Kleine Anfrage 6154des Abgeordneten Christian Loose vom 30.11.2021
„Preisgünstigkeit“ der Energiewende bei einem Preisanstieg um 130 Prozent? Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage möchte die Landesregierung die Entwicklung der Strompreise beurteilen?
Im weltweiten Vergleich der Strompreise nimmt Deutschland einen traurigen, ersten Platz ein: Nirgendwo auf der Welt ist Strom teurer als in Deutschland.1
In seinem Sonderbericht vom 31. März 2021 stellt der Bundesrechnungshof nicht nur beim Punkt „Bezahlbarkeit“ den Akteuren der Energiewende das denkbar schlechteste Zeugnis aus und erklärt:
„Der Bund steuert die Energiewende mit Blick auf die gesetzlichen Ziele einer sicheren und preisgünstigen Versorgung mit Strom weiterhin unzureichend. Die Steuerung der Energiewende durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ist nach wie vor mangelhaft. Das BMWi geht von teils zu optimistischen und teils unplausiblen Annahmen zur Sicherheit der Stromversorgung aus. Es muss deshalb sein Monitoring der Versorgungssicherheit vervollständigen. Außerdem hat das BMWi immer noch nicht festgelegt, was es unter einer preisgünstigen Stromversorgung versteht. Die Strompreise für private Haushalte sowie kleine und mittlere Gewerbe- und Industriekunden liegen in Deutschland europaweit an der Spitze. Einen Großteil des Strompreises machen staatlich geregelte Bestandteile aus, insbesondere die EEG-Umlage und die Netzentgelte. Der Bundesrechnungshof empfiehlt, diese Strompreis-Bestandteile grundlegend zur reformieren.“2
In der Vorlage 17/6013 führt die Landesregierung im Zusammenhang mit ihrem Bericht über einen möglicherweise auf das Jahr 2030 vorgezogenen Kohleausstieg aus:
„Konkret ist vorgesehen, dass in den Jahren 2022, 2026, 2029 und 2032 insbesondere die Auswirkungen des Kohleausstiegs auf die Versorgungssicherheit, die Klimaschutzziele aber auch die Entwicklung der Strompreise auf wissenschaftlicher Grundlage und anhand von festgelegten Kriterien überprüft werden sollen.“3
Die Auswirkungen des Kohleausstiegs auf die Entwicklung der Strompreise soll also auf wissenschaftlicher Grundlage und an Hand von festgelegten Kriterien überprüft werden.
Seit dem Jahre 2000, dem ersten Jahr des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG), stieg der Strompreis für Haushalte um 130 Prozent.4 Diese Zahlen ergeben sich aus den Daten der Datenplattform Statista.
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:
- Bis zu welcher Höhe des Strompreises für private Verbraucher in Eurocent je Kilowattstunde sieht die Landesregierung das vom Bundesrechnungshof angemahnte gesetzliche Ziel einer preisgünstigen Versorgung mit Strom gewährleistet?
- Inwieweit erachtet die Landesregierung den deutschen Haushalten abverlangten, im internationalen Vergleich höchsten Strompreis als „preisgünstig“?
- Aus welchem Grund schreibt die Landesregierung in der Vorlage 17/6013, die Entwicklung der Strompreise solle auf wissenschaftlicher Grundlage überprüft werden, was eher beobachtenden Charakter hat, während der Bundesrechnungshof an das Ziel einer preisgünstigen Versorgung mit Strom erinnert, was nur eine feste Obergrenze eines Strompreises meinen kann?
- Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage soll die Preisgünstigkeit des Strompreises beurteilt werden?
- Anhand welcher Kriterien lässt sich die Preisgünstigkeit des Strompreises beurteilen?
Christian Loose
1 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/13020/umfrage/strompreise-in-ausgewaehlten-laendern/, abgerufen am 19.11.2021 um 10:36h.
2 Vgl. https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/sonderberichte/2021/-bund-steuert-energiewende-weiterhin-unzureichend, abgerufen am 19.11.2021 um 11:11h.
3 Vgl. http://opal.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-6013.pdf, abgerufen am 19.11.2021 um 10:59h.
4 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/234370/umfrage/entwicklung-der-haushaltsstrompreise-in-deutschland/. Der Index im Jahr 2000 liegt bei 81, im Jahr 2021 bei 186, d.h. bei dem 2,3 fachen Wert. Das ist ein Anstieg um 130%. Die Verbraucherpreise stiegen bis zum Jahr 2020 lediglich um (2000: Index 79,9; 2020: Index 105,8) rund 32%, abgerufen am 19.11.2021 um 16:54h.
Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 6154 mit Schreiben vom 10. Januar 2022 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet.
- Bis zu welcher Höhe des Strompreises für private Verbraucher in Eurocent je Kilowattstunde sieht die Landesregierung das vom Bundesrechnungshof angemahnte gesetzliche Ziel einer preisgünstigen Versorgung mit Strom gewährleistet?
