Pause für die Strompreisexplosion – EU-weites Moratorium für den Europäischen Emis-sionshandel (EU-ETS)

Antrag
vom 17.10.2023

Antrag

der Fraktion der AfD

Pause für die Strompreisexplosion EU-weites Moratorium für den Europäischen Emis­sionshandel (EU-ETS)

I. Ausgangslage

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Krise. Im ersten Halbjahr 2023 ging die Wirt­schaftsleistung in Deutschland preisbereinigt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 0,3 Pro­zent zurück. In Nordrhein-Westfalen betrug der Rückgang sogar 1,3 Prozent.1 Eine rasche Besserung ist nicht in Sicht2, vielmehr zeigen Prognosen sogar eine Verschlechterung.3

Insbesondere hohe Strompreise stellen für die deutsche Wirtschaft eine starke Belastung dar. Im zweiten Halbjahr 2022 betrugen die durchschnittlichen Industriestrompreise in Deutschland etwa 20 Cent pro Kilowattstunde. Diese Preise sind um mehr als 40 Prozent höher als in Län­dern wie Frankreich oder Belgien und etwa dreieinhalb Mal so hoch wie in den USA.4

Diese erheblichen Strompreise haben schwerwiegende Konsequenzen für die Wirtschaftsun­ternehmen in Nordrhein-Westfalen. Sie führen nicht nur zu einem Anstieg der Produktionskos­ten und beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen im globalen Markt, son­dern stellen auch eine konkrete Gefahr für die weitere Abwanderung bedeutender Industrie­zweige dar. Nordrhein-Westfalen drohen erhebliche Arbeitsplatzverluste.

Gerade die stromintensiven Industriebranchen, wie die Stahl- oder Chemieindustrie, sind in Nordrhein-Westfalen besonders von den hohen Strompreisen betroffen.

Die gegenwärtigen Strompreise haben bereits zu negativen Prognosekorrekturen geführt. So erlebt die Stahlindustrie aktuell einen drastischen Rückgang in der Nachfrage. Die Produktion von Rohstahl verzeichnet im ersten Halbjahr 2023 einen Rückgang von 5,3 Prozent im Vor­jahresvergleich. Laut Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, ist dies vor allem auf zu hohe Stromkosten in Deutschland zurückzuführen.5

Auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) ist alarmiert. Die aktuelle Halbjahresbilanz des Verbandes verdeutlicht einen erheblichen Einbruch in der Produktion um 10,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Zudem wird mit einem Branchenumsatzrückgang von 14 Prozent im Jahr 2023 gerechnet, was insbesondere auf die derzeitigen Strompreise zurückzu­führen sei.6

Mittlerweile hat auch die Bundesregierung den Ernst der Lage erkannt. Derzeit wird intensiv über die Implementierung eines subventionierten Industriestrompreises zur Reduzierung der hohen Stromkosten diskutiert. Langfristig ist angestrebt, die Preise an den Kosten der soge­nannten Erneuerbaren Energien auszurichten (sog. Transformationsstrompreis).7 Bis zur Etablierung dieses Transformationsstrompreises plant Bundeswirtschaftsminister Robert Ha-beck die Einführung eines Brückenstrompreises, der unterhalb des marktlich ermittelten Bör­senstrompreises liegt. Aufgrund des massiven Subventionsvolumens ist dieser Brückenstrom­preis selbst innerhalb der Bundesregierung umstritten.8

Bei näherer Betrachtung der Strompreiszusammensetzung zeigt sich klar, dass ein wesentli­cher Faktor des drastischen Anstiegs der Strompreise der massive Anstieg der CO2-Zertifikat-preise im europäischen Emissionshandel (EU-ETS) ist.

Während sich die Preise über einen längeren Zeitraum, d. h. in den Jahren 2013 bis 2017, auf einem Preisniveau um 5 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent eingependelt haben, erhöhten sie sich bereits in den Jahren 2019 und 2020 auf etwa 25 Euro und erreichten in den Folgejahren Werte um durchschnittlich 80 Euro.9 Ende Juli diesen Jahres lagen die Preise sogar bei durch­schnittlich knapp 89 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent.10

Da seit der dritten Handelsperiode des EU-ETS (ab 2013) Kraftwerksbetreiber nicht mehr kos­tenfreie Zertifikatszuweisungen für Emissionen aus der Stromerzeugung erhalten, leiten sie die Kosten für CO2-Zertifikate, die mit der Stromerzeugung verbunden sind, an ihre Stromkun­den weiter.

