Kleine Anfrage 2611
der Abgeordneten Zacharias Schalley und Christian Loose AfD
PFAS, sogenannte „Ewigkeitschemikalien“, in Bioplastik von Papiertrink-halmen und – bechern: Wie schädlich sind sie für Mensch und Umwelt?
Seit dem EU-weiten Verbot von Einwegartikeln wie Kunststoff-Trinkhalmen, Styropor-Bechern oder Plastik-Besteck, das seit dem 3. Juli 2021 gilt, kommen alternative Materialien zum Einsatz. Die Anforderungen an das Material sind hoch. Es muss stabil, aber auch biologisch abbaubar und mehrfach verwendbar sein.1
Um zu vermeiden, dass Einwegartikel aus Papier, insbesondere Papiertrinkhalme, bei Flüssigkeitskontakt zu schnell porös werden, wird auf wasserabweisende Beschichtungen zurückgegriffen, die das Papier widerstandsfähiger machen. Stroh-halme aus Papier sind gegenüber solchen aus Bambus und Glas auch günstig.
Solche wasser- und ölabweisenden Materialbeschichtungen von Papiertrinkhalmen und anderem Bioplastik bestehen oft aus per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Sie werden auch als sogenannte „Ewigkeitschemikalien“ bezeichnet, da solche Stoffverbindungen sich nur äußerst langsam abbauen und für einige Jahrtausende bestehen bleiben können. Daher reichern sich diese Substanzen in der Umwelt an – etwa im Boden, im Grundwasser und auch im menschlichen und tierischen Organismus.2 Es wird angenommen, dass PFAS ab einer bestimmten Konzentration im Körper zu Schädigungen des Hormon- und Immunsystem führen und auch für eine Reihe von Krankheiten ursächlich sind.3
Aktuelle Studien von Forschern der Universitäten Göteborg4 und Antwerpen5 unter-mauern die bereits seit langem geäußerte Kritik von Fachleuten.6
In der Göteborger Studie wurden mit Polyactid (PLA) beschichtete Papierbecher untersucht. Der Schadenseffekt falle umso größer aus, je länger das Material im Wasser und Sediment liege. Demnach enthielten Biokunststoffe „mindestens genauso viele Chemikalien wie herkömmliche Kunststoffe“.7 Außerdem bestehe bei Bioplastik hinsichtlich der schweren Abbaubarkeit ein ähnliches Problem wie bei anderen Kunststoffen auch, so dass aus Biokunststoffen herrührendes Mikroplastik in die Umwelt gelangen könne, um sich dann in Mensch und Tier, in Böden und Gewässern anzureichern.
In der Antwerpener Studie wurden Trinkhalme aus unterschiedlichem Material unter-sucht – Papier, Bambus, Glas, Plastik und Edelstahl. Dort heißt es: „PFAS were found to be present in almost all types of straws, but primarily in those made from plant-based materials.“8 Einzig Trinkhalme aus Edelstahl seien gänzlich unbedenklich. Zwar seien die nachgewiesenen PFAS-Konzentrationen gering gewesen – am höchsten dabei in Papiertrinkhalmen. Aber selbst kleine Mengen könnten bereits bestehende Schadstoffdepots im Körper über das zulässige Maß reizen, auch wenn eine geringe Menge an PFAS per se unbedenklich ist.
Deshalb fragen wir die Landesregierung:
- Wie hat sich die Menge an Einwegartikeln aus Bio-Plastik, die in NRW anfallen, seit dem 3. Juli 2021 entwickelt?
- Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Anreicherung von PFAS aus diesen Einwegartikeln in Böden und Gewässern zu vermindern?
- Wie bewertet die Landesregierung die angeführten Göteborger und Antwerpener Studien sowie die daraus abgeleiteten Forderungen?
- Inwieweit werden Gewässer und Sedimente in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf PFAS untersucht?
- Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bislang gegen die schädlichen Auswirkungen ergriffen?
Zacharias Schalley
Christian Loose
1 Vgl. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L0904&qid=1693471069830, abgerufen am 29.08.2023.
2 Vgl. https://www.derstandard.de/story/3000000184335/das-problem-mit-strohhalmen-und-bechern-aus-papier, abgerufen am 29.08.2023.
3 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/wissen/physik-mehr/pfas-trinkhalme-aus-papier-und-bambus-enthalten-die-ewigkeitschemikalien-19135731.html, abgerufen am 31.08.2023.
4 Vgl. https://www.gu.se/en/news/paper-cups-are-just-as-toxic-as-plastic-cups, abgerufen am 29.08.2023.
5 Vgl. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/19440049.2023.2240908, abgerufen am 29.08.2023.
6 Vgl. https://www.derstandard.de/story/2000136377358/auch-bioplastik-kann-fuer-die-umwelt-problematisch-sein, abgerufen am 31.08.2023.
7 Zit. nach https://www.n-tv.de/wissen/Forscher-warnen-vor-Trinkhalmen-und-Bechern-aus-Papier-article24353405.html, abgerufen am 29.08.2023.
8 https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/19440049.2023.2240908, S. 9, abgerufen am 29.08.2023.
Der Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr hat die Kleine Anfrage 2611 mit Schreiben vom 31. Oktober 2023 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und der Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz beantwortet.
- Wie hat sich die Menge an Einwegartikeln aus Bio-Plastik, die in NRW anfallen, seit dem 3. Juli 2021 entwickelt?
Der Landesregierung liegen hierzu keine Informationen vor.
- Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um die Anreicherung von PFAS aus diesen Einwegartikeln in Böden und Gewässern zu vermindern?
