Sportliche Krise in NRW – Ignoriert die Landesregierung den Bewegungsrückgang seit der Corona-Pandemie?

Kleine Anfrage
vom 24.10.2024

Kleine Anfrage 4669

der Abgeordneten Dr. Martin Vincentz und Andreas Keith AfD

Sportliche Krise in NRW Ignoriert die Landesregierung den Bewegungsrückgang seit der Corona-Pandemie?

Die COVID-19-Pandemie hat das Bewegungs- und Sportverhalten der Menschen in Deutschland erheblich verändert. Eine vom Robert Koch-Institut (RKI) durchgeführte Studie zeigt, dass etwa 25 % der deutschen Bevölkerung während der Pandemie ihre sportliche Aktivität reduziert haben. Gründe dafür sind insbesondere die Schließungen von Fitnessstudios, Sportvereinen und anderen Sportstätten sowie die eingeschränkten Möglichkeiten zur Teilnahme an Sportveranstaltungen. Diese Einschränkungen haben nicht nur Auswirkungen auf die allgemeine Fitness und Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch auf die sozialen und psychologischen Aspekte, die mit gemeinschaftlicher sportlicher Betätigung verbunden sind.1

Ein Blick auf Nordrhein-Westfalen zeigt, dass aktuelle, detaillierte Daten zur Entwicklung der sportlichen Aktivität seit Beginn der Pandemie fehlen. Die letzte umfassende Erhebung der Landeszentrale für Gesundheit in Nordrhein-Westfalen (LZG NRW) zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 2013 und bietet somit keinen Einblick in die Veränderungen und Auswirkungen, die durch die pandemiebedingten Maßnahmen entstanden sind. Diese Erhebung lieferte wichtige Informationen zur sportlichen Aktivität der Bevölkerung, differenziert nach Alter, Geschlecht und Sozialstatus. Der Einfluss der Pandemie auf das aktuelle Bewegungsverhalten kann jedoch mit diesen veralteten Daten nicht abgebildet werden.2

Die 2022 veröffentlichte Bewegungsstudie der Techniker Krankenkasse (TK) stellt zwar fest, dass sich immerhin 40 % der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen mehr als eine Stunde pro Tag bewegen3, jedoch fehlen spezifische, differenzierte Informationen zur sportlichen Aktivität nach soziodemografischen Faktoren, die mit der Erhebung von 2013 vergleichbar wären. Solche Daten sind jedoch notwendig, um gezielte Maßnahmen zur Förderung der sportlichen Betätigung und zur Wiederherstellung des früheren Aktivitätsniveaus zu entwickeln.

Wir fragen daher die Landesregierung:

  1. Wie hat sich die wöchentliche sportliche Aktivität der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen in den letzten fünf Jahren entwickelt? (Bitte nach Geschlecht, Alter, Sozialstatus sowie Umfang pro Woche aufschlüsseln)
  2. Wann ist mit einer neuen Erhebung und Veröffentlichung dieser Daten durch den Gesundheitssurvey NRW zu rechnen?
  3. Wie bewertet die Landesregierung den Rückgang der sportlichen Betätigung um 25% in der Bevölkerung während der Corona-Pandemie?
  4. Welche spezifischen Maßnahmen hat die Landesregierung bisher ergriffen, um die sportliche Aktivität der Bevölkerung nach den pandemiebedingten Einschränkungen zu fördern und auf das Vorniveau zurückzuführen?

Dr. Martin Vincentz
Andreas Keith

 

MMD18-11121

 

1 https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloads J/Focus/JHealthMonit_2022_04_Sport_Aktivitaet_COVID-19_GEDA_2021.pdf?__blob=publicationFile

2 https://www.lzg.nrw.de/ges_bericht/ges_indi/indikatoren_laender/index.html

3 https://www.tk.de/resource/blob/2137718/e36e0c1b6bf74908d1c8e541eaa4a0c3/tk-studie-bewegungsstudie-2022-data.pdf


Der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei hat die Kleine Anfrage 4669 mit Schreiben vom 25. November 2024 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie der Ministerin für Schule und Bildung beantwortet.

