Podiumsdiskussionen an staatlichen Institutionen während des Bundestagswahl¬kampfs – Nicht-Einladung von bestimmten Parteien in Köln

Kleine Anfrage
vom 22.10.2021

Kleine Anfrage 6082der Abgeordneten Sven W. Tritschler und Iris Dworeck-Danielowski vom 22.10.2021

 

Podiumsdiskussionen an staatlichen Institutionen während des Bundestagswahl­kampfs Nicht-Einladung von bestimmten Parteien in Köln

Während des zurückliegenden Bundestagswahlkampfs haben politische Parteien auf Initiative des sogenannten Bündnisses „Köln stellt sich quer“ (KSSQ) sich selbst verpflichtet, an keiner Podiumsdiskussion mit Vertretern der AfD teilzunehmen. 1

Der DGB-Vorsitzende Witich Roßmann hat hierzu für die Sprecher von KSSQ erklärt:

„Die Vergangenheit hat gezeigt, dass produktive und faktenbasierte Diskussionen mit Vertre-ter:innen der AfD nicht möglich sind, da sie solche Veranstaltungen lediglich als Bühne miss­brauchen, um ihre nationalistischen und rassistischen Parolen zu verbreiten. Und genau das wollen wir verhindern. Deshalb sind wir erfreut, dass die wegweisende Vereinbarung der Köl­ner Parteien aus dem Kommunalwahlkampf auch für die Bundestagswahlen gelten soll. Köln setzt damit auch ein wichtiges bundesweites Signal.“2

Eine Nicht-Einladung der AfD an Schulen und anderen staatlichen Institutionen stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht dar. Die AfD ist eine maß­gebende politische Kraft in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist im Bundestag, in allen Landtagen und im Kölner Stadtrat vertreten. Sie ist dies zum Teil schon seit mehreren Legis­laturperioden.

Uns liegen mittlerweile mehrere Berichte darüber vor, dass zumindest an Kölner Schulen Po­diumsdiskussionen ohne Vertreter der AfD im Bundestagswahlkampf stattgefunden haben.

Die Staatssekretärin Frau Serap Güler berichtete am 6. September 2021 auf ihrem Facebook-Profil von einer Podiumsdiskussion an der Gesamtschule Holweide.3 Frau Güler war die Di­rektkandidatin der CDU für den Wahlkreis 101. Dieser umfasst das Gebiet der Stadt Lever­kusen und den Kölner Stadtbezirk Mülheim. Zu diesem Bezirk gehört auch Holweide.

Frau Güler ist als Staatssekretärin für Integration politische Beamtin des Landes Nordrhein-Westfalen und sollte daher besonders auf die Einhaltung der Neutralitätspflicht von staatlichen Organen achten. Die Gesamtschule Holweide berichtet ebenfalls auf ihrem Internetauftritt von dieser Podiumsdiskussion. Die Schule teilt mit: „die Veranstaltung wurde von der Fachschaft SoWi für die Grundkurse und Leistungskurse des 12. und 13. Jahrgangs durchgeführt“.4

Ein Vertreter der AfD war nicht zu dieser Diskussionsrunde eingeladen.

Die CDU Direktkandidatin für den Wahlkreis 94 berichtete am 10. September auf ihrem Face-book-Profil von einer Podiumsdiskussion am Erzbischöflichen Irmgardis Gymnasium.5 Auch hier war kein Vertreter der AfD eingeladen.

Dieselbe Kandidatin berichtete am 8. September von einer Diskussion an der Liebfrauen-schule in Köln.6

Uns liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Kandidaten der Alternative für Deutschland (AfD) zu Diskussionen an Schulen oder an anderen staatlichen Institutionen in Köln eingeladen wurden.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. An welchen Schulen und anderen Institutionen des Landes Nordrhein-Westfalen in Köln haben im zurückliegenden Bundestagswahlkampf Podiumsdiskussionen stattgefunden? (Wir bitten um Nennung der Schule bzw. Institution, Zeitpunkt und die Teilnehmer, auch mit Blick auf deren Parteizugehörigkeit, und die Kriterien für eine Einladung)
  2. Wie beurteilt die Landesregierung die Nicht-Einladung der AfD bzw. die zugrundeliegenden Kriterien zu den beispielhaft genannten und anderen staatlichen Podiumsdiskussionen in Köln?
  3. Welche disziplinarrechtlichen Maßnahmen ergreift die Landesregierung gegen Verantwortliche an den vorgenannten Schulen und anderen Institutionen des Landes auf Grund der Nicht-Wahrung der parteipolitischen Neutralität?
  4. Welche Reaktion erwartet die Landesregierung von Beamten im allgemeinen und von politischen im Besonderen, wenn diese als Kandidaten für ein öffentliches Amt und Mandat an politischen Diskussionsrunden bei staatlichen Institutionen teilnehmen und offensichtliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebots vorliegen? (Wir fragen dies gerade auch vor dem Hintergrund der Boykott-Vereinbarung der vorgenannten Parteien)
  5. Wie beurteilt die Landesregierung das Verhalten der Staatssekretärin Güler bei der Teilnahme an der Diskussionsrunde in Holweide und möglicherweise anderen Diskussionen in Köln, auch mit Blick auf mögliche disziplinarrechtliche Schritte?