Die Belastung durch PFAS in der Umwelt hat vielfältige Ursachen. Dazu wird auf Landtagsvorlage 18/9449 vom 10.03.2023 verwiesen. Es ist nicht bekannt, welcher Anteil dieser Belastung speziell auf Einwegartikel zurück zu führen ist.
Um die Anreicherung von PFAS in Böden und Gewässern zu vermindern, ergreift bzw. unterstützt die Landesregierung vielfältige Maßnahmen.
Beispielsweise unterstützt die Landesregierung Kommunen bei der Erkundung und Sanierung von PFAS-Belastungen in Boden und Grundwasser. Es wird auf Landtagsvorlagen 17/603510 vom 19.11.2021 und 18/94411 vom 10.03.2023 verwiesen.
- Wie bewertet die Landesregierung die angeführten Göteborger und Antwerpener Studien sowie die daraus abgeleiteten Forderungen?
Es handelt sich um Veröffentlichungen zu wissenschaftlichen Untersuchungen von Lebens-mittelkontaktmaterialien, durchgeführt an Universitäten.
In der schwedischen Studie von Almroth et al12 wurde die Wirkung untersucht, die Auslaugun-gen von Plastik- und Papierbechern auf im Wasser und im Sediment lebende Zuckmücken haben. Es wurden negative Auswirkungen wie Entwicklungsverzögerungen und Missbildungen der Mundwerkzeuge bei Larven beobachtet. Auf welche Schadstoffe die Wirkungen zurückzuführen waren, wurde nicht untersucht. Die Studie sollte die Auswirkungen von Müll in der Umwelt aufzeigen. PFAS wurden nicht thematisiert.
In der Studie von Boisacq et al aus Belgien13 wurde untersucht, welche Art und Menge von PFAS in unterschiedlichen Materialien von Trinkhalmen enthalten sind. Die Autoren schlussfolgern, dass Ersatzmaterialien für Kunststoff im Hinblick auf PFAS nicht unbedingt umweltfreundlicher sind.
Für die Landesregierung ergeben sich aus den Studien keine Aspekte, die nicht bereits bekannt sind.
- Inwieweit werden Gewässer und Sedimente in Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf PFAS untersucht?
Es wird auf Landtagsvorlage 18/94414 vom 10.03.2023 verwiesen. Die Antwort auf Frage 1 der Landtagsvorlage 18/944 enthält Informationen über PFAS-Belastungen in Boden und Grundwasserproben. Die Antwort auf Frage 4 der Landtagsvorlage 18/944 informiert über das Mo-nitoring in Gewässern und Abwasser.
Ergänzend werden folgende Informationen über Sedimentuntersuchungen gegeben:
Als Bewertungsgrundlage existieren im Oberflächengewässermonitoring (Oberflächengewäs-serverordnung, 2016) Umweltqualitätsnormen zur Beurteilung des chemischen Zustands (UQN) für PFOS (Perfluoroktansulfonsäure) in der Wasserphase und in Biota (Fischen). Für andere PFAS gelten Präventivwerte in der Wasserphase. Darüber hinaus werden in Nordrhein-Westfalen an ausgewählten Messstellen auch Schwebstoffproben untersucht, um zeitliche Entwicklungen in der Feststoffphase feststellen zu können. Hierzu gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. Eine Messung in Sedimenten findet im Routine-Monitoring nicht statt. Im Gegensatz zur Probenahme von Sedimenten liegen für Schwebstoffe nachvollziehbare und bundesweit standardisierte Probenahmeverfahren vor. Zudem stellen die Ergebnisse aus Schwebstoffen die aktuelle Belastung im Fließgewässerfeststoff dar, während Ergebnisse aus Sedimenten, je nach Tiefe der Probenahme auch zeitlich zurückliegende Belastungen mit beinhaltet. Aus diesem Grund werden Schwebstoffprobenahmen bevorzugt.
- Welche Maßnahmen hat die Landesregierung bislang gegen die schädlichen Auswirkungen ergriffen?
Die Landesregierung unterstützt Kommunen bei der Sanierung von PFAS-Belastungen in Boden und Grundwasser über die Bodenschutz- und Altlastenförderrichtlinie des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr (MUNV) sowie über den Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung (AAV). Dazu wird auf Landtagsvorlage 17/603515 vom 19.11.2021 verwiesen.
Aufgrund des Schadensfalls im Sauerland 2006 wurde von der Landesregierung das „Programm Reine Ruhr – zur Strategie einer nachhaltigen Verbesserung der Gewässer- und Trinkwasserqualität in Nordrhein-Westfalen“ auf den Weg gebracht16. Dabei handelt es sich um einen gesamtheitlichen Ansatz zur Verbesserung der Gewässer- und Trinkwasserqualität ohne eine differenzierte Betrachtung der Belastung der Umwelt aufgrund von Papiertrinkhalmen und -bechern. In diesem Zusammenhang wurden viele Vorhaben und Studien zur Reduzierung der PFAS-Belastung in Abwasserströmen von Direkt- und Indirekteinleitern aus Mittel der Abwasserabgabe gefördert und werden weitergeführt.
10 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-6035.pdf
11 https://www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-944.pdf;jsessionid=4219166BA59BA18980E9162DD555C9C8
12 https://www.gu.se/en/news/paper-cups-are-just-as-toxic-as-plastic-cups
13 https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/19440049.2023.2240908
14 https://www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-944.pdf;jsessionid=4219166BA59BA18980E9162DD555C9C8
15 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-6035.pdf
16 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV16-1744.pdf