Kleine Anfrage 272
des Abgeordneten Christian Loose vom 03.08.2022
Reservebetrieb von Kraftwerken in NRW – Relevanz von Kohlekraftwerken für die Netzstabilität bereits in 2021 erkennbar?
In der Presse wird immer wieder davon berichtet, dass Kraftwerke, die eigentlich zur Stilllegung angemeldet wurden, vom Netzbetreiber zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität angefordert werden.1 Das kann sogar dazu führen, dass Kraftwerke, die zur Stilllegung vorgesehen waren, dauerhaft in eine Netzreserve überführt wurden. So geschah es beispielsweise beim Kraftwerk Westfalen E von RWE Power.2
Aktuell werden weiterhin Kraftwerke durch Ausschreibungen vom Markt genommen. Am 01.08.2022 endet die Gebotsabgabe für die sechste Stilllegungsauktion.3 Aktuell findet die Auswertung der Gebote statt. Mit der fünften Auktion, die am 01. März – also nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine – endete, wurde zur Stilllegung einer Stromerzeugungsleistung in Höhe von 1.222,886 MW aufgerufen.
Eine drohende Gasknappheit könnte den Bedarf nach einer Verstromung durch alternative fossile oder kerntechnische Anlagen schlagartig erhöhen.
Ich frage daher die Landesregierung:
- Welche Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen befanden sich im Jahr 2021 in der Reserve eines Netzbetreibers (bitte Kraftwerkstyp, Alter, Leistung und Wirkungsgrad der Kraftwerke angeben)?
- Wie oft wurden im Jahr 2021 Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Netzreserve für den Strombetrieb eingesetzt (bitte jeweils die Daten, diebEinsatzstunden und die Erzeugungsmenge in MWh angeben)?
- Aus welchen Gründen wurden diese Kraftwerke vom Netzbetreiber jeweils zur Netzstabilisierung angefordert (bitte je Kraftwerkseinsatz aufschlüsseln)?
- Welche Vergütung bzw. Entschädigung erhielten die betreffenden Kraftwerksbetreiber im Jahr 2021 für die Bereitstellung der Reserve als Grundvergütung (bitte je Kraftwerk aufschlüsseln, Angaben bitte in Euro)?
- Welche Vergütung bzw. Entschädigung erhielten die betreffenden Kraftwerksbetreiber im Jahr 2021 für die realisierte Erzeugung (bitte je Kraftwerk aufschlüsseln, Angaben bitte in Euro)?
Christian Loose
1 https://energie.pr-gateway.de/kohleausstieg-fuer-8-tage-und-14-mrd-euro-phantomstrom/
2 https://www.wa.de/hamm/kraftwerk-westfalen-in-hamm-uentrop-ist-systemrelevant-90245477.html
Die Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie hat die Kleine Anfrage 272 mit Schreiben vom 29. August 2022 namens der Landesregierung beantwortet.
Vorbemerkung der Landesregierung
Unter die Kraftwerksreserven in Deutschland fallen die Kapazitätsreserve, die Netzreserve, die Sicherheitsbereitschaft und Besondere netztechnische Betriebsmittel (Netzstabilitätsanlagen). Grundlage sind die §§ 13d, 13e, 13g sowie § 11 Abs. 3 des EnWG.
Die Kapazitätsreserve steht bereit, um Angebot und Nachfrage auszugleichen, wenn an den Strommärkten kein vollständiger Ausgleich herbeigeführt werden kann. Die Kapazitätsreserve steht somit zeitlich hinter der Strombörse und den Regelenergiemärkten. Die Netzreserve wird für die Netzstabilität eingesetzt. Sie wird jedes Jahr jeweils im Winterhalbjahr gebildet, um Kraftwerkskapazitäten für Redispatch-Eingriffe der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) zurückzuhalten, die über den gewöhnlichen Redispatch hinausgehen. Kraftwerke der Netzreserve liegen hauptsächlich in Bayern und Baden-Württemberg. Kraftwerke dürfen gleichzeitig an der Ausschreibung zur Netzreserve und Kapazitätsreserve teilnehmen.
Die Sicherheitsbereitschaft wird aus Braunkohlekraftwerken gebildet. Sie wird für den Fall vorgehalten, dass die Stromproduktion einschließlich aller regulären Sicherheitsmaßnahmen (wie Redispatch, Regelenergie, Abschaltbare Lasten, Netzreserve und Kapazitätsreserve) einmal nicht ausreichen könnte, um den Verbrauch zu decken.
Besondere netztechnische Betriebsmittel werden vorgehalten, um die Sicherheit des Stromnetzes bei Ausfällen wiederherzustellen. Besondere netztechnische Betriebsmittel sind in Nordrhein-Westfalen nicht verortet.
Die zur Beantwortung der Fragen verwendeten Informationen sind auf den Internetseiten der Bundesnetzagentur und der Netztransparenzplattform der Übertragungsnetzbetreiber veröffentlicht.
- Welche Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen befanden sich im Jahr 2021 in der Reserve eines Netzbetreibers (bitte Kraftwerkstyp, Alter, Leistung und Wirkungsgrad der Kraftwerke angeben)?
Im Juni 2021 wurde entschieden, die Anlage Heyden Block 4 aufgrund der Systemrelevanzausweisung nach ihrer Stilllegung am 8. Juli 2021 bis zum 30. September 2022 in die Netzreserve zu überführen. Die Anlage Heyden Block 4 wird mit Steinkohle betrieben, wurde am 1. Januar 1987 in Betrieb genommen und weist eine installierte Nettonennleistung von 875 MW auf. Entsprechend der Angaben der Bundesnetzagentur war dies im Jahr 2021 die einzige in Nordrhein-Westfalen verortete Anlage in der Netzreserve.
- Wie oft wurden im Jahr 2021 Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Netzreserve für den Strombetrieb eingesetzt (bitte jeweils die Daten, die Einsatzstunden und die Erzeugungsmenge in MWh angeben)?
- Aus welchen Gründen wurden diese Kraftwerke vom Netzbetreiber jeweils zur Netzstabilisierung angefordert (bitte je Kraftwerkseinsatz aufschlüsseln)?
Die Fragen 2 und 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
In der Funktion als Kraftwerk der Netzreserve (ab 8. Juli 2021) wurde die Anlage Heyden Block 4 in 51 Fällen für spannungs- und strombedingte Redispatchmaßnahmen sowie für Probebetriebe angefordert. Die Einsatzdauer belief sich insgesamt auf 579,5 Stunden, die bereitgestellte elektrische Arbeit auf 151.518,75 MWh.
- Welche Vergütung bzw. Entschädigung erhielten die betreffenden Kraftwerksbetreiber im Jahr 2021 für die Bereitstellung der Reserve als Grundvergütung (bitte je Kraftwerk aufschlüsseln, Angaben bitte in Euro)?
- Welche Vergütung bzw. Entschädigung erhielten die betreffenden Kraftwerksbetreiber im Jahr 2021 für die realisierte Erzeugung (bitte je Kraftwerk aufschlüsseln, Angaben bitte in Euro)?
Die Fragen 4 und 5 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Für die Netzreserve des gesamten deutschen Netzgebiets fielen im Jahr 2021 Vorhaltekosten von 239,7 Mio. € an, die Abrufkosten der Netzreserve beliefen sich auf 250,9 Mio. Euro. Eine Bundesland- bzw. Anlagenscharfe Aufschlüsselung liegt der Landesregierung nicht vor.