Sven W. Tritschler
Iris Dworeck-Danielowski

 

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1 https://www.facebook.com/koelnstelltsichquer/photos/a.607209716075779/2306502776146456/  abgerufen am 06.10.2021

2 https://koeln-bonn.dgb.de/presse/++co++a8ffa74e-f371-11eb-a7d5-001a4a160123 abgerufen am 06.10.2021

3 https://www.facebook.com/serapgueler/photos/pcb.124716636566159/124716573232832/ abgerufen am 06.10.2021

4 https://www.web-gehw.de/news-details/podiumsdiskussion-anl%C3%A4sslich-der-bundestagswahl-2021.html abgerufen am 06.10.2021

5 https://www.facebook.com/photo/?fbid=4350525301651339&set=pcb.4351598614877341  abgerufen am 06.10.2021

6 https://www.facebook.com/photo/?fbid=4346146332089236&set=pcb.4346154628755073  abgerufen am 06.10.2021


Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 6082 mit Schreiben vom 19. November 2021 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kin­der, Familie, Flüchtlinge und Integration und dem Minister des Innern beantwortet.

1. An welchen Schulen und anderen Institutionen des Landes Nordrhein-Westfalen in Köln haben im zurückliegenden Bundestagswahlkampf Podiumsdiskussionen stattgefunden? (Wir bitten um Nennung der Schule bzw. Institution, Zeitpunkt und die Teilnehmer, auch mit Blick auf deren Parteizugehörigkeit, und die Kriterien für eine Einladung)

Die erfragten Daten zu durchgeführten Podiumsveranstaltungen in der Stadt Köln liegen der Landesregierung nicht vor und können innerhalb des für die Beantwortung einer Kleinen An­frage zur Verfügung stehenden Zeitraums auch nicht erhoben werden. Eine Ermittlung der durchgeführten Veranstaltungen an Schulen würde eine Abfrage bei den 296 Schulen in der Stadt Köln erfordern. Schulen gestalten den Unterricht im Rahmen der Rechts- und Verwal­tungsvorschriften in eigener Verantwortung (§ 3 Absatz 1 SchulG). Es besteht keine Anzeige­pflicht zu geplanten oder durchgeführten Schulveranstaltungen.

2. Wie beurteilt die Landesregierung die Nicht-Einladung der AfD bzw. die zugrunde-liegenden Kriterien zu den beispielhaft genannten und anderen staatlichen Podi­umsdiskussionen in Köln?

Das Ministerium für Schule und Bildung hält seit 2010 unverändert Hinweise im Bildungsportal zur Unparteilichkeit der Schulen und zum Besuch von Politikerinnen und Politikern in Schulen vor, die unter der nachfolgenden Adresse eingesehen werden können:

https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/Aktuelle-rechtliche-Themen/Schulen-Poli-tik.pdf

Im Hinblick auf die Durchführung von Podiumsdiskussionen enthalten die Hinweise hinsichtlich des Teilnehmerkreises folgende Ausführungen:

„Schulen können auch zu Podiumsdiskussionen einladen, um einer interessierten Schüler­schaft die Argumente verschiedener Parteienvertreter zu bestimmten politischen Themen vor­zustellen. Es dürfen allerdings nicht nur Vertreter einzelner Parteien eingeladen werden (es besteht aber andererseits auch kein Anspruch jeder politischen Gruppierung auf Einladung).“

Ergänzend wird auf die Antwort auf die Kleine Anfrage 3489 (LT-Drs. 17/9336) verwiesen.