Allein im Jahr 2021 mussten Kraftwerksbetreiber CO2-Zertifikate im Wert von 11 Mrd. Euro zukaufen. Laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wären dies bei ei­nem CO2-Zertifikatspreis von 80 Euro je Zertifikat sogar über 16 Mrd. gewesen. Für die Indust­rie würde dies einen Anstieg dieser sog. indirekten CO2-Kosten von 5 auf 7,4 Mrd. darstellen.11

Dabei wird sich der Kostendruck der deutschen Wirtschaftsunternehmen durch den EU-ETS zukünftig noch erhöhen. Um die noch schnellere CO2-Reduzierung innerhalb der EU noch schneller voranzutreiben, einigten sich die EU-Gremien im Frühjahr diesen Jahres auf zahlrei­che Verschärfungen des EU-ETS. Die Einigung sieht die Erhöhung der jährlichen Zertifikats­reduktion (sog. linearer Reduktionsfaktor) vor. Ab 2024 wird dieser Faktor von derzeit 2,2 Pro­zent auf einen jährlichen Wert von 4,3 Prozent und ab 2028 auf 4,4 Prozent angehoben. Gleichzeitig wird die kostenlose Zertifikatszuteilung der energieintensiven Industriebranchen ab 2026 stark eingeschränkt und letztlich auf null begrenzt.12

Nach Angaben des IW würden dadurch die Kosten allein für die Eisen- und Stahlindustrie in Deutschland von 310 Mio. Euro auf 2,8 Mrd. Euro abzüglich der Strompreiskompensation pro Jahr ansteigen, wenn der Anstieg der CO2-Zertifikatspreise und der Wegfall der kostenlosen Zertifikate zusammengezählt werden. Für Raffinerien beliefen sich diese zusätzlichen Kosten auf 1,8 Mrd. Euro, für die Zementindustrie auf 1,6 Mrd. Euro, für die Chemieindustrie auf 1,4 Mrd. Euro und für die übrige Industrie auf 1,9 Mrd. Euro. Insgesamt summieren sich diese Kostensteigerungen für die gesamte deutsche Wirtschaft auf 9,5 Mrd. Euro.13

Diese horrenden Kosten für die deutsche Industrie sind ein negatives Alleinstellungsmerkmal auf der Welt. Die meisten Länder auf der Welt haben überhaupt keine CO2-Bepreisungen für die Stromerzeugung oder die industrielle Erzeugung. Weitere Länder haben zwar grundsätz­lich eine CO2-Bepreisung beim Strom, erzeugen ihren Strom aber überwiegend mit Wasser­kraft und Kernenergie (Frankreich, Schweden, Schweiz, Finnland, Norwegen) und können da­mit die CO2-Kosten für die Industrie vermeiden. Deutschland verfügt aber weder über nen­nenswerte wirtschaftlich rentable Ausbaumöglichkeiten bei der Wasserkraft noch über Kern­energie – dabei wurde der Ausstieg aus der Kernenergie 2011 durch die Parteien CDU, CSU und FDP beschlossen und von SPD, FDP und Grünen final im Jahr 2022 umgesetzt.

Es zeigt sich daher: Eine dauerhafte Senkung des Strompreises in Deutschland ist nur mög­lich, wenn die Verpflichtung zur Einreichung von CO2-Zertifikaten im Rahmen des EU-ETS im Stromerzeugungsmarkt aufgehoben wird. Eine Aussetzung des EU-ETS würde daher die Wirt­schaftsunternehmen in Nordrhein-Westfalen entlasten und ihnen dringend benötigte finanzi­elle Spielräume einräumen.

II. Der Landtag stellt fest:

  1. Der Industrie-, Gewerbe- und Dienstleistungssektor ist nicht nur in Nordrhein-Westfalen auf eine kostengünstige, umweltfreundliche sowie sichere Stromversorgung angewie­sen.
  2. Die aktuell hohen Industriestrompreise führen zu einem Anstieg der Produktionskosten und beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der nordrhein-westfälischen Wirtschafts­unternehmen im globalen Markt.
  3. Die volatilen Preise machen es den Unternehmen schwer, langfristige Investitionsent­scheidungen zu treffen, was die Wettbewerbsfähigkeit weiter gefährdet.
  4. Die durch die hohen CO2-Zertifikatspreise gestiegenen Strompreise entwickeln sich zu einem weiteren Risikofaktor für die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen.
  5. Die Verschärfung des EU-ETS riskiert weitere Produktionsverlagerungen von energiein­tensiven Betrieben ins Ausland.
  6. Ohne ein rasches Eingreifen ist eine langfristige Abwanderung der energieintensiven Industrie sowie der Zuliefer- und Abnehmerindustrie unausweichlich.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. sich auf EU- und Bundesebene dafür einzusetzen, dass Kraftwerksbetreiber im Zeitraum 2024 und 2025 für erzeugte Strommengen keine CO2-Zertifikate im Rahmen des EU-ETS einreichen müssen;
  2. nach Ablauf der ersten 12 Monate der Aussetzung des EU-ETS bis spätestens 30.06.2025 ein Evaluationsgutachten zu erstellen, aus dem hervorgeht, welchen kon­kreten wirtschaftlichen Einfluss die Aussetzung des EU-ETS auf die Wirtschaft in Nord­rhein-Westfalen hatte.