Der durchschnittliche Strompreis für Haushalte in Deutschland im Jahr 2021 liegt derzeit bei 32,16 ct/kWh5. Er wird mit einem Anteil von über 50 Prozent überproportional mit Steuern, Abgaben und Umlagen belastet. Der Anteil der Netzentgelte am Strompreis beträgt 25 Prozent, der Anteil von Beschaffung und Vertrieb beträgt 24 Prozent. Die Energiepreise haben sich zuletzt in Deutschland und international deutlich erhöht.
Die preisgünstige Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität gehört gemäß § 1 Abs. 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) zum zentralen Zweck dieses Gesetzes. Die Landesregierung teilt die Einschätzung des Bundesrechnungshofes in seinem Bericht vom 30. März 2021, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (jetzt Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) grundsätzlich festlegen muss, was es unter einer preisgünstigen Stromversorgung versteht, und dass dies durch Indikatoren bestimmt werden muss. Die Landesregierung teilt aber auch die im Bericht des Bundesrechnungshofs dargestellte Einschätzung der Bundesregierung, dass die komplexe Frage der Bezahlbarkeit nicht anhand eines Indikators oder Zielwerts beantwortet werden kann und neben dem Strompreis für private Verbraucher weitere Aspekte, wie z.B. die Einkommens- und Wirtschaftsentwicklung, in die Bewertung einfließen müssen.
- Inwieweit erachtet die Landesregierung den deutschen Haushalten abverlangten, im internationalen Vergleich höchsten Strompreis als „preisgünstig“?
Der Strompreis in Deutschland gehört bereits seit vielen Jahren zu den höchsten in Europa. Im Jahr 2020 lagen die Strompreise für Haushalte (Jahresverbrauch 2.500 – 5.000 kWh) in Deutschland im EU-Vergleich mit 30,25 ct/kWh am höchsten, vor Dänemark mit 28,26 ct/kWh6. Die Landesregierung erachtet aus diesem Grund den Strompreis für Haushalte in Deutschland im internationalen Vergleich, auch unter Berücksichtigung einer hohen Wirtschaftsleistung pro Kopf in Deutschland und weiterer relevanter Bewertungskriterien, insgesamt als zu hoch und fordert daher eine Reduzierung von Steuern und Umlagen auf den Strompreis.
3. Aus welchem Grund schreibt die Landesregierung in der Vorlage 17/6013, die Entwicklung der Strompreise solle auf wissenschaftlicher Grundlage überprüft werden, was eher beobachtenden Charakter hat, während der Bundesrechnungshof an das Ziel einer preisgünstigen Versorgung mit Strom erinnert, was nur eine feste Obergrenze eines Strompreises meinen kann?
4. Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage soll die Preisgünstigkeit des Strompreises beurteilt werden?
5. Anhand welcher Kriterien lässt sich die Preisgünstigkeit des Strompreises beurteilen?
Die Fragen 3 bis 5 werden aufgrund ihres sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Die Ausführungen der Landesregierung in ihrer Vorlage 17/6013 stellen keine neuen Feststellungen der Landesregierung dar, sondern beschreiben lediglich die geltende bundesgesetzliche Regelung des § 54 KVBG, nach der die Auswirkungen des gesetzlichen Kohleausstiegs auf den Strompreis zu festgelegten Zeitpunkten auf wissenschaftlicher Grundlage durch die Bundesregierung zu bewerten ist. Diese gesetzliche Überprüfung stellt damit keine grundsätzliche Beurteilung der Preisgünstigkeit des Strompreises gemäß § 1 EnWG auf wissenschaftlicher Grundlage dar, sondern dient der Überprüfung der mit dem KVBG verbundenen Auswirkungen.
Da diese Überprüfung als Bewertungsgrundlage für konkrete Maßnahmen der Bundesregierung gemäß KVBG vorgesehen ist (u.a. § 55 Abs. 2 und 4 KVBG), teilt die Landesregierung auch nicht die Einschätzung, dass diese Überprüfung lediglich beobachtenden Charakter hat. Die Landesregierung erwartet, dass diese Überprüfung der Auswirkungen auf den Strompreis auf wissenschaftlicher Grundlage gem. § 54 KVBG gutachterlich unterstützt und durch Strom-marktmodellierungen erfolgen wird, Informationen über die konkrete Ausgestaltung der Überprüfung durch die Bundesregierung liegen der Landesregierung jedoch derzeit nicht vor.
Bezüglich der Annahmen des Fragestellers in Frage 3 zu den Ausführungen des Bundesrechnungshofes zur preisgünstigen Versorgung mit Strom wird auf die Beantwortung zu Frage 1 verwiesen.
5 BDEW: Strompreisanalyse 2021 (Stand 11/2021), https://www.bdew.de/service/daten-und-grafi-ken/bdew-strompreisanalyse/ [15.12.2021]
6 Statista: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/197196/umfrage/elektrizitaetspreise-ausge-waehlter-europaeischer-laender/ [15.12.2021]