  1. Wie hat sich die wöchentliche sportliche Aktivität der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen in den letzten fünf Jahren entwickelt? (Bitte nach Geschlecht, Alter, Sozialstatus sowie Umfang pro Woche aufschlüsseln)

Der Landesregierung liegt eine detaillierte Übersicht der Erhebungen zu Gesundheits- und Bewegungsdaten bezogen auf Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen aus dem Zeit­raum 2018 bis 2023 vor.

Das Pilotprojekt wurde von der Staatskanzlei finanziert und durch den Forschungsverbund für Kinder- und Jugendsport in Nordrhein-Westfalen erstellt.4

Zudem finden sich zahlreiche Studien und Befragungen in der Fachliteratur, die der körperli­chen und sportlichen Aktivität der letzten Jahre nachgehen. Aufgrund der Unterschiede bei­spielsweise in Bezug auf die Erhebungsmethoden (Fragestellungen zum Aktivitätsverhalten), die Referenzzeiträume, die Zeitpunkte der Studiendurchführung, die Antwortskalierung, die Altersklassifikationen und die Begriffsauslegung (körperliche vs. sportliche Aktivität) ist eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse jedoch kaum möglich. Gleichwohl zeichnen sich größere Trends wie folgt ab:

  • Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen treibt mehrmals die Woche regelmäßig Sport. Das Sporttreiben gehört im Kinder- und Jugendalter zur Normalität, ob im Sportverein oder informell auf Bolzplätzen, Parks, in Fitnessstudios oder Schularbeits-gemeinschaf-ten.
  • Das Gros der körperlichen Aktivität erfolgt im Rahmen nicht organisierter Bewegungs-, Spiel- und Sportaktivitäten. Das Spielen im Freien ist v. a. für die Bewegungsaktivität in der Kindheit von hoher Relevanz und nimmt im Jugendalter ab.
  • Ein wesentlicher Teil der sportlichen Aktivität findet im Sportverein statt. Der Organisati­onsgrad im Verein ist bei Jungen höher als bei Mädchen und bei Kindern höher als bei Jugendlichen.
  • Ein Teil der sportlichen Aktivität verlagert sich in die Schule. Neben schulischen Ange­boten werden kommerzielle Angebote verstärkt von Jugendlichen nachgefragt.
  • Gemessen an den Bewegungsempfehlungen der WHO bewegen sich Kinder und Ju­gendliche zu wenig. Dies ist auch auf einen Rückgang an Bewegungsaktivitäten, die nicht zum Sport im engeren Sinne gehören (Spiel im Freien, Transportwege, Alltag durch Bewegungslosigkeit geprägt) zurück zu führen.
  • Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren sind am stärksten von der Ausdehnung der Inaktivität betroffen.
  • Der Anteil an Kindern und Jugendlichen, die nie Sport treiben, ist relativ gering.
  • Nicht alle Kinder und Jugendliche praktizieren Sport und Bewegung gleichermaßen. Es bestehen Unterschiede in Bezug auf das Geschlecht und auf sozialstrukturelle Faktoren (z. B. ethnische Herkunft, soziale Schicht, Sportinfrastruktur in der Wohnumgebung).
  • Im Verein organisierter Sport in der Jugend führt zu verstärkter Sportaktivität im Erwach­senenalter.
  • Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung treibt regelmäßig Sport.
  • Der selbstorganisierte Sport – in Abgrenzung zur organisierten Sportausübung im Sport­verein – stellt die am weitesten verbreitete Form der Sportausübung der erwachsenen Bevölkerung dar. Basierend auf einem weiten Verständnis von Sport sind ca. 90 % der ausgeübten Sportaktivitäten dem informellen Sportsektor zuzurechnen, ca. 70 % der Sportlerinnen und Sportler betreiben ausschließlich selbstorganisiert Sport, ca. 28 % der Sportlerinnen und Sportler sind in mindestens einem Sportverein aktiv.
  1. Wann ist mit einer neuen Erhebung und Veröffentlichung dieser Daten durch den Gesundheitssurvey NRW zu rechnen?