Christian Loose

Dr. Martin Vincentz

Andreas Keith

und Fraktion

 

MMD18-6371

 

1 Vgl. https://www.it.nrw/nrw-wirtschaftsleistung-im-ersten-halbjahr-2023, zuletzt abgerufen am 28.09.2023 um 09:20 Uhr.

2 Vgl. https://www.deutschlandfunk.de/rezession-deutschland-wirtschaft-2023-100.html, zuletzt abge­rufen am 27.09.2023 um 12:15 Uhr.

3 Vgl. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/konjunktur-222.html, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 15:45 Uhr.

4 Vgl.https://www.wiwo.de/my/politik/deutschland/vci-chef-warum-das-wirtschaftswunder-den-industrie-strompreis-braucht/29280504.html, zuletzt abgerufen am 27.09.2023 um 15 Uhr. Die Strompreise blei­ben auch in den nächsten Jahren hoch, wie die Futures an der EEX zeigen. Die Schlusskurse am 28.09.2023 betrugen für 2024 und 2025 mehr als 12,5 Ct/kWh (Base) bzw. mehr als 14,7 ct/kWh (Peak). Zuzüglich Netzkosten liegt die energieintensive Industrie damit für die Jahre 2024 und 2025 bei 14 bis 16 ct/kWh und die nicht energieintensive Industrie bei über 20 ct/kWh. Daten gem. EEX, https://www.eex.com/de/marktdaten/strom/futures. Zur Strompreisentwicklung vgl. auch den Antrag der AfD-Fraktion im Landtag NRW mit dem Titel „Gute Energiepreise – gute Industrie: Industriestrom muss wieder bezahlbar werden!“, Drucksache 18/4572, insbes. Seite 2 bis 4, https://www.land-tag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-4572.pdf

5 Vgl. https://www.stahl-online.de/medieninformationen/schwache-konjunktur-und-hohe-energiekos-ten-belasten-die-stahlindustrie-brueckenstrompreis-dringend-gebraucht/, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 08:00 Uhr.

6 Vgl. https://www.chemietechnik.de/markt/erste-jahreshaelfte-enttaeuscht-736.html, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 08.20 Uhr.

7 Vgl. https://www.welt.de/wirtschaft/energie/plus245188288/Habeck-will-mit-Brueckenstrompreis-In-dustrie-ueber-Jahre-subventionieren.html, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 09:00 Uhr. Zudem ist zu beachten, dass die Kosten der sogenannten Erneuerbaren auch bei Großflächen-PV-Anlagen und Windindustrieanlagen sich durch die Anhebung der EEG-Vergütung zum Ende 2022 nochmals verteu­ern werden. Das Bundeswirtschaftsministerium ermittelte als durchschnittliche Vergütung für soge­nannten erneuerbaren Strom einen Wert von rund 15 Cent pro kWh. Vgl. https://de.statista.com/statis-tik/daten/studie/181940/umfrage/durchschnittsverguetung-fuer-erneuerbare-energien-in-deutschland-nach-dem-eeg/, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 16:00 Uhr.

8 Vgl. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/energiewende-chemie-gipfel-endet-ohne-zu-sage-fuer-verbilligten-industriestrompreis/29415350.html, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 09:10 Uhr. Im Antrag „Gute Energiepreise – gute Industrie: Industriestrom muss wieder bezahlbar werden!“ der AfD-Fraktion im Landtag NRW wurde dargelegt, dass die Kosten allein für das Jahr 2024 bei mehr als 9 Mrd. Euro liegen würden, wenn die Bundesregierung 100% des Stroms, den die energieintensive Industrie verbraucht, auf 6 ct/kWh heruntersubventionieren würde. Vgl. Drucksache 18/4572.

9 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1304069/umfrage/preisentwicklung-von-co2-emissi-onsrechten-in-eu, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 11:00 Uhr.

10 Vgl. https://www.boerse.de/rohstoffe/Co2-Emissionsrechtepreis/XC000A0C4KJ2, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 09:15 Uhr..

11Vgl. https://www.iwkoeln.de/studien/hubertus-bardt-thilo-schaefer-co2-preis-steigert-kosten-fuer-die-industrie.html, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 12 Uhr.

12 Vgl. https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/klimaschutz-verschaerfter-emissionshandel-kostet-deutsche-industrie-jaehrlich-neun-milliarden-euro/29389440.html, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 12:15 Uhr.

13 Vgl. https://www.iwkoeln.de/studien/hubertus-bardt-thilo-schaefer-co2-preis-steigert-kosten-fuer-die-industrie.html, zuletzt abgerufen am 29.09.2023 um 12:10 Uhr.

Beteiligte:
Christian Loose