Power to X Projekt Herne – Ist ein kontinuierlicher und wirtschaftlicher Betrieb mit „überschüssigem Strom“ möglich?

Kleine Anfrage
vom 30.11.2021

Kleine Anfrage 6153des Abgeordneten Christian Loose vom 30.11.2021

 

Power to X Projekt Herne – Ist ein kontinuierlicher und wirtschaftlicher Betrieb mit „überschüssigem Strom“ möglich?

Am 22. November 2019 verlautbarte die Landesregierung auf der Internetseite des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie:

„Mit dem Spitzencluster Industrielle Innovationen setzen wir auf die starke innovative Industrie in der Metropolregion Ruhr. […] Nordrhein-Westfalen fördert neue Innovationsplattform im Rahmen der Ruhr-Konferenz mit 15 Millionen Euro“.1

Ein Projekt der Startphase von SPIN ist „P2X Herne“. Dieses wird beschrieben mit:

„Je höher der Anteil an erneuerbaren Energien im Strom- und Wärmemix, desto wichtiger wird es, überschüssigen Strom effizient und kostengünstig zwischenzuspeichern. Auf dem Gelände des Heizkraftwerks Herne soll deshalb eine offene Versuchsplattform zur Entwicklung von Power-2-X-Technologien entstehen. Als Power-2-X werden Technologien bezeichnet, die Strom entweder speichern oder ihn für andere Prozesse nutzbar machen. Dafür führen die Projektpartner in Herne überschüssigen Strom, CO2 aus der Kraftwerksanlage sowie Wasser einem kontinuierlichen Reaktor mit Gasdiffusionselektrode zu.“2

Ein kontinuierlicher Reaktor benötigt die kontinuierliche Zuführung von Reaktanten. Die Zuführung kann je nach Verfahrensart durchaus zu Lasten der produzierten Menge und damit zu Lasten der Wirtschaftlichkeit verringert oder verlangsamt werden; es sind aber auch Konstellationen möglich, bei denen die Unterbrechung der Zuführung Schäden an der Technik des Reaktors verursacht.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Was versteht die Landesregierung unter „überschüssigem“ Strom?
  2. In wie vielen Stunden pro Jahr gab es in den Jahren 2017 bis 2020 „überschüssigen Strom“? (Jeweils in Stunden pro Jahr; bitte Angaben für NRW bzw. falls nicht verfügbar, für Deutschland)
  3. Wie groß war die Menge des „überschüssigen Stroms“ in den Jahren 2017 bis 2020? (In GWh pro Jahr; bitte Angaben für NRW bzw. falls nicht verfügbar, für Deutschland)
  4. Inwieweit kann der kontinuierliche Reaktor in Herne mit dem nur zeitweise zur Verfügung stehenden „überschüssigen“ Strom technisch und wirtschaftlich betrieben werden?
  5. Welche Werte schätzt die Landesregierung für das Jahr 2030 für die Anzahl der Stunden bzw. für die Menge an „überschüssigem“ Strom? (Bitte Angaben für NRW bzw., falls nicht verfügbar, für Deutschland)

Christian Loose

 

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1 Vgl. https://www.wirtschaft.nrw/SPIN, abgerufen am 19.11.2021 um 12:44h.

2 Vgl. ebenda.


Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 6153 mit Schreiben vom 23. Dezember 2021 namens der Landesregierung beantwortet.

Vorbemerkung der Landesregierung

Bei dem ursprünglichen Projektvorhaben „Power-to-X-Herne“ handelt es sich um ein Projekt, welches im Rahmen des Spitzenclusters Industrielle Innovationen als Projektantrag beim Pro­jektträger Jülich (PtJ) eingereicht wurde.

Laut Projektskizze ist das wesentliche wissenschaftliche Ziel die Erzeugung von Wärme und chemischen Produkten, hier Synthesegas sowie höherer Alkohole, um damit chemische Pro­zesse klimafreundlicher zu machen und ausgewählte Power-to-X Technologien wissenschaft­lich zu untersuchen und zu optimieren. Die Besonderheit des Projektes ist die Abtrennung von CO2 aus einem Abgasstrom, der parallele Aufbau einer katalytischen Co-Elektrolyse und eines Plasmareaktors, welche aus den Edukten CO2 und H2O bzw. CH4 ein Synthesegas herstellen, das in einem nachfolgenden Schritt zu einem höheren Alkohol veredelt wird. Durch den paral­lelen Betrieb und die begleitenden wissenschaftlichen Untersuchungen ist ein Rückschluss auf die jeweilige Anlagenperformance, einzeln und im Vergleich, möglich.

Im Laufe des Bewilligungsverfahrens änderte sich das Konsortium des ursprünglichen Projekts Power-to-X-Herne. Die STEAG GmbH, an deren Standort in Herne das Projekt realisiert wer­den sollte, zog ihren Antrag zurück. Es wurde ein neuer Projektantrag mit dem Namen „Power-to-X-Plattform“ eingereicht. Das Projekt, das nunmehr im Bewilligungsprozess ist, soll als of­fene Innovationsplattform am Standort der Universität Duisburg-Essen durchgeführt werden. Die Projektinhalte und Ziele haben sich dadurch nicht wesentlich verändert.