Der NRW-Gesundheitssurvey hat wechselnde Schwerpunktthemen. Wann eine erneute Erhe­bung der wöchentlichen sportlichen Aktivität der Bevölkerung im Rahmen des NRW-Gesund-heitssurveys stattfinden wird, steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest.

  1. Wie bewertet die Landesregierung den Rückgang der sportlichen Betätigung um 25 % in der Bevölkerung während der Corona-Pandemie?

Bei der zitierten Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) aus dem Jahr 2022 werden Ergebnisse einer Analyse berichtet, in die Daten zum Bewegungsverhalten Erwachsener in Deutschland aus dem Zeitraum von Juli bis Ende Oktober 2021 eingeflossen sind. Im Herbst 2021 war laut Angaben des RKI ein großer Teil der Bevölkerung (ca. 37 %) noch nicht gegen eine Sars-Cov2-Infektion geimpft, was neben den damals geltenden Eindämmungsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu eingeschränkten sportlichen Aktivitäten innerhalb und außerhalb von geschlossenen Räumen geführt haben kann. Es handelt sich um eine Momentaufnahme während der Corona-Pandemie mit beschränkter Aussagekraft.

  1. Welche spezifischen Maßnahmen hat die Landesregierung bisher ergriffen, um die sportliche Aktivität der Bevölkerung nach den pandemiebedingten Einschränkungen zu fördern und auf das Vorniveau zurückzuführen?

Der Landesregierung war es ein großes Anliegen, die durch die Pandemie bedingten Ein­schränkungen zur Ausübung der körperlichen und sportlichen Aktivität zu kompensieren und auch weiterhin zu fördern. So wurden verschiedene Programme seitens der Landesregierung aufgelegt, die entweder die Stärkung der Strukturen des Sports oder die Reaktivierung von Bewegungs-, Spiel- und Sportangeboten zum Ziel hatten. Folgende Maßnahmen lassen sich anführen:

  • Sonderprogramm „Soforthilfe Sport“:

Insbesondere zur Aufrechterhaltung seiner Strukturen wurden dem organisierten Sport in Nordrhein-Westfalen, den Vereinen, Bünden und Verbänden, Coronahilfen in Höhe von insgesamt 22,2 Millionen. EUR durch die Staatskanzlei ausgezahlt.

  • „Übungsleiteroffensive“:

Zur Förderung der Ausbildung von Übungsleiterinnen und Übungsleitern, Trainerinnen und Trainern, Schwimmtrainerinnen und -trainern sowie Sporthelferinnen und -helfern und Schwimmassistenzen wurden im Jahr 2023 im Rahmen der „Übungsleiteroffensive“

knapp 4.000 kostenfreie oder kostenverminderte Ausbildungen, bei einem Fördervolu­men von rund einer Million EUR, durch die Staatskanzlei ermöglicht.

  • „Bewegungsoffensive!“:

Im Jahr 2023 wurde die „Bewegungsoffensive!“ gestartet, um Kinder und Jugendliche durch niedrigschwellige Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote in verschiedenen Set-tings wieder in Bewegung zu bringen. Hierbei wurden in allen fünf Regierungsbezirken 334 Projektideen aus dem organisierten und vereinsungebundenen Sport mit einem För­dervolumen von knapp 2 Millionen EUR umgesetzt.

  • „Schwimmoffensive“:

Im Rahmen der „Schwimmoffensive“ wurde das Pilotprojekt der mobilen Schwimmcon­tainer „narwali“ gestartet. Die mobilen Wasserflächen dienen dazu, dass Kinder die Lern­stufen der Wassergewöhnung und -bewältigung schneller durchlaufen sollen und damit Wartelisten für Schwimmkurse abgebaut werden. Die Landesregierung fördert einen mo­bilen Schwimmcontainer je Regierungsbezirk.

  • „Extra-Zeit für Bewegung“:

Das Ministerium für Schule und Bildung förderte ab Juni 2021 bis zu den Sommerferien 2023 in Zusammenarbeit mit dem Landessportbund Nordrhein-Westfalen im Programm „Extra-Zeit für Bewegung“ Angebote von Sportvereinen, Sportorganisationen und weite­ren Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe, um auf diesem Wege zusätzlich zum Sportunterricht pandemiebedingte Bewegungsdefizite von Schülerinnen und Schülern in Nordrhein-Westfalen zu kompensieren. Insgesamt wurden für die Durchführung von na­hezu 10.000 Maßnahmen im Rahmen des Programms über 5 Millionen EUR von Seiten des Landes Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt.