Entscheidend ist insoweit die Herstellung von Pluralität und Ausgewogenheit. Ob eine kon­krete Veranstaltung diese Anforderungen erfüllt, ist eine Frage des Einzelfalls. Ein Verstoß gegen die vorstehend genannten Grundsätze bei der Zusammensetzung des Teilnehmerkrei­ses konnte bei der in der Vorbemerkung angeführten Veranstaltung der Gesamtschule Hol­weide nicht festgestellt werden. Die Podiumsdiskussion anlässlich der Bundestagswahl 2021 hat mit Bundestagskandidierenden des Wahlkreises Köln-Leverkusen IV stattgefunden. Teil­nehmende waren die Kandidierenden Karl Lauterbach (SPD), Serap Güler (CDU), Nyke Slavik (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), Beate Hane-Knoll (DIE LINKE) sowie Conny Besser (FDP). Ver­anstaltet wurde die Diskussion durch die Fachschaft Sozialwissenschaften und die Vertretung der Schülerinnen und Schüler. Die Schule musste bei der Bestimmung des Teilnehmerkreises eine Abwägung zwischen der Abbildung eines möglichst großen Spektrums einerseits und organisatorischen und inhaltlichen Begrenzungen einer solchen Veranstaltung andererseits vornehmen. Es wurden nicht einseitig einzelne Kandidierende zu Lasten anderer eingeladen, vielmehr wurden sehr unterschiedliche politische Positionen in der Zusammensetzung der Ver­anstaltung abgebildet. Dem Gebot zu ausgewogener Darstellung und Zurückhaltung wurde seitens der Schule damit hinreichend Rechnung getragen.

Bei den beiden weiteren in der Vorbemerkung angeführten Sachverhalten handelt es sich je­weils um Veranstaltungen von privaten Schulen in Trägerschaft des Erzbistums Köln und somit gerade nicht um „Podiumsdiskussionen an staatlichen Institutionen“ im Sinne der Fragestel­lung.

3. Welche disziplinarrechtlichen Maßnahmen ergreift die Landesregierung gegen Verantwortliche an den vorgenannten Schulen und anderen Institutionen des Lan­des auf Grund der Nicht-Wahrung der parteipolitischen Neutralität?

Nach dem Beutelsbacher Konsens aus dem Jahre 1976, einer bundesweiten Festlegung von Grundlagen und Zielsetzungen für den Bereich der politischen Bildung, dem auch die Kern­lehrpläne für die Allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen in ihren Bildungs- und Erziehungszielen folgen, ist „es [ist] nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch im­mer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.“ (zit. aus: http://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens)

Auf diesem demokratischen Grundsatz politischer Bildung und der damit verbundenen Ziel­setzung der Erziehung zu mündigen, an demokratischen Grundwerten orientierten, hand­lungsfähigen Bürgern basieren die geltenden Kernlehrpläne in Nordrhein-Westfalen, die für Schulen und Lehrkräfte bindend sind.

Disziplinarmaßnahmen sind grundsätzlich anhand der Bewertung der Umstände des Einzel­falles auszusprechen. Daher ist eine pauschale Aussage zur Verhängung von Disziplinarmaß­nahmen bei Verstößen gegen das Neutralitätsgebot in Schulen durch Lehrkräfte oder Schul­leitungen nicht möglich. Die Personalhoheit über Lehrkräfte an Ersatzschulen obliegt aus­schließlich dem Ersatzschulträger.

4. Welche Reaktion erwartet die Landesregierung von Beamten im allgemeinen und von politischen im Besonderen, wenn diese als Kandidaten für ein öffentliches Amt und Mandat an politischen Diskussionsrunden bei staatlichen Institutionen teilnehmen und offensichtliche Verstöße gegen das Neutralitätsgebots vorliegen? (Wir fragen dies gerade auch vor dem Hintergrund der Boykott-Vereinbarung der vorgenannten Parteien)

Für Beamtinnen und Beamte im Geltungsbereich des § 1 Absatz 1 des Landesbeamtengeset-zes Nordrhein-Westfalen gelten die Regelungen des § 33 des Beamtenstatusgesetzes (Be-amtStG) gleichermaßen. Insoweit haben auch politische Beamte das Neutralitätsgebot des § 33 Absatz 1 BeamtStG sowie das Mäßigungs-und Zurückhaltungsgebot aus § 33 Absatz 2 BeamtStG zu beachten. Es obliegt jedoch allein der Verantwortung der staatlichen Einrichtung, bei der Einladung und bei der Gestaltung der Podiumsdiskussion das Erfordernis der partei­politischen Neutralität zu berücksichtigen und das Prinzip der Chancengleichheit der Parteien, Art. 21 Absatz 1 Satz 1 GG, zu beachten.

5. Wie beurteilt die Landesregierung das Verhalten der Staatssekretärin Güler bei der Teilnahme an der Diskussionsrunde in Holweide und möglicherweise anderen Dis­kussionen in Köln, auch mit Blick auf mögliche disziplinarrechtliche Schritte?

Die Landesregierung enthält sich einer Bewertung des Verhaltens von Frau Serap Güler in ihrer Eigenschaft als Wahlkreisbewerberin für den Deutschen Bundestag. Einen Anlass für disziplinarische Schritte kann die Landesregierung im Hinblick auf Frau Staatssekretärin a.D. Güler nicht erkennen.

 

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