Antragder AfD-Fraktion vom 05.06.2018
Präventive Maßnahmen gegen die steigende Gewalt am Arbeitsplatz – Nordrhein Westfalen muss handeln!
I. Ausgangslage
Das Thema Gewalt am Arbeitsplatz rückt immer stärker in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Beschäftigte im öffentlichen Dienst und in medizinischen Einrichtungen sehen sich längst nicht mehr ausschließlich verbalen Attacken ausgesetzt, auch tätliche Angriffe gehören für viele zum Berufsalltag.
„Insgesamt ist das Aggressionspotenzial gestiegen. Wo es früher zu verbalen Auseinandersetzungen kam, kommt es immer öfter zu Handgreiflichkeiten“, berichtet die Sprecherin des Bundesverbandes für Sicherheitswirtschaft der „Welt“ am 23.04.2018.
So haben bereits bei einer Umfrage der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen im Zeitraum 2008/2009 „Gewaltprävention – ein Thema für die öffentliche Verwaltung?“ 60% der Befragten angegeben, sich „gelegentlich“ bedroht und unsicher an ihrem Arbeitsplatz zu fühlen, während 15% dieses Gefühl „oft“ empfanden. Lediglich 25% der Befragten gaben an, sich „nie“ bedroht und unsicher an ihrem Arbeitsplatz zu fühlen.
Eine Verschärfung der Sicherheitslage ergibt sich auch aus dem „Ärztemonitor 2018“, demnach komme es pro Arbeitstag in deutschen Praxen 75-mal zu körperlicher Gewalt. Verbale Gewalt gebe es in täglich 2870 Fällen. Somit erreichen auch diese Zahlen einen neuen Höchststand. Der NAV-Virchow-Bund und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) befragen für den „Ärztemonitor“ bundesweit Tausende Ärzte.
Im Jahr 2016 erlitten 10.432 Beschäftigte einen meldepflichtigen Arbeitsunfall während einer betrieblichen Tätigkeit durch die Einwirkung von physischer oder psychischer Gewalt. Das geht aus dem Arbeitsunfallbericht 2016 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hervor. Betrachtet man allein diese Art der gemeldeten Gewaltunfälle, dann hat deren Zahl in den vergangenen fünf Jahren um rund 22 Prozent zugenommen (2012 8.534 Fälle), so die DGUV in einer Pressemitteilung vom 19.12.2017.
Eine weitere Studie vom Bochumer Lehrstuhl für Kriminologie im Auftrag der Unfallkasse NRW, der Ministerien des Innern und für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW1 befasste sich mit Gewaltübergriffen auf Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein Westfalen. Die Ergebnisse sind besorgniserregend. So gaben 64% der Befragten an, in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal Opfer verbaler, nonverbaler und/oder körperlicher Gewalt geworden zu sein. Differenziert nach Gewaltformen wurden 60% der befragten Einsatzkräfte Opfer verbaler Gewalt, 50% sahen sich mit nonverbaler Gewalt konfrontiert und 13% waren körperlicher Gewalt ausgesetzt.
Diese Ergebnisse entbehren jedoch der Validität, da es keine Regelungen zur Meldepflicht für Übergriffe dieser Art gibt. Es ist zu befürchten, dass es eine hohe Dunkelziffer nicht gemeldeter Taten gibt. So gaben in der Bochumer Studie 80% der Befragten an, die letzten Übergriffe auf ihre Person nicht gemeldet zu haben: Als Grund hierfür nannten sie den Unglauben daran, dass dies die Situation ändern/beeinflussen würde. Hier muss daran gearbeitet werden, Betroffenen die Hemmschwelle zu nehmen, besondere Vorfälle zu melden.
Gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu treffen ist unabdingbar. Beispielgebend könnte hier das „Aachener Modell zur Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen am Arbeitsplatz“ sein, welches in Kooperation der Unfallkasse Nordrhein Westfalen mit dem Polizeipräsidium Aachen erarbeitet wurde. Es gibt erste Verhaltens empfehlungen für Beschäftigte und sensibilisiert für Gefährdungsintensitäten, basierend auf der Erkenntnis, dass den jeweiligen Formen der Gewalt am Arbeitsplatz mit geeigneten und verhältnismäßigen Mitteln begegnet werden muss. Das Aachener Modell definiert sich darüber hinaus durch die Umsetzung präventiver Handlungskonzepte und die dafür notwendige Vermittlung von Kenntnissen. So finden beispielweise Begehungen der Arbeitsumgebung und Gespräche mit Experten statt, welche dazu dienen, Gefährdungssituationen zu analysieren und erste Maßnahmen abzuleiten. Es werden mehrstufige Alarmierungssysteme und dokumentierte Sicherheitskonzepte für Notfall- und Krisensituationen erarbeitet. Auch werden Nachsorgekonzepte für Krisensituationen mit psychischen Extrembelastungen implementiert.
Der Staat muss seiner Fürsorgepflicht dort nachkommen, wo die Fürsorge gebraucht wird. Die Gewährleistung von Sicherheit ist Staatszweck. Gemäß § 1 Abs. 1 S.1 PolG NRW und § 1 Abs.1 OBG NRW haben sowohl die Polizei als auch die Ordnungsbehörden die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die öffentliche Sicherheit umfasst per Definition den Schutz der Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, den Schutz der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie den Schutz des Bestandes des Staates und sonstige Träger der öffentlichen Gewalt, ihrer Einrichtungen und Veranstaltungen.
Gemäß § 8 Abs. 1 PolG NRW bzw. § 14 Abs. 1 OBG NRW haben Polizei und Ordnungsbehörden schon die allgemeine Befugnis, im Einzelfall zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung tätig zu werden. Diese „Einzelfälle“ sind jedoch vielerorts bereits an der Tagesordnung, sodass es weitergehender präventiver Maßnahmen staatlicherseits bedarf, um die öffentliche Ordnung nicht zu gefährden. Das „Aachener Modell“ kann hier beispielgebend sein, bedarf jedoch einer verpflichtenden und flächendeckenden Anwendung in Nordrhein Westfalen, sowie Konkretisierungen und Ausweitungen auf öffentliche und medizinische Einrichtungen.
II. Der Landtag stellt fest,
1. dass Bedrohungen und Übergriffe an Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr in einem erheblichen Maße zugenommen haben;
2. dass die nach dem § 5 Arbeitsschutzgesetz verpflichtenden Gefährdungsbeurteilungen nicht ausreichen, um alle relevanten Aspekte über die Gewalt am Arbeitsplatz zu erfassen;
3. dass es keine Toleranz bei körperlicher Gewalt geben darf.
III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,
1. Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die gegen Beschäftigte von öffentlichen und medizinischen Einrichtungen, insbesondere gegen Einsatz- und Rettungskräfte gerichtet sind, flächendeckend in einem einheitlichen System nach dem „Aachener Modell“ zu erfassen;
2. in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste und den 47 Kreispolizeibehörden eine Risikoevaluation durchzuführen – verbunden mit der Erstellung eines Präventionskonzeptes zur Reduzierung und Prävention von Bedrohungen und Übergriffen am Arbeitsplatz;
3. ein mehrstufiges Alarmierungssystem für Bedrohungsszenarien an Arbeitsplätzen mit Publikumsverkehr im öffentlichen Dienst zu entwickeln;
4. Nachsorgekonzepte für berufsbedingte Krisensituationen mit psychischen Extrembelas-tungen weiterzuentwickeln.
Dr. Martin Vincentz
Markus Wagner
Andreas Keith
und Fraktion