Gefördert wurden damit Sport- und Bewegungsangebote für Gruppen mit mindestens zehn teilnehmenden Schülerinnen und Schülern, die vor allem von Sportvereinen und anderen Trägern anerkannter Jugendhilfe sowohl in den Ferien als auch unterrichtsbe­gleitend organisiert und durchgeführt wurden. Die Angebote umfassten ein breites Spektrum des Schulsports, so zum Beispiel Konditionsschulung, Fitnesstraining, Schwimmen, Turnen, Ball- und Bewegungsspiele.

  • Bewegungskindergärten:

Fortgeführt wurden die Förderprogramme zur Bewegungsförderung im Elementarbe­reich. Gemeinsam mit weiteren Trägern fördert die Staatskanzlei jährlich mit ca. 200.000 EUR den „Anerkannten Bewegungskindergarten“ sowie den „Anerkannten Be­wegungskindergarten mit dem Pluspunkt Ernährung“. Bei den Bewegungskindergärten wird Bewegung in den Mittelpunkt des Kita-Alltags gestellt und ist Teil des pädagogi­schen Konzepts.

  • Landesinitiative für Gesundheitsförderung und Prävention; Schwerpunkt: Bewegungs­förderung im Alltag:

Mit der Entschließung der Landesgesundheitskonferenz 2017 wurde das Landespräven-tionskonzept in Nordrhein-Westfalen fortentwickelt und die Landesinitiative Gesund­heitsförderung und Prävention ins Leben gerufen. Sie legt wechselnde Schwerpunktthe­men fest. Ab 2025 wird der neue Schwerpunkt „Bewegungsförderung mit dem Fokus Alltagsbewegung“ sein.

Dabei können verschiedene Zielgruppen und Lebensphasen in den Fokus gerückt wer­den, zum Beispiel Jugendliche und junge Erwachsene im Übergang zwischen Ausbil­dung und Beruf.

Hier hat das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit der Machbarkeitsstudie „co*gesund“ (Projektlaufzeit 11/2021 bis 08/2023) ein Forschungsprojekt finanziert, wel­ches die Ressourcen und Mechanismen zur Gesundheitsförderung bildungsbenachtei­ligter junger Menschen in der Corona-Krise untersucht hat.

Durch den Fokus auf Alltagsbewegung wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Le­benswelten der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere auf das kommunale Setting, ge­legt. Hierdurch kann ebenfalls an die Erfahrungen und die aufgebauten Strukturen aus den Projekten der Landesrahmenvereinbarung Nordrhein-Westfalen angeknüpft wer­den.

Es wird angenommen, dass die Bandbreite dieser Maßnahmen sich als effektiv erwiesen hat. Zumindest spiegeln diesen Umstand die Mitgliederzuwächse im Rahmen der Bestandserhe­bung des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen wider. Beispielsweise sind im Jahr 2023 in der Alterskohorte 0-6 Jahre die Sportvereinsmitglieder auf 335.713 gestiegen. Dies ent­spricht einem Zuwachs in dieser Altersklasse von 5,74 % gegenüber dem Vorcoronajahr 2019 (317.498 Mitgliedschaften). Auch die Gesamtmitgliederzahl im Jahr 2023 liegt mit 5.101.528 Mitgliedschaften über dem Vorcoronajahr 2019 (5.081.239 Mitgliedschaften).

 

MMD18-11582

 

4 Grauduszus, M., Ferrari, N., Wisser, B., Koch, L., Neuber, N., Dahl, S. & Joisten, C. (2024). Kinder-und Jugendsportmonitoring NRW. Datenerhebungen zum Gesundheitsstatus und zur motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen. In: Forum Kinder- und Jugend Sport (185-193). https://doi.org/10.1007/s43594-024-00143-1