allen Nachbar­ländern Deutschlands, die zum großen Teil ebenfalls EU-Länder sind, sowohl eine Registrierung als auch die Durchführung eines Zuständigkeitsverfahrens im Rah­men der Dublin-III-Verordnung möglich wäre? (Bitte in diesem Zusammenhang auch darauf eingehen, dass die verabredeten europäischen Regeln, also insbe­sondere die Dublin-III-Verordnung, durch zahlreiche EU-Staaten nicht zur vollen Anwendung kommen bzw. bewusst missachtet werden)

Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet.

Die Durchführung von Asylverfahren in Deutschland beruht auf einem Zusammenwirken von europäischem und nationalem Recht. Maßgeblicher Akteur für die Durchführung eines Asyl­verfahrens ist das BAMF. Dort werden im Rahmen von Einzelfallprüfungen die Fragen geklärt, ob Deutschland für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist bzw. ob Geflüchteten ein Schutzstatus zuerkannt wird. Führt die Stellung eines Asylantrags zur Durchführung eines Asylverfahrens, ist der Aufenthalt der antragstellenden Person zur Durchführung des Asylver­fahrens gestattet. Die Länder besitzen in Abgrenzung dazu die Aufgabe der Unterbringung der antragstellenden Personen.

 

MMD18-11982