  1. Was versteht die Landesregierung unter „überschüssigem“ Strom?
  2. In wie vielen Stunden pro Jahr gab es in den Jahren 2017 bis 2020 „überschüssi­gen Strom“? (Jeweils in Stunden pro Jahr; bitte Angaben für NRW bzw. falls nicht verfügbar, für Deutschland)
  3. Wie groß war die Menge des „überschüssigen Stroms“ in den Jahren 2017 bis 2020? (In GWh pro Jahr; bitte Angaben für NRW bzw. falls nicht verfügbar, für Deutschland)
  4. Inwieweit kann der kontinuierliche Reaktor in Herne mit dem nur zeitweise zur Ver­fügung stehenden „überschüssigen“ Strom technisch und wirtschaftlich betrie­ben werden?
  5. Welche Werte schätzt die Landesregierung für das Jahr 2030 für die Anzahl der Stunden bzw. für die Menge an „überschüssigem“ Strom? (Bitte Angaben für NRW bzw., falls nicht verfügbar, für Deutschland)

Die Fragen 1 bis 5 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Die Gewährleistung der Stabilität des elektrischen Energieversorgungs-systems setzt voraus, dass zu jeder Zeit die verfügbare Leistung der Stromerzeugung der benötigten Leistung des Stromverbrauchs entspricht. Die Stromerzeugung aus bestimmten erneuerbaren Energieträ­gern, insbesondere aus Wind und Solar, unterliegt infolge ihrer Volatilität großen Schwankun­gen. In einem zunehmend von erneuerbaren Energien geprägten Energiesystem gilt es daher, die verschiedenen Flexibilitätspotenziale zu heben, um Stromerzeugung und -verbrauch je­derzeit im Gleichgewicht zu halten und somit Versorgungssicherheit zu gewährleiten.

Zeitweise kann die Stromeinspeisung aus Wind und Sonne über die Netze nicht abtransportiert werden oder übersteigt den Stromverbrauch. Der verantwortliche Netzbetreiber kann nach den besonderen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Einspeisemanagements auch die Ein­speisung aus EE- und KWK-Anlagen vorübergehend abregeln, wenn die Netzkapazitäten nicht ausreichen, um den erzeugten Strom abzutransportieren. Das Einspeisemanagement kommt allerdings nach der gesetzlichen Rangfolge nur zum Einsatz, wenn der Netzengpass nicht bereits durch andere geeignete Maßnahmen, insbesondere durch eine Abregelung konventi­oneller Kraftwerke, ausreichend entlastet werden kann. Der Betreiber der abgeregelten Anlage im Rahmen des Einspeisemanagements hat einen Anspruch auf Entschädigung der entstan­denen Ausfallarbeit. Die Bundesnetzagentur veröffentlicht in ihren Netz- und Systemsicher-heitsberichten, die unter dem Link https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Sachgebiete/Elekt-rizitaetundGas/Unterneh-men_Institutionen/Versorgungssicherheit/Netzengpassmanage-ment/start.html abrufbar sind, alle relevanten Zahlen zum Thema Einspeisemanagement. Dar­über hinaus liegen der Landesregierung keine weiteren Zahlen zu „überschüssigem Strom“ vor.

Aus Sicht der Landesregierung greift eine Vergangenheitsbetrachtung jedoch zu kurz. Denn mit weiter steigendem Anteil erneuerbarer Energien, wird es in Zukunft immer häufiger zu Stunden kommen, in denen die Einspeisung den Bedarf übersteigt. Der aktuelle Koalitionsver­trag auf Bundesebene zwischen den Parteien SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und FDP sieht vor, dass der Anteil der Erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch bereits im Jahr 2030 bei 80 % liegen soll. Zu diesem Zwecke sollen unter anderem die Kapazitäten der Pho-tovoltaik auf 200 GW und der Windenergie auf See auf 30 GW ausgebaut werden. Weiterhin ist davon auszugehen, dass auch die Leistung der Windenergie an Land erheblich ausgebaut werden muss – auch wenn im Koalitionsvertrag kein quantitatives Ausbauziel genannt wird –, um die ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht der Landesregierung sinnvoll, in Deutschland erzeug­ten und erzeugbaren Strom aus erneuerbaren Energien, der ansonsten abgeregelt werden würde, möglichst nutzbar zu machen und die Dekarbonisierung des Energieversorgungssys­tems insgesamt damit voranzutreiben. Eine solche Abregelung wird vermieden, wenn im Falle von Netzengpässen der erzeugte bzw. erzeugbare EE-Strom, bis zur nächstmöglichen Ein­speisung ins Netz, anderweitig genutzt wird. Eine sinnvolle Nutzungsoption können insbeson­dere Sektorenkopplungsanlagen sein. Statt einer Abregelung der EE-Anlagen kann der erneu­erbare Strom über Power-to-X (PtX)-Anlagen für die Energiebedarfe in anderen Sektoren, zum Beispiel im Verkehrs-, Gebäude- und Industriesektor durch Umwandlung in andere Energie­träger nutzbar gemacht werden. Dadurch leisten Power-to-X-Anlagen einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele.

Die Landesregierung wird vor diesem Hintergrund auch weiterhin Projekte zur Forschung und Entwicklung von Power-to-X-Technologien unterstützen.

 

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Beteiligte:
Christian Loose